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Jim Buffalo – 27. Abenteuer – Kapitel 1

Jim Buffalo,
der Mann mit der Teufelsmaschine
Veröffentlichungen aus den Geheimakten des größten Abenteurers aller Zeiten
Moderner Volksbücher-Verlag, Leipzig, 1922
Das 27. Abenteuer Jim Buffalos
Die Goldräuber der Yukon Hills
1. Kapitel

Ins Meer hinausgetrieben

In Fort St. Michael, an der Mündung des Yukon in den Nortonfund gelegen, herrschte eine ungewöhnliche Aufregung.

Auf dem freien Platz vor dem Fort, der nun zur Winterszeit eine einzige Fläche von Schnee und Eis bildete, war eine Anzahl spitzer Zelte errichtet, vor denen helle Feuer brannten.

Zwischen den Zeltreihen standen Gruppen von Indianern, die dem Ko-Yukon-Stamm angehörten, mit einzelnen Weißen zusammen, die schwer bewaffnet waren.

Auf allen Gesichtern, selbst auf denen der sonst äußerst zurückhaltenden Rothäute, prägte sich eine gewisse Erregung aus, und die Nachricht, die vor drei Tagen ein Bote aus Nuklalahyet, 1055 Meilen oberhalb der Mündung am Yukon gelegen, gebracht hatte, war eine geradezu niederschmetternde gewesen.

Zwei Tage später war der Direktor der American-Alaska-Gold-Company, Mister Fred Forster, selbst im Fort St. Michael eingetroffen und hatte die ungeheuerliche Nachricht bestätigt, nämlich, dass die kürzlich in die Rampart Hills gesandte und neu angeworbene Abteilung, die die dort entdeckten Goldfunde zutage fördern sollten, mit ihrer reichen Ausbeute verschwunden war.

Der Verlust der Gesellschaft war umso größer, als die Goldräuber außer den Millionenschätzen auch noch alle Werkzeuge mitgenommen und die mit großen Geldkosten geschaffenen Stollen gesprengt hatten, sodass eine weitere Ausbeute wieder wochenlanger, kostspieliger Vorarbeiten bedurfte.

Dass unter den Weißen, die zur zweiten Abteilung gehörten und eben vor dem Aufbruch gestanden hatten, darüber eine ungeheure Erregung herrschte, ist leicht begreiflich.

Mister Fred Forster war nach Fort St. Michael geeilt, um von dem Kommandanten des Forts, Max Dougall, militärische Hilfe gegen die Goldräuber zu erbitten, sah sich aber in seinen Erwartungen leider getäuscht, denn der Kommandant hatte ihm kurz heraus erklärt, dass er dazu keine Machtbefugnis habe und seine wenigen Leute viel nötiger gebrauche, um die hin und wieder ausbrechenden Unruhen unter den einzelnen Indianerstämmen zu unterdrücken.

»Vielleicht aber hilft Ihnen Mister Buffalo, der augenblicklich als mein Gast hier weilt«, meinte er zu dem ganz bestürzten Direktor. »Er war zwar gekommen, um Eisbären und Robben zu jagen, dürfte sich aber vielleicht bereitfinden, Ihre Leute gegen die Goldräuber zu führen!«

Mac Dougall machte eine vorstellende Handbewegung gegen Jim Buffalo, der abseits an einem Tisch saß und der Unterhaltung der beiden Herren mit Interesse gelauscht hatte.

»Wie wäre es, Mister Buffalo, wenn Sie einmal eine Spazierfahrt zu den Rampart Hills hinauf machten? Mit Ihrem Teufelsauto ist dies eine Kleinigkeit, zumal jetzt der herrlichste Schnee liegt und geradezu einer Rennbahn für Ihr vortreffliches Auto bilden dürfte.«

Mister Forster reichte dem Vorgestellten die Hand.

»Sie würden mich zu großem Dank verpflichten und auch des Dankes der Gold-Company gewiss sein. Meine Leute stelle ich unter Ihr Kommando!«

»Well, über wie viele Leute verfügen Sie gegenwärtig?«, fragte Jim Buffalo.

