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Der Welt-Detektiv – Band 9 – 5. Kapitel

Der Welt-Detektiv Nr. 9
Der geheimnisvolle Schoner
Verlagshaus für Volksliteratur und Kunst GmbH Berlin

5. Kapitel

In der Höhle des Löwen

In Puerto Rico wussten nur Eingeweihte, dass Kapitän Mixton, eigener Herr eines flinken, schmucken Scho­ners, ein Doppelleben führte.

Er besaß ein kleines Häuschen, von dem aus man den Hafen überschauen konnte, und wohnte dort mit Frau und Kind. Dieses kleine, freundliche Häuschen war das Ziel eines stutzerhaft gekleideten Herrn, der mit tän­zelnden Schritten die Straße hinabschritt und dabei sein Spazierstöckchen herumwirbelte.

Alle guten Freunde des Weltdetektivs hätten sich zu dieser Stunde in Puerto Rico aufgehalten, alle hätten ihm hier auf dieser Straße begegnen können, aber keiner von ihnen hätte ihn in dieser meisterhaften Maske er­kannt!

Nun erreichte er das Haus und klingelte. Ein Dienst­mädchen erschien.

»Mein Name ist James Pringlay«, stellte er sich mit liebenswürdigem Lächeln vor, »und ich komme eigens aus Trinidad herüber, um Señor Mixton zu sprechen. Der Herr Kapitän ist doch hoffentlich zu Hause?«

Das Mädchen nickte, knickste und führte den eleganten Besucher, der so reizend lächeln konnte, in einen Raum, an dessen Decke zwei Schiffsmodelle, von dün­nem Draht gehalten, schwebten. Auf dem Schreibtisch stand ein Globus, ein vergoldeter Anker diente als Briefbeschwerer und an den Wänden hingen Bilder, die ausnahmslos Schiffe darstellten. Ja, in diesem Zimmer wohnte en Seemann! Man roch förmlich das Salzwasser.

Der Kapitän ließ nicht lange auf sich warten. Er war ein untersetzter Mann mit breiten, eckigen Schultern, mit Händen, die den Tatzen eines Bären alle Ehre ge­macht hätten, und mit einem Gesicht, das Wind und Sonne gezeichnet hatten. Sein Blick war eher stechend als verschlagen. Das stark vorgeschobene Kinn verriet starke Energie und seine ganze Haltung überhaupt einen Mann, der zu befehlen gewohnt war. Ihn zum Feind zu besitzen, konnte durchaus nicht als ein Vergnügen angesehen werden.

Mit durchdringenden Blicken maß der seinen hyper­eleganten Besucher, der sich inmitten des mit schweren wuchtigen Möbeln gefüllten Raumes etwas seltsam ausnahm.

Sherlock Holmes beeilte sich, den Herrn des Hauses mit einer tiefen Verbeugung zu begrüßen.

»Mein Name ist James Pringlay«, stellte er sich ein zweites Mal vor.

»Und Sie wünschen?« Der Kapitän schien kein Freund vieler Worte zu sein. Dennoch war er höflich genug, dem Besucher einen Stuhl anzubieten, auf dem sich dieser umständlich niederließ, sehr darauf bedacht, sich bei dieser Gelegenheit nicht die scharf gebügelte Hosenfalte zu zerdrücken. »Sie wünschen?«, knurrte Mixton noch einmal.

Sherlock Holmes zupfte an der seidenen Krawatte.

»Tja«, sagte er mit dem verbindlichsten Lächeln, das er auf Lager hatte, »tja, das ist nicht so einfach mit we­nigen Worten abgetan. Ich bin nämlich Tiefseeforscher, wissen Sie? Das ist ein hochinteressanter Beruf. Sie glauben gar nicht …«

»Bitte, fassen Sie sich kurz«, fuhr ihn der Kapitän wenig freundlich in die Parade, »denn ich habe verdammt wenig Zeit. Vielleicht haben Sie sich ganz und gar verlaufen? Das Institut für Tiefseeforschung befin­det sich …«

»Aber nein, Señor, zu Ihnen will ich! Die Firma Alsalsa & Mendoza schickt mich hierher!«

Mixton zuckte bei der Nennung der Reederei un­merklich zurück. Er kniff die Lider zusammen und warf dem Besucher einen prüfenden Blick zu.

»Tja«, fuhr Sherlock Holmes fort, »es handelt sich nämlich um das Wrack eines vor vielen Jahren unter­gegangenen Schiffwracks, das den Namen MARIANNE führte.«

Des Kapitäns Haltung veränderte Sich ein wenig: Er schob den Kopf nach vorn, ohne es zu wissen, und seine Augen traten leicht aus den Höhlen. Offenbar schien sich eine gewisse Unruhe seiner zu bemächti­gen.

»Tja«, sprach Sherlock Holmes, harmlos lächelnd, weiter; »ich hörte von dem Wrack und davon, dass man im vorigen Jahr versucht hatte, den wertvollen Schatz zu heben. Leider ohne Erfolg. Ich reiste also jetzt nach Trinidad, um der Reederei vorzuschlagen, unter meiner Oberleitung einen neuen Versuch zu machen. Ich bin Tiefseeforscher und kann bei einer solchen Sache das Angenehme mit dem Nützlichen verbinden: Das Gold bergen und gleichzeitig meinen Forschungen nachge­hen.«

Der Kapitän verharrte schweigend, aber er starrte den Sprecher unverwandt an.

