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Detektiv Nobodys Erlebnisse und Reiseabenteuer Band 1 – Teil 1

Detektiv Nobodys Erlebnisse und Reiseabenteuer
Nach seinen Tagebüchern bearbeitet von Robert Kraft
Band 1
Kapitel 1, Teil 1

Wer ist es?

»Wann laufen wir in den Hafen von New York ein, Herr Kapitän?«

»Diese Nacht, Sir.«

»Können Sie die Zeit nicht genauer bestimmen?«

»Es wird gegen Mitternacht werden.«

»Das passt mir vortrefflich. Danke, Herr Kapitän.«

Der Frager, welcher auch diese letzte Äußerung ge­tan hatte, schlenderte davon. Ehrerbietig blickte der Kapitän, verwundert blickten alle Passagiere der eleganten Gestalt des jungen Mannes nach.

Des jungen Mannes?

»Er ist noch keine zwanzig Jahre alt«, hatte ein amerikanischer Passagier zu seinem Freund gesagt.

»Was sagen Sie?«, rief der andere erstaunt. »Noch keine zwanzig Jahre? I, wo denken Sie denn hin! Der ist mindestens vierzig Jahre alt.«

»Sie sind verrückt! Der ist höchstens achtzehn Jahre alt.«

»Sprechen Sie denn nur wirklich im Ernst?«

»Gewiss, es ist mein völliger Ernst. Ich gehe jede Wette mit ein, dass dieser junge Herr, der sich im Kajütenbuch als Eugen Salden eingetragen hat, jedenfalls ein Deutscher, noch nicht zwanzig Jahre alt ist.«

»Und ich behaupte, dass er die vierzig schon über­schritten hat. Wetten?«

Gut, also wetten! Es ging um den Fahrpreis der ersten Kajüte, um 200 Dollar.

Der eine Yankee näherte sich dem fraglichen Herrn bei Gelegenheit, knüpfte mit ihm ein gleichgültiges Gespräch an … aber merkwürdig, er brächte es nicht fertig, diesen Mr. Salden nach seinem Alter zu fragen. Es war geradezu, als ob dieser es schon wisse, was jener von ihm wolle, und als ob er nicht geneigt sei, sein Alter anzugeben. Sobald der Amerikaner nach einer Einleitung mit seiner Frage herausrücken wollte, blickte Mr. Salden ihn etwas schärfer an, und jenem blieb die Frage förmlich in der Kehle stecken. Er wurde unter dem Blick verlegen, begann schnell von etwas anderem Gleich­gültigen zu sprechen.

»Lächerlich«, sagte der andere, als der Erste unverrichteter Dinge zurückkam, er habe den Herrn nicht nach seinem Alter fragen mögen. »Ich glaube gar, Sie genieren sich.«

Nun ging also der Zweite hin. Aber merkwürdig, auch dieser kam nicht zum Ziel. Mr. Eugen Salden antwortete einsilbig, und als die Frage kommen sollte, blickte er jenen scharf an und ließ ihn verlegen stehen.

Kurz und gut, die beiden Ankers konnten ihre Wette während der ganzen Reise nicht austragen, denn sie brachten es nicht über sich, diesen Herrn nach seinem Alter zu fragen, sie wagten nicht, ihn noch einmal anzusprechen. Aber warum eigentlich nicht, das war und blieb beiden ein Rätsel, und es ist leicht begreiflich, dass sie dann nicht mehr gern darüber sprachen.

»Ich glaube, es ist ein Raubtierbändiger«, sagte der eine nur noch, »er hat einen so eigentümlichen Blick.«

Ja, über diesen eigentümlichen Blick war auch von anderer Seite schon oft gesprochen worden.

»Wenn er seine Augenlider niederschlägt, wie er so oft tut, so ist es, als ob ein zweischneidiges Schwert in die Scheide gesteckt würde.«

So hatte sich eine poetisch veranlagte Dame geäußert.

