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Des Teufels Reise durch einen Teil des Protestantismus 02

Des Teufels Reise durch einen Teil des Protestantismus
Aufzeichnungen einer hochgestellten Person
Verlag von Wilhelm Jurany. Leipzig. 1847

Die Deputationen

Versutio hatte sich längst in sein Gemach zurückgezogen. Während Satanas so in höchst aufgeregter Stimmung sprach, pickte etwas an den Fensterscheiben. Es waren die Fledermäuse, welche sich aus der ganzen Ge­gend gesammelt hatten, um mit ihrem obersten General in corpore zu tre­ten und ihn ihrer treusten Obedienz zu versichern. Zugleich brachten sie ihm die letzten Tagesneuigkeiten, welche ihre gemeinsame Angelegenheit betrafen und alle diejenigen Blätter, welche so eben aus den vielen Pressen Deutsch­lands hervorgegangen waren, um ihn über den gegenwärtigen Standpunkt der Dinge vollständig zu orientieren. Es wurden all diese Sachen auf den Teetisch niedergelegt. Satanas war von seiner Reise noch zu sehr ermüdet und konnte sie nicht sofort mit seinen funkelnden Augen durchfliegen. Sie bemerkten seine auffallende Verstimmung in dem Grunde der Seele, getrau­ten sich jedoch nicht bei ihrer Stellung zu ihm mit dieser Bemerkung laut zu werden.

Seine Mienen einige Male krampfartig verziehend und mit der rechten Hand über sein Angesicht fahrend, sprach er zu ihnen kurz wie folgt: »Lie­ben Brüder! Es freut mich die große Aufmerksamkeit, welche Ihr mir schen­kt. Ich fühle mich bei den Widerwärtigkeiten und bei den vielen beklagenswerten Erscheinungen unserer Zeiten in meinem Herzen und Gemüt hoch beglückt, dass Ihr sofort mit Euren Diensten bei mir seid. Die Zukunft wird Euch den Beweis meiner vollkommenen Erkenntlichkeit liefern und das Band der Eintracht, welches uns umschlingt, noch fester schürzen. Es sind böse Zeiten, in welchen wir uns befinden und noch schlimmere Zeiten wer­den für uns kommen. Ich kann meinen großen und gerechten Kummer nicht aussprechen; aber es nagt gewaltig an meinem Herzen und Leben. Die Erfahrungen, welche ich in den letzten Zeiten gemacht und die Nachrichten, welche ich von hier und dort empfangen habe, gehören zu den niederschlagendsten meiner Herrschaft. Unser Todfeind, die Presse – schrecklichen Andenkens! – durchbricht überall die Grenzen unseres Reiches, stellt Heere und Mannschaf­ten auf, als ob sie ihr wie Pilze aus der Erde wüchsen. Hier und dort hat sie schon manche unserer Festungen zertrümmert und so festen Fuß auf unsrem Boden gefasst, dass sie – glaubt es mir und traut Euch nicht zu viel in Eurer glücklichen Sicherheit zu, ich kann nicht alles für Euch tun – uns in der Zukunft noch sehr viel wird zu schaffen machen. Auf manche unserer Freunde rechne ich nicht mehr; bald ist ihre Treue nicht fest, bald ist ihre Taktik zu plump. Doch zum Schluss noch einige Fragen.

»Wie viel von Euch wohnen noch unter den Kirchendächern?«

Es traten einundzwanzig Fledermäuse hervor.

»Nun, da ist doch noch nicht alle Hoffnung verloren. Das Resultat stellt sich doch hier schon günstiger heraus, als ich hoffte. Wie viele haben von Euch ihr Quartier noch in den alten Gymnasialgebäuden?«

Es traten sieben Fledermäuse hervor.

»Nicht mehr? Nur sieben? Das ist betrübend! Da sitzt es. Das sieht traurig aus. Ach, da sind doch die Verhältnisse in dieser Beziehung in anderen Ländern viel erfreulicher. Wie vielen ist es denn von Euch gelungen, in den Buchhandlungen der Stadt die Herberge und das Lager sich zu verschaffen?«

Es meldeten sich nur drei Stimmen.

