Jim Buffalo – 25. Abenteuer – Kapitel 1
Jim Buffalo,
der Mann mit der Teufelsmaschine
Veröffentlichungen aus den Geheimakten des größten Abenteurers aller Zeiten
Moderner Volksbücher-Verlag, Leipzig, 1922
Das 25. Abenteuer Jim Buffalos
Die Bankräuber auf dem Pepin-See
1. Kapitel
Eine unbemerkte Auskunft
Das Stationsgebäude von Rock-Island, einem kleinen Städtchen oberhalb Sankt-Louis am Mississippi gelegen, war nur spärlich beleuchtet, denn zu so später Nachtstunde waren fahrplanmäßige Züge nicht mehr zu erwarten; nur der von New-Orleans kommende Expresszug war noch fällig, und wenn er auch an dieser unbedeutenden Station nicht hielt, so musste er doch vorschriftsmäßig signalisiert werden.
Das Personal war bereits nach Hause gegangen, nur der Stationsleiter befand sich noch in seinem Dienstzimmer, im Gespräch mit einem hochgewachsenen hageren, aber einfach gekleideten Herrn begriffen, der ruhelos und scheinbar heftig erregt in dem kleinen Zimmer hin und her wanderte.
Hoch oben auf dem Mast vor dem Stationsgebäude ragte die rote Laterne in die mondhelle Nacht hinein, zum Zeichen, dass ein Passagier den Expresszug benutzen und hier einsteigen wolle.
Der fremde Herr war der Passagier, und seiner Erregtheit, die sich unverkennbar in seinem hageren bartlosen Gesicht widerspiegelte, merkte man es an, mit welcher Ungeduld er den Zug erwartete. Immer wieder zog er die Taschenuhr und seine unstet flackernden Augen schauten flüchtig auf das kleine Zifferblatt, um dann wieder in die Nacht hinauszuhorchen.
Wie befreit atmete er auf, als sich das elektrische Läutwerk in Bewegung setzte, das die Abfahrt des Zuges von Sankt-Louis ankündigte, und schon nach einer Viertelstunde machte sich in der völlig ruhigen Nacht ein leises, dumpfes, von Minute zu Minute stärker werdendes Räderrollen bemerkbar, und nun tauchten in der Ferne zwei winzig rote Punkte auf, die Lichter der Lokomotive.
Der Fremde schien beim Nahen des Zuges immer unruhiger zu werden.
Sein ganzer Körper war in Aufruhr, über sein Gesicht schoss eine jähe Röte, um gleich darauf wieder die blasse Farbe anzunehmen.
Dabei waren seine Augen fortgesetzt auf einen kleinen Handkoffer gerichtet, der neben ihm auf einem Stuhl stand und bis zum Bersten gefüllt war.
»Wird der Zug auch bestimmt hier halten?«, wandte er sich hastig und besorgt an den Vorsteher. »Ich muss unbedingt morgen früh in Prärie du Chien sein und wäre untröstlich, wenn ich diese einzige Fahrgelegenheit verpassen sollte.«
»Unbesorgt, Mister«, versetzte der Vorsteher. »Ich habe ja Ihren Wunsch rechtzeitig nach Sankt-Louis telegrafiert und die dafür zu entrichtende Taxe haben sie ja reichlich erstattet.«
»Pah, auf ein paar Dollar mehr oder weniger kommt es mir nicht an«, wehrte der Fremde ab. »Es steht für mich viel mehr auf dem Spiel, wenn ich den Anschluss verpassen sollte. Und mit einem Dampfboot käme ich sicher zu spät an.«
Beide Herren waren auf den Bahnsteig getreten.
»Damned, der Zug scheint keine Anstalten zum Halten zu treffen!«, stieß der Fremde zwischen den Zähnen hervor. »Ich mache die Eisenbahn-Direktion verantwortlich für allen Schaden, der mir entstehen würde.«
In der Tat brauste nun der Zug mit einer solchen Schnelligkeit heran, die ein Halten kaum möglich gemacht hätte, aber Schnelligkeit ist nun einmal ein charakteristischer Zug der Amerikaner, und ehe es sich der Fremde versah, bremste der Zug.
Der Stationsvorsteher war an den Zug herangesprungen, hatte ein Kupee aufgerissen und schob den Fremden in den Wagen hinein.
Gleich darauf, in kaum Minutenkürze, raste der Zug wieder in die Nacht hinaus.
Schmunzelnd blickte der Vorsteher dem Zug nach.
