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Berliner Polizei- und Kriminalgeschichten in humoristischer Färbung – 2. Geschichte – Teil 4

Jodocus Donatus Hubertus Temme
Berliner Polizei- und Kriminalgeschichten in humoristischer Färbung
Verlag von A. Hofmann & Comp., Berlin 1858

Ein tragisches Ende

Eine Kriminalgeschichte und doch keine

IV.

Die Ausführung der Rache

Es war Mitternacht.

Der Kriminalgerichtsrat Pannemann schlief.

Er war früh, sehr ermüdet und erschöpft zu Bett gegangen.

Den Affen hatte er in dem Käfig gelassen. So war es auch mit Balthasar des Nachts gehalten worden. Er vertraute zwar dem Affen alle seine Schätze und deren Bewachung an, aber nicht sein Leben. Man hat Beispiele, sagte er, dass auch der beste Affe plötzliche Anfälle von Mordlust bekommt. In einem solchen Augenblick könnte er mich im Schlaf erwürgen.

Der Kriminalgerichtsrat schlief fest.

Er wurde geweckt.

»Herr Stadtgerichtsrat, wachen Sie auf.«

Die Stimme sprach leise, ängstlich. Aber desto stärker wurde der Arm des Rates gerüttelt.

Er erwachte.

»Wer ist da?«, fuhr er aus dem Schlaf.

»Still, still. Sprechen Sie um Gotteswillen leise.«

Die alte Haushälterin Rieke stand mit einer kleinen Blendlaterne und mit völlig verstörtem Gesicht vor seinem Bett.

»Sie, Rieke? Was hat Sie?«

»Sprechen Sie um des Himmelswillen leiser, damit er uns nicht hört.«

»Wer, Rieke?«

»Der Affe, Herr Stadtgerichtsrat.«

»Der Affe? Was ist es mit ihm?«

»Er spricht da mit jemandem.«

»Wer? Der Affe?«

»Der Affe. Aber schreien Sie nicht so.«

»Sie redet irre, Rieke.«

»Aber ich schwöre es Ihnen zu. Herr Stadtgerichtsrat, das ist kein Affe. Das ist entweder der leibhaftige Teufel …«

»Es gibt keinen leibhaftigen Teufel, Rieke.«

»Ich weiß es leider, dass Sie ein Gottesleugner sind, Herr Stadt­gerichtsrat, der in keine Kirche geht; sonst könnten Sie solche gottes­lästerliche Redensarten nicht führen und den leibhaftigen Teufel leugnen. Aber, Herr Stadtgerichtsrat, wenn dieser Affe nicht der Teufel ist, so weiß ich nicht, was er ist. Ein Affe ist er nun mal nicht; denn ein Affe kann nicht sprechen.«

»Hat Sie denn wirklich gehört, Rieke, dass er sprach?«

»Gewiss.«

»So erzähle Sie.«

Rieke erzählte.

Sie hatte nicht schlafen können. Auch sie war zu sehr aufgeregt ge­wesen. Der gefährliche Dieb Piepritz wieder da; der arme Affe Balthasar jämmerlich erdrosselt; ihr armer Herr einmal dem Tode fast nahe! Da hörte sie ein sonderbares Geräusch; es war zwischen elf und zwölf. Sie schlief im Entresol nach dem Garten zu. Es kam ihr vor, als ob leise vorn an der Straße die Haustür geöffnet, und dann, als ob unten im Haus leise gesprochen werde. Unten lagen die Zimmer des Rates nebst der Kammer des Affen. Sie horchte eine Weile; das Sprechen dauerte fort. Verstehen konnte sie nichts. Die Sache wurde ihr immer verdächtiger; sie stand zuletzt auf. Sie öffnete ohne Geräusch ihre Tür und lauschte hinaus auf den Flur. Sie konnte nun deutlicher hören. Sie unterschied die Stimmen eines Mannes und eines Knaben. Beide waren etwas heiser, besonders eigentümlich die des Knaben. Sie sprachen in der Nähe der Kammer, in der der Affe war, und die auch eine auf den Hausflur führende Tür hatte. An dieser Tür schien ge­sprochen zu werden. Verstehen konnte sie auch nun nichts. Nur einmal glaubte sie zu hören, wie die Mannesstimme sehr ärgerlich die Worte Dummer Junge aussprach. Darauf hatte sie deutlich gehört, wie in das Schloss der Tür, ganz unzweifelhaft der Tür an der Kammer des Affen, ein Schlüssel eingesteckt und damit in dem Schloss gedreht wurde. Nun hatte sie sich zu ihrem Herrn aufgemacht. Die Blendlaterne hatte die vorsichtige Alte des Nachts immer bei sich.

