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Die Gespenster – Vierter Teil – 16. Erzählung

Die Gespenster
Kurze Erzählungen aus dem Reich der Wahrheit von Samuel Christoph Wagener
Allen guten Schwärmern, welchen es mit dem Bekämpfen und Ablegen beunruhigender Vorurteile in Absicht des Geisterwesens ernst ist, liebevoll gewidmet von dem Erzähler Friedrich Maurer aus dem Jahr 1798
Vierter Teil

Sechzehnte Erzählung

Die Riesengeister bei Demzien

Am dritten Dezember des Jahres 1775, nach­mittags, trug Herr Schade, Schneider, Küster und Schulmei­ster in persona in dem Prinzlich Ferdinandtschen Amtsdorf Schlagenthin, im Magdeburgischen eingepfarrten Dorf Lütchen-Wusterwitz, einige vollendete Schneiderarbeit, zu dem benachbarten Dorf Großdemzien. Es war bereits Abend geworden, als er zu seinem Wohnort zurückkehrte. Und wenn gleich die Ge­gend, durch welche sein Weg ihn führte, ein wenig verrufen und durch die Nachtgeister, die dort hau­sen sollten, berüchtigt war, so ging er doch ohne Furcht, wie er wenigstens sich selbst zu überreden versuchte; zumal da er den Weg allenfalls blindlings zu finden wusste und übrigens in seinem Beruf zu sein glaubte.

In der Nachbarschaft des königlichen Vorwerks Lütchen Demzien war ihm indessen eine schwere Prüfung vorbehalten. Wegen der damals hier noch befindlichen Elslaken stand in dem Weg an den meisten Orten schuhtiefes Wasser, um deswillen für die Fußgänger Stege gelegt waren. Der durch jene Sage, als sei es hier nicht ganz richtig, doch etwas ängstliche Mann, hatte schon die Hälfte dieser Stege hinter sich, als er im hellen Mondschein plötzlich ein scheußliches Gespenst in kolossalischer Größe, ganz weiß, ohne Kopf und mit raschen Schritten auf sich zukommen sah. Er wollte zurücklaufen, aber indem er sich umdrehte, eilte eine zweite, der vorhin beschriebenen ähnli­che Schreckgestalt auf ihn zu. In diesem angstvollen Gedränge kehrte er abermals um, und sprang ins Wasser, um womöglich diesen Erscheinungen zu entgehen und in sein Dorf zu ent­kommen. Das Gespenst schien ihm zwar anfangs auch selbst den nassen Weg zur Flucht abschneiden zu wollen; es mochte ihm jedoch kein rechter Ernst damit sein, und der Flüchtling entwischte den beiden Geistern, sofern sie ihm aus ihrer Mitte entließen. Nun aber vereinigten sich diese, ver­folgten ihn gemeinschaftlich und jagten den armen Mann, der sich zuweilen schüchtern umsah, den größten Teil des übrigen Weges durch dick und dünn vor sich her.

Als endlich der beflügelte Geisterseher ganz ermattet und sowohl von dem ausgebrochenen Angstschweiß als auch von den Feuchtigkeiten der nassen Lake triefend, seinen Wohnort Wusterwitz erreichte, war er einer Ohnmacht nahe. Das Ent­setzen, welches die Unholde ihm fast eine halbe Stunde hindurch verursacht hatten, übertraf nach seiner Versicherung alle Vorstellung. Auch war es in seiner nächsten Wirkung und seinem späteren Erfolg gleich traurig, denn er erkrankte auf der Stelle und lag einige Wochen gefährlich an einem hitzigen Fieber darnieder.

Tages darauf, den vierten Dezember, so schreibt mir der Herr Erzähler zu Schlagenthin, ließ der ernstlich kranke Küster Schade mich zu sich, nach meinem Filialdorf Lütchen-Wusterwitz hinüberrufen. Ich genügte seiner Aufforderung sogleich, und er klagte mir sein Abenteuer. Er sei – dass ich mich seines eigenen Ausdruckes bediene – in böser Geister Gedränge gewesen und von der erlittenen Höllenangst nun sehr krank geworden. Er könne auch nicht anders glauben, als dass die von dem Demzinischen Vorwerk an ihn stets umschwebenden weißen Gestalten Gespenster gewesen waren.

