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James Bond: GOLDENEYE

John Gardner
James Bond: GOLDENEYE

Thriller, Adventure, Paperback, Cross Cult Entertainment, 3. Juni 2024, sw, 368 Seiten, 18,00 EUR, ISBN: ‎ 9783986664534, Übersetzung: Johannes Neubert

Russland, Mitte der 1990er Jahre: Längst liegt das, einst vom früheren US-Präsidenten Ronald Reagan deklarierte Reich des Bösen in Trümmern; mancherorts wortwörtlich, rotten Statuen und Abbilder der großen Kommunisten und Diktatoren in aufgegebenen Parks und auf Schrottplätzen. Wenige Jahre nach dem Zerfall der Sowjetunion und dem Ende des Kalten Krieges dominiert der Kapitalismus auf den Straßen Moskaus und Sankt Petersburgs. Schwarzmärkte florieren ebenso wie organisierte Banden, die häufig aus den Hinterlassenschaften der UdSSR Kapital schlagen. Ein besonderer Coup glückt der mafiösen Janus-Organisation, deren Verbindungen bis zum Kreml reichen: Gewissenlos bringt man den mit einem nuklearen Sprengsatz versehenen Satelliten GOLDENEYE in den eigenen Besitz, löst mittels einer Explosion über Sibirien eine Katastrophe aus und verwischt parallel die eigenen Spuren. Jedoch übersehen der schmierige General Ourumow und die sadistische Pilotin Xenia Onatopp eine Computerspezialistin namens Natalya Semjonowa, die den Massenmord überlebt, fortan vor den Janus-Schergen auf der Flucht ist und dabei nicht die Vergeltung für die brutalen Morde ihrer einstigen Kollegen und Freunde vergessen hat.

Parallel im Londoner Hauptquartier des britischen Geheimdienstes MI6 verfolgen Stabschef Bill Tanner und die neue Leiterin M das Inferno, ausgelöst durch einen elektromagnetischen Impuls in der Atmosphäre – ratlos, entsetzt. Weniger die dritte anwesende Person, die kürzlich Onatopps Fährte gefolgt war, die in Monaco vor den Augen des Militärs dreist einen hochmodernen Tiger-Hubschrauber mopste. Teil des Plans, der in Sibirien mündete: James Bond. Logisch, dass der Doppelnull-Agent auf Janus und dessen Hintermänner und -frauen angesetzt wird, zumal der Gegner mit einem zweiten, bislang unbekannten GOLDENEYE-Satelliten ein Unglück von biblischen Ausmaßen plant; ersonnen von einem alten Bekannten: Alec Trevelyan, Bonds einstigem Freund und Mitstreiter und seit über einem Jahrzehnt für tot geglaubt.

Sechs Jahre. Sechs lange Jahre. Nie zuvor war eine Zeitspanne zwischen zwei Bond-Filmen größer. Eigentlich stand Timothy Daltons dritter Auftritt nach Lizenz zum Töten (1989) fest, als diverse Rechtsprobleme zwischen Vertrieb und Produktion alles immer weiter und weiter verschoben, bis Dalton die Laune verflogen war. Auftritt Pierce Brosnan: Bereits 1985 wollte Bond-Produzent Cubby Brokkoli den feschen Iren als 007, doch war Brosnan seinerseits vertraglich an die TV-Serie Remington Steele gebunden. Keine Chance. Ein Jahrzehnt später schloss sich endlich der Kreis, der zudem eine neue Ära einläutete – für das Franchise und die politische Welt. Der Kalte Krieg war Geschichte, das Gespinst des Kommunismus vorerst gebannt … Wozu eigentlich noch Geheimagenten wie Bond? Die Gegenüberstellung alter Veteran versus neue Welt ist eines der zentralen Themen der Geschichte; ein Motiv, das in den Folgejahren regelmäßig Aktualisierungen erfuhr (zuletzt 2012 in Skyfall) und dem Plot zusätzliche Würze verleiht. Wie bereits bei der Novelisierung von Lizenz zum Töten betreute man abermals den damaligen Bond-Stammautoren John Gardner für den Roman zum Film. Eine dröge 1:1-Nacherzählung ist GOLDENEYE (benannt nach dem jamaikanischen Domizil des Bondschöpfers Ian Fleming) erwartungsgemäß nicht, wenngleich Gardner bisweilen – und weil ihm womöglich nicht die finale Drehbuchfassung vorlag – komplette Passagen abänderte. Besonders prominent fällt da der legendäre Bungeesprung der Vortitel-Sequenz ins Auge, die im Buch leicht unspektakulärer ausfällt, dessen Einleitung dafür umso brutaler. Gardner ist trotz des Spektakels um Realismus bestrebt, er füllt die leeren Stellen, das Dazwischen der Filmabschnitte mit Erläuterungen und Ergänzungen, gönnt Bond, den Gegenspielern und Mitstreitern Raum zum Atmen und Entfalten, ohne den Einsatz zur Temposteigerung zu verpassen. Oft zieht Bond wie ein verirrter Junge durch diese sogenannte schöne neue Welt; bestrebt, mitzuhalten und an die Weggefährten von einst zu erinnern. Das macht Bond menschlich und nahbar, man versteht dessen Motivationen. Wie Fleming legt Gardner ebenfalls höchsten Wert darauf, Orte plastisch und lebensnah zu schildern; ein verständliches No-Go bei einem Actionfilm. Bonds Reise ins Herz des neuen Russlands ist aber auch Gardners Konfrontation mit dieser, und wenn Bond den einen oder anderen Gedankengang, eine Aussage oder gar Bonmot äußert, ist er das Sprachrohr des Verfassers, dessen Überlegungen fast drei Jahrzehnte später Weitblick und teils erschreckende Aktualität aufweisen. Apropos Dialoge. Die waren womöglich Gardners schwerster Aufgabenbereich. Ein Filmdialog ist kein Buchdialog und umgekehrt. Dementsprechend glättete und literarisierte Gardner sie höchst erfolgreich und effektiv.

Möglich, dass man den Film nach dem Beendigung des wesentlich detaillierteren Romans mit anderen Augen sieht oder Film und Buch sogar voneinander trennt. Ein kurzweiliger, spannender Roman bleibt GOLDENEYE auf alle Fälle.

(tsch)

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