Der Kriminalgerichtsrat war unter ähnlichen Verbrechensattentaten alt geworden, freilich nur unter solchen, die von anderen und gegen andere verübt waren. Aber die täglichen Mitteilungen darüber hatten ihn doch vertraut damit gemacht. Er blieb völlig ruhig und besonnen, vielleicht eben, weil die Gefahr einmal da war und bei dem gleichzeitigen Ge­danken an den entlassenen Sträfling Piepritz, der schon Betstunden besuchte.

»Es ist kein Zweifel, Rieke, das sind Diebe. Der Piepritz! Ich konnte gefasst darauf sein.«

»Aber sie haben von der Straße her ordentlich die Haustür auf­geschlossen, Herr Rat.«

»Und was soll das sagen, Rieke?«

»Da sind doch die Nachtwächter!«

»Ach Rieke, und wenn Schildwachen vor der Tür ständen! Am Leipziger Platz wohnten einmal zwei Generäle der Infanterie und ein Generalleutnant. Sie hatten zusammen fünf Posten vor den Türen und dennoch wurde mitten zwischen all diesen Schildwachen gestohlen und eingebrochen und eingestiegen, ja einmal das ganze Zinkdach des Hauses abgenommen und fortgetragen. Solche Leute sehen mit sehenden Augen nichts. Nur eins begreife ich nicht, Rieke, wenn es an der Tür des Affen war …«

»Dort war es, Herr Stadtgerichtsrat.«

»Dass sich der Affe nicht gerührt hat.«

»Ach, Herr Stadtgerichtsrat, das ist es ja eben. Die eine Stimme, die des jungen Burschen, schien mir direkt aus der Kammer des Affen zu kommen. Und da kann nur der Affe gesprochen haben.«

»Rieke«, sagte der Rat streng, »damit bleibe Sie mir vom Leibe. Gehe Sie jetzt in meine Wohnstube, damit ich aufstehen kann. Aber leise und schiebe Sie die Blende der Laterne zu. Die Tür von der Kammer des Affen ist nur angelehnt.«

Die alte Haushälterin tat, wie ihr befohlen war.

Der Rat stand auf, kleidete sich rasch notdürftig an, nahm ein paar geladene Pistolen, die er immer an seinem Bett hängen hatte, unter den Arm und trat in die Tür, die aus der Schlafstube in das Wohn­zimmer führte.

Dicht an dieser Tür stand die Haushälterin. Sie hatte sich nicht weiter in das Zimmer hineingewagt.

»Pst, Pst!«, winkte sie so leise wie möglich dem Rat zu.

Sie zog ihn in die Schlafstube zurück.

»Die Stimme ist wahrhaftig in der Kammer des Affen.«

»Welche Stimme?«

»Die des Knaben.«

»Es ist nicht möglich, Rieke.«

»Und dann habe ich auch noch so einen anderen sonderbaren Ton gehört. Es ging mir durch Mark und Bein.«

»Und was war das, Rieke?«

»Als ob drinnen gefeilt werde, und zwar an den Stangen des Käfigs, in dem der Affe sitzt.«

»Und die andere Stimme ist noch draußen?«

»Ich hörte sie noch soeben dort.«

»Ach, Rieke, dann ist der eine Dieb drinnen. Wie könnte auch ein Affe feilen?«

»Aber Herr Stadtgerichtsrat, warum sollten die Diebe den Affen loslassen wollen?«

»Warum haben sie den Balthasar heute ermordet?«

Der Rat ging wieder in sein Wohnzimmer. Weit wagte auch er sich nicht hinein. Das war aber auch nicht nötig.

Schon gleich an der Tür hörte er das Feilen. Es geschah un­zweifelhaft an einem der eisernen Stäbe des Affenkäfigs.

