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Nick Carter – Band 14 – Ein beraubter Dieb – Kapitel 10

Nick Carter
Amerikas größter Detektiv
Ein beraubter Dieb
Ein Detektivroman

Patsy auf dem Kriegspfad

Wie der geneigte Leser weiß, war Patsy den beiden jungen Strolchen auf ihrer Flucht vor dem plötzlich auf der Bildfläche aufgetauchten Bart Meyers gefolgt. Das war nicht nur zum Schutz der beiden geschehen, sondern auch, weil ihn nach einer Aufklärung des verworrenen Sachverhaltes verlangte. War er doch nun davon überzeugt, dass Spike und Bally sich in das Zimmer des Verbrechers aus Chicago eingeschlichen und dort den Inhalt des Lederkastens geraubt hatten.

Was ihm indessen schleierhaft blieb, war die Art und Weise, auf welche der Raub geschehen war; hatte er doch vor dem Haus, in welchem Spikes Tante wohnte, auf der Lauer gestanden, und hatte es ihn doch schon zuvor in Erstaunen versetzt, als er Spike und Bally von einer ganz anderen Richtung plötzlich wieder auf der Avenue hatte auftauchen sehen.

Nun folgte er den Burschen nach einem kleinen Saloon in der Nachbarschaft von Chatham Square.

Wie alle Memmen, so waren auch die beiden Burschen durch ihr gefahrvolles Abenteuer zuerst schreckgelähmt gewesen; doch ihr Mut war schnell zurückgekehrt, als sie wahrgenommen hatten, dass sie – Nick Carter und seinen Gehilfen sei Dank – vorläufig nichts für ihr kostbares Leben zu befürchten hatten.

Dessen ungeachtet blieben sie dabei, dem ihnen hart zusetzenden Patsy gegenüber einen Diebstahl des Kasteninhalts aus dem Zimmer Bart Meyers rundweg abzuleugnen.

»Mach mir doch keine Flausen vor, Spike«, erklärte Patsy schließlich, die Geduld verlierend. »Deshalb weiß ich doch, dass du in Bart Meyers Wohnung eingedrungen bist und aus ihm die Zeichnungen und das Modell entwendet hast. Ich weiß, wann es geschehen ist, ja, ich sah euch sogar, als ihr von der Tat zurückgekehrt seid!«

Es entging ihm nicht, dass die beiden Burschen ihn sichtlich betroffen anschauten, doch sie gingen auf seine Anspielungen nicht ein. Vielleicht aus dem Grund, weil sie nicht wussten, wie weit die Kenntnis des jungen Detektivs ging und sie auf der anderen Seite von der Überzeugung durchdrungen waren, dass der Einbruch von niemandem beobachtet worden sein konnte.

»Well«, fuhr Patsy gelassen fort, »ich kann euch nicht dazu zwingen, mir die Wahrheit zu sagen, und ich werde diese auch ohne euch herausbekommen, verlasst euch darauf. Es handelt sich nur darum, ob wir gemeinsam handeln wollen oder nicht.«

»Ach was, sage mir lieber, wie viel ich von der alten Frau herausschlagen kann!«, drängte Spike.

Nur mit Mühe konnte Patsy ein Lächeln unterdrücken, denn mit seiner Frage gab der Strolch ohne Weiteres zu, dass er den Kasteninhalt in seinen Besitz gebracht hatte. Doch gelassen entgegnete er nach kurzem Besinnen: »Well, 12.000 Dollar ist die Kiste unter Brüdern wert; diese Summe könnt ihr ruhig fordern!«

»Donnerwetter!«, schrie Spike, dem vor freudiger Überraschung der Mund offen stehen blieb; und auch ein Kumpan tanzte wie besessen auf dem Stuhl herum. »Sage, Pard, hat denn die alte Lady so viel Zimmet?«

»Gewiss!«, erklärte Patsy kaltblütig, der aus der freudigen Erregung der beiden ohne Weiteres erkannte, dass diese von Bart Meyers in keiner Weise eingeweiht worden waren, denn sonst hätten sie wissen müssen, dass dieser von Elwell und Seaman volle 50.000 Dollar verlangt hatte.

Der junge Detektiv stand vom Stuhl auf und meinte leichthin: »Wollt ihr mit der Witwe in Verhandlung treten, so kommt morgen früh um neun Uhr zu mir, dann sollt ihr die Adresse erhalten.«

Es entging ihm nicht, dass die Zustimmung der beiden Burschen ziemlich zögernd erfolgte.

Er hatte die Gewissheit, dass sie schon jetzt daran dachten, ihn an der Nase herumzuführen. Doch das verschlug ihm wenig, denn ihm war mittlerweile ein Gedanke gekommen, dessen Ausführung ihn der Beihilfe Spikes und Ballys enthob.

»Wer zuletzt lacht, der lacht am besten«, brummte der junge Detektiv vor sich hin, als er den Saloon verließ und die Straße wieder betrat. Er begab sich zur nächsten Hochbahnstation und fuhr zur 42th Street.

Dort angekommen, begab er sich ungesäumt nach Avenue A und suchte das Haus auf, in welchem Spikes Tante wohnte.

Sein Glücksstern ließ ihn unter der Haustür das Mädchen antreffen, dem er jenen heftigen Auftritt im Treppenhaus zu verdanken hatte. Sie nickte ihm vertraulich zu und ließ sich seine Annäherung gern gefallen.

