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Carrier, der Erzteufel – Teil 17

Carrier, der Erzteufel, in eine Menschenhaut eingenäht, der in wenigen Monaten in der französischen Stadt Nantes mehr als fünfzehntausend Menschen von jedem Alter und Geschlecht erwürgen, ersäufen, erschießen, martern und guillotinieren ließ, ein blutdürstiges Ungeheuer und höllischer Mordbrenner
Zur Warnung vor blutigen Revolutionen
Von Dr. F. W. Pikant (Friedrich Wilhelm Bruckbräu)
Verlag der J. Lutzenbergerschen Buchhandlung, Altötting, 1860

Rettung

Als Vernet in den Strom gesprungen war, um den versinkenden Margot zu retten, tauchte er in dem Augenblicke unter, als die Kugeln der drei Schützen ihn verfehlten, die deshalb glaubten, ihn getroffen zu haben. Mit der linken Hand Margot am Rockkragen haltend, schwamm er möglichst nahe unter dem weit in das Wasser vorragenden Ufergebüsch, um nicht gesehen zu werden, und erreichte die Fischerhütte des Thouvin, der, mit seinem Bruder fortwährend auf der Lauer stehend, sie empfing und bis in die späte dunkle Nacht verbarg. Dann führte Thouvin und sein Bruder, entschlossen, nicht mehr zurückzukehren, Margot, Vernet und Frau Armaran in ihrem Nachen zu den Vendeern, von denen sie bestens aufgenommen wurden. Eugenie war Lamberty, um eine Straßenecke biegend, durch ein Durchhaus entsprungen und in das gegenüberliegende Lagerpestspital geeilt, wo sie als barmherzige Schwester sogleich eingelassen wurde.

In einer finsteren Nacht, vor der zehnten Stunde, bekam Sarot durch Vorzeigen von Carriers Vollmacht Einlass in dieses Spital und erklärte dem Oberwundarzt, dass er von Carrier beauftragt sei, den Engel von Nantes abzuholen und zu ihm zu bringen. Damit aber Eugenie freiwillig und ohne Aufsehen ihm folge, wolle er zuvor mit ihr sprechen und ihr vorspiegeln, dass er gekommen sei, um sie, fern von Carrier, in Sicherheit zu bringen.

Der Oberarzt schüttelte zweifelnd den Kopf.

»Jedenfalls musst du mir Carriers Vollmacht zurücklassen, Sarot; ich könnte mich sonst nicht ausweisen.«

»Recht gern; auf dem Weg zu Carrier brauche ich sie ohnehin nicht; da wird mir niemand etwas in den Weg legen.«

Er gab ihm die Vollmacht.

Als Eugenie Sarot mit heiterer Miene in ihr Zimmer eintreten sah und seinen Antrag ver­nahm, wusste sie nicht, was sie davon halten sollte. Der Oberarzt horchte an der Tür; plötzlich wurde er von einer lauten Stimme dringend abberufen. Diesen Augenblick benutzte Sarot, um ihr leise zu sagen, dass ihr Vater und Vernet leben und bei den Vendeern seien. Zugleich ermahnte er sie, keine laute Zeichen der Freude hierüber zu geben. Er fand auch noch Zeit, ihr mitzuteilen, was er mit dem Oberarzt gesprochen habe, welcher der Meinung sei, er werde sie zu Carrier bringen.

Eugenik warf ihren Mantel um, und setzte eben ihren Hut au?, als der Oberarzt eintrat.

»Leb wohl, Bürger Fleury«, sagte sie, ihm die Hand reichend, »auf Wiedersehen!«

Er begleitete sie bis zum Tor des Spitals.

Kaum waren Eugenik und Sarot zehn Schritte weit gegangen, als Hauptmann Grenil an der Spitze einer Patrouille von 6 Mann ihnen mit dem Ruf »Halt, wer da?« entgegentrat.

Ein Gefreiter trat mit einer Blendlaterne vor und leuchtete beiden ins Gesicht. Eugenie hatte ihren Hut tief über die Augen gedrückt.

»Ah, Sarot! Wer ist diese Person?«

»Tritt näher, Hauptmann Grenil, ich sage dir …!«

Grenil trat zu Sarot und flüsterte ihm ins Ohr: »Das ist der neue Bataillonschef mit den 50.000 Livres in der Tasche, der den Vernet gefangen hat.«

Grenil war ganz bestürzt.

»Wie meinst du dies?«, fragte er.

Sarot erzählte ihm nun alles, nebst dem von Carrier erhaltenen Auftrag, Grenil sogleich umbringen zu lassen, sobald dieser ihm Vernet lebendig oder tot bringe.

»Ich will diesen verräterischen Tiger ermorden«, erwiderte Grenil wütend.

»Lamberty ist unser böser Geist. Bis morgen können wir beide verhaftet und hingerichtet sein.«

»Was ist zu tun, um uns zu retten?«, fragte Grenil.

»Wir müssen eilig fliehen!«, antwortete Sarot.

»Aber wie? Wohin?«

»Alles ist bereit. In 20 Schritten sind wir auf dem Schiff, das die Stadtgemeinde dem Carrier zur Verfügung gestellt hat. Die 4 Ruderer auf demselben sind meine Verbündeten. Schick die Patrouille fort! In 5 Minuten kann es zu spät sein, uns zu retten!«

Man hörte in der Ferne Kanonendonner.

