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Der Vampir – Jowans Schatzkammer

Hans Wachenhusen
Der Vampir
Eine Novelle aus Bulgarien, 1878

Jowans Schatzkammer

Jowan, die Mütze tief in die Stirn gezogen, die breite Brust in den kurzen, bis zu den Knien reichenden Wolfspelz gehüllt, schritt seinem Gast durch einen langen, dunklen Gang voran in das untere Stockwerk des Hauses und stand schließlich vor einer Falltür, deren Fugen selbst im Schein der Laterne kaum zu erkennen waren.

Mit einem kurzen eisernen Schlüssel hob er die Platte heraus, griff wieder nach der Laterne, beugte sich über die Öffnung und reichte Viktor das Licht, der verwundert in den dunklen Schlund hinabblickte.

»Bitte, folgt mir«, sagte Jowan und nahm ihm die Laterne wieder ab, als sie die oberste Stufe einer schmalen, steil abfallenden Steintreppe betraten. »Hier unten ist es ungefährlich, aber sei vorsichtig!«

Damit verschwand er, und Viktor kletterte dem matten, unruhigen Schein nach, der immer tiefer sank.

Eiseskälte überfiel ihn und zog ihm die Brust zusammen. Dumpf hallten bereits die schweren Tritte seines Führers unter ihm auf dem Felsboden wider. Unten angekommen, sah sich Viktor in einem weiten, natürlichen Steingewölbe, von dessen scharfkantigen Wänden das Wasser herabtropfte und in den Rissen des Schiefergesteins versickerte.

»Ihr seht«, begann Jowan, während er aufmerksam und besorgt die Schritte seines Begleiters zu beleuchten suchte, »dies ist ein unterirdischer Gang, eine jener Höhlen, die in unseren Bergen nicht selten sind. Ich hätte schwerlich mein Haus hier draußen gebaut, wenn mir nicht diese Höhle, dieser Gang hier eine größere Sicherheit geboten hätte, als ich sie in der Stadt hätte finden können. Nur der Arme ist in diesem unglücklichen Land vor den Blutsaugern geschützt, die uns das Mark aus den Knochen saugen. Hier ist kein Menschenleben von Wert, kein Besitz, der nicht dem gehört, der die Macht hat, ihn dem anderen zu entreißen. Diese Höhle ist mein Leben, mein Besitz. Sie führt in eine Felsspalte, eine Schlucht am Fuße des schmalen Passes nach Dschumaja, die sich unterhalb der steilen Seitenwand über den Fels windet. Diese Schlucht mag tausend Schuh tief sein; niemand findet in dem Abgrund den Ausgang dieses Weges, denn noch ist kein Fuß dort hinabgestiegen, und doch ist es möglich, von unten über die Felsstufen, die steil zum Rand des Passes hinaufführen, zum Rand hinaufzuklettern. Bei aller Vorsicht sollte es der Mudir schwer haben, meiner habhaft zu werden; aber er ist ein schlauer Fuchs, er hat noch niemanden ins Elend gestürzt, ohne ihm vorher die glänzendste Freundschaft vorzutäuschen …«

Jowan ging mutig weiter. Die Höhle endete in einem engen Bogengang, in dem hier und da die Felszacken in den Weg ragten.

»Seht, Herr! Der große, allmächtige Baumeister, der diese Höhle geschaffen hat, hat es nicht so genau genommen, aber ich danke ihm. Ich zeige Euch alles, damit Ihr Bescheid wisst, falls uns etwas zustoßen sollte, bevor wir in unserer Höhle angekommen sind. Hier seht Ihr auch die Tür, die uns vor Verfolgung schützt, sollte unser Rückzug wirklich entdeckt und verraten werden.«

Er schob eine schwere, stark verrostete Eisenplatte zurück, beugte sich über eine Verengung des Ganges, die nur in gebückter Haltung zu passieren war, richtete sich wieder auf und trat in einer natürlichen Wölbung zur Seite, die Laterne hochhaltend, um sie zu beleuchten.

»Siehe, Herr, hier bewahre ich, was ich mit Mühe und unermüdlichem Fleiß erworben habe. Die Wächter des Paschas haben scharfe Augen, und wir müssen noch schärfer als sie wachen. Hätte ich Marko nicht, so wäre es mir oft schwergefallen, sie zu täuschen, denn unter dem groben Zigeunerhemd sucht man nicht nach Jowans Vertrautem … Seht, da sind die Kisten, voll mit österreichischen Dukaten! Ich könnte ein glänzendes Geschäft machen, wenn ich nur den Agiounterschied zwischen der Donau und dem Goldenen Horn ausnützen würde, aber ich darf kein blinkendes Geld zeigen, wenn ich nicht gleich des Mudirs Leute im Nacken haben will. Marko hilft mir einmal, auch zweimal im Jahr; was ich durch meinen Handel erwerbe und erübrigt, bringt er mir heimlich die Donau hinunter auf die Schiffe, und mein Geschäftsfreund drüben über dem Ufer schickt es nach Wien auf die Bank. Gottes Segen ruht wohl sichtbar auf meiner Hand, denn ich erwerbe viel, aber ich habe keine Freude daran; ich muss den Segen verbergen, wie der Ungerechte sein Diebesgut.«

Jowan öffnete eine Kiste nach der anderen. Sie waren bis zum Rand mit geprägtem Gold gefüllt. Er trat an eine andere, kleinere, aus der allerlei Edelsteine in den seltsamsten Formen hervorblitzten.

