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Carrier, der Erzteufel – Teil 15

Carrier, der Erzteufel, in eine Menschenhaut eingenäht, der in wenigen Monaten in der französischen Stadt Nantes mehr als fünfzehntausend Menschen von jedem Alter und Geschlecht erwürgen, ersäufen, erschießen, martern und guillotinieren ließ, ein blutdürstiges Ungeheuer und höllischer Mordbrenner
Zur Warnung vor blutigen Revolutionen
Von Dr. F. W. Pikant (Friedrich Wilhelm Bruckbräu)
Verlag der J. Lutzenbergerschen Buchhandlung, Altötting, 1860

Carrier ist da!

Der 8. Oktober 1793 brachte einen sonnenhellen freundlichen Herbstmorgen. Die Brücke über die Loire hatte niedere Geländer und steile, mit dichten Gebüschen bewachsene Ufer. Aus der Richtung der rechten Seite hörte man den Parademarsch einer Regimentsmusik. An der linken Seite der Brücke, vor derselben, stand Hauptmann Grenil mit einer Kompanie Soldaten. Volk auf allen Seiten, in banger Erwartung.

Carrier, genauso aussehend, wie ihn Richard geschildert hatte, und Fouquet, der Präsident des Revolutionstribunals in Nantes, traten von der rechten Seite heran.

Grenil kommandierte: »Schultert das Gewehr! Präsentiert das Gewehr!«

Carrier trug einen runden Hut, ein weißes Hals­tuch, einen Überrock von dunkler Farbe, bis an den Hals zugeknöpft, eine blutrote Schärpe, in welcher zwei Pistolen und ein Dolch steckten, von der rechten zur linken Schulter ein Wehrgehänge und daran einen leichten, etwas gekrümmten Säbel. Sowie er die Soldaten erblickte, winkte er ab.

Carrier blieb stehen, und schaute zurück.

»Sind dies die Gefangenen alle?«

»Ja, Bürger Carrier«, antwortete Fouquet, »Das ist ja wahrhaftig nur eine Handvoll Leute. Ich will nicht hoffen, Bürger Fouquet, dass eine pflichtwidrige Nachsicht von deiner Seite die Schuld daran trage.«

»Ich darf mich rühmen, im Dienste der Republik unermüdlich zu sein.«

»Und was soll jetzt mit diesen Elenden geschehen?«

»Mit Ausnahme von 187, welche vorgezogen haben, in den Steinbrüchen von Gigan erschossen zu werden, sind die Übrigen bestimmt, unter der Guil­lotine zu sterben, sobald du es befiehlst, Bürger Carrier.«

»Dies wäre ja eine unverantwortliche Zeitver­schwendung,« entgegnete Carrier auffahrend, »und das Blei an die Köpfe dieser Kanaillen wegzuwerfen, halte ich für einen Raub an den Einkünften der Re­publik. Das Blei brauchen wir gegen die Feinde, die über den Rhein heranströmen, und gegen die rebel­lischen Vendeer.«

Er ging mit verschränkten Armen nachsinnend auf die Brücke und betrachtete den Lauf der Loire.

»Wie steht es mit dem Handel von Nantes auf der Loire?«

»Sehr schlecht«, antwortete Fouquet,; »es wer­den oft in einem ganzen Monat nicht 20 Ballen versendet.«

»Desto besser,« sagte Carrier wild lächelnd, »so störe ich die Schifffahrt mit meinem neuen Plan nicht. Künftig sollen die Verurteilten nur gebunden und in die Loire geworfen werden, damit ihre Leichen weithin und selbst noch den Schiffen auf dem Meer verkün­den, dass die Republik ihre Freiheit auch zu Wasser zu behaupten wisse. Das Nähere hierüber werde ich in einem eigenen Mandat bestimmen. Bis dahin kön­nen jene gefangenen Bestien wieder in ihre Zwinglöcher gebracht werden.«

In diesem Augenblick sprengte Lamberty herbei, stieg vom Pferd und sprach heimlich mit Carrier, der aufmerksam auf die geheime Meldung horchte. Bisweilen zuckte eine wilde Lust über seine Lippen oder ein kurzes, grässliches Lächeln entstellte sein Ge­sicht. Vernet betrachtete beide aufmerksam.

»Sergeant Vernet!«, rief Carrier.

Vernet trat unerschrocken vor Carrier hin.

