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Vergessene Helden 15

Weniger ist oft mehr

Wenn ich jetzt schreibe, dass wir uns in der heutigen Ausgabe dieser Kolumne an Protagonisten vergangener Westernserien erinnern wollen, wird der eine oder andere wahrscheinlich spontan an Bonanza, Big Valley oder die Leute von der Shiloh Ranch denken.

Aber dem ist nicht so, und deshalb bleibt auch Rauchende Colts außen vor und High Chaparral und Lancer und, und, und …

Warum, wird sich jetzt so mancher fragen, diese Serien sind doch Kult. Helden wie Little Joe, Trampas oder Marshal Matt Dillon sind doch Legenden, die in drei, vier oder sogar mehr als fünfhundert Folgen über Jahrzehnte hinweg zu sehen waren. Eben und das ist auch der Grund, weshalb diese Serien nicht erwähnt werden. Sicher hatten sie alle ihre Daseinsberechtigung, sie erzählten gewissermaßen die Geschichte des Wilden Westens mit all seinen Facetten. Sei es das Leben auf einer Ranch, Konflikte mit den Indianern, aufrechte Marshals und Sheriffs im Kampf gegen skrupellose Verbrecher oder zu Herzen gehende menschliche Schicksale in einer rauen Zeit in einem rauen Land und das in zum Teil Hunderten von Folgen.

Aber genau das ist das Problem.

Nach mehr als einhundert oder zweihundert Folgen sind alle Geschichten je nach Serie und ihren Protagonisten erzählt. Also nimmt man diese Storys und erzählt sie mit neuen Gesichtern und an anderen Orten mit ein oder zwei Änderungen noch einmal, um die Serie um des Mammons willen noch länger auszuschlachten. Spätestens da wurde es langsam unglaubwürdig, aber als man dann noch versuchte, es mit Comedy zu probieren, war es nur noch lächerlich. Bei aller Liebe, aber bei all den oben genannten Longplayern hätte man spätestens bei Folge 150 Stopp sagen müssen. Man tat es nicht und deshalb wurden sie formelhaft und schließlich zur Selbstparodie.

Denn sind wir mal ehrlich, braucht es eine Episode wie die 20. der 6. Staffel von Bonanza mit dem gewöhnungsbedürftigen Titel Ponderosa Birdman, in welcher der naive Hoss von einem skrupellosen Erfinder überzeugt wird, dass er eine Art Vogelmann werden und durch den Himmel fliegen kann?

Mr. Henry Comstock oder die Folge Auf Walter ist Verlass, in der sich Hoss um einen verschrobenen Oldtimer und besagte Promenadenmischung Walter kümmert und nebenbei unschöne Erfahrungen mit einem scharfen Bohneneintopf macht, sind nur weitere Folgen, mit der ein richtiger Westernfan genauso viel anfangen kann wie eine Kuh mit einer Muskatnuss. Rauchende Colts macht hier mit so mancher Episode, in der Festus mit seinem Maultier, das im Original übrigens Ruth, bei den ARD-Ausstrahlungen Grete hieß, die Hauptrolle spielte, keine Ausnahme. Trampas bei mehreren Folgen mit den Leuten von der Shiloh Ranch ebenso und somit kommen wir wieder zum Titel unserer Kolumne.

Weniger ist in der Tat oft mehr. Dass es funktioniert und eine Serie mit einer interessanten und vor allen Dingen spannenden Story mit einem durchgehendem roten Faden, der die Zuschauer mitfiebern lässt, und die in einer überschaubaren Anzahl von Folgen endet, durchaus funktioniert und sogar Kult werden kann, möchte ich anhand von zwei Beispielen aufzeigen.

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In der ersten dieser besagten Serien gibt es zum Beispiel einen Protagonisten, der die Prärie und die endlose Weite des Westens nur vom Hörensagen kennt. Seine Welt waren die von der Sonne überfluteten Straßen von News Orleans, der Geruch von Seetang, Fisch und Teer, der die Gassen der Hafenstadt erfüllte, und die salzig schmeckende Brise des Meeres.

Yancy Derringer (unnachahmlich gespielt von Jock Mahoney), der Held der gleichnamigen Serie, ist ein ehemaliger Südstaatenoffizier, der stets hochelegant gekleidet und mit ausgezeichneten Manieren ausgestattet, scheinbar den lieben langen Tag nichts anderes zu tun hat, als sein Glück am Spieltisch oder bei den Frauen zu suchen. Aber nur scheinbar, denn in Wirklichkeit ist Derringer als Geheimagent für die Stadt tätig. Sein Auftrag ist nicht weniger als die Wiederherstellung von Ordnung, Sittlichkeit, Recht und Gesetz und das in einer Hafenstadt, in der kurz nach dem Ende des Bürgerkrieges ein Mann binnen weniger Stunden alle zehn Gebote der Bibel brechen kann. Sein Auftraggeber ist der Stadtverordnete John Colton, ein ehemaliger Offizier der siegreichen Nordstaatenarmee.

Der einzige Mensch in diesem Hafendschungel, der ihm dabei zur Seite steht, ist der taubstumme Pawnee-Indianer Pahoo Ka Ta Wah, dem Yancy einst das Leben rettete. Immer im Hintergrund greift er nur dann zu seiner verborgenen Schrotflinte, die er in einem Futteral auf dem Rücken trägt, wenn ihr beider Leben in Gefahr ist. Allein der Plot hebt sich von den ganzen Rancher-Serien und Abenteuern gesetzestreuer Marshals und Sheriffs oder einsamen Reitern, die durch die Prärie streifen und den Schwachen beistehen, wohltuend ab.