Nach einer Weile wurde eine Pause gemacht. Dann sprach eine heisere Knabenstimme. Sie kam ebenso unzweifelhaft von demselben Käfig. Sie sprach leise, aber der Rat verstand die Worte: »Eine verdammte Arbeit! Ich komme nicht zum Ende.«

Eine heisere Mannesstimme antwortete. Sie war draußen an der Tür der Affenkammer. Dem Rat schlug das Herz, als er sie hörte und erkannte. Es war die Stimme des entlassenen Sträflings Leonhard Piepritz.

»Beeile dich, Junge!«, sagte die Stimme, ebenso leise, wie drin­gend und befehlend. »Meine Nachschlüssel helfen nicht. Drinnen steckt ein Riegel vor der verfluchten Tür. Einen Zentrumbohrer habe ich nicht. Wer konnte auch an solches Malheur denken! Mach nur schnell. Es war mir, als hätte ich schon jemanden im Haus schleichen hören.«

An der Stange wurde wieder gefeilt.

Der Kriminalgerichtsrat kehrte in seine Kammer zurück.

Er hatte die Überzeugung, dass Diebe in seiner Wohnung seien.

»Höre Sie meinen Plan, Rieke. Wir gehen jetzt beide rasch in mein Wohnzimmer. Sie reißt da gleich die Fensterladen auf und schreit durch das Fenster auf die Straße, so laut Sie kann: Diebe, Räuber, Mörder! Ich dringe unterdessen in die Kammer des Affen, um den jungen Dieb dort zu fangen. Gefahr ist nicht dabei. Der Bursche ist in der Kammer allein, meine Pistolen sind geladen und die Türen zum Flur sind alle von innen verriegelt. Hat Sie Mut, Rieke?«

»Ich bin dabei«, sagte die brave Haushälterin, die ihrem Herrn nicht nachstehen wollte.

Der Kriminalgerichtsrat spannte die Hähne seiner beiden Pistolen, steckte Zündhütchen auf die Kamine, nahm die eine Waffe unter den Arm und die andere schussfertig in die Hand und ging so wieder in sein Wohnzimmer. Die Haushälterin folgte ihm mit der offenen Laterne. Beide gingen rasch.

Sie mussten sowohl in der Kammer nebenan als auch im Hausflur ge­hört worden sein.

Man vernahm kein Feilen und kein Sprechen mehr.

Die Haushälterin stürzte zu den Fenstern, um sie aufzureißen und in die Straße zu schreien.

Der Rat stürzte mit seinen gespannten Pistolen in die Kammer des Affen.

Er hatte die Tür weit aufgerissen. Die Haushälterin hatte ihre Laterne auf einen, gerade der Tür gegenüberliegenden Tisch gesetzt. Der­selbe Schein des Lichts fiel voll in die Kammer.

Der Rat sah sich erstaunt, verdutzt, beinahe erschrocken darin um. Es war kein anderes lebendes Wesen darin, als er selbst und der Affe, der in seinem Käfig war. Er sah in alle Ecken, aber kein drittes Ge­schöpf, das Leben und Atem hatte, weder einen Menschen noch einen Affen. Er untersuchte die auf den Flur führende Tür; sie war verschlossen, der Riegel war noch vorgeschoben. Er untersuchte den Käfig des Affen; er war gleichfalls fest verschlossen; der Schlüssel hing an seiner alten Stelle. Er holte aus der Wohnstube die Laterne; er leuchtete damit überall umher; er entdeckte nichts weiter, als was er schon gesehen hatte.

Der Affe lag zusammengekauert auf seinem weichen Lager in dem Käfig, ganz natürlich, wie der Rat hundertmal den Affen Balthasar hatte liegen sehen. Er schien ruhig und fest zu schlafen.

Der Kriminalrat glaubte es.

»Der hat einen festen Schlaf«, sagte er, doch nicht ohne Verwun­dern und Kopfschütteln.

In diesem Augenblick hatte die Haushälterin die Fensterladen aufge­rissen und schrie mit ihrer klaren, lauten, kei­fenden Stimme wü­tend in die dunklen Straßen und in die stille Mitternacht hinein.

