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Sagen der mittleren Werra 76

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Von dem Schatz auf dem alten Liebenstein

Off’m Suerborn, doch lange bevor der Ort unter dem Namen Bad Liebenstein bekannt wurde, träumte es einem jungen Bauernmädchen, sie suche oben an dem alten Schloss Blumen und höre dabei eine feine, aber traurige Musik in dem alten Gemäuer. Und als sie ausschaute, siehe, da zeigte sich in einem der Fensterlöcher eine weiße Dame, die ihr freundlich zuwinkte, näherzutreten.

Den Traum aber erzählte das Mädchen am anderen Morgen ihrem Vater und der sprach: »Höre, wenn dir wirklich dort oben etwas beschieden sein soll, so musst du drei Nächte hintereinander denselben Traum haben.«

Da es nun sich so ereignete, so ging am dritten Tag der alte Heller, so hieß der Bauer, mit seiner Tochter hinauf zur Burg und versteckte sich dort im Dickicht, um von da aus seine Tochter immer im Auge zu haben.

Alles kam so, wie es das Mädchen im Traum wahrgenommen hatte. Hierauf trat ihr die weiße Dame aus der Burg entgegen, hieß sie willkommen und teilte ihr dann Folgendes mit. Sie sei, sprach sie, eine der Burgfrauen, die in ihrem Leben viel Sünde getan und besonders die Armen hart behandelt habe, dafür aber hätte sie bis heute noch keine Ruhe im Grab gefunden. Sie nun könne ihr diese verschaffen, wenn sie für ihre arme Seele in der Kirche zu Barchfeld, in der zu Schweina sowie in der zu Steinbach drei Sonntage hintereinander Seelenmessen lesen und zugleich an diesen drei Tagen ein bestimmtes Quantum Brot und Korn an die Armen verabreichen lassen wolle. Sie würde dafür einen reichlichen Lohn empfangen. Dort in jenem Kranz von jungen Buchen sei ein Schatz von Gold und Edelgestein verborgen, den sie nach vollbrachter Aufgabe zu heben vermöge.

Als hierauf die weiße Frau zur Burg zurückkehrte, eilte das junge Mädchen ihrem Vater entgegen und tat ihm alles zu wissen.

Dieser sprach: »Der liebe Gott hat uns reichlich gesegnet und deshalb sollst du auch tun, was dir die Burgfrau geheißen hat.«

So geschah es denn, dass das Mädchen die Burgfrau erlöste. An den zu hebenden Schatz dachte es nicht weiter.

Als nun die Jungfrau einige Zeit darauf mit einer Gespielin wieder oben auf dem Burgberg in der Nähe jener jungen Buchen weilte, da ertönte noch einmal jene liebliche Musik, nur dass sie diesmal viel heiterer klang. Und als sie von ihrer Gespielin auf die wundersamen Töne aufmerksam gemacht wurde, da erwiderte sie lächelnd: »Es werden wohl Musikanten aus Steinbach sein, die solche feine Weisen dort in der Burg aufspielen.«

Als sie sich darauf zum Gehen wandte, da flüsterte es ihr leise zu: »Habe tausendmal Dank und vergiss nicht den Schatz in dem Kranzeder jungen Buchen«; der nun auch wirklich dort in der Sonne glitzerte.

Das Mädchen aber wollte von solchem Schatz nichts wissen und wandte bald darauf ihr Herz einem anderen Schatz zu.

Lange Jahre nach jener Zeit saß das Mädchen als altes, schwaches Mütterchen mit ihrem einzigen noch übrigen kleinen Enkel verarmt und vom Hunger gepeinigt in ihrer Hütte. Da gedachte sie wieder des Schatzes oben am alten Schloss, der all ihrer Not auf einmal ein Ende machen könne. Sie nahm daher eine Hacke und schlich, mit dem Kleinen an der Hand, mühsam den Berg hinauf. Doch oben angekommen, vermochte sie vor Schwäche nicht den Schatz aus der Tiefe zu arbeiten.

Und so ruht er noch dort in dem Kranz der Buchen als Eigentum ihrer Nachkommen. In späterer Zeit soll einmal ein Schneider, der von dem Schatz vernommen hatte, aber nicht zu der Familie Heller gehörte, versucht haben, ihn zu heben. Er soll auch glücklich auf denselben gestoßen, der Schatz aber in dem Augenblick, als er danach greifen wollte, unter seinen Händen verschwunden sein.