Detektiv Nobodys Erlebnisse und Reiseabenteuer Band 1 – Teil 3
Detektiv Nobodys Erlebnisse und Reiseabenteuer
Nach seinen Tagebüchern bearbeitet von Robert Kraft
Band 1
Kapitel 1, Teil 3
Er musste lange warten. Mr. Law mochte noch nicht aufgestanden sein, und dann zeigte es sich auch, dass ihm der Hotelier erst alles erzählt hatte, was er von dem rätselhaften Gast zu hören und zu sehen bekam.
Dann kam der Hotelier zurück mit Mr. Law, einem noch jungen Mann, dieser in Begleitung eines älteren, sehr klug dreinblickenden Herrn, den er als seinen Schwiegervater vorstellte. Der weltgewandte Berichterstatter bat um Entschuldigung, aber Mr. World interessiere sich höchlichst für den Löwen des Tages, und so ging es zuerst, wie es bei derartigen Gelegenheiten unter gewandten Männern immer geht, es wurden Entschuldigungen und Komplimente gewechselt, aber ebenso verstanden diese Männer die Einleitung auch auf die notwendigsten Zeremonien zu beschränken. Dann hatten sie sich einander gegenübergesetzt, auch der Hotelier blieb, und der Zeitungsschreiber hatte vom Leder gezogen, das heißt, Notizbuch und Bleistift zur Hand genommen.
»Wer sind Sie, mein Herr?«
»Das bleibt mein Geheimnis.«
»Auf diese Weise hat der Interviewer einen sehr schweren Stand«, scherzte Mr. Law.
»Das tut mir leid, aber über meine Vergangenheit spreche ich nicht, ich habe einen Grund dazu. Die Vergangenheit ist hinter mir begraben, im Meer versunken, ich bin ein neugeborener Mensch, ein vom Klapperstorch frisch aus dem Teich gebrachtes Kindlein.«
»Haben Sie ein Verbrechen begangen?«, fragte der amerikanische Zeitungsmensch so gelassen, wie man jemand fragt, ob er mit Mehl oder mit Kohlen handelt.
»Nein«, entgegnete der Mann im Nachthemd ebenso gelassen, »ein Verbrechen habe ich nicht begangen, nichts, was mich einer polizeilichen Verfolgung aussetzte. Der Grund, dass ich über meine Vergangenheit absolutes Schweigen beachten werde, ist ein ganz anderer.«
»Sie stammen aus einer angesehenen Familie, für welche Sie als tot gelten möchten.«
»Wenn Sie solchen Scharfsinn zutage legen, dann muss ich etwas offener sein: Ja, so ist es.«
»Aus einer aristokratischen Familie?«
»Ja.«
»Aus einer fürstlichen Familie?«
»Ja.«
»Aus einem regierenden Fürstenhaus?«
»Halt! Jetzt ist es genug. Aus einer fürstlichen Familie, mehr sage ich nicht.«
»Deutscher?«
»Nein, ja, nein, ja, nein, ja. Wählen Sie nach Belieben aus.«
»Dann erlauben Sie wenigstens, dass ich Sie als einen Germanen bezeichne.«
»Woraus schließen Sie das?«
»Aus Ihren echt germanischen Gesichtszügen.«
»Vielleicht, vielleicht auch nicht.«
Nobody stand auf, nahm ein Handtuch, schlang sich dieses geschickt wie einen Turban um den Kopf, trat, den Herren den Rücken kehrend, vor den Wandspiegel, tastete einige Augenblicke mit den Händen im Gesicht herum, es war, als ob er dieses durch Striche massiere, drehte sich schnell wieder um und setzte sich.
Das Staunen der Herren war grenzenlos, zuerst fanden sie gar keine Worte. Der Mann, der vorhin auf dem Stuhl, auf diesem Stuhl gesessen hatte, war nämlich ein vollkommen anderer gewesen.
»Das ist ja ein Chinese!«, stieß Mr. World endlich in der größten Bestürzung hervor.
Ja, nun waren es plötzlich die charakteristischen Gesichtszüge eines Chinesen oder doch eines Mongolen, und da brauchte man auch nicht im Geringsten die Fantasie zu Hilfe zu nehmen.
