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Der Welt-Detektiv – Band 10 – 4. Kapitel

Der Welt-Detektiv Nr. 10
Die Dame in Schwarz
Verlagshaus für Volksliteratur und Kunst GmbH Berlin

4. Kapitel

Im Spukhaus

Getreu dem ihm erteilten Auftrag war Jonny der Nachtwandlerin gefolgt. Ihre Beschattung machte wenig Schwierigkeiten, weil sie sich nicht ein einziges Mal umwandte, sondern ruhig und langsam da­hinschritt. Sie erreichte ihr Haus, öffnete die Garten­tür, schloss sie wieder und ging, immer noch wie eine im Schlaf Wandelnde, durch den Garten. Dann war sie auf einmal verschwunden. Sie hatte ihr Haus be­treten.

Mit aller Vorsicht kam Jonny näher. Die Frau ge­fiel ihm nicht. Er dachte an Frau Caills Brief und an die in diesem Schreiben vorkommenden Beschuldi­gungen. Ob vielleicht doch etwas Wahres daran war? Sie brauchte keine Hexe zu sein. O nein, Hexen gab es nicht, zugegeben, aber wenn nun etwas ande­res dahintersteckte?

Jonnys Interesse war nicht nur erwacht, es glühte förmlich. Die finstere Villa zog ihn mit schier mag­netischer Kraft an. Ob er sich einmal etwas näher mit ihr beschäftigte? Wer weiß, vielleicht blieb Sherlock Holmes noch stundenlang auf dem Friedhof. Die Zeit konnte er – Jonny – doch eigentlich famos ausnut­zen! Noch einmal zögerte er und schaute die Land­straße entlang. Als aber von Sherlock Holmes noch nicht das Geringste zu sehen war, schwang er sich geräuschlos über den niedrigen Zaun und schlich durch den Vorgarten.

Im Haus regte sich nichts. Hinter keinem der ge­schlossenen Fenster wurde auch nur der geringste Lichtschein sichtbar. Oder hielten die Rollläden so dicht? Gleich einem Spürhund schlich Jonny um das einsame Haus. Dann aber blieb er jäh stehen und lauschte. Ganz deutlich hatte er lautes Klappern ver­nommen, so etwa, als ob blecherne Gegenstände zusammenschlagen. Aber wie war es möglich, dass er die Geräusche, die fraglos aus dem Inneren des Hau­ses gekommen waren, so scharf, so deutlich ver­nommen hatte?

Sein Blick spähte suchend umher, und da erkannte er des Rätsels Lösung: Er stand vor einem Kellerfenster, dessen Scheiben zerbrochen waren. Blitz­schnell warf er sich zu Boden und lauschte in den Keller hinein. Richtig! Noch einmal vernahm er das seltsame Klappern. Zum Teufel, stattete die Frau im Schlaf auch dem Keller ihre Besuche ab? Plötzlich verebbten die Geräusche. Sie wurden leiser und lei­ser, um schließlich ganz zu verklingen. Dafür gab es nur eine Erklärung: Die Bewohnerin hatte irgend­welche blechernen Gegenstände aus dem Keller ge­holt und war damit nun ins Erdgeschoss zurückge­kehrt.

Im Keller befand sich also niemand mehr. Zum Teufel, schaden konnte es doch keineswegs, ihm einen Besuch zu machen! Jonny zögerte nicht lange. Mit geschickten Händen brach er das noch im Fensterrahmen befindliche Glas vollends heraus, schob den Riegel zurück und schlüpfte hindurch. Modrige Kellerluft schlug ihm entgegen. Als er die Taschen­lampe für Sekunden aufflammen ließ, sah er, dass er sich in einem langen Gang befand.

