Geisterdetektiv Rick Masters Band 1
Andrew Hathaway
Geisterdetektiv Rick Masters
Band 1
Enthält die Romane Der Schreckensturm der Vampire und Das blutige Zeichen der Hexe
Horror/Grusel, Taschenbuch, Romantruhe, Kerpen-Türnich, Januar 2024, 200 Seiten, 10,69 EUR, E-Book Kindle 3,99 EUR, ISBN: 979-8871007501, erhältlich bei Amazon
Rick Masters kniff die Augen zusammen. Die Scheinwerfer hatten ihn etwas geblendet, sodass er einige Sekunden benötigte, um sich wieder auf das schwächere Licht einzustellen. Dann hielt er mit einem ächzenden Laut die Luft an.
Mit zitternden Händen tastete er nach dem Suchscheinwerfer, nahm Ihn aus der Verankerung am Armaturenbrett und schaltete ihn ein. Der Lichtstrahl traf voll auf den leeren Innenraum des roten Sportwagens.
Die Leiche war verschwunden!
Leseprobe
Die geisterhaft bleiche Scheibe der Sonne versank hinter den blauschwarzen Hügeln Schottlands. Wie todbringende Klauen krallten sich die Schatten der Nacht im Tal von Montrose fest.
Mit angstverzerrten Gesichtern beobachtete eine Gruppe von Menschen die Insel im See, dem Loch Montrose. Wie ein Mahnmal des Bösen ragte auf ihrem felsigen Gipfel ein kegelförmiger Turm empor.
»Der Himmel stehe uns bei!«, stöhnte ein alter Mann.
Um den Turm breitete sich ein rotes Leuchten aus, das tief aus dem Inneren der Insel drang. Das rote Glühen ergriff die Insel, dann das Wasser des Lochs, bis es aussah, als wäre der Loch Montrose mit frischem Blut gefüllt.
Eine Frau weinte laut auf und drückte ihre Kinder an sich. »Wen wird das Ungeheuer in dieser Nacht holen?«, schluchzte sie verzweifelt.
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Eigentlich war der dunkelgrüne Morgan für einen Detektiv ein denkbar ungeeignetes Fahrzeug, weil sich auch Leute nach dem scheinbar vorsintflutlichen Schlitten umschauten, die sich ansonsten nicht für Autos interessierten. Und Kenner, zu denen Rick Masters’ Kundschaft zum Großteil gehörte, erstarrten in ehrfürchtigem Staunen. Rick war sich dieses Nachteils voll bewusst, und doch konnte er sich von dem schweren Roadster auch während eines Einsatzes nicht trennen. Jetzt musste er die 150 Pferde unter der lang gezogenen Motorhaube mit aller Macht zurückhalten, denn eine einspurige Straße im Norden Schottlands eignet sich nicht für ein Privatrennen mit 210 km/h, die Rick aus den acht Zylindern der 3,5 Liter-Maschine herausholen konnte.
Bei jeder Begegnung mit einem anderen Wagen mussten beide stehenbleiben und einer der Fahrer zurückstoßen, bis er eine der durch weiße Tafeln gekennzeichneten Ausweichen erreichte. Einen solchen unfreiwilligen Aufenthalt benutzte Rick Masters, um noch einmal die Straßenkarte zu studieren. An und für sich wäre es nicht nötig gewesen, da er sich den Plan mit einem wahrhaft fotografischen Gedächtnis eingeprägt hatte und förmlich vor sich sah. Aber außer Unzuverlässigkeit in jeder Form hasste Rick nur noch eines gleichermaßen: Irrtum aufgrund von Nachlässigkeit. Lieber verwendete er zwei oder drei Minuten, bevor er eine Viertelstunde durch eine Irrfahrt verlor.
»Nehmen Sie mich ein Stück mit?«, fragte plötzlich eine sehr weiche Stimme neben Rick. Der junge Mann schaute überrascht hoch. Geräuschlos war ein Mädchen an seinen offenen Morgan herangetreten und stützte sich mit beiden Händen auf die rechte Seitentür.