Vor allen Dingen die geschlitzten, schiefstehenden Augen, das lange Gesicht mit den hervortretenden Backenknochen, die schmalen Lippen, die eingedrückte Nase –
ein richtiges Mongolengesicht. Der Turban verdeckte die blonden Haare, sodass diese nicht störten.
»Na, nun sagen Sie bloß in aller Welt, wie machen Sie denn das nur?«
Der Chinese griff sich in das Gesicht, man sah, wie er die Hautfalten verschob, warf den Turban ab und saß wieder als der vorige da.
»Unglaublich! Sie sind Verwandlungskünstler.«
»Nicht professioneller. Eine Anlage dazu, meine Gesichtsmuskeln zu verschieben, mag ich immer gehabt haben, aber zu dem, was ich jetzt darin leiste, habe ich mich erst in der Einsamkeit ausgebildet. Ich bin noch nie in der Öffentlichkeit aufgetreten. Hat Ihnen Mr. Ephram von dem Kartenkunststückchen erzählt, das ich ihm vorhin zeigte?«
»Ja, er tat es, und ich möchte Sie bitten, uns das noch einmal vorzumachen.«
»Ich werde Ihnen dann noch etwas ganz anderes zeigen, möchte Sie aber vorher auf etwas aufmerksam machen. Wie ich schon gestand, stamme ich aus einem angesehenen, sehr bekannten Haus …«
»Aus einem Fürstenhaus«, ergänzte der Berichterstatter.
»Meinetwegen. Außerdem bin ich seit meiner frühesten Jugend, oder doch seit meinem Jünglingsalter, abgesehen von einer langjährigen Pause, rastlos in der Welt umhergewandert, ich bin überall gewesen, und zwar als ein vermögender, als ein reicher Mann. Ich bin einmal ein Krösus gewesen. Aber ich bin auch immer ein Verschwender gewesen. Ich habe wiederholt große Summen in die Finger bekommen.«
»Durch Erbschaft?«
»Das sage ich nicht. Das letzte Mal waren es ungefähr zehn Millionen, und ich habe diese zehn Millionen innerhalb von zwei Jahren durchgebracht …«
»Zehn Millionen … Mark?«, fragte der Reporter hinterlistig.
Allein der Mann im Nachthemd ging nicht in die ihm gestellte Falle.
»Zehn Millionen. Sagen Sie das nur einfach in Ihrem Bericht. Wenn man in zwei Jahren zehn Millionen durchbringt, so ist es ziemlich gleichgültig, ob es Mark oder Dollar oder Pfund Sterling gewesen sind. Eine außerordentliche Leistung bleibt es immer. Das heißt, ich will mit dieser meiner Verschwendung nicht etwa renommieren. Oder meinetwegen auch, gut, ich renommiere damit. Mir egal …«
»Sie sind überhaupt auf jeden Fall ein ganz außergewöhnlicher Mensch.«
»Ein Abenteurer bin ich. Ein Abenteurer comme il faut. Eine geborene, rastlose Abenteurernatur. Und für seinen Charakter kann niemand. Also, was ich sagen wollte: In zwei Jahren habe ich zehn Millionen durchgebracht, jetzt in den letzten zwei Jahren, und zwar immer in der tollsten Weise an den belebtesten Orten zwischen einer internationalen Lebewelt. Nun sage ich aber, dass von jetzt an mich niemand mehr kennen wird. Wie ist das möglich? Sollte ich denn nicht einmal mit jemandem wieder zusammenkommen, der mich von früher her kennt? Denn so groß ist die Erde gar nicht.«
»Ja, wie wollen Sie das verhindern?«
»Ich habe es bereits verhindert, indem ich mich unter dem Publikum niemals in meiner wahren Gestalt zeigte. Abenteurer und Schauspieler sind sehr verwandte Naturen, und ich bin auch ein geborener Schauspieler. Das Komödie spielen ist meine Lust. So bin ich nie in meiner wahren Gestalt aufgetreten, sondern immer in den verschiedensten Masken, sogar als Dame …«
»Als Dame?«
»Als junge und als alte Dame, wochenlang, monatelang. Aber auch noch in anderen Charakterrollen als … o, Sie würden es ja nicht glauben, wenn ich Ihnen erzählen wollte, wie toll ich es getrieben, was ich für Abenteuer erlebt, wie ich das Publikum, die ganze Welt düpiert habe. Deshalb schweige ich lieber gleich ganz davon. Aber jetzt habe ich die Vergangenheit hinter mir begraben, als neugeborener Mensch habe ich die neue Welt betreten. Als ich das Schiff bestieg, welches mich nach Amerika bringen sollte, waren 4000 Dollar der letzte Rest meines einst immensen Vermögens. Was sollten mir die? Ich warf sie von mir. Kein neugeborener Mensch hat Geld bei sich.«
Er schilderte noch einmal, wie schon dem Hotelier, warum er nicht die Landung des Dampfers abgewartet, sondern ins Meer gesprungen war, um schwimmend das Festland zu erreichen. Eben eine romantische, abenteuerliche, bizarre, exzentrische Natur, die immer am liebsten das tut, was sonst keinem vernünftigen Menschen einfällt.
