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Jack – Kapitel III

Anton von Perfall
Jack
In: Deutsche Jugendbücherei, Nr. 5/6
Hermann Hillger Verlag Berlin – Leipzig

Kapitel III

Mister Smiths Prophezeiung, dass ich in Jahresfrist mit einem Wagen fahren werde, traf allerdings ein, wenn man den viereckigen Kasten, welchen ich auf ein Kastengestell nagelte, so nennen durfte. Im Übrigen ging es für einen Miner, der an raschen Gewinn ge­wöhnt war, ziemlich langsam vorwärts. Die Leute hatten wenig Bedürf­nisse und wenig Bargeld, und auch an Konkurrenz fehlte es nicht. Dem Genie Jacks allein hatte ich es zu verdanken, dass ich mit meinem geringen Betriebskapital mir durchhalf. Er war eine lebendige Reklame und eine ständige Attraktion, er trompetete in jeder Ortschaft, durch die ich kam, die gesamte Einwohnerschaft zusammen, gewann mit Alt und Jung durch seine Kunststückchen, welche ich, abgesehen von dem Geschäft, aus idealen Rücksichten nicht aus seinem Gedächtnis schwinden ließ.

Jack, mein einziger Freund und Gefährte, sollte nicht zum gewöhnlichen Packesel herabsinken, die Mühe Pierre Savages nicht gänzlich verloren gehen. Schließlich bestand der Unterschied zwischen mir und dem Spielmann nur darin, dass man, anstatt ein Geldstück in die Sammelbüchse zu werfen, zum Dank für die Unterhaltung seine Last erleichterte und mir bei geringem Gewinn etwas Waren abnahm. Dazu kam die Mühseligkeit eines ständigen Wanderlebens, dessen einzige Unterbrechung in einem selten mög­lichen Besuch Smiths bestand. Hier genoss ich wenigstens kurze Zeit das Glück der Häuslichkeit, der Heimat, der Familie. Jack traf seinen alten Freund Gogo, welcher sich rasch eingewöhnt hatte und bei der Orangenernte treffliche Dienste leistete, indem er die goldenen Früchte mit seiner natürlichen Gewandtheit pflückte und in Körben sammelte. Jack tanzte wieder nach den Klängen der alten Orgel und graste über dem Grabhügel seines Herrn.

Bisher fuhr ich immer leer zurück nach Sacramento oder Frisco, um neue Vorräte zu holen. Da kam Smith eines Tages auf eine vortreffliche Idee.  Ich hatte wieder einmal alles verkauft. Als ich aber beim Morgengrauen nach meinem Wagen sah, lagen sechs Schweine gebunden darauf.

»Die bringst du nach Sacramento, sie sind dort das Doppelte wert, als ich dafür ver­lange«, sagte der Farmer.

Jack sah sich erstaunt nach der quiekenden Last um und spielte mir rasch sein ganzes Repertoire von Scharren und Kopfschütteln vor, um mir damit zu erklären, dass dieses Volk doch keine Gesell­schaft für ihn sei. Doch da half nichts; nach meiner alten Gewohnheit sah ich bereits das neue Geschäft in hundertfach vergrößertem Maßstab – mich selbst mit einer Schar Rinder nach Frisco ziehen und dort als Millionär enden.

Jack legte sich denn auch mit Heldenmut in das Geschirr und ich entwickelte ihm meine Zukunftspläne. Die Geschichte von dem Mädchen mit dem Milchtopf wiederholt sich ewig in der Welt.

Doch plötzlich erschrak ich heftig. Ich war bei den breitgestirnten Rindern angelangt, welche ich nach Frisco bringen wollte. Was aber sollte dann mit Jack geschehen? In diesem Augenblick fühlte ich, wie verwachsen ich mit dem Tier war. Verkaufen? Nimmer­mehr! Da hatte ich es schon: Er wird mit einem hübschen Geschirr angetan, vor ein reizendes Korbwägelchen gespannt, in welchem zwei niedliche blondlockige Kinder sitzen, die Kinder Frank Gobys, des Cattle King (Herdenkönig) of California. Der kleine Pierre führt die Zügel, die kleine Mire sitzt daneben.

So fantasierte ich auf dem Marsch durch den fußhohen roten Staub im glühenden Sonnenbrand und gelangte gegen Abend in die dichtbewaldeten Berge des Placer County, welche ich passieren musste, um in das Sacramento-Tal zu kommen. Ich sollte der Be­schreibung Smiths nach gegen Abend die Santa Anna Farm er­reichen, damals der einzig größere Platz in dem County, in welchem fast ausschließlich Bergbau betrieben wurde. Doch die Schatten krochen immer höher die Waldberge heraus, und weit und breit zeigte sich keine menschliche Stätte, ringsum war gänzliche Wildnis. Dazu grollte es bedenklich hinter den Bergen, und obwohl kein Luftzug die drückende Schwüle milderte, jagten die Wolken über mir in verdächtiger Eile, und ein dumpfes drohendes Brausen zog durch die Berge. Es war Mai. Regenzeit, und ich kannte die Gewalt eines kalifornischen Gewitters, wenn sich die Natur einmal ordentlich nach langer Ruhe auszutoben freut.

Auch Jack hatte in dieser Beziehung eine langjährige Erfahrung hinter sich, wurde unruhig, zog bald mit doppeltem Eifer, bald war er nicht von der Stelle zu bringen – dabei die Besorgnis, den Weg verfehlt zu haben, die unruhige, lärmende Fracht! Das neue Unternehmen ließ sich schlecht an, meine Gedanken flogen über die Berge zu meiner Rechten, da lagen die Minen! Ja, ich musste schon dort in der Nähe gearbeitet haben.

Die alten Erinnerungen lebten wieder auf, die Wunde aus der Brust war längst vernarbt.

Das Grunzen hinter meinem Nacken trieb mir die Röte in das Gesicht – zum Schweinehändler herabgesunken! Wenn mir nun einer von meinen früheren Kameraden begegnete! Jack wäre in den Minen vortrefflich zu verwenden, ich würde mich nicht von ihm zu trennen brauchen.

»Willst du Gold, Jack?«

Ein mächtiger Donner polterte; grelles, schwefliges Licht ließ die Berge blau erscheinen, zu gleicher Zeit öffnete sich die Schlucht, in der ich mich befand, zu einem weiten Tal, und trotz des nun mit Riesenmacht gleichsam von den Bergen herabstürzenden Orkans, der plötzlich einfallenden Nacht war ich unbesorgt. Kein Zweifel, ich war meinem Ziel nahe, obwohl das Land ringsum noch unbebaut schien.

Auch Jack schien der Ansicht und begann einen Trab, der mich nötigte, aufzusitzen, was ich sonst nie tat.

