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Nick Carter – Band 15 – Ein verbrecherischer Arzt – Kapitel 2

Nick Carter
Amerikas größter Detektiv
Ein verbrecherischer Arzt
Ein Detektivroman

Eine überraschende Entdeckung

Kurz nachdem der berühmte Detektiv am nächsten Morgen sein Frühstück beendet hatte, meldete ihm die alte Haushälterin, dass sich unten im Parlor eine jüngere Dame in Begleitung eines alten Herrn eingefunden hätte, welche ihn zu sprechen verlangten.

Als Nick in den Parlor trat, erkannte er in dem Besuch die verheiratete Tochter Ramsays, welche ihn am Vorabend so von oben herab behandelt hatte. Wie sich herausstellte, war der Herr in ihrer Begleitung ihr Schwiegervater, gleichfalls ein hochangesehener Großindustrieller der Metropole.

Der Detektiv verneigte sich schweigend und schaute seine frühen Besucher erwartungsvoll an.

»Wir kommen in einer höchst peinlichen Angelegenheit«, eröffnete die junge Frau Collins, nachdem man Platz genommen hatte. »Zuerst möchte ich hier diesen Gegenstand Ihrer Obhut anvertrauen, weil ich annehme, dass Sie ihn am leichtesten seiner Eigentümerin zurückgeben können.«

Damit überreichte sie dem Detektiv einen kleinen, in Seidenpapier eingewickelten Gegenstand. Als Nick die Hülle beseitigte, fiel sein Blick auf eine wundervolle Diamantbrosche. Natürlich erriet er augenblicklich, dass es sich um dieselbe Schmucksache handelte, welche am Abend zuvor der Gattin des Petroleumkönigs gestohlen worden war.

»Aha, das ist wohl der Zankapfel, welcher im Haus Ihres Herrn Vaters so viel Verdruss hervorgerufen hat?«, erkundigte er sich.

Die Besucherin ging auf seine Worte nicht ein, sondern versetzte hastig: »Bitte, händigen Sie der Verliererin diese Brosche aus und verschweigen Sie bitte freundlich, durch wessen Vermittlung Sie das Schmuckstück wiedererlangt haben.«

Betroffen durch ihren hochmütigen Ton, mehr noch aber durch die seltsame Aufforderung, schaute der Detektiv sie scharf an.

»Gestatten Sie mir, Ihnen zu sagen, dass ich Sie nicht zu verstehen vermag. Wie Sie wissen, bin ich beauftragt worden, nicht nur diese wertvolle Brosche zurückzuerlangen, sondern auch den Namen des ehrlichen Finders festzustellen. Ihr eigener Herr Vater ist mein Auftraggeber!«

»Ich dachte mir, dass Ihnen ein solcher Auftrag erteilt worden ist«, mischte sich nun der alte Herr Collins ein. »Ja, ich fürchte, es handelt sich noch mehr um die Feststellung des Finders als um die Wiedererlangung des Fundstücks selbst.«

»Selbstverständlich«, gab der Detektiv gelassen zu. »Sie können sich doch denken, dass die Verlustträgerin zu erfahren wünschen wird, wer eigentlich die Brosche gefunden hat. Doch das ist nicht alles, sondern …«

»Aber das ist ja schrecklich!«, rief die junge Frau empört dazwischen. »Da wird man vom eigenen Vater an den Pranger gestellt und …«

»Bitte, Liebste, lass Mr. Carter aussprechen«, versuchte der alte Herr sie zu beschwichtigen. »Ich glaube, er wollte noch mehr sagen.«

»Allerdings«, fuhr Nick Carter fort. »Um es zart auszudrücken, so wurde diese Brosche hier in ungesetzlicher Weise gefunden. Es ist deshalb nur recht und billig, dass Sie mir in einwandfreier Weise sagen, woher und auf welche Art Sie in den Besitz des Schmuckstückes gelangt sind.«

Von Neuem wollte Mrs. Collins heftig aufbegehren, doch wiederum wusste ihr Schwiegervater sie zu beschwichtigen.

»Offen gestanden«, schloss der Detektiv unverbindlich, dabei fest den Blick auf seine schöne Besucherin gerichtet, »solange Sie mir nicht klipp und klar nachweisen, auf welche Weise Sie selbst in den Besitz der Brosche gelangt sind, erscheinen Sie persönlich in höchst eigentümlicher und unvorteilhafter Beleuchtung. Ich bedaure aufrichtig, Ihnen das sagen zu müssen, doch es ist so!«

