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Die wunderbare und merkwürdige Geschichte vom Zauberer Virgilius … Teil 2

Oskar Ludwig Bernhard Wolff
Die wunderbare und merkwürdige Geschichte vom Zauberer Virgilius,
seinem Leben, seinen Taten und seinem Ende
Volksbücher Nr.46, Verlag Otto Wigand, Leipzig

Wie Virgilius in die Schule ging

Als Virgilius geboren wurde, zitterte und bebte die Stadt Rom. Es war ein kluges und listiges Kind, das deswegen schon früh in die Schule geschickt wurde. Kurz danach starb sein Vater, und seine Mutter wollte nicht wieder heiraten, weil sie ihren Gatten zu innig geliebt hatte. Ihre Verwandten wollten sie aber um ihre Erbschaft bringen und um ihre Besitzungen in Rom und außerhalb, und um eins der stärksten und schönsten Schlösser in der Stadt und deren Umkreis. Sie klagte das dem Kaiser, der ein naher Verwandter ihres verstorbenen Mannes war, allein der Kaiser war ein zorniger Mann und wollte nichts von ihren Klagen hören; auch liebten ihn weder die Edlen noch die Gemeinen. Bald danach starb indessen auch er und sein Sohn. Erbe Persides wurde Kaiser nach seines Vaters Tod und herrschte über alle Lande nach seinem Wohlgefallen so streng und hart, dass alles Volk ihm gram wurde und sich vor ihm fürchtete. Virgilius war während dieser Zeit auf der Schule zu Toledo, wo er fleißig studierte, denn er hatte einen sehr guten Kopf. Eines Tages erhielten die Schüler Erlaubnis auf das Feld zu gehen und dort zu spielen nach Feiertags Weise; mit ihnen war auch Virgilius, der auf den Hügeln in der Nachbarschaft umherstreifte. Da gewahrte er plötzlich eine große Höhle seitwärts in einem Hügel, er ging hinein, und immer weiter, sodass er das Tageslicht nicht mehr sehen konnte. Nun ging er noch tiefer hinein, da wurde es plötzlich wieder hell.

Er ging immer weiter und eine Weile danach­ vernahm er eine Stimme, die ihn rief: »Virgilius! Vir­gilius!«

Er sah sich um, wurde aber niemanden gewahr. Da sprach er und fragte: »Wer ruft mich?«

Darauf hörte er die Stimme wieder, sah aber nichts.

Sie sagte zu ihm: »Siehst du nicht eine kleine Steinplatte neben dir mit einer Schrift darauf?«

»Ja«, sagte Virgilius, »die sehe ich ganz wohl.«

Die Stimme sprach wieder: »Hebe sie auf und lass mich heraus.«

Nun erwiderte Virgilius der Stimme, die unter der Platte hervor zu ihm sprach: »Wer bist du denn, der du so zu mir redest?«

Die Stimme entgegnete: »Ich bin ein Teufel aus dem Leib eines gewissen Menschen beschworen und hierher verbannt bis zum Jüngsten Tag, wenn mich nicht eines Menschen Hand erlöst. Darum bitte ich dich, Virgilius, befreie mich und ich werde dir viele Zauberbücher zeigen und dir sagen, wie du leichtlich dazu kommen könntest, sie verstehen und das darin Enthaltene in Ausübung bringen, sodass dich keiner in Zauberkunst übertreffen soll. Obendrein werde ich dich so unterweisen, dass du alles er­halten könnest, was du wünschest. Ich meine doch, das sei keine geringe Gabe für einen kleinen Dienst, denn du wirst auch durch mich die Macht bekommen, deine Freunde zu unterstützen und deinen Feinden zu schaden.« Dieses große Versprechen verlockte den Virgilius; er sagte zu dem bösen Feind, er solle ihm die Bücher sehen lassen, sodass er sie nach seinem Willen bekommen und benutzen könne. Das tat der Teufel und nun lüftete Virgilius die Steinplatte ein wenig und durch die kleine Öffnung schlüpfte der schlimme Geist wie ein Aal und stand plötzlich vor Virgilius wie ein großer Mann. Darüber erstaunte und ver­wunderte sich dieser sehr, wie ein so großer Mann aus einer so kleinen Höhlung herauskommen könne und sagte zu ihm: »Könntest du auch wieder durch die Öffnung hinein?«

»Jawohl«, sagte der Teufel.

»Ich wette das Beste, was ich habe, du kannst es nicht.«

»Angenommen!«, sagte der Teufel und schlüpfte wieder hinein. Als er aber drinnen war, machte Virgilius die Steinplatte wieder fest zu, und so war der Teufel betrogen und konnte nicht heraus.

Mit furchtbarer Stimme rief er nun dem Virgilius zu: »Was hast du getan!«

Aber Virgilius ließ sich nichts anfechten, sondern antwortete: »Verweile drinnen bis zu dem dir be­stimmten Tag der Erlösung.«

Und der Teufel musste drinnen bleiben. Virgilius aber wurde von Stund an sehr gelehrt und erfahren in der schwarzen Kunst.

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