Blitz auf Blitz erhellte die Gegend, und bei jedem Aufleuchten gab ich mir alle Mühe, mich zu orientieren, aber keine menschliche Wohnung war sichtbar, kein Weg führte abseits, und doch war eine große Farm unbedingt mit der einzigen Hauptstraße verbunden, welche durch das County führte. Plötzlich, als ein Blitzstrahl dicht vor das Gefährt herunterzufahren schien, weigerte sich Jack ener­gisch, weiterzugehen. Es war auch zu toll, der rasende Sturm und Regen, das Gewitter, das wüste Geschrei meiner Passagiere! Zum ersten Mal bekam er Schläge – umsonst! Dann sprach ich wieder in dem gewohnten Ton zu ihm: »Jack, sei doch vernünftig, du bist doch kein Esel wie jeder andere! 2 mal 2 ist …!« Dann kam die ganze Reihenfolge der Fragen, doch er reagierte nicht darauf, und bei der letzten, »Weißt du mir eine Frau, Jack?«, die ich in meinem Zorn, zerzaust vom Sturm, geblendet von den fortwährenden Blitzen, ganz durchnässt, in der Verzweiflung mehr schrie als sprach, schlug er mit den Hinterfüßen aus, dass der ganze Kasten krachte, machte einen Seitensprung, und das Entsetzliche geschah – der Wagen stürzte in einen Graben! Die sechs gefesselten Insassen kullerten heraus und zu meinem Schrecken, um das Unglück voll zu machen, hörte ich am Geschrei – es war ja plötzlich stockfinster geworden – dass zwei ihre Fesseln gelöst und flüchtig gegangen waren. Der ganze Profit beim Teufel! Die Geschichte vom Milchmädchen! Ein neuer Blitzstrahl ließ mich die ganze Situation erkennen. Die beiden Flüchtlinge stürmten von der Straße links über eine ge­rodete Fläche den Bergen zu.

Jack stand mit zitternden Ohren und eingeklemmtem Schweif regungslos, während es um ihn her auf dem zum Bach gewordenen Weg quiekte.

Ich stellte den Wagen wieder auf die Räder, legte mit großer Anstrengung meine vier Fahrgäste wieder auf und war schon daran, auf die zwei Flüchtlinge, wenn auch mit schwerem Herzen, vorder­hand zu verzichten. Vielleicht ließ sich beim anbrechenden Tag etwas machen!

Da stand das ganze Tal wieder in grellem Licht, und, gleichsam mir zum Hohn, sah ich die zwei Schweine über die Rodung kreuz und quer galoppieren. Ein Zorn ergriff mich über die Tücke des Schicksals, das mir stets im entscheidenden Moment einen Streich spielt, ein stürmisches Verlangen, ihm zu trotzen. Mit einem Sprung war ich von der Straße weg den Flüchtlingen nach, ihr Geschrei gab mir den Weg an in der undurchdringlichen Finsternis. Erst blieb es vereint; stürzend, in Astwerke mich verstrickend, in Tümpel geratend, vernahm ich es bald in nächster Nähe, bald entfernter, aber plötzlich trennte es sich nach verschiedenen Richtungen. Ich wählte aufs Geratewohl. Eine Tollwut hatte mich ergriffen, ich vergaß Jack und drang vorwärts – da verstummte das Geschrei plötzlich ganz, um kurz darauf rätselhaft vervielfältigt in gerader Linie vor mir hörbar zu werden. Bald schien eine ganze Herde zu grunzen, bald nur ein Tier, aber immer auf demselben Fleck. Ich täuschte mich wohl in meiner Erregung, vom Lauf erhitzt; meine beiden Lieblinge waren wohl wieder zusammengelaufen und harrten ihres Herrn. Vorwärts. Ich sah die Zwecklosigkeit des Beginnens nicht mehr ein. Ein tiefer Graben kreuzte meinen Weg. Glücklich sprang ich hinüber, rannte aber mit aller Gewalt mit dem Kopf gegen etwas Hartes – Holz, wie ich mich mit den tappenden Händen überzeugte, ein Bretterzaun wohl – dicht dahinter Schnauben und Kratzen. Mein Eigentum, die Grundsteine meines stolzen Zukunftsgebäudes, meine beiden Schweinchen! Endlich ein Blitz! Ich erblickte sie zwischen dem Spalt der Pfähle – aber wie waren sie hindurchgekommen? Während ich nach einer Öffnung den Zaun entlang tappte, kam mir doch die Erinnerung, ob es nicht besser sei, mein Vorhaben bis zum Morgen zu ver­schieben. Was sollte ich denn mit den beiden Tieren anfangen? Mich damit wieder zurückarbeiten bis zu Jack, war unmöglich! Wo stand Jack? Ich hatte keine Ahnung mehr von der Richtung. Anderseits musste der Zaun unbedingt zu einer Farm gehören, zur Santa-Anna-Farm zweifellos. Wenn ich die Flücht­linge dahinbrächte und dann mithilfe der Leute und einer Laterne auch Jack holte. Das war ein Plan! Doch der Zaun wollte kein Ende nehmen und Schritt für Schritt folgten mir innerhalb desselben meine zwei getreuen Burschen. Ihre Anhänglichkeit rührte mich.

Endlich machte ich kurzen Prozess, ein vorstehender Ast, an dem ich hängen blieb, gewährte meinem Fuß einen Halt, ich schwang mich hinauf und sprang auf der anderen Seite hinab auf etwas Weiches, welches mit grellem Aufschrei unter meinen Füßen wich und mich zu Boden stürzen ließ – eines meiner Schweine, kein Zweifel.

Die Jagd begann von Neuem, sie hatte nun Reiz für mich, jeden Augenblick ergriff ich einen borstigen Rücken, ein Ohr, und als es noch einmal schwach aufleuchtete, da, mit einem Griff, ohne mich weiter umzusehen, hatte ich eines gefasst. Es stieß dämonische Laute aus, die sich zu meinem Entsetzen lawinenartig fortzupflanzen schienen. In diesem Augenblick griff eine Hand nach mir und ein höhnisches Lachen schmetterte an mein Ohr.

Ich war nicht furchtsam, an Gefahren jeder Art gewöhnt, aber nun packte mich kaltes Grausen, die Starre des Entsetzens.

»Habe ich dich endlich, Schurke! Hallo, Jungens, Tom! Barbara! Na warte! Der Strick ist schon gedreht!«

Ehe ich erwidern konnte, wurde wir eine Blendlaterne vor das Gesicht gehalten, deren greller Schein mich förmlich betäubte – ich sah nichts mehr.

»Lasst mich! Was wollt Ihr von mir? Die Schweine sind mein!«, rief ich, während sie mich fortschleppten.

»So, dein sind die Schweine? Dein ist wohl alles, was deine Langfinger erreichen können! Na, du sollst niemanden mehr schaden!«

Im Lichtschein der Laterne, welcher vor mir herfiel, kreuzten sich unzählige schwarze Gestalten – Schweine, nichts als Schweine – ein Höllenlärm stieg auf. Jetzt wusste ich, wohin ich geraten war, als was ich galt – als Schweinedieb in irgendeiner Farm, über deren Zäune ich gestiegen.