Das Trinkgeld, das der Fremde gespendet hatte, war wirklich reichlich gewesen.
Da wurde er durch das laute Hupen eines Autos erschreckt, und als er sich erstaunt umdrehte, sah er zu seiner höchsten Verwunderung auf dem Schienenstrang tatsächlich ein Auto daher gerast kommen.
Kaum eine Minute hinter dem Zug hielt es vor dem bestürzten Vorsteher.
»Alle guten Geister loben Gott den Herrn!«, stammelte der Vorsteher, der anfangs an einen Teufelsspuk glaubte, aber rasch genug wurde er in die Wirklichkeit zurückgerissen, denn eine tiefe, sonore Stimme rief ihm ein »Good evening, Mister!« entgegen.
»Hallo, Vorsteher, das war eine Teufelsfahrt!«, sprach der Mann auf dem Führersitz. »Und wenn der Zug nur eine halbe Minuten gehalten hätte, wäre ich jetzt am Ziel. Nun ist mir der Teufelsbraten wieder entwischt! Und Sie haben ihm in Ihrer Unkenntnis auch noch zur Flucht verholfen!«
»Verdammt meine Augen!« knurrte der Vorsteher. »Ich will den Signalmast da verschlucken, wenn ich verstehe, was Sie meinen. Wie kommen Sie hierher, auf so ungewöhnlichem und dazu verbotenem Weg? Ich muss Sie dafür in Strafe nehmen, mein Herr! Abgesehen von der Tollkühnheit, die dazu gehört, ein Auto auf solchem Weg zu steuern, und für die ich Ihnen meine offene Bewunderung ausspreche, ist das Benutzen der Geleise strengstens verboten. Zehn Dollar, wenn ich bitten darf!«
»Meinetwegen zwanzig oder hundert!«, rief der Autofahrer lachend zurück.
Er drückte dem schmunzelnden Vorsteher eine Hundertdollarnote in die Hand.
»Dafür beantworten Sie mir aber rasch einige Fragen. Ist in den Zug soeben ein Passagier eingestiegen?«
»Well, mehr von mir hineingeschoben worden, sonst wäre ihm der so sehnlich erwartete Zug vor der Nase vorbeigerutscht!«, antwortete der Vorsteher mit einem Lächeln.
»Well, und da haben Sie vielleicht die größte Dummheit Ihres Lebens begangen!«
»Hallo, keine Beamtenbeleidigung, mein Herr!«
»Kostet wohl auch wieder zehn Dollar?«, gab der Automensch spöttisch zurück. »By Jove, Sie hätten Tausend verdienen können, wenn sie die Dummheit nicht gemacht und den Kerl festgehalten hätten.«
»Nanu, war der Bursche denn so viel wert?«
»Will ich meinen, sonst wäre ich nicht wie der Teufel hinter ihm her! Er hatte doch sicher eine Handtasche bei sich?«
»In der Tat!«
»Und wissen Sie, was darin war?«
»Never mind! Mich interessiert Privatgepäck verdammt wenig!«
»Auch die achthunderttausend Dollar nicht, die der Staatsbank von Sankt-Louis heute geraubt worden sind?«
»Was, der freche Diebstahl, der heute Morgen gemeldet wurde?«
»Derselbe! Natürlich ist man wie der Teufel hinter dem Burschen her, aber er hat es schlau genug angestellt, eine so kleine Station zu wählen. Auf dem Hauptbahnhof hätten sie ihn sofort festgehalten. War es ein langer, hagerer Kerl?«
»Well, mit einer Nase wie ein Hühnergeier!«
»Stimmt, ist mein Mann! Ein Glück war es nur, dass Sie den Wunsch des sauberen Vogels nach Sankt-Louis melden mussten. So wusste ich wenigstens, wo er zu suchen war, und nach welcher Richtung er sich wenden würde. Wie gesagt, die ausbedungene Belohnung hätten sie sich allein verdienen können, wenn Sie nur halbwegs einen guten Riecher gehabt hätten. Nun muss ich, auf die Gefahr hin, noch verschiedene Male wegen unbefugter Benutzung der Bahngeleise bestraft zu werden, dieselben weiterbenutzen.«
»Und Sie glauben, den Zug einholen zu können?«, fragte der Vorsteher staunend.
»Mit meiner Teufelsmaschine mit Leichtigkeit«, antwortete der Mann auf.