»Aber Luzy!«, rief entrüstet ihre jüngere Freundin. »Der hat doch die schönsten, sanftesten Augen!«

»Na, ich danke!«, meinte aber nun der alte Vater. »Das ist doch der reine Basiliskenblick!«

Doch nicht nur um seinen Blick ging an Bord des Schnelldampfers der allgemeine Streit.

»Was für edle, männliche Züge!«, hieß es bewundernd auf einer anderen Seite.

»Männlich? Ein richtiges Mädchengesicht!«

Und so stritt man sich über alles und jedes, was an diesem Mann, der sich Eugen Salden nannte, nur zu beobachten war, und nun, am zehnten Tag der Reise, kurz vor New York, war man sich immer noch nicht klar, ob er jung oder alt, ob männlich oder weibisch, ob dick oder dünn, ob kräftig oder zierlich – ja, ob­wohl er sich selbst für einen Deutschen ausgab, kam jemand auf die Ansicht, dass jener trotz seines blonden, schlichten Haares ganz gewiss ein Türke sein müsse.

Zuletzt empfand man denn auch das Humoristische dieser verschiedenen Ansichten, die gar nicht aufhören wollten, man lachte sich gegenseitig aus. Aber während sich alles ausschließlich mit dem rätselhaften Mann be­schäftigte, kümmerte dieser selbst sich um niemanden. Still schritt er auf dem Promenadendeck hin und her, still saß er an der Tafel, nur in seine Teller vertieft, und dennoch beherrschte er durch einen einzigen Blick die ganze Ge­sellschaft. Er brauchte nur einmal aufzusehen, so verstummte alles und erwartete seine Ansprache, obwohl diese nie erfolgte.

Den stärksten Beweis seiner geheimnisvollen Macht hatte Salden aber nun geliefert.

Der Kapitän der PERSEPOLIS war ein Grobsack erster Güte. Wenn er aus Versehen einmal von einem Passagier angeredet wurde, so schnob er ihn grimmig an, und da machte er keinen Unterschied, und wenn es der Prinz von Wales gewesen wäre. Die Hände hätte er doch nicht aus den Hosentaschen genommen, noch weniger die Pfeife aus dem Mund.

Da, als der Kapitän gerade einmal an Deck stand, hatte der vorübergehende Salden an ihn jene Frage ge­stellt, wann das Schiff in den Hafen einlaufen würde, zwar höflich, aber doch auch in bestimmtem Tone

Himmel, solch eine Frage hätte einmal ein anderer Passagier wagen sollen.

»Wenn wir dort sind! Das werden Sie schon noch zeitig genug erfahren! Was geht das Sie überhaupt an, was, he?«

Und was tat der Kapitän nun? Er sah den auf sich gerichteten Blick, diese scharfen, kalten Augen – und schnell riss er die Hände aus den Hosentaschen, die Pfeife aus dem Mund und gab einen höflichen Bescheid.

Aber nicht nur das, der Passagier war mit der Antwort nicht zufrieden, wollte die Zeit noch genauer erfahren – und wahrhaftig, der bärbeißige Kapitän gab ihm auch noch eine genauere Antwort! Und dann wurde er von einem grimmigen Ärger gepackt, über diesen bloody Dutchman und noch mehr über sich selbst – aber nun war es zu spät, und wie er wieder auf die Kommandobrücke ging, konnte er sich selbst nicht begreifen.

Salden begab sich zum Mitteldeck. Dort be­fand sich im Gespräch mit einem anderen Herrn ein dicker, jovialer Mann, welcher gleichfalls erste Kajüte fuhr. Mr. Cunning, London, Tabakagent hatte er sich eingeschrieben. Er war dem Schiffspersonal schon bekannt, hatte bereits mehrmals die PERSEPOLIS benutzt, wenn er wegen seiner Tabakgeschäfte nach Amerika ging.

Den Hut lüftend, trat Salden auf diesen zu.

»Verzeihung. Bitte, mein Herr, würden Sie nicht die Güte haben, mir einmal in meine Kabine zu folgen? Es handelt sich um ein wichtiges Geschäft.«

Dass der so plötzlich mit solch eigentümlichen Worten Angeredete mitten im Satz stockte, war begreiflich.