»Ach noch immer zu schwach, viel zu schwach! Das sind die Punkte, welche der größten Aufmerksamkeit würdig sind. Wo wohnen denn die übrigen?«

Sechsundsechzig traten hervor, welche in den Militärkasernen ihr Obdach hatten.

»Ei, ei, das ist mehr! Das ist eine seltene, aber sehr erfreuliche Erscheinung. In diesem Punkt haben sich die Dinge sehr vorteilhaft geändert. Dies will ich morgen sofort weiter berichten. Diese Erfahrung erhebt mich auf einen Augenblick aus meiner tiefen Betrübnis! Ich will nicht weiter fragen, um diesen vorteilhaften und erfreulichen Ein­druck auf mein Herz nicht zu schwächen. Gehabt Euch wohl und seid meiner Freundschaft und Huld versichert. Ich bleibe Euch in Gnaden gewogen.«

Kaum hatten sich die Fledermäuse – es war deren Deputation gewiss aus dreihundert Köpfe stark – entfernt, als das Geräusch vor den Fenstern merken ließ, dass eine zweite Deputation um Einlass bitte. Satanas horchte, riss die Augen auf und der älteste Uhu klammerte sich ans Fenster. Kaum war dieses geöffnet, als eine Schar von vierhundert Nachteulen – groß und klein, alt und jung, männlichen und weiblichen Geschlechtes – in den Audienzsaal trat und sich in geordneter Stellung vor Satanas gruppierte. Der älteste Uhu war von seiner Corporation zum Redner einstimmig gewählt und nach der gegenseitigen Vereinigung begann er abgemachter Maßen:

»Ew. Eminenz Ankunft in unseren Toren gehört zu den wichtigsten Ereignissen des gegenwärtigen Jahrhunderts. Ein langes und schmerzliches Harren unserer ergebenen Herzen ist damit erfüllt. Solche glückliche Nächte, wie die heutige, wo wir das Glück haben, Ew. Eminenz die Huldigungen unserer ergebenen Herzen darzubringen, bleiben unlöschbar gezeichnet in den Annalen unsers glücklichen Reiches. Wir werden noch lange von diesem Glück zu unseren Kindern und Enkeln zu reden den reichsten Stoff haben und lange Zeit wird in unseren seligen Versammlungen diese Nacht der Ge­genstand unserer Unterhaltungen und unserer Freude sein. Sie werden selten so treue Diener finden, als in uns. Was Ew. Eminenz lieben, lieben auch wir und was Ew. Eminenz mit Hass verfolgen, wird auch von uns gehasst. Ew. Eminenz gehört jeder Odem unserer Brust, jeder Seufzer unserer Lun­gen, jedes Wort unseres Mundes, jeder Wunsch unserer Herzen, jede Kraft und jeder Gedanke unseres Geistes. Wir haben nur einen Odem, den, wel­chen Ew. Eminenz uns gegeben hat. Wir haben nur einen Seufzer in unssren Lungen, zu seufzen nämlich über die Verleumdungen und Angriffe, welche Ew. Eminenz erleiden müssen. Wir haben nur ein Wort auf unseren Lippen, das ist der Ruhm und das Lob, welches Ew. Eminenz gebührt. Wir haben nur einen Wunsch in unseren Herzen, den Wunsch, Ew. Eminenz segensreiches Leben bis aus Ende der Tage verlängert zu sehen. Wir fühlen nur eine Kraft in unseren Adern und diese Kraft wird ungeteilt und ungeschwächt bleiben in Ew. Eminenz vielfachen Diensten. Wir hegen nur einen Gedanken in unserer Seele, nämlich den großen Gedanken, Ew. Eminenz heilbringende Wirksamkeit über alle Länder und Völker der Erde ausgebreitet zu wissen. Mit dieser Gesinnung stehen wir hier und ersterben in der tief­sten Devotion als Ew. Eminenz untertänigsten und getreuesten Diener.«

Am Schluss dieser Rede traten aus den vordersten Reihen einige Nachteulen hervor und baten Se. Eminenz um die Erlaubnis, auf seinen Teetisch vor dem Sofa die neuesten literarischen Erscheinungen aus den ver­schiedensten Gegenden niederzulegen und der allerhöchsten Aufmerksamkeit zu würdigen.

