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Der Welt-Detektiv – Band 9 – 1. Kapitel

Der Welt-Detektiv Nr. 9
Der geheimnisvolle Schoner
Verlagshaus für Volksliteratur und Kunst GmbH Berlin

1. Kapitel

Rätselhafte Geschehnisse

Rodriges Alsalsa sank mit einem Aufschrei auf den hochlehnigen Sessel zurück, als er die wenigen Worte des soeben empfangenen Telegramms überflogen hatte. Wirre, unverständliche Laute kamen von seinen Lip­pen. Sein sonst so gerötetes, frisches Antlitz färbte sich kreideweiß, und der Atem ging stoßweise.

Minutenlang währte der Schwächeanfall. Dann aber sprang er auf und stürzte zum Telefon, um Juan Mendoza, seinen Kompagnon, die erhaltene Hiobsbot­schaft mitzuteilen.

Juan Mendoza beendete in seiner Villa das allmor­gendliche Bad; als ihn der Diener zum Telefon rief.

»Wer will mich sprechen?«, erkundigte er sich mür­risch; denn er liebte es nicht, bei der Toilette gestört zu werden.

»Señor Alsalsa ist am Apparat«, erwiderte der Die­ner.

Mendoza fuhr leicht zusammen. Alsalsa; sein Kom­pagnon? Zum Teufel, das hatte nichts Gutes zu bedeu­ten! Solange sie zusammen die Geschäfte der Reederei führten, hatte Alsalsa dreimal in der Villa Mendozas angerufen: das erste Mal; als das Unglück mit der CRIOLLA passierte, das zweite Mal, als die Nachricht vom Untergang der nagelneuen CHALET eintraf, und nun heute!

Juan Mendoza warf sich den Bademantel über und lief in sein Arbeitszimmer.

»Hallo, Alsalsa!«, rief er, den Hörer des Apparats er­greifend. »Was …« Aber er kam nicht weiter, weil ihm der Draht ein schweres Röcheln zutrug.

Diesem furchtbaren Laut, den eher ein Tier als ein Mensch ausgestoßen zu haben schien, folgte nach einer sekundenlangen eisigen Stille ein entsetzlicher Schrei, der Mendozas Blut in den Adern erstarren ließ.

»Alsalsa!«, schrie er. »Alsalsa – um Himmelswillen!« Aber keine Antwort erfolgte. Alles blieb still, und das leise Surren in den Drähten war das einzige Geräusch, das Mendozas Ohr erreichte.

Noch einmal brüllte er den Namen seines Kompag­nons in den Trichter, doch es blieb still wie zuvor. Mendoza taumelte zurück. Das furchtbare Röcheln … der entsetzliche Schrei … was bedeutete das?

Er rannte zur Tür und schrie nach seinem Auto. Dann lief er in das Schlafzimmer hinüber und kleidete sich in fieberhafter Hast an. Als er damit fertig war, stand die graulackierte Limousine schon vor dem Haus. Ohne den gedeckten Frühstückstisch irgendwelche Beach­tung zu schenken und ohne seine Gattin über das Vor­gefallene zu verständigen, warf er sich in den Wagen.

»Vorwärts!«, schrie er dem dunkelhäutigen Chauffeur zu. »Ins Geschäft! Fahr zu, was das Zeug hält!«

In rasender Fahrt ging es durch Trinidad. Nach acht Minuten hielt der Wagen vor dem Haus, in dem sich das Kontor der Reederei ALSALSA & MENDOZA befand.

Es war ein schöner, stolzer Bau, der von dem Auf­schwung der Firma zeugte, hatte sich diese doch aus den kleinsten Anfängen heraus entwickelt. Mit einem einzigen Schiff hatten Alsalsa und Mendoza vor sieb­zehn Jahren das Geschäft gegründet, heute nannte die Firma, dank der Tüchtigkeit ihrer beiden Inhaber und des treuen Personals, eine Flotte von zwölf Dampfern ihr eigen, mit der sie einen regelmäßigen Post-, Fracht- und Passagierdienst zwischen den Kleinen Antillen, von Trinidad nach Puerto Rico, unterhielt.

Eigentlich waren es noch zwei Schiffe mehr gewe­sen, die CRIOLLA und die CHALET, aber die beiden hatten rasch hintereinander ein tragisches Ende ge­nommen. Die CRIOLLA war an den Toliman-Riffen mit Mann und Maus untergegangen, und die CHALET war spurlos verschwunden, wahrscheinlich in einem jener schrecklichen Wirbelstürme zugrunde gegangen, die zu jener Zeit die Antillen heimgesucht hatten.