»Diebe! Räuber! Mörder! Hilfe! Hilfe!«

Im Nu waren ringsumher zwanzig Fenster aufgerissen, ein halbes Dutzend Nachtwächter auf den Beinen.

Die Polizei in Berlin war doch nicht so schlecht geworden, wie der malkontente Rat sie machte.

»Wo sind die Ränder? Wo sind die Mörder?«

»Hier, hier! Hilfe, Hilfe!«

Es entstand auf der Straße und am Hause ein gräulicher Tumult. Der Affe wurde auch dadurch nicht geweckt; er schlief ruhig weiter. Der Rat schüttelte mehr bedenklich als verwundert den Kopf.

»Solch einen festen Schlaf hat der Mensch nicht einmal!«, sagte er. »Wie ist denn das? Warte, Schlafratz!«

Er holte aus der Ecke die ungeheure Züchtigungspeitsche hervor. Er trat damit an den Käfig. Er führte damit durch die aufrechtstehenden Stäbe einen derben Hieb auf den Affen.

»Himmeldonnerwetter!«, rief der Affe, hochaufspringend.

Der Rat floh zurück bis in sein Wohnzimmer.

»Rieke«, rief er, »der Affe spricht.«

Er fiel erschöpft in seinen Sessel.

Der Nachtwächter des Reviers hatte den Schlüssel zu der Haus­tür. Er hatte sie aufgeschlossen. Man war in das Haus gedrungen, Nachtwächter, Polizeisergeanten, Gendarmen. Der diensteifrige Staats­anwaltsgehilfe war ihnen bald gefolgt. Man hatte ebenso umsichtig, wie schnell gehandelt. Unter der Treppe verborgen hatte man den alten Dieb Leonhard Piepritz gefunden, der nicht mehr hatte entfliehen können. Er wurde festgenommen.

Der Staatsanwalt begann sofort zu inquirieren.

Zuerst den festgenommenen alten Dieb Piepritz.

»Wie heißt Er?«

»Leonhard Piepritz, Herr Staatsanwalt.«

Friedrich Schulz hatte den alten Meister mit der neuen Gesetzgebung und deren Institutionen bereits völlig vertraut gemacht.

»Piepritz ist Er? Ich meinte, Er habe sich gebessert, und wolle fortan nur auf den Wegen des Rechts gehen.«

»Jawohl, Herr Staatsanwalt, das ist mein fester Wille mit Gott, und darum eben sehen Sie mich hier.«

»Darum? Unterstehe Er sich nicht, die Autoritäten zum Besten haben zu wollen.«

»Gott soll mich behüten, Herr Staatsanwalt. Ich weiß, dass Sie der Wächter des Gesetzes sind, und Sie werden mir daher Recht geben, dass ein Vater, der seinen verlorenen Sohn aufsucht, um ihn in das väterliche Haus zurückzuführen, auf den Wegen des Rechts wandelt.«

»Aber Er ist hier als ein Dieb ergriffen.«

»Nur mein Kind habe ich hier gesucht.«

»Warum verkroch Er sich denn bei der Ankunft der Polizei?«

»Nicht erst bei der Ankunft der Polizei. Schon früher hatte ich mich verborgen, als ich hörte, dass Räuber und Mörder im Haus seien.«

»Und vor den Räubern und Mördern fürchtet Er sich?«

»So ist es, hochgeehrtester Herr Staatsanwalt.«

Der Staatsanwalt war noch neu in der Residenz. Er hatte in der Provinz gute Dienste geleistet, und darum war er in die Residenz ver­setzt. Aber die Berliner Diebe kannte er noch nicht.

»Wo ist denn Sein Kind?«, fragte er mit zweifelndem Kopfschütteln.

»In jener Kammer, Herr Staatsanwalt. Dort wird mein armes Kind schändlich gefangen gehalten.«

Der Staatsanwalt begab sich in die Kammer des Affen. Er fand hier nur den Affen, der in seinem Käsig lag und wieder zu schlafen schien.

Er kehrte zu dem alten Diebe zurück, in die ehemalige Arbeitsstube des Kriminalrats; sie hatte man zu seinem Inquisitionsbüro improvisiert.