»Hörst du Grenil? Gleich wird es hier lebendig werden. Schnell! Schnell!«

Grenil schickte die Patrouille in die Kaserne. Die drei Flüchtlinge eilten dem Schiff zu.

Da rannte ihnen Lamberty mit geschwungenem Säbel entgegen, im Widerschein der eben aufgezoge­nen Schiffslaterne Grenil und Sarot erkennend, Eugenie vermutend.

»Ha, Verräter!«, rief er, und drang auf Grenil ein. Dieser parierte seinen Hieb und spaltete ihm die Hälfte des Halses, sodass er lautlos zu Boden stürzte.

Die drei Geretteten bestiegen das Schiff, das nach ausgelöschter Laterne ohne Säumen seine Fahrt begann und das ersehnte Ziel glücklich erreichte. Die Seligkeit des Wiedersehens in der Freiheit, Margot, seine Tochter Eugenie, Vernet, jetzt Marquis von Armaran und dessen Mutter, lässt sich gar nicht schildern. Alle diese schifften sich nach England ein und nahmen Grenil, Sarot und die beiden Thouvin nebst den 4 Ruderern mit, die das Schiff mit Eugenie und ihren zwei Begleitern glücklich in die Vendee gebracht hatten.

Ein Brief von Margots Gemahlin meldete ihm, dass sein Schwager, der Herzog von Portland, ihr ein prächtiges und äußerst einträgliches Landgut geschenkt hatte, bei dem Sarot als Oberaufseher, der ältere Thou­vin als Gondelführer und Fischer, der jüngere Thouvin als Schlossgärtner, und die 4 Ruderer als ihre Ge­hilfen angestellt wurden. Die Trauung Vernets, des jungen Marquis von Armaran, der nach dem Ende der Revolution und des französischen Kaiserrei­ches, ebenso wie Margot, eine halbe Million Livres Entschädigung für seine großen Besitzungen in Frank­reich erhielt, mit dem wunderschönen Engel von Nantes, wurde auf diesem Landgut mit großer Pracht gefeiert. Grenil trat mit gleichem Rang in das englische Heer.

Carrier hatte inzwischen mit höllischer Tätigkeit seine schrecklichen Befehle vollziehen lassen. Das mensch­liche Herz bebt bei der Erinnerung an die Gräuelszenen zurück, die damals in Nantes verübt wurden. Da täglich eine Menge neuer Rekruten der Republik herbeiströmten, so befahl er, dass sie im Schießen geübt werden sollten, und erlaubte zu diesem Zweck wieder die Metzeleien in den Steinbrüchen von Gigan, wo täglich mehr als fünfhundert Gefangene erschossen und die nur Verwundeten auf eine grässliche Weise dann unter ausersonnenen Martern verstümmelt wurden.

Carriers Wüten vertilgte in der Zeit von einem Monat mehr als fünfzehntausend Menschen; die Ufer der Loire bis zur Einmündung in das Meer waren mit Leichen bedeckt und das Wasser des Flusses so verdorben, dass ein eigenes Verbot erlassen wurde, es zu trinken. Eines Tages wollten sich gegen 200 Gefangene, die man in die Loire warf, durch das Erklimmen der Ufer retten; man hieb ihnen aber die an das Land geklammerten Hände ab, wodurch sie ins Wasser zurückstürzten und verblutend ertranken.

Zu diesen Schrecknissen gesellten sich Hungersnot und ansteckende Seuchen in der Stadt; der Tyrann Carrier zog Hunderttausende von den gewissenlosen Lieferanten der Armee, die an den nötigsten Bedürf­nissen des Lebens Mangel litt. Nur durch diese Lieferanten konnte es dem wackeren Wirt in der Weinkneipe Zum ewigen Rausch gelingen, hinreichend Proviant fortwährend für seine unterirdischen Schütz­linge zu erhalten, die erst wieder nach dem Abzug Carriers und seiner Höllenbande, 73 an der Zahl, Greise, Männer, Frauen, darunter auch Frau Arial und Frau Vidot, und Kinder, an das lang vermisste Licht des Tages kamen.

Carrier saß wieder im Nationalkonvent, wo er sich zahlreiche Feinde machte, was auch in den Zei­tungen stand, die nach England kamen. Diese Gele­genheit benutzte Sarot, dem furchtbaren Präsidenten des Nationalkonvents, Robespierre, die beiden, von Carrier erhaltenen Verzeichnisse jener Personen zu schicken, die ohne Verhör umgebracht wer­den sollten. Carrier wurde verhaftet und nach 2 Mona­ten, während welcher ähnliche Anklagen von allen Seiten in Menge eintrafen, am 16. Dezember 1794, also vor dem Schluss des nächsten Jahres, wie ihm Eugenie prophezeit hatte, guillotiniert. Er starb mit Standhaftigkeit, bis zum letzten Augenblick seine Unschuld beteuernd, da er nur die vom Nationalkonvent erhaltenen Befehle vollzogen habe.

Die ganze blutige Tyrannei der ersten französischen Revolution stürzte zusammen, als die scheußlichen Mitglieder des Nationalkonvents selbst einander hatten hinrichten lassen, und zuletzt Robespierre mit 22 seiner mitschuldigen Mordgenossen, unter denen sich auch sein Bruder befand, am 28. Juli 1796 durch das Henkerbeil der Guillotine von der Erde war vertilgt worden.

Dies ist die Geschichte des höllischen Teufels Carrier!

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