»Das kommt meist von jenseits des Gebirges, auch von jenseits des Goldenen Horns. Meine Agenten suchen es bis tief nach Persien hinein und bringen es mir heimlich in allerlei Verkleidungen, als Zigeuner, Hausierer, Bettler oder Derwische. Sie machen noch großen Gewinn damit und handeln es meist durch Mittelsmänner aus den Harems der Großen … Das ist alles, Herr, was ich Euch zu zeigen habe!« Damit schloss er die Truhe und trat wieder vor und öffnete eine weitere Eisentür. »Dort ist es sicher«, deutete er vor sich hin. »Die Schlucht – ihr seht dort das matte Dämmerlicht im Ausgang schimmern – kann niemand hinabklettern; niemand denkt daran, es zu versuchen. Sollte uns jemand folgen, so gibt uns die Tür wenigstens Zeit, unser nacktes Leben zu retten.«

Jowan war zum Ausgang getreten und leuchtete in die Schlucht hinein. Viktor sah vor sich die Felswand, von wildem Gestrüpp überwuchert, fast kerzengerade ansteigend; Steinzacken, fantastisch geformte Granitauswüchse boten jedoch die Möglichkeit, sie zu erklimmen, aber unberechenbar stieg diese Wand an, und oben verdunkelten überhängendes Gestrüpp und Ranken das Mondlicht, das mühsam in den Abgrund hinabblickte.

»Wir sind am Ende, Herr!« sagte Jowan und wandte sich um. »Ihr kennt nun das Geheimnis meines Hauses, vielleicht auch meines Lebens. Ihr mögt bei Euch denken, nur die Not zwinge mich, Euch so viel anzuvertrauen, und Ihr mögt recht haben, denn in diesem Land traut niemand dem anderen, weil jeder nur des anderen Verderben sucht und leider auch findet. Es gibt keinen Gemeinsinn, keine Treue, keine Wahrheit, nur Lug und Trug, Verrat und Niedertracht von oben bis unten, und wenn Ihr mich fragt, warum ich dennoch hier bin, warum ich nicht fortgehe, so verhehle ich es nicht: Der Gewinn hat eine Macht über mich, gegen die selbst die Bitten meines Kindes vergeblich ankämpften, bis …«, Jowan seufzte tief, »es kam, wie es kommen musste! Der Reiche wird nur reich, um am Ende ein Opfer seiner Neider zu werden; der Reiche ist ein Verbrecher an allen, die nichts haben oder das Ihre vergeuden … Und nun, Herr, kehren wir zu Marinka zurück! Ich werde morgen alles für ihre Flucht vorbereiten, und sie soll nicht mit leeren Händen gehen, auch wenn sie, so Gott will, nur wenige Tage von mir getrennt sein wird. Vorher aber, Herr, verzeiht mir, es ist kein Misstrauen, denn ich gebe Euch lieber alles, was ich an irdischen Gütern besitze, – vorher, Herr, müsst Ihr mir, dem Vater, einen heiligen Eid schwören, dass Ihr das arme Kind beschützen werdet, dass Ihr ihm kein Leid zufügen wollt, denn Marinka ist gehorsam, sie ist ein Juwel, wie es kein zweites gibt; sie gehorcht meinem Willen, und Ihr habt gesehen, dass sie nicht murrte, als sie meinen Willen hörte«.

Schweigend ging er in das Gewölbe zurück. Viktor folgte ihm und dachte über das seltsame Dasein eines reichen Mannes in diesem Land nach.

 

*

 

Inzwischen saß Marinka dem armen Marko gegenüber am Leichnam der unglücklichen Selwa. Sie flüsterte wohl hundert Gebete für das Seelenheil der Märtyrerin, die doch nicht ganz als Heidin gestorben war, denn sie hatte sie gelehrt, an Gott und die Jungfrau Maria zu glauben, ohne dass Marko es verhindern konnte. Der Sturm, der in den mächtigen Kronen der Eichen seine letzten Akkorde spielte, war eine schauerliche Begleitung ihrer Gebete.

Marko kauerte am Boden, die Beine übereinandergeschlagen. Seine Hände lagen regungslos im Schoß, sein weißer Bart war bis auf die Brust herabgesunken, die Augenlider gesenkt. Aber er schlief nicht, er saß da und brütete finstere Pläne. Seine Zigeunerseele kannte und verehrte den Gott nicht, von dem er die junge Herrin ihrem Kind hatte erzählen hören, und was in ihr vorging, war Hass und Fluch.