»Pst! Liebste, Mr. Carter ist vollständig im Recht«, fiel der alte Herr ein, seine Schwiegertochter von einem neuen Versuch, heftig aufzubrausend, zurückzuhalten versuchend. »Ich will Ihnen die Sache, so gut ich es vermag, zu erklären versuchen, Mr. Carter«, wendete er sich dann an den Detektiv. »Ganz zufällig gelangte meine Schwiegertochter heute Morgen in den Besitz dieser Brosche. In ihrer nur zu begreiflichen Ratlosigkeit ersuchte sie mich um Beistand. Ich muss leider sagen, dass unsere Entdeckung eine für uns sehr niederschmetternde gewesen ist. Auf meinen Rat hin suchten wir Sie auf, um uns Ihnen vertrauensvoll zu offenbaren.«

»Wir wissen ja recht gut, dass die Verlustträgerin Sie mit der Wiedererlangung der Brosche beauftragt hat«, fiel Mrs. Collins nun in hochgradiger Erregung ein. »Aber ich hoffte von Ihrer Ritterlichkeit, Sie würden zartfühlend genug sein, die Brosche einfach zurückzugeben, ohne weitere Fragen an uns zu stellen, die … die sehr peinlich für uns sind!«

»Gnädige Frau, ich will Ihrer Erregung zugutehalten, was ich sonst als offensichtliche Beleidigung auffassen müsste«, bemerkte der Detektiv achselzuckend. »Auf meine Diskretion können Sie unter allen Umständen bauen. Wie die Sache jedoch liegt, muss ich volle Aufklärung haben! Sie wissen es auch gut, es liegt kein Verlieren der Brosche, sondern ein wohlberechneter Diebstahl vor. Wer schnitt mit einem Federmesser die Brosche aus dem kostbaren Spitzenkragen der Lady?«

»Es war mein Gatte«, erklärte die Besucherin mit erlöschender Stimme.

»Ja, mein ältester und heißgeliebter Sohn«, fiel der alte Herr, tief von Kummer niedergebeugt, mit zitternder Stimme ein.

Der Detektiv hatte die Empfindung, als habe man ihm vor die Stirn geschlagen, so unerwartet kam ihm diese Enthüllung. Wohl wusste er sich nach außen hin zu beherrschen, doch es fehlte ihm an Worten, um daraufhin sofort antworten zu können.

»Bitte, ziehen Sie keine weiteren Schlüsse, bevor Sie alles gehört haben werden«, bat die jetzt leise vor sich hin Weinende. »Es handelt sich um einen unheimlichen, geheimnisvollen Vorgang, der durchaus nicht so leicht zu erklären ist. Diese Brosche hier fand ich heute Morgen auf dem Teppich im Ankleidezimmer meines Gatten.«

»Daraus schließen Sie nun ohne Weiteres, dass Ihr Gatte der Finder der Brosche gewesen ist?«, erkundigte sich Nick Carter erstaunt. Dann, als er die Weinende nur schwach nicken sah, schüttelte er nun stumm mit dem Kopf.

Der Detektiv kannte die Ramsay’schen Familienverhältnisse genau. Er wusste, dass der jüngere Collins ein Mann von großem Vermögen war, der von seinem Einkommen lebte, keinerlei Geschäft betrieb, sondern allerlei Liebhabereien nachhing, dabei ein Mann von Bildung, Geschmack und Takt, außerdem streng häuslich veranlagt war. Er hielt offenes Haus, und man rühmte ihn eines ungetrübt reinen und glücklichen Familienlebens.

»Die Sache ist uns äußerst peinlich«, begann nun der alte Collins gedämpft, »und wir können uns den ganzen Vorgang auch nur unter dem Gesichtspunkt erklären, dass mein unglücklicher Sohn in einem Zustand geistiger Verstörtheit, also in einem ihn leider häufig überkommenden Anfall von Verstandestrübung, die sonst unbegreiflich erscheinende Tat verübt haben muss, also persönlich dafür nicht verantwortlich gehalten werden kann.«

»Bitte, drücken Sie sich deutlicher aus«, ersuchte der Detektiv gespannt. »Um was für Anfälle handelt es sich bei Ihrem Sohn?«

»Ja, das ist schwer zu erklären«, fuhr der alte Herr seufzend fort, »doch seit ungefähr zwei Jahren ist mein armer Sohn mit einer unheimlichen und nur zeitweilig auftretenden Gehirnkrankheit behaftet. Mitunter verfällt er in einen Zustand völliger Apathie, da er nur dem Körper nach lebt. Das will sagen, er geht umher und spricht ganz folgerichtig, wie sonst auch, ja, dem Fernstehenden fällt sein verändertes Gebaren durchaus nicht auf. Doch ist ein solcher Anfall vorüber – und er dauert höchstens acht Stunden – dann weiß sich mein Sohn auf nichts mehr zu erinnern, was während dieser Zeit mit ihm vorgegangen ist … Nun möchte ich Sie nicht nur bitten, Mr. Carter«, fuhr Collins in herzlicherem Ton fort, »den ganzen Vorfall geheim zu halten, sondern uns Ihren Beistand zu leisten, damit wir Licht in diese peinliche Geschichte bringen, welche das Glück einer ganzen Familie zerstören muss – Mr. Ramsay hegt eine solch hohe Meinung von Ihrer wunderbaren Geschicklichkeit, dass …«