Ich kannte auch die Gefahr, die mir drohte. Man machte hier­zulande mit Viehdieben kurzen Prozess! Die Hand in meinem Nacken fühlte sich an wie eine Raubtierkralle. Man stieß mich in eine Art Küche, in der unter einem riesigen, geschwärzten Rauch fang ein Feuer lohte. In seinem lodernden Licht erblickte ich drohende bärtige Gesichter um mich: das eines Greises mit schnee­weißem Bart, welches ebenso hasserfüllt blickte wie die zweier junger Männer in der Tracht der Vaqueros.

»Gentlemen! Caballeros!«, begann ich, nach Atem ringend. »Lasst Euch doch erst erklären! Ich bin völlig unschuldig!«

Teuflisches Gelächter. »Unschuldig! Und hatte schon eins an den Ohren!«, rief der Alte. »Bei Felipe Loretto! Dein Sprechen nutzt nichts. Wenn es zum ersten Mal wäre, wollte ich dich Ha­lunken noch mit einer gehörigen Tracht Prügel laufen lassen! Sagte ich dir nicht, Tom, er geht uns ins Garn in der Gewitternacht? Also frisch, Jungens, zur Akazie! Die ist wie gewachsen dazu.«

»Wenn ich Euch schwöre, dass es meine eigenen Schweine waren, die sich verlaufen, oder dass ich wenigstens glaubte, dass sie es sind. Auf der Straße steht mein Fuhrwerk, es kann nicht weit sein, man muss es sehen von hier, wenn es Tag wird …«, verteidigte ich mich.

Alles vergebens! Ich glaubte bereits aus diesen Augen die Lust blitzen zu sehen an dem grausamen Werk, das sich nun voll­ziehen sollte. Schon gab ich mich verloren und beschloss, wenigstens als Mann zu sterben. Was verlor ich denn am Ende? Ein müh­seliges Leben, das mich schon unzählige Male enttäuschte! Wen ließ ich auf dieser Welt denn zurück, der um mich trauerte? Niemand! Jack? Ja, Jack wird um mich trauern!

Da erwachte schon wieder der Lebensdrang und ließ mich schaudern vor dem Abgrund des Todes. Ich wehrte mich mit aller Kraft, doch dadurch erhitzte ich meine Feinde nur noch mehr. Sie schleppten mich hinaus in den Hof. In der höchsten Todesnot kam mir ein Gedanke – ich hatte einen weiblichen Namen rufen hören, als ich ergriffen wurde. »Hört zuerst Barbara!« – blitzartig tauchte der Name auf in meinem Gedächtnis – »und lasst sie richten.«

Die Griffe wurden lockerer, die Bursche waren sichtlich erstaunt, dass ich den Namen kannte, sie erinnerten sich wohl nicht mehr, dass sie ihn mir selbst verrieten.

»Da kommst du gerade an die Rechte, die hat dir schon lange den Tod geschworen!«, sagte der Alte. »Aber er hat recht, Barbara soll den Spaß mit ansehen. Wo steckt sie denn? Barbara! Bar­bara!«, brüllte er durch die Nacht.

»Hallo, was ist denn los?« tönte die Antwort.

»Wegen Euch könnten sich alle Pferde die Hälse brechen in dem Unwetter …«

»Wir haben den Dieb, er verlangt nach deinem Richterspruch!«, rief der Alte.

Helles Gelächter folgte. »An die Akazie mit dem Schuft!«

Der Baum schien schon öfters solchem grauenhaften Zweck gedient zu haben. »Hörst du die Barbara?«, schrie mir der Alte in die Ohren. »Also vorwärts, Jungens!«

Wieder zerrten sie mich fort, ich sah den gefährlichen Baum gierig seine Äste nach mir ausbreiten – da ertönten eilige Schritte, eine hohe Frauengestalt trat in den Lichtkreis. Schwarzes, feuchtes Haar fiel in das erhitzte schöne Antlitz, das männliche Entschlossen­heit, wie sie das Leben in diesen Bergen auch von dem Weib ver­langt, aber keine Spur von Rohheit verriet. Die ängstliche Hast in ihrem Wesen deutete ich mehr aus Reue über ihren voreiligen Zu­ruf, als auf grause Neugierde, zu spät zu kommen zu dem Schauspiel.

Ich hatte mich nicht getäuscht. »Der!«, sagte sie in einem Ton der Enttäuschung. »Wisst ihr es denn auch gewiss? Ich hatte einen anderen im Verdacht, der Mann ist uns ja ganz fremd!«

»Wir haben ihn auf der Tat ertappt!«, erwiderte der Alte.

»Señora, hören Sie mich! Ich bin unschuldig, ich schwöre es Ihnen, es waren meine eigenen Schweine, die ich suchte. Sie entkamen mir dort auf der Straße, mein Fuhrwerk stürzte um – Sie werden es finden – morgen, wenn der Mord verübt ist ..,«

Die schwarzen Augen des Mädchens ruhten forschend auf mir. »Sie wollten also in dieser Finsternis zwei Schweinen nachlaufen? Das ist schwer zu glauben.«

»Warten Sie nur den Morgen ab, dann wird sich alles aus­klären. Es ist doch so, wie ich Ihnen sage.«

»Und dabei steigt man über einen Zaun?«, begann wieder der Alte. »Er lügt, der Schuft! Bei Nacht macht sich so etwas viel besser als am Tage. Du selbst hast es ihm zugeschworen, Bar­bara: Strick oder Kugel, alles eins!«

»Wir wollen warten, bis es Tag ist, Vater! Was du meinst, habe ich einem ganz anderen zugeschworen.«

»Natürlich, weil es der José nicht ist, den du dir einmal in deiner Bosheit als Viehdieb in den Kopf gesetzt hast, soll der Kerl frei ausgehen! Jetzt erst recht nicht. Der José Schweine stehlen? Ab­bitten wirst du ihm morgen deinen Verdacht, und der Kerl da wird gehenkt! Vorwärts, Jungens!«

Da trat Barbara mit geballten Fäusten vor, die schwarzen Augen blitzten drohend. »Ebenso wenig, wie ich dem José abbitte, wird der da gehenkt!« Und sie riss den Arm des Vaters von meiner Schulter.

Ein Kampf zwischen Tochter und Vater drohte zu beginnen, ich spannte bereits meine Muskeln, um tüchtig mitzutun – da plötzlich stand alles wie gelähmt. Ich spürte keine Hand mehr an meinem Körper. Ein für diese Menschen unerklärbarer Ton hallte durch die Nacht, ein Heulen, Brüllen und Stöhnen, das die ganze Finsternis erfüllte.

»Jack! Jack!«, schrie ich aus Leibeskräften.