Die Erscheinung des Mädchens faszinierte Rick augenblicklich, und doch fühlte er gleichzeitig eine eigentümliche Scheu in sich, die er sonst bei Frauen, besonders bei so schönen Frauen, nicht kannte. Vielleicht kam diese Scheu einfach daher, dass er das Mädchen nicht hatte kommen gehört. Es war irgendwo zwischen diesen dunkelgrünen, morastigen Hügeln aufgetaucht wie ein Schatten in der Nacht durch die nackten Zweige verkrüppelter Weiden streicht.
Unsinn, dachte Rick Masters, leicht den Kopf schüttelnd. Es war heller Tag, Frühsommer, und vom wolkenlosen Himmel strahlte eine für schottische Verhältnisse ungewöhnlich heiße Nachmittagssonne. Sogar die Moore hatten einen freundlichen grünen Schimmer angenommen. Was sollten also solch düstere Gedanken.
Das Mädchen sah ihn aus wasserhellen blauen Augen an, in denen sich der heitere Himmel widerspiegelte. Und doch wirkten sie ausdruckslos, beinahe leblos. Rick suchte in seinem Gedächtnis, wo er schon einmal gleich starre Augen gesehen hatte. Er konnte sich nicht erinnern, dass er bei einem lebenden Menschen etwas Derartiges bemerkt hatte, Blinde ausgenommen. Doch das Mädchen bewegte sich so sicher, dass er den Gedanken sofort wieder verwarf. Auch Schwachsinn kam nicht in Frage, weil der stumpfsinnige Blick dieser Menschen anders wirkte, flach und geistesabwesend. Diese blauen Augen aber schienen ihn zu durchdringen, seine Gedanken zu erforschen und in seiner Seele zu lesen.
Blondes Haar flatterte im Wind und legte sich in weichen Wellen um die nackten Schultern. Blutleere Lippen lächelten ihn an. Hier im hohen Norden erwartete Rick nicht, dass die Menschen sonnengebräunt herumliefen, aber die Blässe der Haut des Mädchens kam ihm doch unnatürlich vor, so, als hätte es wochenlang in einem verdunkelten Raum gelegen »Nehmen Sie mich mit oder nicht?«, wiederholte sie ihre Frage und langte nach dem Türgriff.
Lange, zerbrechlich wirkende Finger hat sie, dachte Rick. Er öffnete von innen die Verriegelung der Tür und deutete auf den Nebensitz. »Wohin wollen Sie denn fahren?«
Ihre klaren und trotzdem so ausdruckslosen Augen waren ständig auf sein Gesicht gerichtet. »Irgendwohin«, sagte sie mit einem leichten Achselzucken. »Ich bin überall zu Hause.«
Rick legte den Gang ein und ließ die Kupplung kommen. Beinahe erschrocken nahm er den Fuß vom Gaspedal, das er gewohnheitsmäßig weit durchgetreten hatte. Der schwere Morgan, ein Roadster im Stil der Zwischenkriegszeit aber mit einem der modernsten Motoren versehen, schleuderte kreischend um die enge Kurve. Er warf dem Mädchen einen Seitenblick zu. Es saß so ungerührt neben ihm, als hätte es den Zwischenfall nicht bemerkt. »Tut mir leid«, entschuldigte sich Rick.
»Wieso?«
»Ich meine, Sie sind doch sicher erschrocken«, fuhr er fort, einfach um etwas zu sagen. Rick gehörte zu den Menschen, die gerne mit einem Autostopper reden und von diesem Gesprächigkeit als eine Art von Entgelt für die Gratisfahrt erwarten.
»Ich bin nicht erschrocken«, meinte das Mädchen lächelnd. »Weshalb auch, mir kann schließlich nichts passieren.«
Rick schaute den weiten Abhang des Hügels hinunter, an dem sie entlangfuhren. Wenn der schwere Wagen da hinunterkollerte, blieb wohl keiner von ihnen am Leben. Nerven hat sie also auch keine, stellte er fest.
