Die Gespenster – Vierter Teil – 20. Erzählung
Die Gespenster
Kurze Erzählungen aus dem Reich der Wahrheit von Samuel Christoph Wagener
Allen guten Schwärmern, welchen es mit dem Bekämpfen und Ablegen beunruhigender Vorurteile in Absicht des Geisterwesens ernst ist, liebevoll gewidmet von dem Erzähler Friedrich Maurer aus dem Jahr 1798
Vierter Teil
Zwanzigste Erzählung
Das nicht entdeckbare mitternächtliche Stöhnen
Ich legte mich einst an einem schönen Winterabend bei hellem Mondschein etwas spät zu Bett. Kaum hatte ich den Kopf auf das Kissen gelegt, als ich ein Stöhnen vernahm, fast wie das Stöhnen eines schwerkranken Menschen. Es schien, als wäre es ganz in meiner Nähe, etwa neben meinem Bett. Ich richtete mich auf, um genau darauf zu horchen. Nun kam es mir vor, als käme es von der Straße her, und als läge der Kranke dicht unter meinem Fenster. Es kann ein armer Unglücklicher sein, dachte ich, wir wollen doch sehen. Ich trat an das Fenster, machte es auf, und weg war das Stöhnen. Ich hörte und sah nichts.
Kaum war ich ins Bett zurückgekehrt, so begann das rätselhafte Stöhnen wieder. Ich ging abermals ans Fenster; und nichts!
Im Bett hörte ich aufs Neue alles wie vorher. Zum dritten Mal öffnete ich das Fenster; zum dritten Mal wurde ich angeführt: Es ließ sich nichts sehen und nichts hören.
Nun aber blieb ich am Fenster; ich wollte durchaus wissen, was es war. Endlich entdeckte es sich: Es war ein heiserer Hund, welcher in einiger Entfernung vom Haus bellte, und zwar zufällig gerade dann, als ich wieder im Bett lag.
Man sieht hieraus, wie schwer es zuweilen ist, die Wahrheit herauszubringen, und wie hartnäckig man anhalten muss, um sie zu entdecken. Wie leicht hätte aus dieser nichts bedeutenden Szene eine abenteuerliche Erscheinung werden können. Gesetzt, ich hätte furchtsam und erschrocken die Sache nicht untersucht gelassen, und es wäre mir einige Zeit danach die Nachricht von einem Todes- oder Unglücksfall hinterbracht worden, hätte da nicht das nächtliche Stöhnen eine Ahnung: der Todeskampf des Heimgegangenen – das Ächzen des Verunglückten – sein müssen?