Juan Mendoza sprang aus dem Wagen und eilte in das Gebäude, wo er jedoch die Angestellten ruhig ar­beitend, als sei nicht das Geringste geschehen, antraf.

»Was war das für ein entsetzlicher Schrei, den ich durchs Telefon hörte?«, stieß er hervor, mühsam seine Erregung niederkämpfend.

Verwunderte Blicke trafen ihn. Ein Schrei? Niemand hatte derartiges vernommen. Der Prokurist, ein weiß­bärtiger Kreole, der seit Bestehen der Firma im Ge­schäft tätig war, trat erstaunt auf Mendoza zu.

»Ein Schrei, Señor?«, fragte er. »Wie meinen Sie das?«

Mendozas Herz klopfte stürmisch. Irgendeine dunkle Ahnung legte sich über ihn und lähmte in fast. Ohne die Frage des Alten zu beantworten, stieß er hervor: »Wo ist Señor Alsalsa?«

»In seinem Privatbüro.«

Mendoza wollte sich eilig dorthin begeben, aber der Weißkopf hielt ihn zurück.

»Señor Alsalsa hat Besuch«, sagte er. »Vor einer Viertelstunde kam ein Herr, ein gewisse Norton aus New York, um von uns für vierzehn Tage einen kleinen Dampfer zu chartern. Nun verhandelt er drinnen mit Señor Alsalsa.«

»Und der Mann ist noch nicht wieder fortgegangen?«

»Nein, Señor.«

Mendoza tupfte sich den Schweiß von der Stirn. Hatte er denn geträumt, als er das dumpfe Röcheln und den grässlichen Schrei vernahm? Aber nein, es konnte nicht sein. Noch jetzt gellten ihm die schrecklichen Laute in den Ohren.

»Kommen Sie mit«, wandte er sch an den Prokuris­ten. »Ich fürchte, dass etwas Furchtbares geschehen ist!«

Der Alte starrte den Chef verständnislos an; als aber Mendoza eilig davonschritt, wagte er nicht, zu widersprechen, und folgte ihm schweigend nach.

Wenige Minuten darauf standen sie vor der gepols­terten Tür, durch die man in Rodriges Alsalsas Arbeits­zimmer gelangte. Mendoza betrat als Erster den Raum, dicht hinter ihm folgte der Prokurist. Aber schon nach wenigen Schritten blieben sie entsetzt stehen, weil sich ein schreckliches Bild ihren Blicken darbot.

Von jenem Mr. Norton aus New York war nichts zu sehen. Er schien das Zimmer durch das weit offenstehende Fenster verlassen zu haben. Alsalsa lag tot neben dem Schreibtisch in einer Blutlache. Seine rechte Hand hielt noch den Telefonhörer. Aber der Apparat selbst war vom Tisch gestürzt und lag zertrümmert am Bo­den.

Mendozas Gesicht verzerrte sich.

»Mord!«, schrie er. »Mord!«

Er kniete neben dem toten Freund nieder und press­te sein Ohr verzweifelt auf die stille Brust, in der ein treue Herz so jäh zu schlagen aufgehört hatte. Dann erhob er sich zitternd, sah sich mit wirren Blicken rings im Zimmer um und trat an das offenstehende Fenster.

Kaum hatte er aber einen Blick in die Tiefe gewor­fen, als er wie von einer Natter gebissen zurückfuhr. Zur rechten Seite des Fensters führte eine Feuerleiter zum Erdboden hinab. Diese Leiter herauf kam ein Mann, ein Fremder!

»Fort!«, keuchte Mendoza, dem leichenblassen Pro­kuristen zu. »Der Mörder kehrt noch einmal zurück! Laufen Sie hinunter und holen Sie die Polizei herbei!«

Der Prokurist eilte, das Entsetzen im Nacken, hinaus. Mendoza, dessen Spannkraft von Neuem erwachte, glitt hinter ihm her und schloss die Tür. Aber er verließ das Zimmer nicht, sondern huschte zu einer Potiere, hinter der er blitzschnell verschwand. Dann entsann er sich des Revolvers, den er wie immer bei sich trug. Er zog die Waffe hervor und entsicherte sie. So! Nun sollte der Halunke, der wahrscheinlich irgendetwas Schwer­wiegendes am Ort seiner Bluttat vergessen hatte, kommen!

Zum Äußersten entschlossen, umspannte Mendoza den Griff des Brownings. In diesem Augenblick er­scholl vom Fenster her ein leises Rascheln. Die Gestalt eines hochgewachsenen, breitschultrigen Mannes tauchte auf und zwängte sich durch den geöffneten Fensterrahmen.

Fortsetzung folgt …