»Sie leben hier in der Gegend?«, fragte er, um die wieder eingeschlafene Unterhaltung fortzusetzen. Das Mädchen nickte. »Seit ich denken kann.« Wieder richtete es die blassblauen Augen auf ihn. »Wollen Sie nach Stapleton Castle?« »Allerdings, ich möchte mich ein paar Tage in dem Hotel erholen.« Rick verschwieg selbstverständlich, dass ihn ein beruflicher Auftrag in das altschottische Schloss führte, das von seinem Besitzer in ein Hotel für die allerobersten Zehntausend umgewandelt worden war. Wer diese Zehntausend waren, bestimmte der Geldbeutel. Es war die alte Geschichte von den astronomisch hohen Erbschaftssteuern, die Lord Stapleton gezwungen hatten, die geheiligten Hallen des Familienbesitzes dem schnöden Mammon zu öffnen.
»Dann wünsche ich Ihnen viel Erfolg«, sagte das rätselhafte Mädchen, als hätte es Ricks Gedanken gelesen. Da es aber nichts von den Juwelendieben wissen konnte, bezog Rick diesen Wunsch auf seine körperliche Erholung und dachte nicht weiter daran. »Lassen Sie mich dort vorne aussteigen, gleich nach der Kurve.«
Der schwere, dunkelgrüne Morgan kam sanft zum Stehen. In seiner Überraschung vergaß Rick Masters völlig, auf das Mädchen zu achten. Der Anblick, der sich seinen Augen darbot, war so überwältigend, dass er fast eine volle Minute fasziniert in das Tal von Montrose hinunterstarrte, das sich auf der anderen Seite des Hügels erstreckte, den er auf der einspurigen Straße erklettert hatte.
Die Straße führte in weiten Kehren den Abhang hinunter. Die Sohle des Tals wurde von einem stillen, tiefblauen See ausgefüllt, an dessen Ufer sich die niedrigen Häuser einer kleinen Siedlung duckten, als wollten sie sich vor einem herabstoßenden Raubvogel verstecken.
Auf der gegenüberliegenden Seite des rundum von ungewöhnlich steilen Hügeln eingeschlossenen Tals von Montrose erhoben sich die Türme und die mächtigen Gebäude von Stapleton Castle. Die Sonne stand bereits so tief, dass sie nur mehr wenige Strahlen in die Abgeschiedenheit des Tals werfen konnte. Einige von ihnen tauchten die Spitzen der Schlosstürme in goldenes Licht. Sie funkelten und blitzten wie Leuchttürme, die in der Finsternis dem unsicheren Schiffer den richtigen Weg weisen sollen. Und beinahe wie einer dieser unsicheren Schiffer inmitten einer unbekannten See fühlte sich Rick in diesem Augenblick. Das Tal schwamm bereits in tiefen blauen Schatten, und auch die Oberfläche des Loch Montrose verdüsterte sich zusehends.
Inmitten des Lochs erhob sich eine felsige Insel, auf deren Spitze ein kegelförmiger Turm wie ein knorriger Finger zum abendlichen Himmel zeigte.
»Eine schöne Land …«, setzte Rick Masters an, doch als er sich zu dem Mädchen umwenden wollte, war es verschwunden. Nicht gegangen, sondern verschwunden. Von seinem erhöhten Standpunkt aus konnte Rick die Hänge in weitem Umkreis überblicken. Es war einfach unmöglich, in der kurzen Zeit so weit gelaufen zu sein. Verblüfft stieg er aus und schaute auf allen vier Seiten des offenen Roadsters nach dem Mädchen aus.
Nichts!
Es war wie vom Erdboden verschluckt.
Kopfschüttelnd richtete sich Rick auf und blickte ins Tal hinunter. Und nun glaubte der Londoner Detektiv tatsächlich, seinen Augen nicht mehr trauen zu können.
Von dem kegelförmigen Turm breitete sich ein intensiver rötlicher Schein über die Insel aus, griff auf den See über, bis das Wasser wie glühendes Eisen oder auch wie helles Blut aussah, und strahlte von den Hängen zurück.