»In jener Kammer ist nur ein Affe.«

»Das ist mein Kind, mein beklagenswertes Kind!«

»Ich rate ihm …! Wenn Er bei solchem frechen Hohn verbleibt, so lasse ich Ihn sofort in Aufbewahrungsarrest bringen.«

»Fragen Sie ihn nur, bester Herr Staatsanwalt. Ich beschwöre Sie.«

»Wen soll ich fragen?«

»Den Affen, mein Kind.«

»Mensch!«

»Ich beschwöre Sie.«

Der Dieb sprach mit solchem Ausdruck der Wahrheit!

Der Staatsanwalt ging zum zweiten Mal in die Kammer des Affen. Aber ganz allein. Er wollte sich wohl nicht kompromittiert haben, wenn der Affe nicht der Sohn des Diebes war.

Er trat an den Käfig des Affen. Er beleuchtete nach allen Seiten das Tier. Er sah einen veritablen, fest schlafenden Affen. Dennoch, seine Pflicht forderte es, und er war ja allein, redete er ihn an.

»Du, wenn du wirklich ein Mensch bist, so stehe auf und gib Antwort.«

Der Affe rührte sich nicht.

»Ich dachte es wohl«, sagte der Staatsanwalt. »Das ist ein frecher, verstockter Bursche; gegen den muss man die strengsten Maßregeln gebrauchen.«

Er sprach von dem alten Dieb.

Der Affe mochte, namentlich in der Erinnerung an den bereits er­haltenen Peitschenschlag, an etwas anderes denken. Er sprang auf.

»Hier bin ich? Was soll ich?«, rief er mit seiner dünnen, heiseren Stimme.

Auch der Staatsanwalt floh zurück, von dem Käfig, aus der Kammer.

Solche Lagen können die deutsche Praxis wie die franzö­sische Jurisprudenz verwirren.

Aber der Staatsanwalt war noch ein junger Mann und er erholte sich eher als der emeritierte Inquirent.

Er begab sich wieder zu dem Affen. Er inquirierte diesen. Dann wieder den alten Dieb. Dann die Haushälterin. Jene sagten ihm nicht viel. Diese wusste nicht viel. So erfuhr er Folgendes:

Der alte Piepritz blieb dabei, dass er nur hergekommen sei, um sein Kind zu befreien, das Friedrich Schulz, der es zum Affen erzogen, wider seinen Willen als Affen verkauft habe. Dass er durch Hilfe eines Nachschlüssels in das Haus des Rats gekommen sei, gestand er zu, dies sei aber an und für sich kein Verbrechen und eine verbrecherische Absicht leugnete er.

Der junge Piepritz gestand ein, dass er bei seinem Verbrechen zu­gegen gewesen, er wollte aber nur darum geschwiegen haben, weil Friedrich Schulz ihm mit furchtbaren Misshandlungen gedroht habe.

Die alte Haushälterin erzählte den Tod des alten, die Erwerbung des neuen Affen, die Versuche des alten Piepritz, mit einem Nachschlüssel die Kammertür zu öffnen, die des jungen, durch Feilen sich aus seinem Kerker zu befreien, alles in unzweifelhafter Absicht, den Rat zu bestehlen, dessen Geld hauptsächlich in der Kammer des Affen sich befinde, und von dem alten Affen Balthasar dort verwahrt und bewacht sei.

Nachschlüssel und Feile wurden aufgefunden, auch die klaren Spu­ren der damit gemachten Versuche.

Darauf begab der Staatsanwalt sich zu dem Kriminalgerichtsrat.

Der alte Mann hatte von dem Schreck, dem Ärger, der Angst, und was sonst alles ihm heute Abend und Nacht in die Glieder ge­fahren war, sich nicht erholen können. Er lag erschöpft, halbschlummernd, in seinem Sessel. Der Anblick des Staatsanwalts machte ihn wieder lebhafter. Vielleicht auch Aufregung seines Zorns.

»Welches ist Ihre Ansicht von der Sache?«, fragte ihn höflich der Staatsanwalt.