So saß er noch, als die ersten Sonnenstrahlen die Firne röteten. Alles war still um ihn. Er richtete sich auf, wie aus einer Starre erwachend. Sein pergamentartig verhärtetes, von tiefen Furchen durchzogenes Gesicht war aschgrau unter dem Wetterbraun der blattnarbigen Haut, die Augen blutunterlaufen und tief in die Höhlen zurückgesunken.

Lautlos beugte er sich über den entseelten Liebling, und jetzt, nur für einen flüchtigen Augenblick, zuckten seine Gesichtsmuskeln. Er beugte sich tiefer, legte beide Hände über die starren, geisterhaft noch geöffneten Augen der Toten und schloss gewaltsam die erstarrten Lider.

Tief gebeugt schleppte er sich ins Haus und kehrte mit einem groben grauen Tuch zurück. Er trat an den Divan, breitete das Tuch aus, hob den starren Körper hoch, bettete ihn in das Tuch, deckte die Tote zu, nahm sie mit kräftigem Arm behutsam auf die Schulter und trug sie über die Wiese in Richtung der Zigeunerzelte.

Der Sturm hatte große Verwüstungen im Tal angerichtet, ganze Äste lagen abgebrochen und umhergeschleudert, das Geröll der Felsen war von der Gewalt des Orkans herabgeweht und über die Talsohle verstreut worden. Die Tschater, die Zelte, waren wie vom Erdboden verschwunden, und nur die Pfähle und die Feuerstelle wiesen noch auf den Lagerplatz hin.

Ratlos stand Marko davor. Er hatte den Stammesgenossen sein Kind bringen, es mit ihrer Hilfe dem Schoß der Erde übergeben wollen. Der Sturm hatte alle in den Wald getrieben, wo sie im Dickicht und in Höhlen Schutz gesucht hatten.

Marko legte die teure Last tief verhüllt auf den Boden, er selbst setzte sich mit gekreuzten Beinen daneben, und so saß er wohl eine Stunde lang, als ihn plötzlich eine heisere Stimme vom Felsabhang herab aus seinem Schlummer rief.

»Marko«, rief ihm seine Frau von oben zu, »wen suchst du? Die Tschater sind abgebrochen, wir ziehen nach Osten, wo die Inglis und Franzis sind. Dem Baschi1 gefällt es hier nicht mehr, er glaubt, dass er drüben einen guten Fang macht.«

Marko winkte sie leise hinunter, und mit der Gewandtheit eines Eichhörnchens kletterte sie die Felsen hinab.

»Was hast du da?«, fragte die Alte und deutete auf die Hülle, ohne zu ahnen, dass sie eine Leiche barg.

»Unser Kind!«, versetzte Marko. „Der Pascha hat es halbtot auf die Gasse werfen lassen. Ruft mir Hilfe, denn meine Arme sind zu müde, oder nehmt es mit und begrabt es oben im Wald, denn der Stein ist hart, und die Arbeit wäre hier umsonst.«

Auf dem verwitterten Gesicht der Alten zeigte sich keine Spur von Mitleid. Sie wiegte den Kopf, murmelte ein paar Worte und klatschte in die Hände, während ihr zahnloser Mund den schrillen Ruf des Falken nachahmte.

Die unteren Stufen des Felsens belebten sich mit braunen Gestalten in grauen, schmutzigen Hemden und weiten Hosen; ein Dutzend Zigeunerburschen und Mägde sprangen herab und umringten die beiden Alten. Es wurde nicht viel gesprochen. Sie bauten aus den abgeschnittenen Ästen eine Bahre, legten den Toten darauf, und der Zug verschwand, von der Alten begleitet, oben im Wald.

Marko sah ihm lange nach. Er kehrte zum Haus zurück, immer noch in derselben Stille. In den unteren Räumen begegnete ihm niemand. Er schlich durch das Haus, über den Hof, wich den Knechten aus, die schon bei der Arbeit waren, betrat einen halbdunklen Raum, in dem die Acker- und Wirtschaftsgeräte aufbewahrt wurden, suchte zwischen den Sicheln und Messern nach einer anderthalb Schuh langen, breiten bosnischen Klinge, trat an den Schleifstein, wetzte, dass der Stahl Funken sprühte und seine Stirn in Schweiß badete. Genüsslich fuhr er mit dem Nagel über die Schneide, überprüfte den sicheren Halt und steckte das Messer in den Gürtel.

»Ich werde Gospodin Jowan sagen, dass er nicht nach mir suchen soll, wenn ich heute gehe, auch wenn ich morgen nicht wiederkomme«, murmelte er vor sich hin und ging zum Vorderhaus zurück. »Er wird auch wenig Hilfe mehr an dem armen Marko haben, dessen Arm nur noch für ein Werk stark und sicher genug sein muss, und das eine wird auch er mir danken. Ich habe kein Leben mehr, seit meine Seele fort ist. Ich will auch kein Leben mehr! Mögen sie es nehmen! Ich fürchte des Paschas Henker nicht, er aber fürchte den seinen!«

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  1. Das Haupt