»Ich verstehe«, sagte der Journalist, »Sie sind ein ganz außergewöhnlicher Mensch, selbst Ihre Exzentrizität ist genial. Nun haben Sie sich doch geäußert, noch heute wollten Sie ein Engagement abschließen, welches Ihnen ein jährliches Einkommen von 100.000 Dollar sichert. Darf ich fragen, was Sie da im Auge haben? Wollen Sie durch Vorstellungen so viel verdienen?«
Nobody lehnte sich zurück und schlug unter dem Nachthemd die Beine übereinander.
»Ein Engagement? So habe ich vorhin zu Mr. Ephram gesagt, aber das habe ich eigentlich nicht gemeint. Ich habe noch viel mehr vor. Ich will etwas vollbringen, was einzig in der Welt dasteht. Ich, ein vollständig mittelloser, gänzlich unbekannter Mann, will noch heute der Mitinhaber einer Millionenfirma sein.«
Das war ein bisschen ein starker Tobak. War dieser Mann nicht etwas gar zu sehr von sich eingenommen? Nur die Höflichkeit duldete es nicht, dass die Herren ungläubig lächelten.
»Hier in Amerika?«
»Hier in Amerika!«
»Doch nicht gar eine New Yorker Firma?«
»Eine New Yorker Firma.«
»Irgendeine oder haben Sie Ihren Blick schon auf eine ganz bestimmte Firma gerichtet, in welche Sie noch heute als Kompagnon eintreten wollen?«
»Eine ganz bestimmte.«
»Ach, das ist ja höchst interessant! Bitte, nennen Sie mir doch den Namen dieser Millionenfirma.«
»Gewiss, Sie kennen dieselbe, Mr. Law. Sie heißt: Verlagsbuchhandlung H. P. World.«
Dieser Tobak war nun gar zu kräftig! Dachte der vielleicht, wenn er über seine Abenteuer ein Buch schrieb und es in jenen Verlag gab, er könnte da gleich Mitinhaber der Verlagsbuchhandlung werden? Und er hatte doch auch von einem jährlichen Einkommen von 100.000 Dollar gesprochen.
Kurz, diese Herren, welche die Verhältnisse kannten, den Hotelier nicht ausgeschlossen, blickten verblüfft auf den dem Meer entstiegenen Mann im gepumpten Nachthemd, der mit solch unverfrorener Keckheit so etwas behauptete! Und am allerverblüfftesten war natürlich Mr. World selbst.
»Oho«, brachte der Schwiegersohn endlich hervor, »ohoooo!«
»Nu nööööhh!«, folgte der Schwiegervater nach, wenn er sich dabei auch eines entsprechenden englischen Ausdrucks für sein abwehrendes Staunen bediente.
»So ist es«, sagte aber Nobody mit Seelenruhe, »so wird es kommen, oder aber, Mr. World, Sie treten Ihr Glück mit Füßen. Aber Sie werden darauf eingehen, denn ich habe Sie bereits erkannt, und ich irre mich nie in einem Menschen. Also ich behaupte, bis heute Mitternacht werden Sie meinen Plan akzeptiert haben, mit mir zusammen eine Zeitung herauszugeben, welche, mit einem ganz geringen Kapital zur Begründung, nur einen einzigen Redakteur nötig habend, uns einen jährlichen Reingewinn von einer Million abwirft, und das schon im ersten Jahr.«
Lag es im Ton, lag es in dem eigentümlichen Blick, lag es in dem ganzen Wesen dieses Mannes, dass selbst bei solchen Fachleuten, welche doch wüssten, wie schwer es ist, eine neue Zeitung einzuführen und rentabel zu machen, gar kein Zweifel an der Richtigkeit dieser kühnen Behauptung aufstieg?
