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Nick Carter – Band 14 – Ein beraubter Dieb – Kapitel 5

Nick Carter
Amerikas größter Detektiv
Ein beraubter Dieb
Ein Detektivroman

Ein seltsames Zusammentreffen

Patsy hatte eine feine Nase gehabt. Als er sich etwa eine Stunde lang vor dem Saloon versteckt gehalten hatte, in welchem sich inzwischen Meyers und Billy wieder eingefunden hatten, um jedoch bald darauf anscheinend verstimmt wieder fortzugehen, da sah er Spike und Bally Arm in Arm wie zwei gute Freunde, die sich zu gemeinsamem Tun verbunden haben, unter der Tür auftauchen und sich in östlicher Richtung durch die 34th Street bewegen.

Selbstverständlich folgte ihnen der junge Detektiv unter Anwendung der größten Vorsicht. Er gewahrte bald, wie das edle Paar an der nächsten Straßenecke mit einem jungen Burschen zusammentraf, der ebenso gewürfelt wie sie selbst ausschaute. Dieser flüsterte Spike etwas zu, was diesem riesiges Vergnügen bereiten musste, denn wie in aufsteigender Begeisterung bearbeitete er die Schultern seiner beiden Freunde. Diese mussten ihn daran hindern, dass er auf offener Straße einen wahren Kriegstanz vollführte.

Dann trennte sich das Kleeblatt wieder. Spike und Bally Morris gingen Arm in Arm ihres Weges weiter. Sie schritten nun in der Richtung nach der 3rd Avenue zu, und als sie diese erreicht hatten, da gewahrte der ihnen vorsichtig nachfolgende Patsy, wie Bally in den Ecksaloon eintrat, bald darauf aber wieder zu seinem draußen harrenden Genossen zurückkehrte und gegen diesen verneinend mit dem Kopf schüttelte. Wieder Arm in Arm schritten die beiden die 3rd Avenue bis zur 42th Street hinauf. Hier schlüpfte Bally wiederum in den nächsten Saloon und gesellte sich kaum eine Minute später erneut seinem an der oberen Straßenecke auf ihn wartenden Kumpan zu.

Es war für Patsy nicht leicht, sich an dem leicht übersehbaren Ort dauernd vor den Blicken der beiden jungen Burschen verborgen zu halten. Eine ganze Weile lang machten Spike und Bally keine Miene, ihre Wanderung fortzusetzen, und während Patsy sich noch insgeheim über ihr auffälliges Verweilen verwunderte, wurde er plötzlich Chicks ansichtig, wie dieser mit raschen Schritten die 42th Street herunterkam. Sofort erblickte Patsy auch den Mann, welchen sein älterer Gefährte offenbar verfolgte; es war ein untersetzter, breitschultriger Mann, welcher mit ausgesuchter modischer Eleganz gekleidet war und die Straße in selbstbewusster Weise heruntergeschritten kam.

Sofort nahm Patsy eine Stellung ein, welche ihm gestattete, Chick über seine Anwesenheit zu verständigen. Das ließ sich leicht bewerkstelligen, und das von Chick zurückgegebene Signal bedeutete, dass sein jüngerer Freund sich ihm beigesellen sollte, falls er dies zu tun vermochte.

Als der von Chick verfolgte Mann die Ecke von der 3rd Avenue und 42th Street erreicht hatte, blieb er stehen und schaute sich nach jeder Richtung um. Offenbar konnte er die Person, nach welcher er suchte, nicht entdecken, sondern er begann, an der nordwestlichen Straßenecke langsam und gemessen auf- und niederzuschreiten, wie um sich die Wartezeit zu verkürzen. Dies gab Chick eine gute Gelegenheit, sich unbemerkt zu Patsys Standort zu begeben.

»Beschattest du jemanden?«

»Allerdings – dort meine beiden guten Freunde Spike und Bally.«

»Was haben die beiden Kerle vor?«

»Ich kann es nicht sagen, Chick, doch ich hoffe, es bald zu erfahren. Was ist mit deinem Schützling drüben los?«

»Es ist Seaman.«

»Was, zum Teufel?«, erstaunte sich Patsy. »Was will der denn hier?«

»Ich weiß es nicht, doch ich folgte ihm schon von Broad Street aus.«

»Er wartet natürlich auf jemanden.«

»So scheint es – wie ich denke, es wird Bart Meyers sein.«

In diesem Augenblick zupfte Patsy seinen älteren Gefährten am Arm und nickte gleichzeitig nach einer bestimmten Richtung zu. Als Chick dort hinblickte, sah er Nick, welcher, wie kurz zuvor er selbst, auf derselben Seite der 42th Street herabkam.