Satanas warf auf diese Sachen nur einen flüchtigen Blick und wollte sich die nähere Einsicht in dieselben einer gelegeneren Stunde vorbe­halten. Er hatte die Anrede des Uhus ruhig zugehört. Ohne seine Stelle im Geringsten zu verändern, erwiderte er der geehrten Versammlung mit sicht­barer Rührung seiner ganzen Seele: „Ich glaube der geehrten Versammlung nicht erst ausdrücken zu dür­fen die Zuneigung und die Vorliebe, welche ich gerade gegen ihre Mitglie­der stets unverändert und unwandelbar gehegt habe. Als meine treuen, ja als meine liebsten und geehrtesten Freunde habe ich Euch stets angesehen und als solche seid Ihr auch aller Welt auf das Rühmlichste bekannt. Diesen Ruhm wird auch keine Lästerzunge schmälern, noch weniger jemals vernich­ten können. Das Schöne, was hier und dort aufgeblüht, ist in unserem Jahrhundert, hat man Eurer großartigen und unermüdlichen Tätigkeit zu verdanken. Das patriarchalische Glück, welches schon an manchen Orten den Völkern lächelt, habt Ihr herbeiführen helfen. Es ist betrübend, dass dies noch nicht allseitig anerkannt ist. Die Nachwelt wird gegen Euch billiger, sie muss gegen Euch gerechter sein. Selbst über Haller, meinen Restaura­teur, eine meiner Perlen, denkt man heute gemäßigter und billiger. Die Zurückrufung mancher alter preiswerter und ehrwürdiger Institutionen, welche nun als neue Säulen zu einem großen Dom bereits auf der Bau­stelle lagern, habt Ihr mitbewirkt. Wenn der Bau vollendet wird sein, wer­den Völker und Könige den Lorbeer auf Euer Haupt setzen. Mein Friedrich von Schlegel, dieser Zentralgeist, hat Euch viel vorgearbeitet und sein Ruhm steigt von Tag zu Tag bei allen Parteien. An der Wiederherstellung mancher Gebräuche aus den goldenen und gesegneten Zeiten des Mittelalters habt Ihr großen Anteil. Ohne Eure Tätigkeit nach dieser Seite hätte der verehrte Fr. Hurter nie den Gipfel des Ruhmes erstiegen, auf welchem er nun steht. Um den Glauben, wie er unsrer Zeit Not tut, um der schrecklichen Aufklärerei und den maßlosen Räsonnement kräftigen Ein­halt zu tun, habt Ihr Euch bleibende, ja unsterbliche Verdienste erworben. Jener Wegscheider in Halle, jenes winzige Lichtlein an der Saale, soll bald erlöschen. Schleiermacher, der vornehme Advokat des nicht alten und nicht neuen Glaubens, ist schon ziemlich vergessen. Dinter, der alte Hitzkopf, wird nur im Schaltjahr noch einmal genannt. Tzschirner ist mit allem seinen Pathos längst begraben. Um die Philosophie in ihre Grenzen zurückzudrängen und sie zu unsrer alten Dienerin zu machen, habt Ihr Euer gu­tes Teil geleistet. Hegel ist mit seinem Schlafrock abgezogen. Herr von Schelling ist nicht zu fürchten, noch weniger zu töten. Dass selbst die Po­litik durch Euch eine andere Farbe gewonnen hat und das historische Recht immer siegreicher sich entfaltet, kann nicht mehr lange verkannt bleiben. Ich kann es zu Eurer Ehre sagen … und nehmt dies zugleich als den Dank für Eure vielen Mühen an, Ihr habt doch einen gesegneten Zustand in unserem protestantischen Kirchenwesen, in Landschulen, auf Universitäten, in den Häusern der Hohen und Niedrigen herbeigeführt. Es ist wahrhaft er­freulich zu sehen, dass eine andere Predigtweise auf den Kanzeln laut wird, eine Predigtweise, wie sie fast fünfzig Jahre den Seelen ganz fremd war. Jenes Vernunftgeschwätz hat doch ziemlich aufgehört. Jene Tugendschwärmereien sind so ziemlich verschwunden. Jene Beweisführungen von diesen oder jenen