»Nach unserem ehrlichen preußischen Recht«, antwortete der Ber­liner Kriminalgerichtsrat, »liegen offenbar genug schwere Verbrechen vor.«

»Ich erlaubte mir die Frage eben mit Beziehung auf unser preu­ßisches Strafgesetzbuch.«

»Ein solches französisches Gesetz nennen Sie preußisches Recht!«

»Ah, ich bedaure, auch Sie in dem beklagenswerten Irrtum zu sehen, den die Böswilligkeit zu verbreiten und zu unterhalten sucht, dass unsere neue Gesetzgebung keine nationale sei.«

»Kennt Ihre neue Gesetzgebung denn vielleicht auch Betrug und Diebstahl?«

»Gewiss.«

»Nun, dann werden Sie wissen, welche Verbrechen hier heute stattgefunden haben.«

Der Staatsanwalt zuckte höflich bedauernd die Achseln.

»Dürfte ich bitten, mir dafür Data anzugeben?«

»Nach dem, was meine Haushälterin mir gesagt, hat sie Ihnen alles mitgeteilt.«

»Sie wissen dem nichts hinzuzusetzen?«

»Nichts.«

»So bedaure ich aufrichtig, dass hier in keiner Art der Tatbestand eines Verbrechens vorliegt.«

Der Kriminalgerichtsrat fuhr wie konvulsivisch in die Höhe; man konnte nicht unterscheiden, ob mehr vor Schreck oder mehr vor Zorn.

»Was, Herr …? Was, kein Verbrechen?«

»Wie gesagt, ich bedaure.«

Der junge Beamte blieb, dem alten Mann gegenüber, immer höflich.

Der alte Kriminalist wurde heftiger.

»Ist hier nicht ein frecher gewaltsamer Diebstahl gegen mich ver­sucht?«, rief er.

»Das neue Gesetz kennt nur einen ausgezeichneten Diebstahl, frei­lich im Ganzen mit denselben Kriterien des früheren gewaltsamen.«

»Nun, hat der Dieb denn nicht in der Absicht, mich zu bestehlen, seinen Burschen oder Affen in mein Haus gebracht?«

»Es ist möglich. Indessen, wenn es auch erwiesen wäre, dies wäre kein Verbrechen.«

»Auch kein Versuch?«

»Auch noch kein Versuch. Nach dem Strafgesetzbuch wie nach der richtigen Theorie ist strafbarer Versuch nur eine solche Handlung, welche einen Anfang der Ausführung eines Verbrechens enthält.«

Der Kriminalrat jammerte.

»Von einer solchen Theorie wussten wir zu unserer Zeit nichts. Wenn der Verbrecher etwas getan hatte, offenbar in der Absicht, ein Verbrechen auszuführen, so straften wir ihn, und das hatte er verdient. Und nun solche Spitzfindigkeiten! Aber weiter, hat denn der alte Dieb nicht mit Nachschlüsseln meine Haustür geöffnet und ist er nicht so, offenbar in diebischer Absicht, in mein Haus eingedrungen?«

Der Staatsanwalt zuckte wieder die Achseln.

»Auch das ist noch kein Anfang der Ausführung.«

Dem Kriminalrat brach der Schweiß aus.

»Großer Gott, großer Gott!«, sagte er. »Aber, mein Herr, der Mensch hat auch mit seinen Nachschlüsseln die Stube jener Kammer zu öffnen versucht. Ist Ihnen auch das kein strafbarer Versuch des Diebstahls?«

»Darüber ließe sich streiten.«

»Mit ihm?«

»Im Gericht.«

»Es ist Ihnen selbst also zweifelhaft, ob das ein Verbrechen sei.«

»Sehr!«

»Ihnen, der die Gesetze so genau kennen muss und kennt? Und dennoch würden Sie jenen Menschen deshalb anklagen? Er soll bestraft werden für etwas, von dem Ihnen sogar zweifelhaft ist, ob es strafbar sei?«

Der Staatsanwalt zuckte die Achseln.

»Allerdings, Herr Rat,« sagte er. »Die Tür, an welcher der Mensch jene Versuche machte, war inwendig so fest verriegelt, dass kein Operieren mit dem Nachschlüssel sie zu öffnen vermochte. Das geben Sie zu?«

»Gottlob war es so,« stöhnte der Rat. »Sonst wäre ich ein armer bestohlener Mann.«

»Also war ein jedes solches Operieren ein durchaus untaugliches Mittel, das gar nicht zu dem verbrecherischen Zweck des Menschen, also auch nicht zur Ausführung des Verbrechens führen konnte.«

»Gottlob,« sagte der Rat wieder.

