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Deutsche Märchen und Sagen 184

Johannes Wilhelm Wolf
Deutsche Märchen und Sagen
Leipzig, F. A. Brockhaus, 1845

245. Der neckende Nix zu Lokeren

Vom Kai am Daknamveer zu Lokeren setzt an Winterabenden kein Schiffer nach neun Uhr mehr über, denn da ist der Fährmann einmal schön angekommen. Er hörte nämlich eines Abends spät auf der anderen Seite rufen: »Hol über! Über!« Er stand alsbald aus seinem Bett auf, denn er war schon längst schlafen gegangen, löste das Boot und setzte über; aber er war eben noch zwei Schritte vom Ufer, als er etwas ins Wasser plumpsen hörte, gerade als ob jemand hineingesprungen wäre. Am Ufer selbst sah er niemand. Er kehrte verwundert und kopfschüttelnd wieder zurück und legte sich wieder zu Bett; doch kaum lag er da, als es zum anderen Male rief: »Hol über! Über!«

Da stand er unwillig auf, ging ans Wasser und rief: »Wo müsset Ihr denn hin so spät?«

»Nach Daknam«, antwortete es.

Der stieg in sein Boot und setzte noch einmal über. Da fand er denn auch wirklich einen Mann am Ufer und der stieg ins Boot. Als dies aber in der Mitte der Dürme war, da sprang der Mann unter schallendem Gelächter ins Wasser und verwandelte sich allda in einen schwarzen Hund. Der sprach immer noch lachend zu dem erstaunten Fährmann: »Gelt, Schiffer, da habe ich Euch einmal zum Besten gehalten?«

Der Fährmann konnte vor Schrecken kein Wort über die Lippen bringen und seitdem hat weder er noch sein Nachfolger im Winter nach neun Uhr mehr übersetzen wollen.

246. Seebischof

Im Jahre l433 wurde in der baltischen See ein Wassermann gefangen, der in allem einem Bischof glich. Er trug eine Bischofsmütze auf dem Haupt und einen Bischofsstab in der Hand, hatte auch ein Kleid wie ein Messgewand an.

Der König von Polen behielt ihn etliche Tage bei sich, als er aber sah, dass der Wassermann wegen großer Betrübnis nicht lange leben würde, ließ er ihn wieder in die See setzen. Den Bischöfen bewies er sonderlich viel Ehre, ließ sich auch von ihnen berühren, sprach aber nicht.

Als der König von Polen ihn in einen Turm schließen und dort bewahren lassen wollte, setzte er sich dagegen und bat die Bischöfe durch Mienen und Zeichen, dass man ihn wieder in sein Element gehen lasse. Er wurde alsdann von zwei Bischöfen bis an die See geführt.

Als er das Wasser sah, zeigte er große Freude und sprang schnell hinein. Darauf machte er ein Kreuz, beugte sein Haupt, als ob er sich hätte bedanken wollen, und tauchte unter, kam auch nie wieder zum Vorschein.