»Tja«, fuhr dieser fort, »so weit wäre ja alles ganz schön. Wie ich aber zu meinem Entsetzen in Trinidad erfuhr, hat man den armen Señor Alsalsa ermordet und dabei den Plan geraubt, auf dem die Lage des Wracks angegeben war. Nun will gewiss dieser Spitz­bube und Mörder den Schatz heben!« Sherlock Holmes machte ein trauriges Gesicht. »Tja«, es gibt eben im­mer noch Schufte in der Welt. Aber dieser Lump von Mörder soll nicht triumphieren! Ich werde den Schatz heben, ehe er dazu Gelegenheit findet!«

Langsam schien der Kapitän zu neuem Leben zu er­wachen.

»Sie sind ein Narr!«, sagte er grob.

»Wie bitte?«, fuhr der Besucher auf und verzog be­leidigt den Mund. »Ein Narr? Aber erlauben Sie mal! Ich bin Tiefseeforscher und weiß, was ich …!«

»Ein Narr sind Sie!«, knurrte ihn der andere fast wild an. »Hören Sie denn nicht? Das Wrack liegt ja gar nicht an der bezeichneten Stelle!«

»Aber vielleicht nicht weit davon!«

Der Kapitän starrte ihn böse an.

»Und dann sagen Sie doch«, stieß er hervor, »dass der Mörder den Plan geraubt hat. Wie kann man da je die Stelle wiederfinden?«

»Tja«, erwiderte Sherlock Holmes, »das wäre wohl eine Unmöglichkeit, wenn Señor Mendoza nicht eine Kopie des Planes besäße!«

»Zum Teufel!«

»Wie bitte?«

»Ich sage, dass alles Unsinn ist, was Sie reden, und dass Sie sich mit Ihrem Vorhaben zum Teufel scheren sollen!«, schrie Mixton zornig. »Und überhaupt: Warum erzählen Sie mir das alles?«

»Weil ich Sie bitten will, mir nicht nur Ihren Scho­ner, sondern auch Ihre reiche Erfahrung auf dem Gebiet der Wrackbergung zur Verfügung zu stellen. Die ganze Aktion geht auf meine Rechnung. Ich habe Señor Mendoza die Kopie des Planes abgekauft. Das Wrack gehört also mir. Und ich zahle Ihnen auch jede Sum­me, die Sie für Ihre Dienste fordern! Señor Mendoza sagte mir: ›Wenn es einen Mann gibt, der ihnen ratend und helfend zur Seite stehen kann, so nur Kapitän Mix­ton! Wenden Sie sich an ihn. Vielleicht versucht er es nochmal!‹ Tja – und so bin ich hier, um Sie zu bitten, mit mir gemeinsam die Bergung des Wracks zu über­nehmen!«

»Und wenn ich Nein sage«, stieß Mixton hervor.

»Tja«, erwiderte Sherlock Holmes niedergeschlagen, »dann muss ich mich wohl nach einem anderen Kapitän umsehen, der sich die fünftausend Dollar verdienen will.«

Mixton schäumte vor Wut. Dieser aufgeputzte Ele­gant konnte ihm noch die ganze Geschichte verderben! Und dass Mendoza noch eine Kopie des Planes beses­sen hatte, das schlug doch dem Fass den Boden aus! Aber was blieb ihm eigentlich unter diesen Umständen anderes übrig, als auf die Wünsche dieses geschniegel­ten Affen einzugehen, der einen reichen Vater zu besit­zen scheint, da er sich solche Späße leisten konnte. Sagte er Nein, ging der Kerl zu einem anderen Kapitän – und der hebt dann das Gold! Nein, nein, er musste seine Zustimmung erteilen, ob er wollte oder nicht.

Dass das Wrack nicht gefunden werden würde, dafür wollte er ja schon sorgen, aber die schöne Zeit, die dabei verloren ging!

Oder ob man diesen jungen Burschen einfach aus dem Weg räumte? Gefährlich blitzte es für Sekunden in des Kapitäns stechenden Augen auf! Dann aber un­terdrückte er den Gedanken. Ein neuer Mord konnte Verdacht erregen. Nein, er musste in den sauren Apfel beißen und ein paar Wochen mittun.

»Gut«, meinte er also, »ich bin dabei. Aber ich sage es Ihnen schon im Vorhinein: Ihr Bemühen ist zweck­los!«

»Vielleicht auch nicht!«, erwiderte der Elegant, um dann erfreut auf die Füße zu springen. »Also abge­macht! Ich wohne im Palace-Hotel. Holen Sie sich, bitte, heute Abend dort die Hälfte Ihres Honorars als Anzahlung ab. Und dann beschleunigen Sie Ihre Vor­bereitungen, Kapitän. Wann können wir abdampfen?«

Mixton überlegte.

»In drei Tagen«, erwiderte er dann.

»Famos, famos!«, jubelte Herr Pringlay und reichte dem Kapitän die Hand, die dieser am liebsten zu Brei zerquetscht hätte. »Ich erwarte Sie also heute Abend bei mir im Hotel. Sie sind mein Gast. Aber natürlich!« Und er ging mit einer Flut von Höflich­keitsbezeugungen.

Ein böses Leuchten trat in Kapitän Mixtons Augen, als er allein war. Dann verließ er das Haus, um seine Freunde von dem Zwischenfall in Kenntnis zu setzen.