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Lorenz, der hinkende Wirt am langen Steg – Kapitel 1

Lorenz, der hinkende Wirt am langen Steg
verfolgt von einem Hexenfluch
Ein höchst belehrendes Volksgeschichtchen für jedermann
Verlag der J. Lutzenberg’schen Buchhandlung, Altötting, ca. 1860

1. Kapitel

Das Wirtshaus Am langen Steg

Anderthalb Stunden oberhalb eines Landstädtchens, dort, wo der Weg zu einem tiefen waldreichen Tal von der Hauptstraße scheidet, steht das Wirtshaus, genannt Am langen Steg, oder wie man es abgekürzt hieß Zum Steg. Den Namen Am langen Steg hatte es wahrscheinlich von dem Umstand erhalten, dass bei diesem Wirtshaus ein leidlich gebauter Brückensteg zu dem Seitenweg in das nächste Pfarrdorf führte, auf welchem man bedeutend früher, obwohl etwas beschwerlicher dorthin gelangte als auf dem entlang des Baches sich in vielen Krümmungen schlängelnden Fahrweg. Dieser Bach war und ist noch zeitweilig, wenn die Gewitter in den Gebirgen des Tales hausen, ein wilder Geselle, was die großen Steine in demselben und verschiedene Ausrisse bezeugen, und ein solcher geschah auch einmal jenseits vom Wirtshaus, der daher, um den Steg nicht vom Wirtshaus weg zu verlegen, eines längeren zum Überschreiten bedurfte. So viel von dem Zunamen dieses Wirtshauses Am langen Steg.

Vor etwa dreißig Jahren nun, wirtschafteten hier sehr tätige und geachtete Wirtsleute mit Namen Lorenz und Elisabeth. Lorenz, der Wirt war hinkend, aber man sagte von ihm, er sei nicht wie ein hinkender Bote, der überall erst hinten kommt. Und die Wirtin hatte sich allgemein den Spruch erworben: »Sie ist eine wahrhaftige Elisabeth für ihren Mann, für ihre Hausleute, für die Gäste und für die Armen.«

Es war offenbar der Segen Gottes mit ihnen, denn in kurzer Zeit war nun das Wirtshaus und ihre Wirtschaft neu aufgeblüht, die unter ihren Vorfahren, von denen die Wirtin zwar eine sogenannte reiche Partie, dabei aber alles andere nur keine Wirtin war, beinahe gänzlich in Verfall und Ver­nachlässigung gekommen.

Einheimische und Auswärtige kehrten nun gerne ein, weil dort, wie man sagte, gut und billig zu zechen sei und die Wirtsleute gerecht und billig und freund­lich gegenüber allen Gästen seien.

Besonders der reiche Holzhanns aus dem Pfarrdorf, ein großer Grundbesitzer und Holzlieferant, den wir später schon näher kennen lernen werden und dessen viele Leute immer hin und her zu gehen und zu fahren hatten, hatte dort seine Niederlage aufgeschlagen und trug viel zur Hebung dieses Wirtshauses am langen Steg unter Lorenz und Elisabeth bei.

Diese beiden Wirtsleute hatten aber auch ihre Eigenheiten. So hatten sie, solange sie in dem Haus waren, kein Scheibenschießen veranstaltet und auch jede solche von anderen beantragte Veranstaltung nicht angenommen. Ebenso auch nie einen Freitanz und selbst eine ordentliche Hochzeit nur unter der Bedingung angenommen, dass nur von ehrbaren Hochzeitsgästen getanzt werde, alle nicht zur Hochzeit gehörigen Personen ausgeschlossen bleiben und diese Unterhaltung um 10 Uhr abends zu Ende sein müsse.