»Was für eine Zeitung?«, riefen der Journalist und der Verlagsbuchhändler hastig aus einem Munde.
»Eine Zeitung, wie sie die Welt noch nicht gesehen hat.«
Das Gespräch wurde durch einen Kellner unterbrochen, welcher die Ankunft von Mr. Lewis meldete. Denn der artistische Leiter des Atlantic-Garden war bereits von dem Hotelier durch einen Boten schriftlich benachrichtigt worden, um was es sich handelte, und wenn es eine neue Attraktion zu erwerben galt, doppelt zugkräftig durch eine vorhergehende Sensation, die den zu Engagierenden schon vorher populär gemacht hatte, so war Mr. Lewis stets zur Stelle.
Die Herren kannten sich, zuerst musste dem Neuangekommenen doch erläutert werden, dass der Mann im Nachthemd der geheimnisvolle Passagier und wieder lebendig gewordene Selbstmörder sei – dann ging es gleich noch einmal los mit den Kartenkunststückchen.
Nobody machte genau dasselbe, was er dem Hotelier schon gezeigt hatte, nichts weiter, ganz in derselben Weise. Am meisten staunte der alte World, er wollte durchaus wissen, woher die Karten kamen, und wohin sie wieder verschwanden; der Artisten-Direktor erklärte, dass er Derartiges zwar schon oft gesehen habe, aber noch niemals ausgeführt mit solch einer Vollkommenheit.
»Ja, aber woher nimmt er nur die Karten?«, rief World immer wieder. »So sagen Sie es uns doch! Sie müssen es doch auch wissen, Mr. Lewis.«
»Ich weiß es auch nicht. Das kann auf die verschiedenste Weise geschehen. Da hat jeder hervorragende Eskamoteur sein eigenes Geheimnis, und so etwas wird nicht verraten. Ja, geehrter Herr, für meine Bühne ist das aber nichts.«
»Jetzt gebe ich auch nur eine Privatvorstellung im engen Zirkel. Ich will als Einleitung nur beweisen, dass ich ganz originelle Kunststückchen kann. Will mir einer der Herren einen kleinen Gegenstand geben, den ich in der Hand leicht verberge?«
»Hier, nehmen Sie meinen Siegelring«, sagte der Direktor, den Ring vom Finger streifend.
Der Taschenspieler hatte noch den rechten Ärmel bis zur Schulter aufgestreift. Bei den nachfolgenden Experimenten, wie aber auch schon bei denen mit den Karten, gebrauchte er nur die Vorsicht, dass niemand hinter ihn und auch nicht seitwärts von ihm treten durfte. Die vier Herren mussten immer vor ihm eng in einer Reihe stehen.
Er streckte die rechte Hand dicht vor dem Direktor flach aus und legte den Ring hinein.
»Sie sehen den Ring in meiner Hand.«
»Gewiss.«
Nobody schloss über dem Ring die Finger und drehte die Faust langsam herum.
»Nun legen Sie Ihre Hände um meine Faust.«
Mr. Lewis tat es.
»Habe ich den Ring noch in meiner Faust, befindet er sich also auch noch zwischen Ihren Händen?«
»Ganz gewiss.«
Es konnte auch gar nicht anders sein. Dass er etwa den Ring habe fallen lassen oder so etwas Ähnliches, daran war gar nicht zu denken.
»Ich behaupte aber, dass der Ring aus meiner Hand verschwunden ist, kraft meines Willens.«
»Nicht möglich.«
»Wetten?«
»Ach, lassen wir das. Ich bin doch auch etwas Fachmann, und ich glaube nicht, dass Sie den Ring aus Ihrer Hand haben eskamotieren können.«
»Ich setze mein ganzes Vermögen ein, dass der Ring nicht in meiner Hand ist.«
»Nein, nein, gewettet wird nicht«, meinte Ephram lachend, »so lassen Sie doch sehen.«
»Öffnen Sie meine Hand.«
Der Direktor tat es, ganz, ganz vorsichtig; ohne die Hand loszulassen, sie immer krampfhaft am Gelenk gepackt haltend, schlug er einen Finger nach dem anderen zurück und … der Ring war noch drin!