Ich hatte Mühe, ihn dahin zu bereden, dass er nur dieses Mal mir zu Gefallen glauben möchte, es seien mutwillige und böse Menschen gewesen, die ihn hatten erschrecken wollen und sich nun darüber lustig machen würden. Auch sagte ich ihm im Vor­aus, die Sache werde gewiss überall von den vermeintlichen Geistern selbst ausgeplaudert werden. Man werde sich sogar damit rühmen und so, unvorsichtig genug, sich selbst verraten. Er selbst werde daher klüglich handeln, wenn er von dem Vorgang ganz und gar schwiege, damit durch ihn nichts bekannt werde; und die Leute, die davon er­zählen würden, desto wirksamer angehalten werden könnten, zu bekennen, woher sie es wüssten. Auf diese Art würde man den Gauklern unstreitig bald auf die Spur kommen.

Wie gedacht, so geschehen; die Betrüger waren viel zu voll von ihrer vermeintlich witzigen Erfin­dung und Heldentat, als dass nicht sie selbst die Sache unvorsichtig überall hätten ausplaudern und bald ihre eigenen Verräter werden sollen.

Ein paar übermütige junge Leute, welche sich auf dem Königlichen Altenplathower Amtsvorwerk Lütchen-Demzien aufhielten, der eine, Günther, als Knecht, und der andere, Dün­gel, ein Beurlaubter von dem Leibkarabinier Regimente, und zwar von des damaligen Majors, Herrn General von Buddenbrocks Kompanie, wussten, dass der Schade nach Großdemzien gegangen war und noch den nämlichen Tag gegen Abend zurückkehren werde. Man schmiedete daher sogleich einen Plan, wie man ihn abends auf dem Rückweg erschrecken wolle. Es fanden sich bald Ratgeber und Helfer zur Ausführung dessel­ben. Die beiden jungen Burschen ließen sich leicht da­zu bereden, und man war geschäftig, sie mit weißen Hemden, die sie sich überzogen, zu versehen. In die eine Hand gab man ihnen Harken mit langen Betttüchern behangen; in die andere starke lange Stäbe. Auf diese Art konnten sie ihre Gestalt dem Küster Schade bald groß, bald klein zeigen, und der ganzen Farce einigermaßen das Ansehen der Übernatürlichkeit geben. So erwarteten sie nun in einer der Laken bei dem Demzienischen Vorwerk des ohnehin schon furchtsamen Mannes und erhitzten durch ihre gaukelnde Begleitung sein Blut dermaßen, dass die ausgestandene Angst, verbunden mit der Erkältung, wohl nichts anders als ein hitziges Fieber zur Folge haben konnte.

Da dies in der Tat höchst sündliche Gespensterspiel so traurige, obwohl nicht beabsichtigte Fol­gen hatte, zeigte ich die Täter, die sich sogleich ver­rieten, der Gerichtsherrschaft zur verdienten Bestrafung an. Der allgemeinen Ruhe und Sicher­heit wegen hielt ich mich – den Vorgesetzten des Leidenden – hierzu nicht nur berechtigt, sondern schon als Mitglied der Gesellschaft, vielmehr denn als Menschenfreund, selbst verpflich­tet. Und wer wäre nicht mit mir der Meinung, dass ein Übermut dieser Art jederzeit ernstlich gerügt werden sollte.

Hierauf begann mittelst der Gerichte des Königlichen Justizamtes Altenplathow die gerichtliche Untersuchung jenes polizeilichen Unfugs. Der damaligen Justizkommissar Herr Reinsdorf verwies wegen des o.a. Düngel an dessen Regimentsgericht; den o.a. Günther aber, der die Tat, deren Anstifter er vorzüglich war, nicht leugnete, zog er sogleich gefänglich ein. Nach voll­endeter Untersuchung erließ der Richter an mich unter anderen den Bescheid, dass Denunziant Günther, da er geständlich sich den dritten Dezember als ein Gespenst ausgekleidet und in Gesellschaft des Carabinier Düngel dem Schulmeister Schade des Abends um fünf Uhr, einen Schrecken verursacht habe, mit achttägigem Gefängnis bei Wasser und Brot nicht unbillig zu bestrafen, auch sämtliche Kosten zu erstatten, schuldig sei etc. pp.

Auch habe Denunziant, ob er gleich die ganze Sache für einen bloßen Scherz ausgeben wolle, auch bereits dem Schulmeister Abbitte getan habe, dennoch geschehenermaßen in Strafe genommen werden müssen, weil die Handlung nicht nur viel Übermut verrate, sondern auch selbst die öffentliche Sicherheit dadurch leiden könne.

Dass aber die öffentliche Sicherheit auch wirk­lich dadurch litt, davon zeugt zur Genüge die schon erwähnte Krankheit.