»Über hundert Mann, lauter verwegene Männer, auf die Sie sich unbedingt verlassen können. Sie brennen förmlich darauf, den Kerlen ihren Raub wieder abzujagen. Außerdem habe ich noch fünfzig Ko-Yukons, die als Führer und Träger gedungen sind, im Notfall aber auch zu verwenden wären. Allerdings tut größte Eile not, und Sie müssten sich schon sofort entschließen!«

»Und wenn ich geneigt wäre, haben Sie Transportmöglichkeiten?«

»Schneeschuhe!«, versetzte der Direktor. »Eisenbahnen gibt es hier ja noch nicht.«

»Und wie weit berechnen Sie die Entfernung?«

»Achtzehntausend Kilometer!«

Jim Buffalo ließ ein leises Lachen hören.

»Das würde, selbst bei Ausnutzung aller Kräfte also ungefähr zwei Monate währen?!«

»Well!«

»Und Sie glauben wirklich, dass wir dann die Goldräuber noch antreffen? Verehrtester, Sie müssen die Kerle doch für recht unklug halten, wenn Sie meinen, dass sie ruhig warten, bis Sie mit Ihren Leuten ankommen. Nein, nein, diese Hoffnung müssen Sie schon schwinden lassen. Alles dafür aufgewandte Geld wäre zum Fenster hinausgeworfen.«

»Das habe ich mir ja auch schon gesagt«, klagte Fred Forster. »Aber was soll ich tun? Etwas muss doch geschehen!«

»Und das möglichst rasch!«, sagte Jim Buffalo aufstehend. »Well, ich nehme die Partie an!«

»Meinen herzlichsten Dank, Mister Buffalo!«

»Gemach, gemach, Herr Direktor!«, wehrte Jim Buffalo die stürmische Freudenbezeugung ab. »Die Sache ist nicht so einfach, wie Sie meinen. Ich müsste erstens einen zuverlässigen Führer haben!«

»Der Häuptling Schwarzdrossel befindet sich im Lager!«

»Schön! Dann brauche ich vielleicht noch zwei bis drei handfeste Männer!«

»Und mit den paar Mann wollen Sie gegen eine Rotte von etwa sechzig Mann ausziehen?«, hakte der erstaunte Direktor nach.

»Well, weil mein Auto eben nicht mehr Platz hat. Aber keine Sorgen, verehrter Herr Direktor! Von den sechzig Mann werden wir kaum noch die Hälfte antreffen?«

»Glauben Sie?«

»Bestimmt, denn ich rechne mit der Habgier der Übrigen. Mag mancher von ihnen, die mit ihrem Raub ein Dasein in Freuden erträumten, schon den ewigen Schlaf tun. Doch genug davon. Ich bin bereit, sofort aufzubrechen. Wenn Sie mich begleiten wollen?«

»Mit dem größten Vergnügen!«

Der Abschied von dem Kommandanten war kurz, aber herzlich.

»Werden die Kerle packen, alter Friend!«, meinte der Kommandant. »Haben ja ganz andere Bravourstücke geleistet!«

Die Wahl unter den Männern war rasch getroffen. Auch der Häuptling Schwarzdrossel hatte sich einverstanden erklärt. Die anderen sollten möglichst rasch nachfolgen.

Nachdem der notwendige Proviant verstaut war, bestieg Jim Buffalo mit seinen Begleitern das Teufelsauto. Vom Fort herüber hallten drei Salutschüsse herüber.

Jim Buffalo hatte eben den Motor angestellt und wollte sich auf den Führersitz schwingen, als vom Land her ein hundertstimmiger Schreckensruf über die weite Eisfläche hallte.

Als sich Jim Buffalo nach der Ursache umschaute, sah er die Leute wie besessen hin und her rennen, während sie mit den Händen auf das Auto deuteten. Und was Jim Buffalo nun erblickte, das machte selbst sein mutiges, an Gefahren gewöhntes Herz erzittern.

Das scheinbar feste Land, auf dem er mit seinem Auto gehalten, war nichts, als eine riesige Eisscholle gewesen, die sich aus unaufgeklärten Umständen, vielleicht durch die Schwere des Autos oder durch die Erschütterung der Schüsse losgelöst hatte, und nun, von der Strömung gefasst, mit rasender Geschwindigkeit ins offene Meer hinaustrieb.

An ein Zurückhalten der Scholle war gar nicht zu denken, sie hätte jedes Boot, das sich ihr entgegenzustellen wagte, in den Grund gerannt.