Die Herren lachten aus vollem Hals. Das negative Resultat wirkte eben dadurch komisch, weil der Direktor gar so vorsichtig untersucht hatte.
»Sehen Sie«, sagte Nobody trocken, »hätten Sie doch mit mir gewettet, dann hätten Sie mir jetzt mein ganzes Vermögen abgewonnen – die Stecknadel und den Bogen Zeitungspapier.«
Die Herren lachten noch stärker.
»Also noch einmal. Ich muss meine Willenskraft mehr zusammennehmen, denn nur diese zaubert den Ring aus meiner Hand.«
Dasselbe wurde wiederholt, ganz wie zuvor, Lewis hielt die Faust umklammert.
»Ist der Ring jetzt noch drin?«
»Ohne alle Zweifel.«
»Was wetten Sie, dass er nicht mehr in meiner Faust ist?«
»Na, meinetwegen«, entgegnete der Direktor, »und ich setze gleich tausend Dollar daran, er muss noch darin sein, ich wette sogar meinen Kopf dafür.«
»Die tausend Dollar nehme ich nicht an, aber … der Kopf ihm ab, ich will nicht eher zu Abend speisen!«, zitierte Nobody aus Shakespeares Richard dem Dritten. »Öffnen Sie meine Hand.«
Wiederum ließ der Direktor keine Vorsicht außer Acht, so wenig wie er es beim Schließen der Hand getan hatte, er bog die Finger zurück und …
»Goddamn!«, stieß er in grenzenlosem Staunen hervor.
Der Ring war verschwunden. Hier gab es keine Erklärung – wenigstens für die vier Herren nicht. Aber unter diesen war eben einer, der doch alle Taschenspielertricks kannte, und auch dieser fand keine Erklärung, wie der Ring aus der Faust, die von seinen eigenen Händen umspannt worden war, herausgekommen sein könnte.
»Sie sehen also, meine Hand ist leer«, fuhr Nobody fort, seine flache Hand wiederholt vor dem Journalisten hin- und herdrehend.
Langsam ballte er die Hand, Mr. Law musste sofort zugreifen, die Faust also zwischen seine Hände nehmen.
»Glauben Sie, dass jetzt der Ring schon wieder drin ist?«
»Nein, das können wir unmöglich glauben!«
Wirklich, der Ring war wieder in seiner Hand!
Er wiederholte dasselbe Experiment noch mehrmals, ließ den Ring bald verschwinden, bald wieder in seiner Hand sein. Diese Herren, welche doch schon genug solch Gauklerzeug gesehen hatten, wollten das einfache Experiment immer und immer noch einmal sehen, und jedes Mal waren sie von Neuem außer sich vor Staunen.
Ein einziger Umstand ließ erkennen, dass man es doch nur mit einem Taschenspielerkniff zu tun hatte. Wenn der Mann die Hand zeigte, leer oder mit dem Ring, so hatte er die Handfläche stets nach oben gekehrt; dann schloss er die Finger und drehte die Faust erst herum, ehe er sie von fremden Händen umschließen ließ. Dieses Herumdrehen hatte ganz offenbar etwas mit dem Hokuspokus zu tun, aber wie … das war und blieb ein Rätsel. Der Direktor lugte wie ein Fuchs, vergebens, er konnte nicht einmal eine Mutmaßung aufstellen, wohin der Ring ging, und woher er wieder kam.
»Fabelhaft! Nun sagen Sie doch bloß, wie Sie das machen!«
Allein der Taschenspieler gab keine Erklärung.
Wieder legte er den Ring in seine Hand und schloss die Finger darüber.
»Wollen Sie nun einmal Ihre Hände um meine Faust schließen, damit der Ring ja nicht herauskann?«
Es geschah, acht Hände ordneten sich um die Faust.