»Aber mein lieber Herr, ich bin Detektiv«, warf Nick kopfschüttelnd ein, »das ist doch eher ein Auftrag für einen Nervenarzt.«

»Mein Sohn befindet sich bereits in der Behandlung eines solchen Arztes – aber das ist gerade der dunkelste Punkt der ganzen Affäre!«, versetzte der alte Herr in einer dem Detektiv völlig unverständlichen Erregung. »Mein Sohn weiß ganz genau, dass er von derartigen Anfällen heimgesucht wird, und er setzt in den ihn behandelnden Arzt unbedingtes Vertrauen. All unsere Bitten vermögen ihn nicht dazu zu bewegen, sich noch einem weiteren Arzt anzuvertrauen. Sein Zustand macht ihn immer empfindlicher und reizbarer – kurzum, wir sind an einem Punkt angelangt, wo wir uns geradezu hilflos sehen. Darum möchten wir Sie bitten, handelnd einzugreifen. Verstehen Sie mich richtig, meine Schwiegertochter und ich haben das Bewusstsein, dass es einen dunklen Punkt hierbei gibt, der erbarmungslos ans Tageslicht gebracht werden muss, soll es besser mit meinem unglücklichen Sohn werden. Doch das ist alles nur Vermutung.«

»Merkwürdig«, bemerkte der Detektiv nachdenklich. »Aus Ihren Worten scheint mir hervorzugehen, dass Sie das von Ihrem Sohn in den betreffenden Arzt gesetzte Vertrauen nicht in gleichem Maße teilen?«

»Aber ganz gewiss nicht!«, rief Collins fast heftig. »Damit will ich kein Misstrauen gegen den Arzt selbst aussprechen, doch selbst einem Blinden muss einleuchten, dass weit entfernt von Besserung der Zustand meines Sohnes sich zusehends verschlimmert!«

»Weiß Ihr Sohn, dass er in verwichener Nacht diese Brosche gefunden hat?«

»Um Himmels willen, wo denken Sie hin! Er hat keine blasse Ahnung!«

Wie der berühmte Detektiv nun durch mannigfaltige Fragen feststellte, war der behandelnde Arzt ein Universitätsfreund des jungen Collins, und die beiden waren sehr gut bekannt miteinander.

»Die Sache bringt mich noch ins Grab«, erklärte der alte Herr in schmerzlicher Bewegung. »Mein Sohn hat den vortrefflichsten Charakter, und in seinem ganzen Leben gibt es keinen einzigen Makel.«

»Sie glauben nicht, dass Kleptomanie, also die Sucht zu stehlen, bei Ihrem Sohn infrage kommen kann?«, bemerkte der Detektiv.

»Nicht daran zu denken«, widersprach der alte Herr lebhaft. »Mein Sohn ist im Gegenteil nur zu gewissenhaft, und aus diesem Grund hat er sich auch von allen Geschäften zurückgezogen, da die in unserem Land üblichen Geschäftsmanipulationen ihm verwerflich erscheinen. Ich, sein Vater, kann Ihnen bestimmt erklären, dass er aus übertriebener Gewissenhaftigkeit eine Gelegenheit ablehnte, die ich, der ich auch ein anständiger Mensch zu sein glaube, ohne Weiteres wahrgenommen habe – eine Gelegenheit, welche sein Vermögen verzehnfacht haben würde. Es handelt sich um eine todsichere Börsenspekulation – und ein solcher Mann, der Millionen verschmäht, sollte wissentlich seine Hände mit gestohlenem Gut beflecken?«

»Diese Annahme erscheint auch mir ausgeschlossen!«, erklärte Nick Carter. »Doch ich gestehe Ihnen offen, der Fall interessiert mich, und ich will ihn übernehmen. Zunächst werde ich dieses Schmuckstück seiner Eigentümerin zurückbringen, und ich verspreche Ihnen, dass die Dame auch nicht das Geringste erfahren wird.«

So geschah es denn auch; denn kaum hatte sich die betroffene junge Frau mit ihrem Schwiegervater entfernt, als der Detektiv sich in den Palast des Petroleumkönigs begab und dessen Gattin das gestohlene Schmuckstück wieder zustellte. Es bedurfte seiner ganzen Gewandtheit, um den erstaunten Fragen der Dame auszuweichen, und als er sich schließlich kurz von ihr verabschiedete, konnte er sich nicht verhehlen, dass die Gattin des Ölmagnaten in Zukunft nicht zu seinen Gönnerinnen gehören würde.

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