Anfangs erregten sie bei ledigen und verheirateten passionierten Schützen sowie Tänzern und wohl auch solchen Tänzerinnen viel Gemurre und zogen sich Geschimpf und Gespött zu, mussten auch manch­mal schlechte Reden anhören und vernehmen, dass sie ja ihr Wirtshaus zu einem Kloster machen; dass es gescheiter wäre, sie packten ihre sieben Zwetschgen zusammen und zögen in eine Einsiedelei und dergleichen, was aber alles nichts half und über sie hinabrann, wie ein Schaff voll Wasser über eine Ente; als aber die Leute den Hauptgrund erfuhren, wurden sie ruhig und dachten sich, die Wirtsleute tun recht.

Auch der günstige Leser wird so denken, wenn er erfahren haben wird, warum der hinkende Wirt und seine Frau das Scheibenschießen und Tanzen nicht leiden konnten.

Das Wirtshaus selbst war ein großes Gebäude mit geräumigen Wohnungen und ebensolchen Anbauten für Ökonomie und soll einst ein Herrschaftssitz gewesen sein, der aber nach Aussterben des letzten Abkömmlings in fremde Hände übergegangen war und ein Wirtshaus geworden. Wie immer nun dieses gewesen sein mag, das Wirtshaus war nun ansehn­lich zusammengestellt und durfte sich weder von innen noch von außen zu schämen haben.

Was aber beim Antritt dieser unserer Wirtsleute, selbst den Einheimischen an diesem Wirtshaus auffiel, und immer noch den Fremden und Reisenden auffallen würde, war und ist eine an die Vorderseite des Hauses gemalte Laterne, in der ein brennendes Licht vorgestellt ist und so groß aufgetragen, dass sie ja nicht leicht zu übersehen ist, und dann ein auf dem Dach mit einer eisernen ziemlich hohen Stange befestigter Haushahn aus Blech und ganz schön gefasst. Letzteres Bild des Hahnes sah man wohl ge­wöhnlich für den Wetterhahn an, der die kommende Witterung anzeigen sollte; vermutete aber doch eine eigene Bedeutung; die Laterne am Haus aber konnte man sich gar nicht recht erklären.

Einige, besonders Scharfsinnige machten manchmal den Scherz, als ob diese gestrengen Wirtsleute den Gästen mit dem Hausbild der großen Laterne heimzuleuchten drohten, wenn es über das rechte Maß im Trinken und Sitzenbleiben gehen sollte und über das Bild des Haushahnes auf dem Dach scherzten sie, dass er Gäste herbeilocken wolle und aber denjenigen nachkrähen und ausschreien, die nicht zahlen und durchbrennen wollten.

Allein, alle diese trafen doch nicht die rechte Be­deutung der beiden Vorstellungen und niemand würde die richtige Erklärung haben geben können, wie sie der Wirt selber gab.

Er war nämlich noch bei dem bereits erwähnten reichen Holzhanns als erster Fuhrmann oder eigent­lich als Agent im Dienst und eben bei diesem wegen einen von ihm abgemachten Geschäft, als sein Vorfahrer auf dem Wirtshaus am langen Steg aber­mals in Geldverlegenheit zum Holzhanns um Aus­hilfe kam.

Da der Lorenz so gut wie sein Herr von der Verhausung des damaligen Wirtes alles haarklein wusste und insbesondere, dass diese hauptsächlich in der Nachlässigkeit des Wirtes und der Verschwendung der Wirtin ihren Grund hatte, scheute sich auch der Hilfesuchende vor Lorenz nicht, sein Anliegen vorzubringen.

Der reiche Holzhanns, der ohnehin schon mehr als die Hälfte von dem Wert dieses Wirtshauses gut hatte, fing an, ein verdrießliches Gesicht zu machen, und als der Wirt mit allerlei Entschuldigungen und insbesondere mit der hervorkam, dass nun so harte Zeiten seien und man sich auf die Hausleute und Dienstboten nicht verlassen könne und so weiter, wurde das Gesicht des Holzhanns gar das verdrießlichste, sodass der Lorenz im Begriff war, die beiden allein zu lassen.

Der Holzhanns aber stand auf und sagte: »Bleib nur Lorenz, vielleicht kannst du es auch einmal brauchen, was ich jetzt bringe.« Damit ging er zu einem Kasten, nahm ein Buch heraus und fing uns beiden vorzulesen an.

