Ausschreibung
Sternenlicht-Anthologie

Download-Tipp
Band 6

Heftroman der Woche

Archive
Folgt uns auch auf

Lorenz, der hinkende Wirt am langen Steg – Kapitel 3

Lorenz, der hinkende Wirt am langen Steg
verfolgt von einem Hexenfluch
Ein höchst belehrendes Volksgeschichtchen für jedermann
Verlag der J. Lutzenberg’schen Buchhandlung, Altötting, ca. 1860

3. Kapitel

Lorenz, beantragter Tischlerlehrling, im Dienst beim Holzhanns und dann Militärist

Besonders die Bäuerin, seine Ziehmutter, hielt Lorenz nach und nach immer mehr ihrer Fürsorge wert, denn der Bube, welcher zu Hause von seinem Vater allerlei Hausfahrnisse zu machen gelernt hatte, beschäftigte sich auch nun damit, ohne aber seinen Hüterdienst im Geringsten zu vernachlässigen, und brachte ihr bald dies, bald das davon fürs Haus, die Küche, den Keller usw.. und sie durfte ihm nur ansagen, was sie brauche, so war er bald damit fertig.

So war Lorenz beinahe zwei Jahre lang auf seiner Stelle und man kann sagen mehr Annehmkind als Hüterbube bei diesen rechtschaffenen Zieheltern und Bauersleuten.

Schon mehrmals hatten diese mitsammen von der Geschicklichkeit ihres Hüterbuben in Anfertigung allerlei Geräte gesprochen und dass aus ihm, wenn er in eine rechte Lehre käme, sicher ein tüchtiger Handwerker werden könnte. Nun aber wollten sie damit einmal Ernst machen und fragten Lorenz darüber. Dieser willigte mit Freuden in das Vorhaben ein, und die Bäuerin, welche in dem nahen Städtchen einen Tischlermeister als Verwandten hatte, begab sich sogleich am nächsten Sonntag dahin, um mit dem Meister da­rüber sich zu besprechen. Dieser ließ sich auch herbei und bestimmte den Michaeli-Tag, der nach drei Wochen eintraf, zum Eintritt für Lorenz.

Bauer und Bäuerin versuchten nun ihren Hüterbuben zu einem Tischlerlehrling gehörig und mitunter auch etwas städtisch auszustaffieren und überhaupt alle Bedingungen des Meisters zu erfüllen und darüber auch noch etwas in Bereitschaft zu haben, damit ja nichts zum Eintritt und zur Aufnahme fehlen könne.

Alle drei konnten den bestimmten Tag kaum er­warten. Als nun aber an diesem die Bäuerin den neuen Lehrjungen Lorenz bei ihrem Vetter, dem Tischlermeister in rosenfarbenem Humor und in Erwartung des freundlichsten Entgegenkommens aufführte, machte derselbe nicht nur kein freundliches, sondern ein recht verdrießliches Gesicht und rückte ohne viele Umschweife mit der Erklärung hervor, er nehme diesen Jungen nicht an, denn er werde sich nicht ein Unglückskind in sein Haus setzen.

Der Meister hatte sich nämlich unter der Zeit näher um den aufzunehmenden Lorenz erkundigt, leider nicht bei den rechten Leuten, wie es gar gerne geschieht und da erfahren, was über ihn, seinen Vater und Groß­vater für ein Gemunkel herumgehe.

Wahrlich, die nicht bezähmte Zunge ist das nimmer müde Übel voll tödlichen Giftes!

Die Bäuerin, ergriffen von Überraschung und Ärger drang nun auch nicht weiter mehr in ihren schlecht unterrichteten und mehr als leichtgläubigen Vetter und besonders, weil ihr Lorenz erbarmt hätte, wenn er bei einem solchen Meister bleiben müsste, sondern ging mit dem abgeschlüpften Lehrjungen wieder nach Hause. Auf diesen aber hatte das Wort des Meisters Unglückskind, über das er ohnehin manchmal hinbrütete, einen Eindruck gemacht, als wäre er mit einem Messer gestochen worden.