Mit scheinbar gleichgültigem Blicke fragte ihn dieser: »Du hast dich wacker gegen die Vendeer gehalten, wie ich höre?«

»Ich habe nur so viel getan, wie jeder andere – meine Pflicht«, erwiderte Vernet.

»Sehr bescheiden! Kennst du den Vicomte von Margot und dessen Tochter Eugenie?«

»Ja.«

»Schon lange?«

»Seit jenem Tag, da Margots Schloss geplün­dert und verbrannt wurde.«

»Ist es wahr, dass du damals dem Vater und der Tochter das Leben gerettet und selbst mehrere deiner Kameraden verwundet hast, welche diese Feinde der Republik töten wollten?«

»Ja. Die Republik sendet ihre Soldaten gegen bewaffnete Feinde und nicht als Mörder alter Män­ner, Frauen und Mädchen. Sind diese in der Tat Feinde der Republik, so bestehen Tribunale, sie zu richten. Der Nationalkonvent hat bei Todesstrafe verboten, solche Leute ungerichtet zu töten.«

»Gut. Warum hast du sie aber nicht dem Tri­bunal überliefert?«

»Ich hatte kein Recht dazu; ein Hauptmann kommandierte das Streifkorps.«

»Ganz in der Ordnung. Hast du den Alten und die Tochter nicht aus dem Magazin durch einen geheimen Gang entfliehen lassen?«

»Nein! Als ich die Namen verlas und beide vermisste, suchte ich sie überall, aber ohne sie zu finden. Ich weiß nicht, ob sie noch dort sind, oder auf welche Weise sie flohen; der Generalmarsch hinderte mich, länger zu verweilen.«

»Ist Eugenie, die Tochter des alten Margot, deine Geliebte?«

»Nein.«

»Desto besser; ich kann sie also, ohne Besorgnis, dich zu kränken, von heute an zu meiner Gesellschaf­terin machen.«

Carrier gab nun dem seitwärts stehenden Lamberty ein Zeichen, der rasch fortging. Carrier trat wieder auf die Brücke und schaute mit einem Taschenfernrohr gegen Nantes stromaufwärts.

»Man hat mir die Bevölkerung von Nantes so hoch angeschlagen,« sagte er, »dass ich wenigstens drei Viertteile unter jenen dort vermisse, die mir entgegengegangen sind. Ich werde morgen eine genaue Zahlung vornehmen lassen, welche die nun Fehlenden für Nantes überflüssig machen soll.«

Das anwesende Volk zeigte Gebärden des Schre­ckens; Carrier verließ wieder die Brücke.

Nun erschien Lamberty, ein Profoss und vier Soldaten, in ihrer Mitte Vicomte von Margot und an seiner linken Seite Eugenie, die einen Blick des tiefsten Schmerzes auf Vernet warf, welcher erschüt­tert nach Fassung rang.

»Sieh, Vernet«, sagte Carrier, »hättest du mir gestanden, dass du Eugenie liebst, so würde ich deinen Versuch, sie und ihren Vater zu retten, durch deine Liebe für entschuldigt halten, und in Erwägung der großen Verdienste Eugenies als Pflegerin der kranken Verteidiger der Republik, nicht bloß das Verbrechen verziehen, sondern selbst meine Einwilligung zu eurer Verbindung erteilt und den Alten da begna­digt haben. Nun aber gestaltet sich die Sache ganz anders. Du stehst als ein Verschwörer gegen die Freiheit der Republik vor mir und kannst dich durch keine höheren Gründe des menschlichen Gefühls ver­teidigen; die gewöhnlichen reichen hier nicht aus, sie verdammen dich vielmehr. Des Beispiels wegen muss ich nach aller Strenge des Gesetzes gegen dich verfahren. Du bist des Todes schuldig und musst in vier Stunden sterben, versteht sich, durch die Kugeln deiner Waffenbrüder. Ein so tapferer Soldat, wie du, verdient schon eine besondere Auszeichnung. Man entwaffne ihn!«

Der Profoss nahm Vernet die Waffen ab.