Wahrheiten kommen doch nun selten vor. Jetzt hört man doch wieder einmal die Demut und auch den vollen Eifer. Jetzt vernimmt man doch wieder die alten Mysterien mit ihren grundlosen Tiefen und jene Glau­benssätze, für welche die menschliche Sprache fast keine Worte hat und bei denen alles Denken still steht und bescheiden verzagen muss. Ja, auf unseren Universitäten wird es doch nach und nach anders. Die alten Irrlehrer werden nach und nach abgetan und sind es auch meistenteils. Neue Jrrlehrer kommen jetzt in dieser Region nicht mehr so leicht auf. Das wissen sie und darum ändern sie schon in Zeiten ihre Ansichten. Um die Lücken wieder zu füllen, werden, wie billig, nun erst die Geister weit und breit, im In- und Ausland geprüft und nur zuverlässige Werkzeuge hervorgezogen. Die Hochschulen sind ziemlich gereinigt in der theologischen Fakultät. In den anderen Fakultäten sieht es freilich noch ziemlich arg aus. Doch mit der Zeit wird es auch hier anders werden. In den Landschulen zeigt sich überall ein erfreulicherer Geist. Manche von unseren Seminardirektoren haben Au­ßerordentliches geleistet. Hier werden wir bald so weit sein, dass wir die Diesterwegs ruhig übersehen können; vollends, wenn wir nur erst mehr Schulräte nach meinem Herzen und Sinn bekommen werden. Selbst in vielen Häusern unserer Großen, unter Edelleuten, Freiherren, Grafen wird man doch heute Erscheinungen gewahr, an welche man vor einem Menschenalter gar nicht glaubte. Diese Männer, welche nur französische Lektüre kann­ten, lesen und halten sich nun unsere Blätter in besondern Exemplaren. Sie, welche früher nur von Jagden, Hunden, Gcsandtschaftsposten, Hofbällen und Theater sprachen, reden und kämpfen heute oft so mutig und frei für unsere edle Sache. Sie haben nun ganz andere Gedanken und eine ganz andere Sprache angenommen. Dieser Umstand, dass ein Teil der Aristokratie sich nun mit uns verbindet, verspricht eine reichliche Ernte. Aber einige unter Euch – dies darf ich leider nicht verschweigen – meinen schon am Ziel unserer Bestrebungen zu stehen. Wie wäre solches wohl möglich? Größere Aufgaben stehen Euch noch bevor, als Ihr schon geleistet habt. Unsere Zeit fordert alle Kräfte, wenn es nicht mit unserer edlen Sache wieder rückwärts gehen soll. Überall regt sich ein böser und unseliger Geist. Der Feind fängt jetzt wieder seine Kräfte zu sammeln an, indem er endlich die Gefahr sieht, welche ihm seit Langem drohte und er wird einen Kampf auf Leben und Tod mit uns versuchen. Ich habe auf meiner letzten Rundreise durch mein gro­ßes Reich Erfahrungen gemacht und Dinge in Kenntnis gebracht, auf welche ich wahrlich nicht gefasst sein konnte und welche mir viel von meiner bishe­rigen Heiterkeit geraubt haben. Haltet darum zusammen in Euren Konferenzen und beratet Euch umsichtig und klug; denn wahr bleibt stets das alte Wort: Rom ist nicht an einem Tag gebaut. Ich bleibe Euch in Gnaden gewogen. Zum Zeichen dessen hier jedem unter Euch meine Freundschaftshand.«

Die Deputation verneigte sich ehrfurchtsvoll und entfernte sich leise und still auf demselben Weg, auf welchem sie gekommen war.

Es war bereits zwei Uhr nachts geworden. Am äußersten Rand des Himmels trat der Mond mit seinem Licht hervor. Aber in demselben Augen­blick sank er auch wieder unter dem Horizont. Schwarze Wolken drängten sich und der Sturm heulte noch furchtbarer als vorher. Die Fenster des Hotels klirrten und das schwache Lichtlein zitterte.