»Er ist hinter einem Kerl her«, wisperte Patsy lachend, »und ich wette einiges, es gilt jenem Mann dort im schwarzen Gehrock, Zylinderhut und dem dunklen Vollbart!«

Sofort trennten sich die beiden jungen Detektive, um ihrem Meister verstohlene Kunde von ihrer Gegenwart geben zu können. Selbstverständlich geschah dies, ohne die von ihnen selbst beschatteten Personen außer Acht zu lassen.

Spike und Bally standen noch immer wie festgewachsen an ihrer Ecke, und ihnen gegenüber ging Seaman in langsamem Schritt auf und ab.

Als der große Detektiv die Ecke erreichte, gab er seinen beiden Gehilfen unmerklich zu verstehen, dass er ihre Signale bemerkt hatte, doch er machte keine Anstalten, sich ihnen hinzuzugesellen. Inzwischen war der von ihm Verfolgte an den harrenden Seaman herangetreten und wechselte mit diesem einen Händedruck.

»Wenn das nicht Anwalt Elwell ist, will ich hundert Dollar verwetten«, brummte Chick.

Als der Meisterdetektiv seinen Mann im Gespräch stehen sah, nahm er schnell gedeckte Aufstellung und winkte seine beiden Gehilfen zu sich heran.

»Elwell?«, fragte Chick, als er den Meister erreicht hatte.

»Gewiss«, entgegnete der Detektiv ebenso rasch. »Kennst du den Mann, mit welchem er spricht?«

»Gewiss, es ist mein Mann, Mr. Seaman.«

»Seaman?«, versetzte Nick Carter überrascht. »Ei, das ist ja ein merkwürdiges Zusammentreffen, die beiden Gauner müssen ein Rendezvous verabredet haben!«

»Wahrscheinlich wollen sie hier an der Ecke mit einem dritten zusammentreffen!«

»Du magst recht haben, Chick«, pflichtete der Detektiv bei und wendete sich an seinen Jüngsten mit der Frage, welcher Wind ihn hergeweht habe. Dann, als er von Patsy frohgemut Auskunft erhalten hatte, lachte er kurz auf.

»Das ist ja sehr seltsam, dass wir uns hier in Verfolgung unserer verschiedenen Freunde sämtlich treffen müssen«, erklärte Nick. »Doch wir werden dieses Wiedersehen nicht feiern, sondern müssen uns sofort wieder trennen, denn ein derartiges Beieinanderstehen dürfte unseren Plänen nicht förderlich sein. Bleibt indessen untereinander in Tuchfühlung, Boys.«

Chick schlüpfte über die Straße, unmittelbar gefolgt von Patsy, doch auf der anderen Straßenseite gewann der erstere Deckung hinter einem Strebepfeiler der Hochbahn, während Patsy die 3rd Avenue überschritt und sich dort an einem Platz aufstellte, von wo aus er Spike und Bally leichter beobachten konnte.

Kaum hatte er sich richtig aufgestellt, als er auch schon wahrnahm, wie die beiden Burschen Anzeichen plötzlicher Erregung zeigten. Als Patsy sich vorsichtig vorbeugte, gewahrte er Bart Meyers, der sich in Begleitung desselben Mannes befand, welchen er in dem Saloon an der 34th Street mit Billy angesprochen hatte.

Es fiel dem jungen Detektiv ein, dass weder der Detektiv noch Chick den berüchtigten Einbrecher aus Chicago persönlich kannten, und so huschte er nochmals über die Straße, um beide eilends zu verständigen.

Die Minute darauf war Bart Meyers an Elwell herangetreten und sprach mit ihm.

Patsy hatte inzwischen wahrnehmen müssen, dass seine beiden Burschen inzwischen eilfertig die 8th Avenue hinaufliefen, und er machte sich darum unverzüglich an deren Verfolgung.

Die vier Männer an der nordwestlichen Straßenecke hatten inzwischen einige Worte ausgetauscht, dann wandten Meyers und dessen Gefährte sich um und traten in den Ecksaloon, fast unmittelbar gefolgt von Seaman und Elwell.

Nick hatte seinen Vetter schleunigst wieder zu sich gerufen und fragte ihn nun, ob er glaube, dass Seaman ihn kenne.

»Well, ich glaube nicht«, bemerkte Chick nach kurzem Besinnen.

»Dann schlüpfe in den Saloon und sieh zu, ob du von ihrer Unterredung etwas aufschnappen kannst!«, gebot der Detektiv.

Während Chick sich beeilte, unauffällig den Saloon zu betreten, blieb sein berühmter Vetter auf seinem bisherigen Beobachtungsplatz stehen, um zur Hand zu sein, falls die Männer schon in Bälde den Saloon wieder verlassen und sich trennen sollten.