»Was … was … was … ich … ich … ich kenne Sie ja gar nicht!«

»Salden ist mein Name.«

»Mein Name ist … ist … ist … Cunning, jawohl, James Cunning. Was denn für ein Geschäft?«

»Bitte, wollen Sie mir nicht in meine Kabine folgen, es lässt sich nicht gut hier abwickeln.«

Salden sah ihn fest an – und der Dicke folgte, wie von einer geheimnisvollen Macht getrieben, obwohl er doch zu zögern schien.

Auch Salden hatte eine Einzelsalonkabine. In diese führte er den Herrn und bat ihn, Platz zu nehmen. Mechanisch setzte sich der dicke Herr auf das kleine Sofa, Salden ließ sich ihm gegenüber nieder.

»Ein Geschäft?«

»Mein Herr, ich befinde mich in großer Geld­verlegenheit     …«

»Ja, aber«, unterbrach ihn der andere erstaunt, »wie komme denn ich dazu? Ich kenne Sie doch gar nicht.«

»Salden ist mein Name«, wiederholte jener mit unerschütterlicher Ruhe.

»Sehr angenehm, aber … wie komme ich denn nur dazu?«

»Allerdings handelt es sich um ein Geschäft, um ein sehr günstiges für Sie. Sie sind doch Juwelier oder …«

Als wäre dies eine ungeheure Beleidigung, mit solch ungestümer Hast fuhr der dicke Herr empor, plötzlich purpurrot im Gesicht.

»Juwelier? Ich? Keine Ahnung! Ich bin ein Londoner Tabakagent, ein ganz bekannter Mann, alle Zollbeamten in New York kennen mich, passen Sie auf, wie die vor mir den Hut ziehen werden. Wie kommen Sie denn darauf, dass ich Juwelier sein soll?«

»Ich dachte, weil Sie Ihren dicken Spazierstock mit Diamanten gefüllt haben.«

Ach du großer Schreck! Der dicke Mann knickte zusammen, als hätte er einen Hexenschuss bekommen, und blieb wie ein geprellter Frosch auf dem Sofa liegen.

Es war in der Tat so, obwohl Cunning weder ein Juwelier noch ein Schmuggler von Profession war. Es war dies das erste Mal, dass er Diamanten, überhaupt etwas nach Amerika zu schmuggeln versuchte.

Mr. Cunning war wirklich ein ehrlicher Tabakhändler, hatte schon viel des hochbesteuerten Krautes von Amerika herüber und von Holland fertige Zigarren hinübergebracht, aber noch niemals geschmuggelt. Da hatte er vor Kurzem einen alten Freund wiedergetroffen, einen holländischen Diamantenhändler … »Höre du, du reist doch immer hin und her, dich kennen doch schon die amerikanischen Zollbeamten, du hast schon Zoll genug bezahlt, dir traut man doch so etwas nicht zu … wollen wir einmal zusammen ein Schmuggelchen machen?«

Mr. Cunning war der Versuchung unterlegen, in zehn Tagen 100.000 Mark verdienen zu können. Auf seinen Reisen führte er ständig einen dicken Spazierstock mit sich, den Zollbeamten in New York auch schon wohlbekannt. Aber noch keiner hatte ihn jemals einer Untersuchung gewürdigt, und so wusste auch niemand, dass er hohl war. Der Spazierstock barg nämlich in seinem Inneren einen dicken Stoßdegen. Dieser wurde oben, dicht am Griff, abgebrochen und nun die Öffnung mit jenen kleinen, geschliffenen Steinchen ausgefüllt. Und was da alles hineingegangen war! Für eine halbe Million!