»Sagen Sie mal«, flüsterte sie, »waren es die beiden Burschen, welchen Sie heute so rasch nachfolgten, als Sie mich im Candystore stehen ließen, die Sie auf dem Strich haben?«

»Gewiss«, gab Patsy zurück. »Seien Sie nicht böse, weil ich Sie so unhöflich stehen ließ, doch es handelt sich um ein paar abgefeimte Gauner.«

»Well, mir liegt nichts an ihnen«, erklärte das Mädchen. »Ich habe herausbekommen, dass sie vom Boden aus über eine Leiter zum Dach gekrochen sind – meine kleine Schwester hat es mir anvertraut, denn sie hängte gerade auf dem Dach Wäsche auf.«

Sofort war Patsy alles klar. Die beiden Burschen hatten einfach ihren Weg über die Dächer bis zur nächsten Straßenecke genommen, wo das Haus stand, in welchem Bart Meyers’ Zimmer sich befand. Dort waren sie hinuntergestiegen und hatten den Raub in aller Gemütlichkeit ausgeführt.

»Schön von Ihnen, dass Sie mir dies berichtet haben«, erklärte Patsy nun, innerlich frohlockend. »Wie wäre es, nähmen wir dort in dem Ecksalon eine kleine Erfrischung, eh?«

Das Mädchen war damit einverstanden und begab sich mit Patsy zu dem von Bart Meyers bewohnten Haus, in dessen Erdgeschoss sich der angesprochene Saloon befand.

»Well«, meinte Patsy lachend, als sie im Nebenzimmer nun einander gegenüber an einem Tisch saßen. »Wenn Ihr lieber Bruder uns nun zusammen antrifft, geht es mir schlecht!«

»Ach was, er ist nur ein Großmaul«, erklärte das Mädchen lachend und zuckte verächtlich mit den Schultern. »Zudem strolcht er irgendwo in der Stadt herum – den brauchen wir nicht zu fürchten!«

»Vielleicht aber muss man die Leute hier im Saloon fürchten. Was ist denn das für eine Sorte?«

»Hier geht es anständig zu, sonst wäre ich nicht mit hereingekommen«, erklärte das Mädchen und nickte dem Wirt zu, der gerade mit Getränken ins Zimmer kam. Es war ein roh ausschauender, aber ehrlich blickender Mann.

»Mike«, sagte sie, ihm vertraulich zunickend, »das ist mein Freund Patsy Murphy.«

»Doch nicht gar Nick Carters Mann?«, erkundigte sich der Wirt mit ausgestreckter Hand.

»Gewiss, Nick Carters Jüngster!«, erklärte das Mädchen mit sichtlichem Stolz.

»Well, trinken Sie auch ein Glas, Nachbar«, lud Patsy ein, »da Sie schon mal wissen, wer ich bin, so wird Sie auch meine Frage wegen des Einbruchs hier im Haus vom vergangenen Nachmittag kaum überraschen – oder?«

»Mich überrascht so leicht nichts«, meinte der Wirt gutmütig. »Es muss so etwas Derartiges vorgegangen sein, doch die Polizei ist nicht gerufen worden. Mich geht das Haus auch nichts weiter an, ich habe hier den Saloon gepachtet und zahle meine Miete, und damit fertig!«

»Dann kennen Sie den Mann, der bestohlen worden sein soll, nicht weiter?«

»Kaum vom Ansehen, denn er ist keiner meiner Gäste – übrigens wohnt der Mensch seit kaum zwei Monaten hier im Haus.«

»Ich glaube zu wissen, wie der Schleichdieb ins Haus gelangt ist. Würden Sie etwas dagegen haben, wenn ich einmal durchs Haus ginge und es mir anschaute?«

»Machen Sie, was Ihnen beliebt. Doch ich meine, es gibt nicht viel zu sehen«, erklärte der Wirt gleichmütig.

»Versuchen kann man es ja einmal«, meinte Patsy, sich erhebend.

»Well, ist es Ihnen recht, so gehe ich mit!«, sagte der Wirt, und auch das Mädchen sprach den Wunsch aus, mit dabei sein zu dürfen.

Bald darauf standen Patsy und seine beiden Begleiter auf dem Dach, zu welchem sie mithilfe einer angelehnten Leiter leicht gelangt waren. Der kundige Blick des jungen Detektivs nahm in der Staubschicht auf dem Dach alsbald Fußabdrücke wahr, welche erst vor Kurzem verursacht worden sein konnten. Außerdem aber entdeckte er zwischen zwei dicht nebeneinanderstehenden Schornsteinen ein vom Wind dort hingefegtes und eingeklemmtes Stück Papier.

Als Patsy es aufhob, gewahrte er alsbald, dass es sich um einen dünnen Karton handelte, wie er von Zeichnern verwendet zu werden pflegte. In der Tat befand sich auch auf dem Blatt eine Zeichnung, welche einen Maschinenteil oder dergleichen darzustellen schien.

Schweigend steckte der junge Detektiv das Fundstück in die Tasche, während innerliche Genugtuung ihn erfüllte. Denn er zweifelte keinen Augenblick daran, dass er eine der entwendeten Zeichnungen aufgefunden hatte und diese in der Eile von den beiden Schleichdieben verloren worden war.

»Die Sache ist einfach«, erklärte Patsy nun dem Schankwirt und dessen Begleiterin. »Dort ist das Dach von dem Haus, in welchem die junge Miss hier wohnt, und die Burschen sind einfach über die Dächer hierhergelaufen und haben sich hier durch die Luke zum obersten Flur hinuntergelassen. Da eine Bodenleiter vorhanden war, so konnte ihnen der Einbruch gar nicht bequemer gemacht werden.«

Das leuchtete den beiden anderen auch ein, und man begab sich einträchtig wieder in das Schankzimmer hinunter, wo Patsy einige Runden zum Besten gab und sich dem Mädchen gegenüber als liebenswürdiger Schwerenöter aufspielte, aber die erste schickliche Gelegenheit ergriff und sich schleunigst verabschiedete.