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Die wunderbare und merkwürdige Geschichte vom Zauberer Virgilius … Teil 3

Oskar Ludwig Bernhard Wolff
Die wunderbare und merkwürdige Geschichte vom Zauberer Virgilius,
seinem Leben, seinen Taten und seinem Ende
Volksbücher Nr.46, Verlag Otto Wigand, Leipzig

Wie Virgilius von Toledo fort und nach Rom zog

Die Mutter des Virgilius war mittlerweile alt geworden und hatte ihr Gehör verloren. Sie rief daher einen ihrer Diener zu sich und sagte zu ihm: »Du musst nach Toledo und Virgilius, meinem Sohn, sagen, dass er komme und seine Erbschaft in und außerhalb Rom antrete und die Schule aufgebe, denn von Rechtswegen sollte er einer der Ersten in Rom sein.

Der Diener reiste nun sogleich ab und ging nach Toledo, wo Virgilius war. Als er dort ankam, fand er ihn, wie er die größten Herrn jenes Landes und anderer Länder auch lehrte und unterwies, denn er war ein kluger und Weiser Jüngling und weit erfahrener in der schwarzen Kunst als sonst irgendjemand auf Erden. Der Diener begrüßte Virgilius und meldete ihm, weshalb seine, des Virgilius Mutter, ihn gesandt hatte. Als dieser nun ver­nahm, wie die Sachen standen daheim, war er sehr betrübt, nicht um des Geldes und Gutes, sondern um seiner Mutter willen, denn an zeitlichen Gütern fehlte es ihm nicht. Er belohnte den Boten und sandte seiner Mutter drei mit Geld beladene Saumtiere und vielen kostbaren Schmuck, dabei auch ein weißes Ross. Damit nahm der Diener Abschied von ihm und zog wieder gen Rom.

Virgilius aber verweilte noch in Toledo und überlegte, wie er am besten seine Schätze gen Rom senden und dann nachfolgen könne. Als er nun dieses angeordnet und in das Werk gesetzt hatte, nahm er seinen Abschied, reiste von Toledo nach Rom und hatte viele von seinen Schülern in seinem Gefolge. Als er nach Rom gekommen war, begrüßte er seine Mutter und sie ihn, denn sie freute sich über seine Ankunft umso mehr, als sie ihn seit zwölf Jahren nicht mit leiblichen Augen ge­sehen hatte.

Wie Virgilius zu Rom beim Kaiser Klage erhob

Als Virgilius in Rom eintraf, empfingen ihn seine armen Verwandten mit großer Verehrung, aber seine reichen Verwandten taten das nicht, sondern weigerten sich, ihm seine Ländereien, so sie sich angemaßt hatten, wieder herauszugeben. Deshalb war er ihnen auch nicht willkommen, sondern sie zürnten über seine Ankunft und wollten mit ihm weder essen noch trinken. Darüber ergrimmte Virgilius sehr und schenkte seinen armen Verwandten, so seiner Mutter nichts vorenthalten, Ländereien, Pferde, Rüstungen, Gold und Silber und andere Dinge. Seinen Nachbarn aber dankte er auf das Beste für die Freundlichkeit, die sie seiner Mutter während seiner Abwesenheit erzeigt hatten. Darauf blieb er so lange ruhig bei seiner Mutter, bis er vernahm, dass der Kaiser eine neue Abgabe oder Steuer auferlegte. Alle Herren, die Län­dereien von dem Kaiser hatten, begaben sich nun zu dem­selben, und solches tat auch Virgilius mit seinem ganzen Gefolge von Verwandten und Freunden. Als er nun zu ihm kam, begrüßte er ihn und wies ihm nach, was sein Erbe sei an Gebäuden und Ländereien, und wer diejenigen wären, die es ihm vorenthielten, worauf er bat, dass es ihm möge wiedergegeben werden. Der Kaiser antwortete, er wolle es in Erwägung ziehen und überlegte es alsbald im Rat mit denen, die dem Virgilius abhold waren. Diese gaben ihm zur Antwort: »Die Ländereien sind wohl verteilt unter diejenigen, welche sie zurzeit innehaben; denn sie können Euch wohl unterstützen, wenn Ihr dessen bedürftig seid. Was braucht Ihr Euch um die Erbschaft eines Schulmeisters zu kümmern. Sagt ihm, er solle wohl Acht auf seine Schule geben, denn er habe kein Recht auf Land hier in oder um die Stadt Rom, jedenfalls aber müsse er sich noch vier oder fünf Jahre gedulden, bis untersucht und ermittelt worden, wer der rechtmäßige Erbe sei.«

Diese Antwort wurde dem Virgilius wieder kundgetan und erregte großen Zorn in ihm. Er schwor, dass er sich rächen würde. Als er nun zu seinem Haus zurückgekehrt war, ließ er alle seine armen Verwandten und Freunde holen, brachte sie in den Palästen und Häusern, die er in Rom besaß, unter, versorgte sie mit Speisen und Getränk und bat sie, lustig zu leben bis zum Julimonat, wo Korn und Früchte reif sind. Da es nun reif war, ließ er durch Zauberkunst alles Getreide und alle Früchte, die auf den Feldern wuchsen, welche seine Feinde ihm vorenthielten, ernten und lesen und in seine Häuser und Scheuern schaffen, sodass jene nichts davon bekamen, um die Ernte und Obstlese kamen und weiter nichts davon hatten als das leere Nachsehen. Sie brachten daher ein großes Heer auf, so groß, dass der Kaiser, als es versammelt war, vor Furcht aus Rom floh, denn es waren zwölf Senatoren, denen alles gehorchte. Virgilius wäre mit Recht einer dieser Zwölf gewesen, hätte man ihn und seine Mutter nicht um ihr Erbe betrogen. Sie hatten es darauf abgesehen, Virgilius in seinem Palast zu überfallen und zu töten, aber er befestigte durch schwarze Kunst sein ganzes Besitztum dermaßen, dass keine lebende Kreatur wider seinen Willen und Erlaubnis hineinkonnte.

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