Ich kannte die Töne, wenn sich auch diesmal die Todesangst des verlassenen Tieres beimischte – und wieder tönte der Schreckens­ruf, wie aus dem Rachen eines Fabeltieres.

»Hört Ihr meinen Jack? Dort auf der Straße wartet er auf mich, wie ich es Euch gesagt habe.«

»Was ist das, Jack?«, fragte Barbara, die sich noch vor den abergläubischen Männern von ihrem Schreck erholte.

»Ein Esel, der meinen Wagen mit den Schweinen zieht, den ich verlassen habe, um die zwei Entlaufenen zu suchen, ein unvernünftiges Tier, das Euch zuruft: Ihr begeht einen Mord an meinem Herrn!«

Der Alte kratzte sich in missmutiger Verlegenheit sein graues Haar. »Recht hat er, es ist ein Esel, ich habe zwar lange keinen mehr gehört, aber es ist ein Esel.«

»Dann ist es nicht mehr als billig, dass wir uns sofort aufmachen und nachsehen. Ist es so, wie der Mann sagt, müssen wir alles tun, unseren Irrtum wieder gutzumachen.«

Die Sache war so klar, dass auch der Alte nichts dagegen haben konnte.

»Rufen Sie Ihren Jack, damit er uns die Richtung angibt«, sagte Barbara.

Ich tat es, doch Jack antwortete nicht, er hatte seine Schuldig­keit reichlich getan, und unter Vorantritt Barbaras, welche die Leuchte trug, ging es vorwärts. Der Alte und die Burschen wichen jedoch nicht von meiner Seite, sie trauten der Sache noch nicht.

Barbara hatte sich in der Richtung des Suchens nicht ge­täuscht. Auf einem bequemen Fahrweg gelangten wir auf die Straße, und wenige Schritte davon stand regungslos Jack mit dem Gefährt. Ich stürzte, von heißem Dankgefühl übermannt, in meiner leicht begreiflichen Erregung auf ihn zu, umarmte, küsste ihn, rief ihn mit unzähligen Kosenamen. Er aber wieherte nur leise, nur für mich verständlich, und leckte mein glühendes, schweißtriefendes Antlitz.

Barbara und die Männer beobachteten neugierig das Wunder­tier und die gebundenen Schweine, welche den Rest jedes Zweifels an meiner Aussage tilgen mussten. Dann reichte das Mädchen mir die Hand. »Señor, verzeihen Sie den Irrtum! Ich habe ihn sofort erkannt, als ich Sie erblickte, aber wir leiden derart unter den Schlichen eines geriebenen Viehdiebes, dass die Leute in ihrem Zorn jede Überlegung vergessen. Seien Sie wenigstens diese Nacht mit Ihrem braven Jack unser Gast, wir werden alles tun, was in unseren Kräften steht, Sie für die erlittene Unbill zu ent­schädigen.«

Ich las in diesen schönen Augen aufrichtiges Bedauern und eine heimliche Bitte, ich vergaß darüber alles, was ich erlitt, und schlug ein. Was blieb mir auch übrig in dieser Finsternis, in einer wildfremden Gegend? Meine zwei Schweine wollte ich erst recht nicht aufgeben.

Der alte Felipe brummte ebenfalls einige Entschuldigungen; er ärgerte sich sichtlich, dass ich nicht der Rechte war.

Ich drehte meinen Jack um und bog in den Nebenweg ein, Bar­bara dicht vor mir mit der Laterne. Ich bewunderte ihren stolzen, geschmeidigen Gang – wie der dunkelrote kurze Rock um ihre zierlichen Füße schlug – die kleine Hand, die zurückgriff, um die Haarflut zu fesseln, das tadellose Profil. Ihre Stimme klang nun anders, viel mädchenhafter.

»Wo wollen Sie denn eigentlich hin?«

»Nach Sacramento, Señora.«

»Sie sind wohl Händler?«

Da plagte mich der Hochmut.

»Nur vorübergehend, ganz zufällig eigentlich – ich bin Miner von Beruf.«

»Miner!« Sie sprach das Wort in abfälligem Ton, gerade so wie einst Mister Smith.

»Und fahren mit einem Esel und Schweinen im Land umher?«, rief spöttisch Felipe Loretto hinter dem Wagen.

»Immer noch besser als Miner heutzutage«, bemerkte Bar­bara. »Mein Vater will nämlich auch Miner sein.« Sie lachte höhnisch.

»Ich will nicht, ich bin es wirklich«, rief er zornig.

»Mit Schweinen hinter dem Zaun«, sagte ich, mich rächend.

»Das ist ihr Geschäft, ich kümmere mich nicht um die Biester«, gab er zurück, auf Barbara weisend.

»Leider! Das ist eben das Unglück! Sehen Sie den Boden da!« Barbara blieb stehen und stampfte mit dem Fuß. »Das reinste Gold, sage ich Ihnen, nicht erst zu suchen und auszugraben, mit der Hälfte Arbeit zu gewinnen! Nein! Liegen lässt der Vater es und läuft in den Bergen umher, sucht nach dem, was gar nicht da ist und verliert Zeit und Geld.«

»Nicht da ist! Wer sagt dir denn das? Haufenweise ist es da – und wir finden es auch noch, ich und der José – dann kannst du allein Schweine hüten.«

»Wenn der José Gold findet, hüten sie sich allerdings leichter«, erwiderte sie höhnisch. »Soll ich ihm noch abbitten, morgen?«

Der Alte unterdrückte einen hässlichen Fluch.

Wir waren vor einem niederen Adobehaus angekommen, ich hatte erst jetzt Zeit, es zu betrachten. An einem Felsen angelehnt, konnte es in seinem verwahrlosten Zustand nur einem Spanier angehören, die Santa-Anna-Farm war es nicht, die gehörte einem Deutschen – ich musste den falschen Weg eingeschlagen haben. Dann sorgte ich vor allem für Jack.

Barbara geleitete mich in die Stallung, schüttete dem Esel eigenhändig das herrlichste Maiskorn vor und überhäufte ihn mit Zärtlichkeit, um die ich ihn trotz meines innigsten Dankgefühls beneidete, trocknete ihm das nasse Fell, kraulte ihm die Stirn, zog die langen Ohren durch ihre kleinen braunen Hände – und Jack duldete das alles, seinen Mais kauend, mit wohlig zugekniffenen Augen.

»O, du liebes, gutes Tierchen!«, sagte sie, einen Kuss auf sein Auge drückend. »Vor welch entsetzlichem Verbrechen hast du unser Haus bewahrt.«

»Wenn Sie so denken, Señora, warum riefen Sie denn von Weitem schon, ohne mich nur gesehen, ohne eine Frage an mich gerichtet zu haben: An die Akazie mit dem Schuft!«

Sie senkte das Haupt und nestelte an ihrem Rock, alle ihre männliche Entschlossenheit, ihre Herbheit waren verschwunden.