»Sind Sie davon überzeugt, dass sich der Ring noch in meiner Hand befindet?«
Wären die Herren nicht schon Zeugen von den vorigen Experimenten geworden, so hätte nun jeder von ihnen, wenn es eine Wette gegolten, Haus und Hof und seinen Kopf dafür eingesetzt, dass der Ring sich noch in der von ihren Händen umspannten Faust befand. Mr. Lewis hatte auch schon einmal seinen Kopf verspielt.
»Jetzt nehme ich dieses Glas …«
Nobody stand neben einem Tischchen, aber doch so weit davon entfernt, dass er, um von diesem ein kleines Wasserglas nehmen zu können, den linken Arm weit ausstrecken und auch noch den Oberkörper stark seitwärts neigen musste. Auf diese Weise also nahm er das Glas und erläuterte weiter, was die Herren zu tun hätten.
Sie sollten einmal ihre ineinandergeschlungenen Hände möglichst stillhalten, er wolle auf den Rücken der obersten Hand das Wasserglas setzen, er tat so, und als es stand, zog er seine linke Hand zurück.
»Eins – zwei – drei!«
Klirr! Oben von der Decke war senkrecht durch die Luft ein blitzender Gegenstand gesaust gekommen und mit voller Wucht in das Wasserglas gefallen – es war der Ring! Und Nobodys rechte Hand war natürlich leer, wie er zum Überfluss noch zeigte.
»Jetzt bleibt mir der Verstand stehen«, murmelte Mr. Lewis, als er tiefsinnig seinen aus dem Glas genommenen Siegelring betrachtete.
»Mensch – Mann – Nobody«, rief dagegen der Journalist, förmlich außer sich, »Sie müssen sich in Klubs produzieren! Sie werden mit Gold überschüttet!«
Nobody blieb kalt.
»Nun bloß noch ein einziges Experiment, aber ein ganz anderes, welches nichts mit Taschenspielerei zu tun hat. Mr. Ephram, wollen Sie mir eine elfenbeinerne Billardkugel verschaffen, womöglich noch ganz neu. Sprünge darf sie wenigstens nicht haben.«
Der Wirt klingelte einem Kellner und gab ihm einen diesbezüglichen Auftrag.
»Meine Herren«, nahm inzwischen Nobody wieder das Wort, »was Sie bis jetzt gesehen haben, war nichts weiter als Taschenspielerei. An Geister und andere übernatürliche Dinge glauben Sie doch nicht …«
»Bitte, ich bin Spiritist«, sagte Mr. World.
»Pardon. Sie haben mich unterbrochen. Ich wollte nämlich fortfahren: Oder aber, wenn einer der Herren Spiritist sein sollte, so würde er doch nicht glauben, dass ich diese Kunststückchen, das Verschwinden des Ringes in meiner Hand mithilfe von Geistern zustande bringe – kurz, dass ich wirklich übernatürliche Kräfte besitze. Oder doch?«
»Nee«, meinte Mr. World trocken, »das weniger.«
»Nun gut. Ich kann aber noch ganz andere Sachen. Ich bin nämlich ebenfalls auf Spiritismus, und was damit zusammenhängt, eingerichtet. Das heißt, ich kann auch auf spiritualistischem Gebiet die wunderbarsten Erscheinungen hervorrufen. Aber es ist alles nur Taschenspielerei. Wenn man solch eine Gabe besitzt und sie zur Vollkommenheit ausbildet, und man ist kein redlicher Charakter, so kann solch eine Gabe unter der Menschheit großes Unglück anrichten. Die Herren verstehen wohl, was ich damit meine. Ich könnte behaupten, ein Medium zu sein. Rufen Sie die Ungläubigen zusammen, ich will sie überzeugen, dass es Dinge zwischen Himmel und Erde gibt, von denen sich unsere Schulweisheit nichts träumen lässt. Lassen Sie die berühmtesten Physiker kommen, die schärfsten Beobachter und Denker, sie sollen mich binden und knebeln und mich mit all ihren Messapparaten umgeben – und ich will ihnen dennoch Dinge vormachen, dass ihnen die Haare zu Berge stehen und sie dann vor aller Welt verkünden: Bei Gott, jetzt glauben auch