Wenn Mr. Cunning auch sonst auf ein reines Gewissen hielt, beim Skatspiel mogelte er doch manchmal, und dann verriet er sich nicht durch Erröten, und ebenso wenig ward er verlegen, wenn er einmal jemanden mit einer Ladung minderwertigen Tabak anschmierte. Über solche Kleinigkeiten also war er erhaben. Mr. Cunning hatte an Bord den so wertvoll gewordenen Spazierstock mit demselben Gleichmut wie sonst gehandhabt, hatte ihn wie sonst nur manchmal, wenn er an Deck promenierte, mit hinaufgenommen, sonst hatte er es riskiert, die Schatzkammer unten in seiner Kabine stehen zu lassen. Wahrhaftig, kein einziger Mensch konnte auch nur ahnen, dass der Spazierstock überhaupt hohl sei!

Und nun, und nun! Vor allen Dingen waren die Diamanten im Wert von einer halben Million unwiderruflich futsch. Und dann musste noch extra die doppelte Steuergebühr bezahlt werden, so gegen 200.000 Mark, und wenn das Mr. Cunning nicht konnte oder wollte, so durfte er auf Sing Sing, der New Yorker Strafinsel, ein bis zwei Jahre lang Baumwolle spinnen.

»Ein Detektiv! Ich bin ruiniert!«, stöhnte der geprellte Frosch.

»Sie irren«, entgegnete aber Mr. Salden, »ich bin kein Detektiv, bin niemals Detektiv gewesen. Fassen Sie sich, mein Herr. Sie haben von mir absolut nichts zu fürchten. Meinetwegen schmuggeln Sie so viel Diamanten, wie sie wollen, mich soll es nur freuen, wenn Sie dieselben glücklich durchbringen. Ich habe in meinem Leben selbst genug geschmuggelt, noch ganz andere Sachen, ganze Schiffsladungen, und das aus keinem anderen Grund, als weil es mir Spaß machte, meine Schlauheit mit der des Zollbeamten zu messen. Und Sie werden die Diamanten auch glücklich durchbringen, denn wenn Sie selbst nicht geplaudert haben, so ahnt an Bord kein Mensch, dass Sie in Ihrem Spazierstock etwas verborgen haben. Sie erregen nicht den geringsten Verdacht.«

Der geprellte Frosch richtete sich etwas auf und sah den so Sprechenden mit offenem Mund an.

»Ja, aber … aber … woher …«

»Woher ich es dann weiß? Ja, bei mir ist das etwas anderes. Mir hat die Natur ein besonderes geschliffenes Auge eingesetzt. Ich habe sofort gemerkt, als ich Sie zum ersten Mal mit dem Spazierstock sah, dass es wohl derselbe Stock ist, den Sie immer tragen, dass er aber nicht ganz genau dasselbe Gewicht hat, an welches Sie sonst gewöhnt sind. Ich kalkuliere, der Stock ist um eine Kleinigkeit leichter geworden. Sie stießen mit dem Stock an Deck auf, und ich hörte sofort, dass der Stock nicht durchweg aus Holz bestehen könne. Ich kalkuliere, dass er einst einen Stockdegen enthalten hat, den Sie abgebrochen haben, und was anderes als Juwelen sollte man denn in solch einem kleinen Raume schmuggeln wollen? Sollte ich nicht recht haben?«

Mr. Cunning riss seinen Mund nur noch weiter auf. Aber seine furchtbare Angst verließ ihn durch diese Erklärungen noch nicht, und das musste auch der Mann, der das Gras wachsen sah und hörte, bemerken.

»Fürchten Sie doch nichts«, fuhr er deshalb fort, »wie gefügt, kein anderer Mensch, als nur ich allein wird solche Beobachtungen angestellt haben, und ich tue Ihnen nichts. Allerdings haben wir einen Detektiv der Zollbehörde an Bord …«

»Einen Detektiv?«

»In der ersten Kajüte, der Steward mit der großen Glatze …«

»Ach wo, den kenne ich ja schon seit Langem!«

»Und ich sage Ihnen, mein Herr, dieser so unschuldig aussehende Steward ist ein Detektiv! Das habe ich nicht von anderer Seite gehört, das hat er mir nicht selbst gestanden, sondern das sehe ich ihm auf den ersten Blick an. Wodurch, das kann ich Ihnen hier nicht erklären, das ist eben bei mir eine besondere Gabe. Eine diesbezügliche Wette dürfte ich als Ehrenmann gar nicht annehmen, denn ich bin meiner Sache todsicher. Da ich nun diesen Detektiv in Bezug auf Sie beobachtet habe, so kann ich Ihnen die Versicherung geben, dass er nicht die geringste Witterung auf Ihren Spazierstock hat.«

Mr. Cunning begann etwas ruhiger zu atmen.