Dieses Ereignis war an den Küsten des Polarmeeres etwas Alltägliches. Es ist verbürgte Tatsache, dass jahrelang bewohnte Landstrecken und Inseln sich plötzlich zum Entsetzen ihrer Bewohner als riesige Eisberge entpuppten, die durch irgendeine Erschütterung grundfrei aufs Meer hinausgetrieben wurden.

Jim Buffalo war zunächst sprachlos vor Schrecken, erlangte aber sofort seine bewährte Kaltblütigkeit wieder und hatte sofort den Motor abgestellt, sonst wäre das Gefährt rettungslos in das Meer hineingefahren.

Noch schwankte das schwere Gefährt unter den Nachwirkungen des Rückstoßes, als auch schon Fred Forster und seine drei Begleiter abgesprungen waren, und sich anschickten, ins Meer hineinzuspringen, um durch Schwimmen das noch nahe Land zu erreichen. An Land mochte man Ähnliches erwartet haben, denn eben stießen einige Boote vom Land ab, um den Schwimmenden entgegenzufahren. Jim Buffalo war aber durchaus nicht gesonnen, sein Auto im Stich zu lassen oder die Fahrt allein zu wagen.

Einen Moment schaute er in das starre Gesicht des Häuptlings, über dessen Lippen beim Beginnen der weißen Männer ein verächtliches Lächeln huschte, dann gab er ihm einen Wink und beide sprangen zugleich vom Auto, sich den Männern entgegenwerfend.

»Halt, hiergeblieben!«, donnerte Jim Buffalo, den Revolver den Männern entgegenhaltend.

»Hier habe ich zu befehlen! Wer sich ohne meinen Willen entfernt, bekommt eine Kugel!«

Die Männer blieben stehen und blickten ergrimmt zu Boden, nur Fred Forster wagte eine Einwendung.

»Halten Sie uns nicht zurück, Mister Buffalo, Sie sehen doch, dass wir verloren sind, wenn wir uns nicht retten!«

»Also nur auf Ihre eigene Sicherheit sind Sie bedacht?«, fragte Jim Buffalo spöttisch zurück. »Was aus mir und meiner Maschine wird, scheint Sie wenig zu kümmern!«

»Kommen Sie mit!«, drängte der Direktor. »Ich ersetze Ihnen das Auto!«

»Das wäre Ihnen mit all Ihrem Gold nicht möglich! Sie haben sich meiner Führung unterworfen, und nun auch die Gefahren mit mir zu teilen!«

»Hugh, so auch Schwarzdrossel denken!«, wandte der Häuptling ein. »Mein weißer Bruder mit dem Wagen ohne Pferde ist ein kühner Mann!«

Fred Forster mochte einsehen, dass es Jim Buffalo bitterer Ernst mit seiner Drohung war, und wandte das schreckensbleiche Gesicht ab.

»Well, ich füge mich der Gewalt! Sie werden aber alles zu verantworten haben, was mir und meinen Begleitern geschieht!«

Übrigens wäre es nun auch zu spät gewesen, das Land noch schwimmend zu erreichen, denn die Scholle wurde mit geradezu rasender Geschwindigkeit vorwärtsgetrieben.

Die Unglücklichen trieben nun durch die Beringstraße nach Osten, die weitgeöffneten, glanzlosen Augen fortwährend nach Süden gerichtet, wo das Land so nahe und doch so unerreichbar war.

Wohl war das Wasser ringsum von unzähligen Eisschollen umgeben, aber die Hoffnung, dass sich einige von ihnen ansetzen und die ihre größer und widerstandsfähiger machen würden, erwies sich als trügerisch. Sie zerbröckelten beim Anprall nicht nur in tausend Stücke, sondern rissen auch noch tiefe Löcher in die eigene Scholle, die immer kleiner und kleiner wurde und von den Wellen auf und niedergeworfen wurde, sodass sich bei allen die Anzeichen der dadurch hervorgerufenen Seekrankheit bemerkbar machten.

Jim Buffalo hatte seine alte Kaltblütigkeit wiedergefunden.

»Wie richtige schiffbrüchige Seeleute auf einem Wrack treiben wir umher!«, meinte er zu Fred Forster, der aber nur trübe nickte.

»Was sollen wir nun beginnen?«

»Den Kopf oben behalten und nicht verzagen! Der Sonne können wir zwar nicht verbieten, dass sie uns den Boden unter den Füßen wegnimmt, aber sonst wollen wir uns wehren, so gut es geht.«

Mit diesen Worten ergriff er eine Stange und begann damit, die antreibenden Schollen wieder ins freie Wasser hinauszustoßen.