»Ja, Sie haben recht, das war abscheulich, von einem Mädchen noch dazu – eine große Sünde! Ich vermutete einen anderen. Als ich Sie sah, reute es mich, und – Sie dürfen mir glauben – ich hätte mich eher zerreißen lassen, als dass ich das Entsetzliche geduldet hätte.«

»Sie vermuten einen gewissen José? Wer ist denn dieser José, dass Sie eine so grause Freude hatten, ihn ertappt, gehenkt zu sehen? Doch nicht wegen der paar Schweine, die er stehlen wollte?«

»Was er ist? Er nennt sich auch Miner, läuft in den Bergen umher nach einem Goldschatz, von dem die Sage geht, und stiehlt Pferde und Vieh, bis er den Schatz findet, was wohl nie der Fall sein wird.«

»Und Sie hassen ihn so, dass Sie seinen Tod wünschen?«

»Ja, ich hasse ihn!« Die dunklen Augen blitzten drohend auf. »Er verführt meinen Vater zu gleich unnützem Tun. Die Wirt­schaft kommt herunter – aber das ist noch nicht alles! Der Vater will mich zwingen, José zu heiraten, sie haben es miteinander aus­gemacht, und nur unter dieser Bedingung macht José ihn zum Mitwisser des Geheimnisses, das er natürlich gar nicht besitzt.«

»Den Pferdedieb heiraten?«, fragte ich entrüstet.

»Das ist es eben, daran glaubt der Vater nicht, ich aber weiß es bestimmt; die ganze Gegend raubt er aus, den Vater selbst! O, er ist ein gefährlicher, böser Mensch.«

»Aber er liebt Sie.«

»Nach seiner Art gewiss, wie ein Raubtier liebt, wild, roh! O, ich sage Ihnen …« Sie machte eine Bewegung des Ekels. »Sie denken, das sei gerade recht für mich – ich muss Ihnen ja auch vor­gekommen sein wie ein Raubtier, das nach Ihrem Blut schrie …«

»Bis ich Sie sah – dann erkannte ich in Ihnen sofort meinen rettenden Engel!«, erwiderte ich, mächtig angezogen von dem offen­herzigen, schönen Mädchen.

»Wirklich? Taten Sie das, als Sie mich sahen? Das freut mich. O, ich war nicht so als Kind, meine Mutter war so sanft, erst hier, unter diesen Menschen, verwilderte ich. Darum verdross es mich so, als Sie sagten, Sie seien Miner; ich dachte an José und was er aus meinem Vater gemacht hat! Sie sehen gar nicht wie ein Miner aus.« Dabei blickten die schwarzen Augen mich so eigentümlich an, dass mein Blut Wellen schlug. Es war das erste Mädchen, mit dem ich seit Jahren verkehrte, abgesehen von dem Auswurf der Minen. Wäre es von der Natur noch so vernachlässigt gewesen, meine Fan­tasie hätte es mit dem Reiz einer Venus umgürtet. Welche Wirkung musste erst die schöne Barbara auf mich ausüben, die mich in der ersten Stunde zu ihrem Vertrauten machte? Was Wunder, dass in dieser Stunde in dem finsteren, gewitterschwülen Stall mein Herz in glühender Liebe zu ihr entbrannte!

»Aber Sie weigern sich doch selbstverständlich Ihrem Vater gegenüber?«, fragte ich in einem Ton, der das Mädchen über mein Empfinden aufklären musste.

»Gewiss tue ich das mit aller Kraft, aber wir sind arm, das Anwesen kommt täglich mehr herunter durch die Nachlässigkeit meines Vaters. Wenn nun eines Tages der José den Schatz wirklich findet, und er besteht auf seinen Bedingungen – dann wird der Vater wahnsinnig werden vor Wut, wenn ich mich ihm verweigere. Jetzt werden Sie begreifen, warum ich hoffte, José zu erblicken anstatt Ihrer …“

Barbara weinte in ihre Schürze.

»Beruhigen Sie sich, Miss Barbara, der Galgenstrick wird ihn nie finden, den Schatz! Es gibt keine Schätze mehr in diesen Bergen«, tröstete ich sie.

»Sagen Sie das nicht, der Schatz ist da, ich selbst glaube daran. Der alte Romero, ein Vaquero, der voriges Jahr starb, sprach oft davon«, erwiderte sie geheimnisvoll. »Der Schatz stammt von den alten Missionsvätern. Sie verbargen ihn vor den Mexikanern, entflohen und starben darüber. Der Alte war damals sechs Jahre alt und konnte sich noch deutlich daran erinnern, nur den Ort wusste er nicht mehr genau. José behauptete, von dem Sterbenden näheren Bescheid erhalten zu haben – er war wirklich bei ihm in der letzten Stunde. Verraten Sie meinen Vater um Gotteswillen nicht, dass ich mit Ihnen darüber gesprochen habe.«

Meine Pulse flogen, meine Augen brannten, das fehlte noch in diesem Augenblick! Alle meine Sinne waren schon entzündet, und nun noch der verheißungsvolle Schatz des Vaquero!

»Und wenn ich ihn finde, den Schatz, und trete vor Ihren Vater wie jener elende José? Barbara, was sagst du dann?« Ich griff nach ihrer Hand und küsste leidenschaftlich den bloßen, schlanken Arm.

»Dann …«

Ich zog sie an mich.

»Dann retten Sie mich vor einem elenden Leben, wie ich Sie heute vor dem Tode gerettet habe«, flüsterte sie. Anstatt ihre rosigen Lippen, die ich suchte, fühlte ich das raue Fell Jacks, der seinen struppigen Kopf zwischen uns drängte und unzählige Mal mit den Füßen scharrte. Sie benutzte die Gelegenheit, zu entweichen. »Kommen Sie! Man ist misstrauisch im Haus, lassen Sie sich nichts anmerken.«

Ich folgte ihr aus dem schwülen Stall, taumelnd vor Glück und Wonne. Der Umschwung der letzten Stunde von drohendem Tod zu zehnfachem Leben war zu stark. In der geräumigen Wohn­stube saß Felipe bei einer Flasche Whiskey; die Knechte, welche nicht zum Haus gehörten, hatten sich mit ihrem schlechten Gewissen wohl eilig entfernt. Er betrachtete mich und Barbara mit misstrauischen Blicken. »Trinken Sie eins mit!« Er reichte mir ein Glas. »Als Miner werden Sie die Geschichte nicht so ernst nehmen, und wenn Sie gerecht sind, müssen Sie zugeben, dass das Zusammen­treffen ein absonderliches war. Wenn man auf so freche Weise bestohlen wird, nicht nur ich, sondern das ganze Tal, wird man hitzig.«

Mein Blick fiel auf die kräftige Hand des Alten, ich dachte an ihren Mördergriff und zögerte, doch auf Barbara blickend stieß ich an. »Haben Sie denn gar keinen Verdacht?«, fragte ich. »Der Dieb befindet sich wohl mitten unter Ihnen – im Tal selbst, das ist gewöhnlich so.«

»Bisher keinen«, erwiderte er.