»Bürger Carrier«, rief Eugenie, indem sie ihm zu Füßen stürzte, »ich flehe dich um Erbarmen an für meinen geliebten alten Vater und für den unschuldigen Vernet. Nimm dafür mein eigenes Haupt zum Opfer hin!«

Carrier betrachtete sie mit besonderem Wohlgefallen und erwiderte: »Du bist schön, Eugenie, wahrhaft schön! Du bist nicht bloß der Engel von Nantes, du verdienst der Engel von Frankreich zu heißen. Du musst leben, um die wenigen Freistun­den meiner schweren Berufsgeschäfte mir zu versüßen. Du bleibst bei mir, holdes Mädchen! Lamberty wird dich in meine Wohnung führen. Damit ich aber dein Herz ungeteilt behalte, und von einer großen Sorge befreit bin«, fügte er mit erhobener Stimme, und die Hand zum Strom ausstreckend, bei: »Werft den Alten in die Loire!«

»Heiliger Gott! Mein armer Vater!«, schrie Euge­nie in höchster Angst und schlang ihre Arme um den Hals ihres Vaters. Das war eine Gruppe des allge­meinen Entsetzens. Zwei Gehilfen des Profoss näher­ten sich von hinten dem Vicomte von Margot.

Hauptmann Grenil trat rasch zu Carrier, und sagte halblaut zu ihm: »Um deines Lebens willen, Bürger Carrier, nimm deinen Spruch zurück, wenigstens für jetzt! Wenn du Eugenie aufs Äußerste treibst, erwacht ihr prophetischer Geist, und um dich ist es dann ge­schehen, früher oder später.«

»Ammenmärchen!«, versetzte Carrier lachend.

»Erniedrige dich zu keiner Bitte mehr, mein liebes Kind!«, sagte Margot zu seiner Tochter. »Meine Tage sind gezählt, sie liegen in der Hand der Vor­sehung. Du wärst auf meinen Tod schon gefasst, wie kann er dich jetzt noch überraschen? Lebe, solange es dir noch vergönnt ist, zu leben, deinem selbstgewählten edlen Beruf! Bleib der Tugend treu und stirb deines Vaters würdig! Gerne möchte ich meine Hände segnend auf dein Haupt legen; allein sie sind mit Stricken gebunden; so segne ich dich denn …«

Eugenie sank, die Hände faltend, zu seinen Füßen.

»… mit des Herzens heiligsten Worten: Gott erhalte dich, wie du bist, und das Bild deiner Mut­ter umschwebe dich als dein treuer Schutzgeist! Vater im Himmel, vergib meinen Feinden!«

Carrier rief gebieterisch: »Fort mit ihm!«

Die zwei Gehilfen des Profoss ergriffen Margot.

Eugenie erhob sich, leichenblass, mit starren Augen, gegen Carrier gewendet, sie streckte mit zurückgelehntem Oberleib beide Arme gegen ihn aus und rief ihm zu:

»Vor dem Schluss des nächsten Jahres wird dein verfluchtes Mörderhaupt unter dem Henkerbeil fallen, so wahr Gott im Himmel lebt!«

Dann sank sie an die Brust ihres Vaters.

Allgemeine Bestürzung!

Erbebend, aber schnell gefasst, rief Carrier: »Hinab mit ihm! Zum letzten Mal befehle ich es!«

Der Profoss riss Eugenie von ihrem Vater los, den die zwei Gehilfen ergriffen und auf die Brücke schleppten.

»Leb ewig wohl, liebe Tochter!«, rief ihr Mar­got noch zu. »Bete für mich! Gott sei mit dir!«

Die zwei Gehilfen warfen Margot über das Geländer der Brücke hinab und kehrten dann zurück.

»Jetzt, kühner Vernet«, sagte zu diesem Carrier mit teuflischem Hohngelächter, »jetzt führe den alten Hund zu den Vendeern.«

Blitzschnell entriss Vernet dem nächsten Soldaten die Muskete, stürzte mit gefälltem Bajonett auf die Brücke, schleuderte das Gewehr von sich und sprang mit den Worten »Ja, Tyrann, so Gott will!« über das Geländer in den Strom hinunter.

»Schützen vor!«, brüllte Carrier wütend.

Drei Schützen von der Kompanie eilten auf die Brücke und schlugen stromabwärts an. Lamberty rannte ihnen nach und blieb beobachtend hinter ihnen stehen.

Carrier kommandierte: »Feuer!«

Die drei Schützen gaben Feuer.

Lamberty rief von der Brücke herab: »Getroffen! … Vernet sinkt unter!«

Eugenie fiel mit einem durchdringenden Schrei ohnmächtig zu Boden.

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