»Mein Herr, Sie bergen mit Ihrem Beobachtungstalent eine Goldquelle in sich. Und Sie sind in Geldverlegenheiten?«

»Ja. Aber denken Sie nicht etwa, ich will jetzt aus Ihnen Geld herauspressen. Ich bin ein Ehrenmann. Hiermit genug. Dies alles wäre gar nicht nötig gewesen, hätten Sie meine Frage, ob Sie ein Juwelier seien, bejaht. Auf irgendeine Weise muss doch ein Geschäft angeknüpft werden.«

»Was für ein Geschäft?«

Mr. Salden knöpfte seinen eleganten Rock auf und zog aus der Westentasche an schwergoldener Kette eine große, goldene Uhr, ließ zwei Deckel aufspringen.

»Diese Uhr habe ich mir erst kürzlich in der Schweiz gekauft. Sie kostete 500 Franc.«

Der Tabakagent verstand wirklich etwas davon.

»Das glaube ich gern.«

»Wollen Sie 50 Dollar geben? Gerade die Hälfte. Sie machen ein gutes Geschäft dabei.«

»Mit Vergnügen!«, jauchzte der dicke Mann förmlich auf, denn er fühlte plötzlich einen Zentnerstein von seinem Herzen fallen.

»Diese Kette kostete mich 250 Mark. Jedes Glied ist gestempelt. Geben Sie mir dafür 40 Dollar?«

»Mit Vergnügen!«

»Hier«, Mr. Salden zog aus seinem Schlips eine Nadel, offenbar ein Kunstwerk. »Wieviel sie gekostet hat, weiß ich nicht. Es sind mir schon einmal 1000 Dollar dafür geboten worden …«

»1000 Dollar? Mit Vergnügen!«

Es war eine prachtvolle Nadel, die verschiedensten Edelsteine strahlten ein wahres Feuermeer aus, die Nadel war schon oft genug bewundert worden, der rätselhafte Fremde musste ein reicher Kauz sein.

Jetzt freilich stellte sich das Gegenteil heraus. Aber warum sollte er nicht in Geldverlegenheit gekommen sein? Und die Steine waren echt, das erkannte auch der Tabakhändler. Dieser Mann konnte die Nadel auch nicht gestohlen haben, konnte überhaupt kein Gauner sein. Denn erstens hätte er dann die Nadel doch nicht so öffentlich getragen, und zweitens, wäre er ein Gauner gewesen, so hätte er doch vor allen Dingen dem entlarvten Diamantenschmuggler den Daumen aufs Auge gesetzt.

»Aber mein lieber Herr, berauben Sie sich doch nicht Ihrer Wertsachen. Wenn Sie in Geldverlegenheiten sind, so bin ich ja gern bereit …«

»Bitte sehr, ich war einst ein reicher Mann, jetzt gehe ich nach Amerika, um zu arbeiten, ein Arbeiter braucht keinen solchen Schmuck, es sind auch keine Andenken. Also geben Sie 1000 Dollar für diese Nadel?«

»O, die ist noch viel mehr wert …«

»Bitte«, unterbrach ihn Mr. Salden abermals, »ich bin kein Händler, mein einmal geforderter Preis gilt. Also 1000 Dollar?«

Der sich gerettet fühlende Schmuggler konnte seiner Dankbarkeit nicht einmal Ausdruck geben.

Dann löste der merkwürdige Mann aus seinem Oberhemd noch drei Brustknöpfchen und zwei Manschettenknöpfe, ebenfalls alles massives Gold mit Diamanten, und bot den ganzen Satz gleichfalls für die runde Summe von 1000 Dollar an.