»Verdammt, dann habe ich gewiss das Vergnügen, Mister Jim Buffalo, den Mann mit der Teufelsmaschine, vor mir zu sehen?«
»Geraten, mein bester Sir!«, bestätigte Jim Buffalo und lachte auf, denn dieser war es, der den ungewöhnlichen Weg benutzt hatte. Dabei war er schon wieder auf sein Auto gesprungen und raste wie der Teufel hinter dem längst entschwundenen Zug her.
Der Vorsteher starrte ihm mit weit aufgerissenen Augen und offenem Mund nach.
»Jim Buffalo, der Mann mit der Teufelsmaschine! Dann will ich das ganze Stationsgebäude verschlingen, wenn er den Burschen nicht einholt und ihm die achthunderttausend Dollars wieder abjagt.«
Brummend stellte er das Signal wieder auf freie Fahrt, schloss das Gebäude und trollte sich nach Hause.
Jim Buffalo hatte inzwischen seinen ungewöhnlichen Weg fortgesetzt.
Wie ein Pfeil schoss die Teufelsmaschine zwischen den Geleisen auf den Bohlen dahin, die die Räder kaum zu berühren schienen. Es war ein verwegenes, tollkühnes Wagnis, das Jim Buffalo unternommen hatte, und es gehörte seine ganze Meisterschaft dazu, immer den geraden Weg einzuhalten, denn ein einziges Anecken an die Schienen hätte ihm verderblich werden und ihn samt seinem Gefährt die steile Böschung hinabstürzen können.
Und wenn der Zug vor ihm auch eine Geschwindigkeit von Hundertzwanzig Kilometern in der Stunde fuhr, dem Teufelsauto war es eine Kleinigkeit, diese Geschwindigkeit beizubehalten und sie noch zu übertreffen.
Der kurze Aufenthalt auf der Station war halb wieder wettgemacht. Jim Buffalo hatte sich nur vergewissern wollen, ob die Spur, die er aufgenommen, auch die richtige sei.
Der Mond schien auch so hell, dass er gar keine Laternen brauchte, und er hatte sie abgeblendet, um nicht unnötig aufgehalten zu werden, wenn er an einer einsamen Station wie ein Teufelsspuk vorübersauste.
Endlich sah er die grüne Schlusslaterne des Zuges wieder aufleuchten.
Wenige Minuten genügten, um wieder völlig aufzukommen, und wie ein Schatten folgte die Teufelsmaschine nun dem dahinsausenden Zug.
Möchte wissen, wie der Kerl auf dem Schienenwege nach Prärie du Chien hinaufwill, dachte Jim Buffalo, während der Zug westwärts, den Missouri hinaufdampfte. Irgendein Kniff, um die Spur zu verwischen. Aber mir sollst du sicher nicht entkommen.
Bis Kansas-City fuhr der Zug, wo er zum ersten Mal wieder hielt.
Jim Buffalo war bereits einige Minuten eher eingetroffen und wartete am Bahnhof auf sein Opfer, aber vergeblich suchte er unter den Herauskommenden den Mann mit der Handtasche. Er schien wie vom Erdboden verschwunden.
Jim Buffalo murmelte einen Fluch zwischen den Zähnen.
Sollte der Gesuchte weitergefahren sein?
Was sollte er nun tun, wohin sich wenden? Dem Zug abermals folgen?
Dass der Verfolgte weitergefahren war, schien ganz undenkbar, denn alle Stationen waren von dem Bankraub benachrichtigt, und bei dem vortrefflichen Signalement, das man von dem Bankräuber besaß, hätte er unbedingt einem der Geheimdetektive in die Hände fallen müssen.
Der Bursche konnte nur hier ausgestiegen sein.
Wohin aber war er entkommen?
Noch grübelte er über diese ungelöste Frage nach, als seine Blicke auf den vom Mond hell beschienenen Fluss fielen.
Da, was war das?
Eben stieß vom Ufer ein Dampfboot ab, und auf dem Deck desselben glaubte er den Mann mit der Handtasche erkannt zu haben.
»Hallo, Mister Riffers!«
Laut schrie er den Namen des Goldräubers hinunter, und er bemerkte, wie sich der Mann hastig umdrehte und nach dem Rufer hinaufblickte.
Sein vom Mond hell beschienenes Gesicht war verzerrt und höhnisch grüßte er mit der Mütze herauf.
Dann entschwand das rasch dahinschießende Boot den Blicken Jim Buffalos.
Der Verfolgte hatte ihn genarrt, war entkommen.