Barbara lachte auf. Ein Zornesblick traf sie aus des Alten Augen. »Denken Sie sich, auf wen das Mädel Verdacht hat! Auf einen Miner – ein Miner wird Vieh stehlen!«, wandte er sich in der sichtlichen Hoffnung, bei mir Unterstützung zu finden, an mich.

»Kommt darauf an, es gibt allerhand Volk unter den Minern, und wenn der Verdienst schlecht ist …«

»Das ist er aber nicht bei José, der Kerl hat ein unverschämtes Glück – das ist es ja!«

»Er arbeitet also in den Diggings auf eigene Rechnung, mit Pike und Pfanne?«, fragte ich.

»Auch, doch hält er sich nirgends lange, er wittert das Gold.«

»Dann muss er ja sehr reich sein, der José«, erwiderte ich.

Der Alte zögerte. »Er wird es werden, ohne Zweifel, – sehr reich.«

»Bisher aber ist er ein schäbiger Spitzbube mit großen Redens­arten, weiter nichts«, wandte Barbara ein.

»Nach dem du noch mit allen Fingern greifen wirst.«

»Ach so, wenn er den Schatz findet«, erwiderte Barbara.

Ein Wutblick traf sie und die Faust des Alten presste sich fest an das Whiskeyglas, das er mit einem Schluck leerte.

»Schatz?«, fragte ich mit absichtlichem Erstaunen. »Er ist also schon einem auf der Spur?«

»Unsinn, was das Mädel schwatzt! Wissen selbst, wie es damit aussieht, mit den Schätzen heutzutage, wenn Sie Miner waren.«

»Na, wenn man das Gold riecht? Ein verworfenes Lager aus alter Zeit, warum nicht?«

»Sie glauben auch an solche Geschichten?«

Felipes zusammengekniffene Augen öffneten sich weit.

»Gewiss glaube ich daran, und gerade in dieser Gegend, die in alter Zeit schon besiedelt war. Die alten Missionsväter verstanden sich auf das Geschäft, dann aber kam Krieg. Man verschüttete die Lager, man vergaß sie, die Mitwisser starben …«

Felipes Augen wurden immer größer und glänzender. »So habe ich es mir oft gedacht, aber wie finden? Ein natürliches Lager, das geht noch, man hat seine Anzeichen, aber ein verworfenes, wo jede Spur verwischt, verschüttet ist…«

»Ja, das kann man nur, wenn man das Gold riecht; es gibt ja solche Leute, wie Ihr José«, entgegnete ich spöttisch, durch einen vielsagenden Blick Barbaras belohnt.

»Lachen Sie nur, es ist doch so. Woher hat er denn immer die Taschen voll Gold?«

»Das ließe sich am Ende auch noch anders erklären«, bemerkte ich.

»Natürlich, das hat Ihnen die da ins Ohr gesetzt. Jose wird seinen eigenen Schwiegervater bestehlen!«

Barbara stieß ein gellendes Lachen aus: »Schwiegervater!«

»Jawohl, Schwiegervater!«, brüllte der Alte, mit der Faust auf den Tisch schlagend.

»Doch nur, wenn er den Schatz gefunden hat?«, fragte ich.

»Natürlich!«, erwiderte Felipe mit einer Offenherzigkeit, die ich ihm nicht zugetraut hatte.

»Wenn ich Ihnen aber sage, Señor, er braucht gar nicht mehr gefunden zu werden, der Schatz, da Sie ihn schon besitzen.«

Er riss Mund und Augen auf.

»Jawohl, Sie besitzen ihn schon längst, ohne ihn gekannt zu haben. Beruhigen Sie sich, mir ging es gerade so, bis mir ein guter Freund die Augen öffnete, nur mit dem kleinen Unterschied, dass ich ihn noch nicht besitze, den Schatz, wie Sie, Felipe, sondern erst zu erringen hoffe.«

»Sprechen Sie! Sprechen Sie! Ich pfeife auf den José, wenn Sie …«

»Sie stehen ja darauf, Felipe; da, Ihr Grund und Boden, das schöne, fruchtbare Land ringsumher, das Ihnen gehört, worauf um geringe Mühe alle Jahre Gold wächst, Weizengold, Weingold, so gut wie das andere, nach dem der José sucht, ohne es wohl je zu finden. Und da, Ihre schöne Tochter, die Sie liebt, obwohl Sie es nicht um Sie verdienen.«

»Caramba! Sie sind aufrichtig!«, sagte der Alte, sichtlich ent­täuscht. »Ich habe geglaubt, weiß Gott, was Sie wissen! Weizen! Wein! Da gehören junge Knochen dazu und vor allem mehr Geduld, als wir Spanier haben. Das ist was für Euch Deutsche, das rackert sich durch. Und dann die Barbara, ein sauberes Schätzchen! Eine saubere Liebe zu ihrem alten Vater! Warum tut sie denn nicht meinen Willen?«

»Weil ich nicht kann, Vater«, mischte sich Barbara in der wohl­lautenden Sprache ihres Landes in das Gespräch. »Weil ich ihn hasse, den José. Alles will ich tun, arbeiten wie ein Mann, dich pflegen wie eine Frau, nur mit dem José lass mich in Frieden.«

Der Alte spukte ärgerlich aus, die einzige amerikanische Eigen­schaft, die er wohl erworben hatte.

»Arbeiten! Was wollen wir denn arbeiten? Ein Mädel und ein alter Mann!«

»Dann sehen Sie sich eben nach einem jungen Mann um, der arbeiten will«, erwiderte ich, »er wird vielleicht zu finden sein.«

Felipe lachte, er sah mich nicht unfreundlich an.

»Ich verstehe Sie – und den Schatz, der mehr wert ist als das ganze Tal samt allem Wein und Weizen, der je darauf wächst, lasse ich dem José?«

»Wenn er wirklich zu finden ist und das Glück es will, findet ihn auch ein anderer und weiß dann besser damit umzugehen als Ihr José.«

»So, was tut denn der andere mit dem Schatz?«, fragte Felipe spöttisch lächelnd.