»Und da nun das Gesetz zum Tatbestand des strafbaren Versuchs eine Handlung fordert, die einen Anfang der Ausführung des Verbrechens enthält, zu dieser Ausführung also führen kann, so werden Sie mir wieder zugeben …«

»Großer Gott, großer Gott!«, rief der Rat. »Das nennt man das Recht! Aber,« fuhr er lebhafter fort, »der Affe, der Bursche, war doch auch ein Mittel zu dem Diebstahl, und der Junge hat schon gefeilt und er konnte leicht die Stange durchfeilen und aus dem Käfig kommen und dann den Riegel der Tür zurückschieben und dann …«

»Aber, mein Herr, er war doch nur bis zum Feilen gekommen, und das war noch keine Versuchs-, sondern erst eine Vorbereitungshand­lung. Die neuere Doktrin unterscheidet darin sehr frei …«

»Hol die neuere Doktrin der … Aber, Herr Staatsanwalt«, und der Kriminalrat spielte mit sicherem Triumph seinen letzten Trumpf aus. »Aber, dass ich betrogen bin, niederträchtig betrogen, das wer­den Sie mit all Ihrer neuen Jurisprudenz und Theorie und Doktrin mir doch nicht abstreiten können.«

»Betrogen?«, konstatierte der Staatsanwalt verneinend.

»Hat man mir nicht einen Menschen für einen Affen verkauft?«

»Gewiss.«

»Wider besseres Wissen?«

»Unzweifelhaft.«

»Für dreihundert Taler?«

»So ist es.«

»Nun, mein Herr, bin ich denn nicht um dreihundert Taler be­trogen worden?«

»Ich bedaure, um keinen Silbergroschen.«

»Wie, wie, auch das nicht!«

»Zu einem Betrug gehört die wirkliche Veranlassung eines Irrtums in der betrügerischen Absicht, nicht bloß die Benutzung eines schon in dem Betrogenen vorhandenen Irrtums. Jener Bursche hat nun aber das Geschäft eines auf den Straßen und öffentlichen Plätzen tanzenden und spielenden Affen schon lange getrieben, ehe man daran dachte, Sie mit ihm zusammenzubringen. Man hat also nur einen bereits vorhandenen Irrtum gegen Sie benutzt.«

»Himmel! Himmel!«

»Abgesehen davon kommt auch hier jenes jugendliche Alter des Burschen in Betracht; er selbst also ist unschuldig. Und darüber, dass sein Vater zu dem Verkauf mitgewirkt habe, steht gar nichts fest.«

»Also auch nicht betrogen wäre ich?«

»Wie gesagt, ich bedauere …«

»Das bedauern Sie noch, dass ich nicht um meine dreihundert Taler geprellt bin?«

»Dagegen«, sprach der Staatsanwalt mit erhöhter Stimme weiter, »lässt sich nicht leugnen, dass hier an sich das schwere Verbrechen der Freiheitsberaubung vorliegt; der Bursche ist ohne seinen rechtsgültigen Willen, also widerrechtlich, gefangen gehalten worden. Sie haben ihn gar in einen Affenkäfig eingesperrt, ihn auch außerdem wie einen Affen behandelt …«

Der Stadtgerichtsrat wurde leichenblass.

»Großer Gott, nun soll ich gar der Verbrecher sein …«

»Ich spreche das noch nicht aus. Ich sage nur, dass objektiv das Verbrechen der Freiheitsberaubung vorliegt. Um Sie dessen anklagen zu können, müsste ich vorher …«

Der alte Berliner Kriminalist fuhr in seinem Sessel hoch empor.

»Allmächtiger Gott! Die Diebe haben mich nicht bestehlen wollen! Ich bin nicht um meine dreihundert Taler betrogen worden! Kein Verbrechen ist gegen mich begangen! Aber ich, ich könnte eins begangen haben! Ich könnte als Verbrecher auf die Anklagebank kommen!«

Das war für den alten Mann zu viel. Das Blut schoss ihm heftig zum Kopf.

»O Zeit! O Gesetze! O Recht!«

Seine Sinne hatten sich offenbar verwirrt.

Er fiel in seinen Sessel zurück.

Er war tot.