Sagen der mittleren Werra 77
Von den Schatzgräbern auf dem alten Liebenstein
Den Schatz droben im Buchenkranz auf der alten Burg Liebenstein wollten einst viele aus der Umgegend heben. Das war aber nicht so leicht, denn der Geist, der den Schatz hütete, musste erst herbeigerufen und befragt werden, womit man ihn bewegen und heben könne. So ließen sie einen Jesuiten kommen und durch ihn die Sache vorbereiten. Von diesem erfuhren sie nun nicht nur die genaue Stelle, wo der Schatz liege, sondern auch, dass sie ihn mittels eines schwarzen Huhns, an dem aber keine einzige weiße Feder sein oder gewesen sein dürfe, erlangen könnten.
Da nun einer der Schatzgräber, ein Liebensteiner, versprach, für das Huhn zu sorgen, so verabredeten sie Tag und Stunde, sich auf dem alten Schloss zu treffen, wo sie zur bestimmten Stunde eintrafen und auch das schwarze Huhn zur Hand hatten. Nun wurde eifrig gegraben, und als unten im Dorf die Geisterstunde schlug, nahmen sie das Huhn, schlachteten es und ließen das Blut in die Grube träufeln.
Kaum aber waren die ersten Tropfen von der Erde aufgesogen, da erhob sich ringsum ein schauerliches Rauschen und Brausen, und eine Stimme rief die Worte: »Halt! Erst will ich dem, der dem Huhn die weiße Feder aus dem Schwanz gerupft hat, das Genick brechen!«
Ehe sich die Schatzgräber versahen, war auch schon ein Getier wie ein schwarzer Geißbock mitten unter ihnen und stieß auf alle, besonders aber auf den, der das Huhn herbeigeholt hatte, mit solcher Wucht ein, dass sie bald in alle Winde flohen.
Den Liebensteiner aber hatte der Bock so schwer getroffen, dass er nach wenigen Tagen starb. Bevor er starb, gestand er noch seinen Kameraden, dass er sie betrogen hätte, denn diese Henne besaß eine weiße Feder, die er ihr aber ausgerupft habe.