»Er würde das ganze Tal zu einem Spottpreis aufkaufen«, entgegnete ich, »in wenigen Jahren würde der Weizen wogen, das neue kalifornische Gold! An den gerodeten Bergabhängen würde der kostbare Wein wachsen, auf den saftigen Weiden der Höhen würden ungezählte Rinderherden weiden, an Stelle dieser ver­fallenen Hütte eine vornehme Hazienda stehen, in welcher der alte Felipe Loretto ein frohes, heiteres Leben genießt als der reichste Landbesitzer, inmitten seiner Enkel, die seinen Namen bis an ihr Ende segnen und seinen Ruhm wieder auf ihre Kinder vererben werden. Das würde der andere tun.«

Ich kannte die spanische Mentalität, ihren ungemessenen Stolz, ihre leicht erregbare Fantasie und rasch aufblitzende Begeisterung, darum sprach ich so, und ich hatte mich nicht verrechnet. Der spöt­tische Zug wich aus Felipes Zügen, und ich sah in seinen auf den Boden starrenden Augen die heiteren Bilder sich widerspiegeln, die ich ihm vormalte. Barbara saß, die Hände wie im Gebet ver­schlungen, und weckte mit ihrem verzückten, andächtigen Blick die Rednergabe in mir.

»Das wäre alles sehr schön«, begann Felipe nachdenklich, als ich geendet hatte, »aber dazu gehört eben der Schatz.«

»Dazu gehört gar nichts als Fleiß und Ausdauer. Tausende haben es damit erreicht im Land, es wird zwar etwas länger dauern, der Besitz etwas kleiner ausfallen, die Hazienda etwas ein­facher, aber das Glück, das für Sie darin wohnt, wird dasselbe sein.«

Ich dachte an meinen Freund Smith und sein stilles Heim, an die kleine Betsy und las in Barbaras leuchtenden Augen ein großes, unendliches Glück. Ja, es war mir plötzlich, als ob ich zeit­lebens nach keinem anderen gejagt, gesegelt, gegraben hatte, und in meinem Inneren stand der Entschluss fest, es zu fassen mit eisernem Griff.

Wir schwiegen lange alle drei und ich glaube, dass unsere Ge­danken sich auf ein Haar ähnlich sahen. Felipe brach plötzlich auf. »Wir sind auf eine sonderbare Art bekannt geworden, Mister …«

»Frank!«

»Mister Frank. Aber es lässt sich nun einmal nicht mehr ändern, was ich auch darum gäbe! Wenn Sie mich verklagen, geht es mir schlecht; die Herren vom Gericht wollen sich nicht ins Handwerk pfuschen lassen. Aber ich meine immer, Sie verklagen den alten Felipe nicht.«

Dabei lachte er verschmitzt.

»Ich schwöre Ihnen unverbrüchliches Schweigen.«

»Dann sind Sie stets willkommen im Haus Felipe Lorettos, so oft Sie Ihr Weg vorbeiführt«, versicherte er mit spanischer Grandezza.

Ich ließ mich von ihm nicht abhalten, bei Jack zu über­nachten, ich fühlte mich dem Tier heute zu verpflichtet; außerdem war die Nacht schwül und ich sah schon voraus, dass mich der Schlaf doch fliehen werde. Barbara drückte mir wortlos die Hand, nicht einmal anzusehen wagte sie mich. Der reine Sternenhimmel flimmerte jetzt über dem Tale Als ich an der Akazie mit dem ver­hängnisvollen schwarzen Ast, der so gespenstisch hinausragte in die Nacht, vorüberging, überlief es mich fröstelnd – wie war das Leben doch so schön!

Jack begrüßte mich mit leisem Wiehern und Scharren. »O du weiser Jack! Wie war ich empört über deine Störrigkeit gestern, geschlagen habe ich dich sogar, und du wolltest nichts als mir endlich das Glück verschaffen, nach dem ich dich fast jeden Abend gefragt seit einem Jahr: eine Frau, so reich an Schönheit und Liebe, wie keine zweite auf der Welt.«

Die Müdigkeit hatte mich erst morgens übermannt. Als ich erwachte, schien die Sonne zum schadhaften Dach herein. Ich wunderte mich, dass Barbara oder der Alte mich nicht geweckt, nicht nach Jack gesehen hatten!

Der Arme leckte mit ausgetrockneter Zunge den leeren, trockenen Barren. Ich trat hinaus. Im Sonnenlicht bemerkte ich erst die allgemeine Verwahrlosung, nur ein Gemüsegärtchen dankte mit üppigem Wuchs der sorgsamen Pflege, wohl die einzige Freude Barbaras! Wo steckt sie nur?

Ich ging gegen das Haus; es stand offen. Das Zimmer unten war leer. Rückwärts, wo sich der Waldberg anlehnte, hörte ich Stimmen – die Felipes und eine fremde, männliche: »Wenn du ihn in einer Stunde nicht draußen hast …« Die Drohung, die sich daran knüpfte, verstand ich nicht in dem mir ziemlich fremden Spanisch.

Der Fremde sprach die Worte – dann vernahm ich noch den Namen Barbara.

»Fortgeritten, kurz bevor du kamst«, sagte Felipe.

»Caramba!«, flüsterte der Fremde und sprach dann erregt weiter.

José, kein Zweifel! Ich schlich in die Küche und spähte durch das Fenster. Ein hagerer Mann in renommistischer mexikanischer Tracht mit befranster Lederhose, großen Sporen an den Füßen, hielt auf einem struppigen Mustang vor Felipe. Ein großer Som­brero beschattete das ohnehin dunkle Antlitz; ich unterschied nur, dass es bartlos und etwas pockennarbig war. Zwei stechende Augen fühlte ich mehr, als ich sie sah, und doch kam mir das Gesicht so bekannt vor. Ich hatte den Spitzbuben wohl irgendwo in den Minen getroffen.

Nun drehte er sich um – Hallo! Mein alter Bekannter aus der Kneipe des dunklen Gässchen in Frisco! Kein Zweifel! Das ganze Bild von damals trat klar in jeder Einzelheit in mein Gedächtnis. Damals kleidete er sich nicht mexikanisch, sondern nur wie ein ganz gewöhnlicher Gauner. Sein freches Lachen drang mir wieder ins Ohr: »Wird mir einfallen, in den leeren Bergen herumzukratzen. Frisco ist die beste Mine.« Ich fühlte wieder seine Hände in meinen Taschen – und dieser Schurke wagte es, um Barbara zu freien, dem Alten von einem Goldschatz vorzuschwindeln, während er ihn systematisch bestahl. Dass er der gefürchtete Viehdieb war, stellte für mich eine ausgemachte Sache dar. Sollte ich vortreten und dem Alten alles erklären?

Einen Augenblick schwankte ich. Er wird einfach leugnen, und der Alte, der meine Neigung zu Barbara längst durchschaut hatte, wird in meiner Aussage nichts sehen als gehässigen Neid. Ich beschloss anders und trat, die Hand in den Hosentaschen, im gemütlichen Schlenderschritt hinaus, auf die beiden zu.

»Hallo, Señor, ich habe mich etwas verschlafen nach der langen Sitzung von gestern Abend und möchte mich jetzt schleunigst empfehlen. Besten Dank für Eure Gastfreundschaft!«

Der Reiter wandte rasch sein Pferd und drückte den Som­brero noch schiefer. Schwerlich, dass er mich erkannt hatte, ich trug jetzt einen Vollbart, er hatte wohl einen allgemeinen Grund, Fremden gegenüber vorsichtig zu sein.