Gespielt wurde der Part des Pawnees von dem Schauspieler und Stuntman X Brands und das mit solcher Intensität, dass eigentlich er der heimliche Star der Serie war.

Die Serie wurde zwischen 1958 und 1959 in den USA ausgestrahlt. Während dort ab dem 2. Oktober1958 insgesamt 34 halbstündige Episoden zu sehen waren, wurden in Deutschland nur 26 Folgen a 25 Minuten ausgestrahlt und das auch noch in nicht chronologischer Reihenfolge, obwohl die Serie hierzulande ein Riesenerfolg wurde.

Am 3. Januar 1967 startete das ZDF mit der Folge Rückkehr nach New Orleans, die in der Originalserie mit dem Titel Return to New Orleans auch die 1. Episode war. Folge 4 An Ace Called Spade, Folge 9 Memo to a Firing Squad, Folge 11 Marble Fingers, Folge 18 A Game of Chance und Folge 19 Panic in Town wurden ebenso wie die Folgen 22 Longhair, 26 Fire on the Frontier sowie 31 V as in Voodoo weder angekauft noch ausgestrahlt.

Folge 34, die letzte Episode im Original Two Tickets to Promontory wurde im ZDF dann am 14. Februar 1967 als Fahrschein in Jenseits als 26. und letzte Folge präsentiert.

Zusammengenommen lässt sich sagen, das Yancy Derringer durchaus auch 50 Folgen vertragen hätte, aber danach wäre die Serie aufgrund ihres auf eine Stadt beschränkten Umfelds, in dem die Abenteuer spielten, erzählt. Alle weiteren Folgen wären dann Episoden nach dem Motto alter Wein in neuen Schläuchen gewesen und Comedy in diesem Milieu war sowieso nur schwer zu vermitteln. Die Macher erkannten scheinbar, wann man Schluss machen sollte, wenn auch ein oder zwei Dutzend Folgen zu früh. Doch vielleicht war gerade dieses Aufhören, wenn es am schönsten ist, auch mit ein Grund, warum die Serie fast sechzig Jahre nach ihrer deutschen Erstausstrahlung immer noch Kult ist.

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Eine weitere Serie mit Kultstatus, die ebenso wie Yancy Derringer auch heute noch im Schatten von Bonanza und anderen Schwergewichten der US-Westernserien steht, ist die 34-teilige Serie A Man Called Shenandoah, bei uns als Der Mann ohne Namen bekannt.

A Man Called Shenandoah mit Robert Horton in der Hauptrolle, der auch den Titelsong sang, der ebenfalls Berühmtheit erlangte, war eine amerikanische Westernserie, die vom 13. September 1965 bis zum 16. Mai 1966 auf ABC-TV ausgestrahlt wurde. Insgesamt gab es 34 halbstündige in Schwarzweiß gedrehte Episoden. Auch hier hat das ZDF nur 26 willkürlich ausgewählte Folgen eingekauft, die sie vom 28. August 1967 wöchentlich bis zum 04. März 1968 ausstrahlte.

Mit Shenandoah versuchte man ebenfalls neue Wege zu gehen, also weg von Protagonisten wie Rancher, Marshal, Wells Fargo Agenten oder Army Scouts und Cowboys.

Die Storyline hierzu war dabei so einfach wie genial.

Die erste Folge, im Original The Onslaught, im ZDF Am Tod vorbei, spielt im Jahr 1870, fünf Jahre nach Ende des Bürgerkrieges. Zwei Büffeljäger finden einen Mann mit einer schweren Kopfverletzung halbtot in der Prärie liegend. Da sie denken, er sei ein Gesetzesloser, nehmen sie ihn mit in die nächste Stadt in der Hoffnung, dort eine Belohnung zu erhalten. Der Arzt dort rettet dem Fremden das Leben, doch als dieser wieder zu Bewusstsein kommt, hat er keine Erinnerung daran, wer er ist und wer ihn niedergeschossen hat. Der Arzt gibt ihm den Namen Shenandoah, was, wie er sagt, so viel wie Land der Stille bedeutet.

Als Shenandoah wieder auf den Beinen ist, streift er von nun an auf der Suche nach seiner Identität im Westen herum. In den nachfolgenden Episoden erfährt er und damit auch der Zuschauer immer wieder kleine Hinweise auf sein wahres Ich. Nach und nach stellt sich heraus, dass er im Bürgerkrieg als Offizier in der Unionsarmee diente und auch, dass er verheiratet war.

Shenandoah war die erste Serie, in der sich ein Mann auf die Suche nach seiner Identität macht.

In der letzten Folge mit dem Titel Macauley’s Cure, die nicht in Deutschland gezeigt wurde, endet alles damit, das Mrs. Macauley zu Shenandoah sagt: »Es ist nicht immer wichtig, wer du bist, es ist immer nur wichtig, was du bist.«

Dann verabschiedete sich Shenandoah und reitet davon, um endlich Licht in das Dunkel seiner Vergangenheit zu bringen.

Schade ist nur, dass die Serie nach über fünfzig Jahren nicht mehr wiederholt wird und als DVD leider nicht in deutscher Sprache auf dem Markt ist.

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Es gibt noch mehr solcher Westernperlen, die nichts mit den üblichen damaligen Serienklischees gemeinsam hatten und trotzdem so gut funktionierten, dass sie heute Legenden sind. Man denke nur an Geächtet, im Original Branded, oder Bronco oder Westlich von Santa Fe oder, oder … Aber sie alle aufzuführen und zu besprechen, sprengt den Rahmen dieser Kolumne. Also belasse ich es bei den beiden erwähnten Serien, denn wie sagt schon der Titel dieser Ausgabe der Vergessenen Helden? Weniger ist oft mehr.

Quellenhinweis:

(gsch)