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Deutsche Märchen und Sagen 187

Johannes Wilhelm Wolf
Deutsche Märchen und Sagen
Leipzig, F. A. Brockhaus, 1845

250. Der Schatz zu Hummelshausen

Im Schloss zu Hummelshausen liegt ein ungeheurer Schatz begraben; der ist in einer großen Kiste verwahrt und auf der Kiste liegt ein schwarzer Hund. Jedes Jahr sinkt die Kiste ein Klafter tiefer in die Erde.

Bis sie gefunden ist, wird weder Glück noch Segen auf dem Schloss sein. Die Leute, welche dort wohnen, sterben und verderben.

251. Schatz im Keller

Im Jahr 1648 diente ein gewisses Mädchen, na­mens Elisabeth, in einem fürstlichen Haus einer berühm­ten Stadt Deutschlands. Da begegnete ihr der folgende Fall.

Seit langer Zeit kam ein Gespenst zu ihr in Ge­stalt einer in weißen Taft gekleideten Frau mit langen Haaren. Griff sie nach demselben, dann schlug es sie häufig so arg auf die Hand, dass sie große Schmerzen daran fühlte. Wenn dagegen das Gespenst sie berührte, dann fühlte sie, dass dessen Hände eiskalt waren. Un­aufhörlich quälte es sie mit ihm in den Keller zu gehen, wo es ihr einen großen Schatz zeigen und geben wolle, der eines unermesslichen Wertes sei. Das kam Elisa­beth umso wahrscheinlicher vor, als sie häufig beim Auskehren des Kellers kleine Geldstücke fand; wenn sie dieselben aber nahm und weglegte, dann waren sie des anderen Tages wieder verschwunden. Nachdem sie nun vier ganze Jahre so gequält worden war, ließ sie sich end­lich bereden, an einem schönen sonnenhellen Tag, wäh­rend das Volk in der Predigt war, mit dem Gespenst in den Keller zu gehen. Schnell hatten sie da ein Loch gegraben. Da aber glaubte sie plötzlich die Leute aus der Kirche kommen zu hören, auch eine Stimme, ganz gleich der ihrer Frau, welche rief: »Liese! Liese! Der Braten brennt!«

Als sie nun eilig nach oben lief, lachte das Gespenst so laut auf, dass es das ganze Haus durch­schallte. Der Braten in der Küche war aber noch im be­sten Zustande Darüber wurde das Mädchen böse und rief dem Weib zu: »Du Schweinsdreck! Tu mir dies und das usw. Lach dich selbst aus!«

Nicht lange danach ließ sie sich dennoch überreden, noch einmal mit in den Keller zu gehen, und das war in der Walpurgis­nacht. Zur Vorsorge hatte sie aber einer anderen Magd gesagt, sie solle sich auf die Kellertreppe setzen und flei­ßig Acht haben, was mit ihr vorginge. Kaum hatten sie nun begonnen zu graben, als die Erde von selbst, wie ein Quell aufwallte und gleich darauf ein Kistchen er­schien. Das nahm Elisabeth und setzte es auf ihre Knie. Danach sah sie auch eine große kupferne Kanne, welche sie gleichfalls zu sich nahm. Indessen aber dünkte es der anderen Magd, dass eine Menge Teufel um Liese stan­den, wovon der eine einen Galgen baute, der andere ihr einen Strick um den Hals warf usw., wovon Liese aber nichts fühlte, weil es alles nur eitel Trug und Schein war.

Besorgt für ihre Gesellin, rief die andere: »Liese! Liese! Ach Liese! Sie bringen dich ums Leben!«

Im selben Augenblick flogen Kistchen und Kanne von Elisabeths Knien weg und mit einem derartigen Krach und Knall in die Mauer, dass man meinte, Himmel und Erde sollten vergehen. Liese sank halb ohnmächtig bis an die Schultern in die Erde, sodass man sie heraus­graben musste. Von dem Schrecken, den sie darüber ausgestanden hatte, lag sie ganze siebenundzwanzig Wochen lang krank im Bett. Seitdem wurde sie stets im sie­benten Jahr stark von dem Gespenst angefochten, wel­ches immer klagte und sprach, dass es der, welche die Sache also verdorben, nie gut ergehen solle. Nun sei der Schatz einem anderen beschert, nämlich der Jüngsten des Hauses, welches ein Mädchen von neun Wochen war.