Schnell waren auch die anderen seinem Beispiel gefolgt, und in der Folge blieb ihr Gefährt vor den gefährlichen Zusammenstößen bewahrt.

Umso eifriger betrieb aber die Sonne ihr unaufhaltsames Zerstörungswerk. Wilden Bächlein gleich schoss das Wasser von der Oberfläche der Scholle in das Meer, dessen fortwährend anprallende Wogen ebenfalls gierig an den Rändern des Eises fraßen.

Dazu drückte die Schwere des Autos die Scholle so tief ins Wasser, dass sie oft vom Wasser überspült wurde.

So trieben sie stundenlang dahin, im Schweiße ihres Angesichts mit den Eisschollen kämpfend und doch hoffnungsvoll um sich blickend.

Schließlich forderten die Männer, dass Jim Buffalo das Auto in das Meer werfe, um die Scholle dadurch zu entlasten, und nur mit dem Revolver in der Hand vermochte er sie von diesem wahnsinnigen Begehren abzuhalten.

Ein frischer Wind, der vom Westen her wehte, hatte sich erhoben und drang den Männern bis auf die Haut.

»Hurra, der alte Gott lebt noch!«, jubelte Jim Buffalo plötzlich auf.

»Die Scholle treibt dem Land zu!«

»Oder wir treiben vorbei!«, versetzte Fred Forster dumpf. »Was dann?«

Ja, was dann?

Jim Buffalo vermochte keine Antwort zu geben. Lange konnte die Eisscholle die Last nicht mehr tragen, musste sie in die unergründliche Tiefe reißen.

Da fiel sein Blick auf das zusammengerollte Sommerdeck des Autos, und sofort hellten sich seine verdüsterten Mienen wieder auf.

»Gerettet!«, jubelte er auf. »Wir haben ja ein Segel!«

Mit geschäftigen Händen rollte er das große Stück Segeltuch auseinander und befestigte es mithilfe von Stangen an das Gestänge des Autos. Die Männer halfen eifrig mit, und schon nach wenigen Minuten hatte man die Freude, zu sehen, wie der Wind das Tuch aufblähte und die Eisscholle immer mehr nach Süden zwang.

Heller und heller wurden die Mienen der Männer, die sich bereits verlorengeglaubt hatten. Und wenn auch die Eisscholle immer kleiner und kleiner wurde, so hoffte man doch, das nahe Land noch rechtzeitig zu erreichen.

Überall krachte und splitterte es, Risse zeigten sich an der Oberfläche, und das Wasser drang hindurch, neue Risse in die Scholle fressend. Jeden Augenblick konnte die Scholle auseinanderbersten.

Aber keiner achtete mehr darauf, unverwandt schauten sie zum Land hinüber, dem man immer näherkam. Bis über die Knöchel standen sie bereits im Wasser, immer mehr schwand der Boden unter ihnen.

Noch hundert, — noch achtzig Yards! Mit ziemlicher Geschwindigkeit schoss die Scholle auf das Land zu und doch viel zu langsam für die fünf Männer. Nun trennten sie nur noch dreißig Yards vom rettenden Land.

Jim Buffalo stand am Motor, die Kurbel in der Hand.

»Auf das Auto!«, schrie er plötzlich, und kaum, dass die Männer Zeit fanden, dem Gebote Folge zu leisten, hatte er die Kurbel herumgedreht, und ratternd und knatternd setzte der Motor ein, der im nächsten Augenblick den Wagen vorwärtstrieb.

Wohl schien es, als ob das Auto im Wasser versinke, so stark neigte es sich nach hinten. Aber nur für Sekunden, dann hatte es festen Boden unter sich und sauste auf der glatten Bahn dahin.

Jim Buffalo hatte den Zusammenprall der Scholle mit dem Land so genau berechnet, dass die Räder dasselbe gerade noch zu fassen vermochten, als die Erstere im gewaltigen Anprall auseinanderbarst.

Als sich die Männer aufatmend nach der Eisscholle umschauten, sahen sie nur noch wenige Bruchstücke im Meer treiben.

»Gerettet!«, jubelten die Männer auf, und vor Freude laut aufschluchzend sanken sich die Gefährten der furchtbaren Reise in die Arme.