Der Tabakhändler musste dies alles wohl oder übel nehmen, er hatte nämlich in seiner Freude lieber mehr gegeben, und es lag auch klar auf der Hand, dass er dabei ein ausgezeichnetes Geschäft machte. Geld genug hatte er bei sich, er entnahm seiner Brieftasche 2090 Dollar, und als er dann die Kabine verließ, wusste er nicht, was er von dem jungen Mann und diesem ganzen Geschäft denken sollte.

Unterdessen war es Abend geworden. Bald würde die Schiffsglocke zum letzten Mal zur Mahlzeit rufen.

Auch Salden verließ seine Kabine, schlenderte langsam durch die Korridore und betrat das Zwischendeck. Ehe er vom Schiff Abschied nahm, wollte er wohl noch einmal dieses obskure Reich besichtigen.

Ja, in dem mit Menschen vollgepfropften Raum – zu jener Zeit wurden noch Männlein und Weiblein ungetrennt in das Zwischendeck eingepfercht – sah es auch arm genug aus.

Bei dieser Reise machte das Zwischendeck einen noch jämmerlicheren Eindruck als sonst, weil sich darin eine große Schar von Irländern mit Frauen und Kindern befanden, vor Kurzem noch gutsituierte Bauern, welche aber durch ein verruchtes Gesetz von Haus und Hof vertrieben, zu Bettlern gemacht worden waren, und nicht einmal in ihrer Heimat durften sie bleiben, fort mit ihnen aufs Schiff, nach Amerika! Dort bekommt jeder Einwanderer freies Land. Diese Ärmsten der Armen würden sich einen Pflug erst leihen müssen, und während die Männer die Bäume zum einstigen Haus fällten, mussten Frauen und Kinder vor dem Pflug die Zugtiere vertreten.

Salden unterhielt sich mit diesem und jenem der Irländer, ließ sich den Führer des Trupps vorstellen, einen alten Mann, der schon in Amerika gewesen war und die Verhältnisse kannte, der seine unglücklichen Landsleute nur abholte.

»Schauderhaft! Hier, nehmt.«

Und dabei hatte er dem alten Mann einige Tausend-Dollar-Noten in die Hand gedrückt, nicht nur die beiden, welche er von dem Tabakhändler erhalten, sondern auch noch drei andere. Also der seltsame Mensch hatte noch genug Geld gehabt, hatte gar nicht nötig gehabt, seine Schmucksachen zu verkaufen!

Die Leute wollten es erst gar nicht glauben, von einem Unbekannten plötzlich so viel Geld geschenkt bekommen zu haben, dass sie in ihrer neuen Heimat gleich als existenzkräftige Farmer beginnen konnten. Auch das anwesende Schiffspersonal staunte, so etwas war an Bord der PERSEPOLIS noch nicht vorgekommen.

Aber damit war es noch lange nicht genug. Salden ging weiter durch das Zwischendeck und streute mit vollen Händen das Geld aus, und wieder zeigte es sich, dass er noch reichlich versehen gewesen war, so zum Beispiel teilte er ja auch Silber- und Goldstücke aus, während er von dem Agenten nur Papier erhalten hatte.

Allerdings gab er ohne Ansehen der Person, drückte achtlos das Geld in alle Hände, die sich ihm entgegenstreckten, oder schüttete es dort einer alten Frau in den Schoß – und dennoch, er machte einen Unterschied!

Ein alter, schmieriger Jude näherte sich ihm, von seiner hungernden Familie eine Jeremiade erzählend.

»Schmuhl, du hast mehr unter deinem Kaftan, als wir alle zusammen, oder ich will heute Nacht nicht lebendig das amerikanische Festland erreichen!«

Der Jude machte, dass er verschwand.

Zuletzt nahm Salden noch einige junge, dürftig gekleidete Leute mit in seine Kabine und verteilte unter diese seine gesamte Garderobe.

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