Nach der Rückkehr der beiden und der näheren Auseinandersetzung derselben brummte lächelnd der Bauer für sich hin: »Hm! Hm! Der Meister!«, beruhigte seine etwas aufgeregte Frau und sagte zu dem verlegenen und betrübten Lorenz: »Bleib du nur wieder da, brauchst nicht mehr Hüterbub zu sein – kannst mit den Knechten arbeiten oder so auch tischlern und werkeln.«

Diese Beförderung und unveränderte Behandlung des Lorenz vonseiten seiner Zieheltern hatte die Wirkung des verhängnisvollen Wortes Unglückskind wieder verringert, aber der sonst immer in seiner Ju­gendblüte und Kraft rührige heitere Lorenz war er nicht mehr, sondern zeigte öfter als sonst manchen Zug von Betrübnis und Scham. Es mochte dazu wohl bei ihm die Abweisung des Tischlermeister und die ge­täuschte Hoffnung vieles beigetragen haben.

Alle im Haus beobachteten diese Veränderung, bekümmerten sich aber nur insofern darum, dass sie ihn auch im Entferntesten darüber nicht anließen oder gar spotteten, weil sie doch wohl erkannten, dass man mit so etwas ein betrübtes Gemüt nicht aufrichte und der Bauer auch allen so etwas auf das Strengste verboten hatte.

Allein die Bäuerin ließ es nicht bloß bei der Beobachtung, sondern sie war auch um rechtzeitige Abhilfe besorgt und erfinderisch und entschlossen wie sie war, hatte sie es bald mit Einverständnis ihres Mannes vermittelt, dass Lorenz zum reichen Holzhanns, der ebenfalls ihr Vetter war, in den Dienst komme, obwohl dieser alles so gut von dem Ge­munkel über dieses sogenannte Unglückskind wusste, wie die Base.

Der Mann der Bäuerin und der Holzhanns, ihr Vetter, zweifelten zwar nicht, dass sie dieses hauptsächlich aus Besorgnis für Lorenz bewerkstelligt habe, um nämlich durch eine Ortsveränderung und An­bringung in einem angesehenen Haus den zeitweiligen Trübsinn des Jungen ganz zu beseitigen; allein beide vermuteten auch die Nebenabsicht bei ihr, dem Vetter Tischlermeister, der sie abschlüpfen ließ und auch anderen zu zeigen, dass Lorenz ganz wohl auch für einen besseren Platz passe, ließen jedoch diese Vermutung nicht laut werden, weil dies doch nur eine Vermutung war und beide Männer wohl wussten, dass Männerkummer, Weiberlist und Hundstreue nicht zu ergründen sei.

Beim Holzhanns nun, der als ein vernünftiger Mann nicht auf das Gemunkel blöder oder boshafter Leute Acht gab, sondern den nun 18-jährigen wohlgestalteten Jungen mit seinen pechschwarzen Haaren, breiten roten Wangen und etwas großem Mund, der geöffnet, zwei volle Reihen kerngesunder Zähne zeigte, anschaute, wie er war, kam nichts dazwischen und Lorenz trat seinen Dienst an.

Der Holzhanns verwendete ihn anfangs in seiner Sägemühle, dann als Holzknecht und später auch als Holzfuhrmann, was des Lorenz Ziehmutter, die be­kannte Bäuerin, nicht wenig erfreute, da es ja zu erkennen gab, dass Lorenz in ihrem Haus doch auch was gelernt habe und tat sich noch mehr zugute darauf, als ihr der Holzhanns mehrmals bezeugte, der Lorenz sei ihm wegen seiner Geschicklichkeit, Tätig­keit und Verlässlichkeit einer seiner liebsten Dienstleute.

Lorenz hatte keinen leichten Dienst, denn nicht selten hatte er die Nacht über mit der Sägemühle Musik zu machen, und das Bäume fällen, Stämme schleifen, Bauholz und Bretter und dergleichen zu verladen und fortführen ist auch keine Schneiderarbeit.

Dessen ungeachtet verlebte er dort, wie er selbst oft sagte, seine besten Tage. Herr und Frau waren in der Tat christliche Vorgesetzte, ernst und gut hatten immer nur die ordentlichsten Leute in ihrem Dienst, von denen manche schon 30 und nahe der 40 Jahre da waren, auch verdiente sich Lorenz manches Stück Geld als Betreuung in seinen Geschäften und die Wunde des Unglückskindes dünkte ihm ganz geheilt, wenn ihn nicht hie und da eine Verstauchung oder Verletzung oder ein anderes missliches Vorkommnis erinnert hätte, dass er seines Vaters Sohn sei.