»Ein vor Kurzem noch wohlhabender Besitzer be­klagte sich einst bei seinem guten Freund, er wisse nicht, wo er herkomme und wo es fehle, das schon eine Zeit lang alles in seinem ganzen Hauswesen zurückgehe und eine Gelverlegenheit nach der anderen ihn dränge. Der gute Freund, welcher wohl wusste, dass daran die schlechte Aufsicht und die Unwirtschaft dieses Hausvaters Schuld sei, gab ihm den Rat, er solle nur eine Zeit lang alle Morgen früh und auch abends spät mit einer angezündeten Laterne überall und in allen Winkeln seines Hauses und Hofes herumgehen, so wird es bald besser werden. Der Besitzer lachte anfangs darüber und dachte, für dieses Mittel habe ich keinen Glauben; denn was soll denn die Laterne helfen oder nutzen, tat es aber doch.

Am nächsten Morgen ging er früh mit der La­terne herum, traf aber niemand an, denn Knechte und Mägde faullenzten noch im Bett. Nachts ging er zuerst mit der Laterne in den Keller und da fand er eine Hausperson, die eben einen Krug Bier vom Fass abfüllt, dann in die Küche und traf die Köchin, wie sie einen Schinken vom Kamin herablangte, dann auf den Getreidekasten und sah seinen eigenen Sohn einen Sack voll Frucht füllen, dann in den Stall und traf den Knecht einen Metzen Hafer beiseite tun.

»Oho«, sprach er, »nun geht es so zu in meinem Haus! Jetzt nimmt es mich nicht mehr Wunder, dass es mit meiner Hauswirtschaft so zurückgeht! Jetzt sehe ich, wofür die angezündete Laterne und das Herumgehen damit gut ist.«

Als der Holzanns merkte, dass dieses Stücklein gefiel, sagte er: »Jetzt kommt noch etwas!« Er blätterte das Buch um, in welchem er eine Menge Merklein hatte und las: »Von einem Haushahn kann jeder Hausvater lernen, wie er sein und nicht sein soll. Der Haushahn ist ein ansehnlicher, mit schönen Federn ausgestatteter, wütiger und streitbarer Vogel und noch viel vortrefflicher sind seine Eigenschaften, nämlich seine Wachsamkeit, Vorsicht, sein Fleiß und seine Klugheit, sodass selbst in der Heiligen Schrift die Frage steht: ›Wer hat dem Hahn den Verstand gegeben?‹ (Hiob 38, 36) Schon frühmorgens erwacht er, weckt sich selbst vollends auf durch Schlagen seiner Flügel und ermahnt durch Krähen zur bestimmten Stunde Hennen und Hühnlein auf. Nachdem aber ist es schon seine erste Sorge, ihnen etwas zum Essen zu verschaffen, scharrt und kratzt überall, bis er was gefunden hat und lockt und ruft dann die seinen dazu herbei. So soll auch der Haus­vater wachsam, vorsichtig und sorgfältig für seine Untergebenen sein; soll immer und unermüdet Acht geben, dass alles recht hergehe, soll auch die seinen, Weib und Kinder, Knechte und Mägde zu rechter Zeit zum Gebet, zum Gottesdienst, zu ihrer Arbeit und Geschäften anhalten, aber auch für ihren zeit­lichen Unterhalt und ihr ewiges Heil sorgen.

Der Haushahn ist aber auch von Natur ein stolzer, hochtragender, zorniger und streitsüchtiger Vogel und voll Eifersucht, weswegen er oft mit anderen in blutigen Kampf kommt; solche Untugenden soll der Hausvater nicht haben.«

»Diese Vorlesung«, fügte der jetzige Wirt Lorenz hinzu, »habe ich mir gemerkt, sie beobachtet und ist mir darüber gut gegangen, und damit ich ja nicht darauf vergesse, habe ich die Vorstellung einer Laterne mit brennendem Licht an das Haus und den Hahn aufs Dach machen lassen.«