Sagen der mittleren Werra 86
Vom Berggeist in den Glücksbrunner Schächten
Ein eigentümliches, fast düsteres Bild gewährt dir die sterile, gleichsam mit aufgewühlten Hünengräbern bedeckte Landschaft, welche du von der Höhe der Straße zwischen Schweina und Gumpelstadt längs dem Wald über die Wüstung Walpolderode (Wölfertroo) bis in die Nähe von Waldfisch überblickst. Vielleicht tritt dir dann eine jener bleichen Gestalten im schwarzen Grubenkittel mit einem halb erstickten Glück auf! an die Seite und sagt dir, dass dies die Gruben und Halden des ehemaligen Glücksbrunner Werkes sind. Erzählt sie dir dann von dem glücklichen Sonst und dem erbärmlichen Jetzt, so erfährst du vielleicht auch, wie der mächtige Herr der Erze einstmals bei einem Hauer in der nach dem Windsberg hin gelegenen oberen Regine anfuhr und den Mann, der eine starke Familie hatte, sicher glücklich gemacht haben würde, wenn ihn der furchtsame Narr nur mit einem rechtschaffenen Glück auf! begrüßt hätte. Aber dem Hauer wurde bange bei dem Anblick der schönen, hohen Gestalt mit den großen, klaren Augen, die das Kleid eines vornehmen Bergbeamten trug und deren Grubenlicht in dem ganzen Werk Tageshelle verbreitete. Der Berggeist watete lange auf Ansprache, aber der Hauer war geblendet, arbeitete fort und wagte es nur, ihn scheu von der Seite zu betrachten, bis der Geist sich umdrehte und durch eine Wand im Osten wieder abfuhr. Ein zweites Mal ist er diesem dann nicht wieder erschienen.
Aber bei zwei andern Bergleuten in dem neuen Schacht kam er zu einer anderen Zeit angefahren. Die aber entsetzten sich so vor seiner riesigen, bis an die Decke reichenden Gestalt, dass sie auf der Stelle Reißaus nahmen. Er hatte auch diesmal wieder das helle Grubenlicht bei sich, trug aber den schlichten Grubenkittel des Bergmanns und einen breiten Hut tief in die Stirn gedrückt. Auch in der Hilfe Gottes, die dort zu dem Eisborn hin liegt, wollen sie ihn einst so gesehen haben.
Die Neuzeit ist so erbärmlich, dass sich der Geist dem menschlichen Auge nicht mehr offenbart. Aber hören lässt er sich dann und wann noch immer. So erzählte mir ein junger Bergmann:
»Kurz vor dem Tod meines Vaters arbeitete ich mit einem Kameraden dort drüben in der dem Wald zunächst gelegenen Grube Mittel beschert das Glück. Mein Vater hatte noch nicht lange Schicht gemacht, da hörten wir beide, mein Kamerad und ich, ganz deutlich jemanden anfahren. Wir glaubten, es sei mein Vater wieder, und da er ausblieb, gingen wir, um nachzusehen. Da war indessen nichts mehr zu hören und zu sehen und das Grubenlicht meines Vaters stand vorne auf der Platte und war eiskalt.
Wir sahen uns einander an, über keiner sprach ein Wort, denn jeder wusste nun, wer angefahren war. Kurze Zeit darauf aber legte sich mein Vater nieder und stand nicht wieder auf.«