Langsam und ohne das geringste Geräusch zu verursachen, schlich er vorwärts. Rechts und links war der Gang mit Latten abgeschlagen, hinter denen sich die einzelnen Kellerräume befanden. Jeder Raum besaß eine ebenfalls aus Latten bestehende Tür, die nicht abgeschlossen war. Mit allen Zeichen der Vor­sicht pirschte sich Jonny bis zu der Stelle vor, wo die nach oben führende Treppe ihren Anfang nahm. Von hier aus konnte er deutlich hören, wie die Schlaf­wandlerin noch immer nicht zur Ruhe gekommen war. Sie rumorte oben herum, und zwischen allerlei Geräuschen, die Jonny nicht zu identifizieren ver­mochte, erklang immer wieder das Klappern der ble­chernen Gegenstände. Die sich immer wiederholen­den Töne fielen ihm allmählich ebenso auf die Ner­ven, wie sie seine Neugierde erhitzten. Aber wie diese Neugierde befriedigen? Sich noch weiter vor­zuwagen, wäre Wahnwitz gewesen. Wer konnte wis­sen, ob es der Alten nicht plötzlich einfiele, noch einmal in den Keller herabzusteigen und …

Kaum hatte Jonny diese Möglichkeit erwogen, als gerade über seinem Haupt die Schritte der Schlaf­wandlerin erklangen. Im gleichen Augenblick wurde auch schon oben die Kellertür geöffnet, und die un­heimliche Gestalt tauchte wieder auf. Jonny machte kehrt und jagte den Gang zurück Aber es war ihm, als käme die Frau sprungweise die Treppe herab. Wenn sie ihn auf dem Gang erblickte, konnte das böse Folgen haben. So riss er blitzschnell eine der Lattentüren auf und verschwand im Dunkel dahinter. Näher und näher kamen die Schritte.

Sollte ihn das Verhängnis just in den Kellerraum geführt haben, den die Unheimliche zu betreten ge­dachte? Jonnys Zähne knirschten aufeinander. Es warf sich zu Boden und wühlte sich unter einen Haufen leerer übelriechender Säcke, um sich so vor spä­henden Blicken zu schützen. Gleichzeitig stieß er eine Unzahl von – allerdings innerlichen – Verwün­schungen gegen sich selbst aus, dass er sich über­haupt auf dieses Abenteuer eingelassen hatte. Wenn es schief ablief, was würde Sherlock Holmes sagen. Du liebe Zeit, vielleicht stand der Chef schon vor dem Haus und … Jonny wurde kalt und heiß. Aber was half das alles? Er musste ausharren. Solange we­nigstens, bis die Alte den Keller wieder verlassen hatte. Was, zum Kuckuck, hatte das Weib hier ei­gentlich des Nachts umherzukrauchen?, dachte er wü­tend, während er unter den Säcken lag und lauschte. Die Schritte machten irgendwo Halt.

Dann erscholl aufs Neue das mysteriöse blecherne Klappern. Es war zum Verrücktwerden. Nun schie­nen die Schritte näher zu kommen. Jonny war einem Tobsuchtsanfall nahe. Er schob sich noch weiter zur Wand, noch tiefer in den Berg von Säcken hinein, bis er jäh in diesem Beginnen innehielt und, gleich­sam erstarrt, liegen blieb, nicht wagend, sich auch nur noch einen Zentimeter weiter vorzubewegen.

Seine Hände hatten etwas Weiches, Kaltes be­rührt. Er wusste nicht, was, aber er fühlte deutlich, wie sich das Haar auf seinem Kopf bürstenähnlich sträubte. Ein Grausen, ein Entsetzen packte ihn, wie er es nie zuvor gespürt hatte. Gleichzeitig verstärkte sich der üble Geruch bis zur Unerträglichkeit. Jeder Atemzug, den er tat, ließ ihn schaudern. Seine Glie­der begannen zu zittern, und es war ihm, als wich alles Blut aus seinem Körper. Regungslos, wie tot, blieb er liegen, wo er lag, während sich das Brausen in seinen Schläfen verstärkte. Wer weiß, was geschehen wäre, wenn sich die Schritte nicht bald wie­der entfernt hätten. Immer leiser wurden sie, und immer weniger wurde auch das blecherne Klappern hörbar.

Da sprang Jonny auf die Füße. Der Schweiß troff ihm von der Stirn. Er riss die Taschenlampe hervor und ließ sie aufflammen. Seine Füße schoben die Säcke zur Seite, und sein Blick bohrte sich zwischen sie. Bis er sah, was er bisher nur in einer fürchterli­chen Ahnung vermutet hatte! Ein Schrei brach von seinen Lippen. Dann stürzte er davon, von Entsetzen gepackt.

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