»Nichts zu danken«, erwiderte Felipe verlegen. Er stand sicht­lich ganz im Bann dieses Kerls, nur so war sein völlig verändertes Wesen mir erklärlich. »Ihre zwei entlaufenen Schweine haben sich gefunden und liegen bereits bei den Übrigen, so hält Sie nichts mehr auf. Gute Reise!«

»Wo ist Señora Barbara?«, fragte ich. »Ich möchte nicht Ihr Haus verlassen, ohne mich bei ihr zu verabschieden.«

»Barbara ist fortgeritten«, erwiderte er kurz.

José warf bei dieser Frage rasch sein Pferd herum und blickte mich herausfordernd an.

»Wohl Señor José, von dem Sie mir erzählten?«

»Señor José Sepulveda!«, erwiderte Felipe, der mich sicht­lich dorthin wünschte, wo der Pfeffer wächst. Der Reiter legte die Hand grüßend an seinen Hut. Er hatte mich nicht erkannt und ich hielt es für rätlich, ihn vorderhand an unser früheres Zusammentreffen nicht zu erinnern.

»Sie haben Pech gehabt gestern«, sagte er.

»Wie man es nimmt, ich habe dafür ein gastfreundliches Haus kennengelernt.«

»Und ein hübsches Mädchen«, fuhr José fort, in einem Ton, der wie eine Drohung klang.

»Das wollt ich meinen! Eine Schönheit ist Señora Bar­bara, ganz würdig eines solchen Caballeros …«, erwiderte ich mit einer Handbewegung gegen ihn.

Er fühlte den Hohn wohl heraus, er wurde blass vor Zorn. »Sie wissen also? So brauche ich Ihnen weiter nichts zu erklären.«

Seine Hand legte sich zufällig oder absichtlich auf den Griff des Revolvers, welcher in seinem Gürtel steckte. Ich musste mich zurückhalten, nicht sofort Klarheit zu schaffen zwischen uns, auch ich war bewaffnet -– doch fasste ich mich.

»Aber ich bitte Sie, ein Mann mit so glänzenden Aussichten, und ein armer Teufel, der nichts sein Eigen nennt als einen Esel. Wo denken Sie denn hin?«

Jetzt galt sein Zornesblick dem geschwätzigen Alten, der dem­selben furchtsam auswich wie ein Kind.

»Es wird ein heißer Tag«, sagte er, »ich rate Ihnen wirklich, die Morgenstunden zu benutzen, ein Esel verträgt noch weniger Hitze als ein Pferd.«

»Das will ich auch«, erwiderte ich, »und Sie können sich darauf verlassen, dass ich mein Versprechen halte, das ich Ihnen gestern gab.« Dabei reichte ich Felipe die Hand zum Abschied.

Er wurde rot wie ein Puter und wusste nicht, was er sagen sollte. Ich ließ ihn eine Minute zappeln.

»So oft ich des Weges komme, werde ich bei Ihnen einkehren«, sagte ich dann. Er verstand mich sehr wohl und murmelte ein paar abgebrochene Redensarten.

»Auf Wiedersehen, Señor Sepulveda!«

José erwiderte meinen Gruß nicht, wir sahen uns einen Augen­blick in die Augen – die Kriegserklärung war fertig.

Ich spannte Jack ein, die beiden Flüchtlinge lagen bereits ge­bunden bei ihren Gefährten – und fuhr der Straße zu. Zwischen den Bäumen erblickte ich, mich umsehend, noch die heftigen Bewegungen Josés, der den Alten bearbeitete.

Ich hoffte mit der verwegenen Sicherheit eines Liebenden, Barbara würde mir irgendwo den Weg abpassen – doch ver­gebens! Die Berge öffneten sich bereits, und vor mir lag in glühen­dem Sonnenbrand das Sacramento-Tal. Sollte auch sie im Bann dieses Spitzbuben stehen wie der Alte? Oder sollte der erlogene Teufelsschatz sie doch blenden? Wenn das alles nur eine List gewesen wäre, dieser verheißende Blick, dieses ganze, mich so beseligende Wesen Barbaras, nur um mich abzuhalten von einer Anzeige wegen des versuchten Mordes! Wenn sie fortgeeilt wäre, nicht um José, sondern um mir auszuweichen? Und wenn es auch keine List war, was war es überhaupt, das mich solch kühne Hoffnungen hegen ließ? Was verstand ich von Mädchenblicken? Vielleicht blickten sie alle so auf einen jungen Mann, der gerade nicht hässlich war. Ein Händedruck? Den hatte ich doch, bei Gott, verdient nach dem, was gestern vorgefallen war.

»Gott! Wenn alles aus wäre, alles nur der Traum einer Nacht! Wieder verlassen, allein auf der staubigen Straße! Jack, dann hast du mir einen schlechten Streich gespielt! Was hast du denn mit deinem ewigen Wetzen und Neiden an der Deichselstange? Wieder eine neue Unart«, sprach ich missgelaunt zu ihm. Doch er rieb und wetzte nur noch ärger in seiner Eselsbosheit und brachte dadurch das Fuhrwerk jeden Augenblick aus dem Geleise. Viel­leicht drückten ihn die Bauchgurte! Ich fuhr prüfend mit dem Finger dazwischen – natürlich war die Naht zerrissen – aber was ist denn das? Ein hartes Stück Papier, das mit seiner rauen Kante dem armen Tier bei jedem Schritt in die Haut stach! Ich zog es heraus. Es war ein farbiger Pappendeckel, der einmal zu einem Bucheinband gedient haben musste – die weiße Innenseite beschrieben mit unbeholfenen kindlichen Zügen.

»Verlassen Sie mich nicht, dem Vater müssen ja doch einmal die Augen aufgehen. Ich vergesse nie Ihre lieben Worte – ja, das wäre ein Glück! Ich floh heute vor José und sende Ihnen durch Jack tausend Grüße. Wie kann man nur in so kurzer Zeit so gut Freund werden! Küssen Sie in meinen Namen Jack. Wenn er nicht gewesen wäre! Ihre verlassene Barbara.«

Was ich alles tat? Nur so viel konnte ich mich erinnern, dass ich nahe daran war, meinen sechs Schweinen die Fesseln zu lösen, sie frei laufen zu lassen, zu Felipe zurückzukehren und José zu töten, wenn er sich mir in den Weg stellte!

Doch kam es anders! Als ich wieder einigermaßen zu mir kam, passierte Jack unter dem Gejohle der Gassenjugend in vollem Galopp die ersten Häuser von Sacramento, und ich lag mitten unter meinen grunzenden, mich beschnüffelnden Passagieren und las vielleicht zum hundertsten Mal: »Ihre verlassene Barbara.«