Da Lorenz sich nie über seinen Stand, auch nicht mit einem einzigen Stück kleidete und als ihm sein Herr das Zeugnis gab, kein Wirtshaussitzer, kein Trinker, kein Spieler war und auch von einer Bekanntschaft bei ihm nichts verlautete, so ersparte er sich auch Etwas.

Doch in letzterer Beziehung hatte sich bei ihm ein Anflug begeben, welcher ihm statt des alten Trüb­sinnes wegen der langen Greth einen jungen Trüb­sinn wegen der Wirts-Liese am langen Steg in sein Herz gepflanzt, worüber das Nähere später zu lesen sein wird.

Nun aber kamen die Jahre der Militärpflicht für Lorenz. Er hatte eine hohe Nummer gezogen und hoffte dem zweifarbigen Tuch zu entrinnen, denn seine Vorgänger waren brauchbare Leute, wie sie schienen, obwohl damals platt oder schwitzende Füße, ein Satthals, schlechte Zähne und dergleichen befreiten, musste er doch Soldat werden. Die Rekrutierungsherren ent­deckten an gar manchem stämmigen und baumlangen Burschen Mängel, von denen bisher kein Mensch etwas geahnt hatte und die Laune des Schicksals fügte es, dass durchaus arme Tröpfe untadelig befunden wurden.

Mit schwerem Herzen trennte sich Lorenz von seinem Heimattal, seinem guten Verdienst und seinen lieben Hausvorgesetzten und anderen Liebgewordenen. In den ersten Wochen seines Militärstandes in der Stadt schossen ihm wohl manchmal die Tränen wegen allerlei in die Augen, besonders wenn sie in die Gegend seiner Heimat blickten. Doch er fügte sich allmählich und tapfer in seinen Dienst; allein in die Schimpfreden und Flüche und in das ausgelassene Gerede und Getriebe mancher seiner Kameraden fügte er sich nicht, weswegen auch diese ihn für einen Duck­mäuser oder Dummkopf erklärten und als solchen ihn auch neckten und plagten.

Am schlimmsten spielte ihm ein Korporal mit, dem Lorenz gutmütig Geld geliehen und von welchem er nach langem Warten dasselbe unvorsichtig zurück­gefordert hatte und sogar die Drohung einer Anzeige machte.

Es währte nicht lange, so zählte der Korporal dem Lorenz den Bettel hin und raunte ihm als Dank für die Gefälligkeit ins Ohr: »Wart du Kal­fakter, wart, ich will dir’s zeigen, was ich kann, du sollst bei mir keine gute Stunde mehr haben!« Und der Korporal, der sonst kein Mann von Wort war, hielt diesmal so sein Wort, dass Lorenz bald die ganze Geschichte bitter bereute. Doch er wurde davon nicht lange darauf befreit, denn der Korporal geriet wegen Unterschlagung von Soldatengeldern und anderen Finanzkünsten in langwierigen Arrest und Untersuchung.

Etwa anderthalb Jahre war Lorenz beim Mili­tär, als er bei den Schießübungen der Soldaten als Zielner kommandiert wurde. Da nun erhielt er durch die Voreiligkeit und Ungeschicklichkeit eines Soldaten eine Kugel in den Fuß. Lange lag er im Spital und die Ärzte redeten endlich vom Fuß abnehmen. Der Patient aber erklärte entschieden, lieber sterben zu wollen – und die Operation unterblieb. Mit der Zeit wurde er doch so weit hergestellt, dass er mit einem hinkenden Fuße als Invalide gewordener mitten in Friedenszeit davonkam. Mit dem Abschied und nur noch wenig Geld mehr in der Tasche, hinkte Lorenz seinem Heimattal zu mit dem festen Vorsatz, dieses ja nicht mehr verlassen zu wollen. In seiner Herzensfreude hatte er sich vorgenommen, in einer Tour nach Hause zu marschieren, hinkte auch die erste ganze Mondnacht durch; aber sein Fuß kommandierte ihm: »Halt!« Einige Tage hatte er nun auf dem Weg zuzubringen. Dessen ungeachtet glaubte er oft für seinen Kameraden beten zu müssen, der ihm durch seine Ungeschicklichkeit die Kugel in den Fuß gejagt hatte.

Wenn wir nun aber dieses Ereignis mit dem Soldaten Lorenz in Verbindung mit der Abscheu des Scheibenschießens, den er als Wirt am langen Steg noch immer hatte, bringen, so wird er uns auch nicht mehr als ein gar großer Sonderling vorkommen.