wir! Es ist kein leerer Wahn! Ich aber lache die Dummköpfe aus, denn es war doch alles nur Taschenspielerei. Genug davon! Ich will mit dem Spiritismus nichts zu tun haben. Ich trete auch nicht als Anti-Spiritist auf. Die Spiritisten sind keine so üblen Leute, ich möchte es mit ihnen nicht verderben. Jeder mag in seinem Glauben glücklich sein. Ich habe auch noch einen anderen Grund, meine Fähigkeiten nicht öffentlich zu zeigen. Es ist nicht gut, die Menschheit auf ein Mittel, ein lächerlich einfaches Mittel, durch welches man die wunderbarsten Erscheinungen erzeugen kann, aufmerksam zu machen. Also genug davon. Was ich Ihnen jetzt …«
»Bitte«, unterbrach der Journalist den Sprecher, »darf man nicht erfahren, wie und wo Sie sich diese Fähigkeiten und Geheimnisse angeeignet haben? Sie müssen doch einen Lehrer gehabt haben?«
»Allerdings. Und hierüber, will ich wenigstens etwas den Schleier lüften. Zu diesen taschenspielerischen Fertigkeiten habe ich allerdings immer Talent besessen, aber in solcher Weise ausgebildet habe ich sie erst während einer achtjährigen Gefangenschaft.«
Ah, das war ja interessant!
»Weswegen verbüßten Sie die Gefangenschaft?«
»Nicht wegen eines Vergehens, sondern weil ich im Besitz eines Geheimnisses war, welches man mir erpressen wollte.«
»Was für ein Geheimnis?«
»Dieses Geheimnis bleibt mein Geheimnis.«
»Erpresste man Ihnen das Geheimnis?«
»Nein. Nach acht Jahren brach ich aus.«
»Wann war das?«
»Sage ich nicht.«
»Wo wurden Sie gefangen gehalten?«
»In Asien.«
»Ah, in Indien! Sie haben die Gauklerkünste von indischen Fakirs gelernt!«
»Denken Sie, was Sie wollen. Ich wurde auf Befehl eines asiatischen Machthabers acht Jahre gefangen gehalten, mit noch anderen zusammen, von diesen lernte ich die Gaukelei – mehr sage ich nicht hierüber. Also der Zweck, zu welchem ich eine Billardkugel forderte. Ich will Nobody heißen und will ein Niemand bleiben. Aber ich bedarf einer Legitimation. Mit dieser Elfenbeinkugel werde ich etwas ausführen, was mir kein einziger Mensch auf der Erde nachmacht, und das soll meine Legitimation sein.«
Der Kellner brachte die Billardkugel, der Hotelier versicherte sich, ob sie aus dem von ihm bezeichneten Kasten genommen sei.
»Es ist ein ganz neuer Satz, noch niemals damit gespielt worden«, sagte er, als Nobody den geäderten Elfenbeinball aufmerksam betrachtete.
»Es ist Elfenbein von einem afrikanischen Elefanten, welcher das Beste liefert. Nun, meine Herren«, fuhr er fort, als sich der Kellner wieder entfernt hatte, »es ist wohl nicht nötig, dass Sie diese tadellose Billardkugel erst einer Prüfung unterziehen, und Sie glauben doch nicht etwa, dass unser Hotelier hier mit mir unter einer Decke steckt und die Kugel etwa erst präpariert hätte. Außerdem führe ich das Experiment mit jeder anderen Billardkugel aus, die Sie mir geben, und das immer wieder. So passen Sie denn auf.«
Er nahm die Billardkugel in die linke Hand, ballte die rechte zur Faust, so bewegte er die ausgestreckten Arme mehrmals auf und ab, er tat, als wolle er fliegen. Dabei sah man, wie unter dem Hemd seine Brust immer mehr und mehr schwoll, bis er plötzlich mit der rechten Faust in die linke Hand auf die Billardkugel schlug – aber nun wie er schlug! – es war ein schmetternder Blitz – eine weiße Materie spritzte in dem Zimmer umher – und verschwunden war die Billardkugel – sie war zersplittert, zu Staub zermalmt!
»Da – das ist Mister Nobodys Legitimation – und es gibt auf der ganzen Erde keinen Menschen, der mir das nachmacht.«