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Die Gespenster – Vierter Teil – 5. Erzählung

Die Gespenster
Kurze Erzählungen aus dem Reich der Wahrheit von Samuel Christoph Wagener
Allen guten Schwärmern, welchen es mit dem Bekämpfen und Ablegen beunruhigender Vorurteile in Absicht des Geisterwesens ernst ist, liebevoll gewidmet von dem Erzähler Friedrich Maurer aus dem Jahr 1798
Vierter Teil

Fünfte Erzählung

Das Gespenst in Gestalt einer ungeheuren Schlange bei Frankfurt

Zu Anfang des Jahres 1793 stand die preußische mit hessischen, sächsischen und anderen reichsfürstlichen Truppen vermischte kleine Armee unter dem Herzog von Braunschweig in den Gegenden von Frankfurt am Main, woselbst sie überwintert hatte. Das Hauptquartier war in der Stadt. Die Anwesenheit des Königs selbst, seiner Garden und des übrigen Kriegsgefolges machten Frankfurt äußerst lebhaft und zogen einen Schwarm von Fremden herbei, sodass fast gar kein Unterkommen mehr zu finden und alle Gasthöfe bis über die Dachfenster vollgepfropft waren.

Das zweite Bataillon des damaligen Husarenregiments G., bei welchem ich, als Auditeur, zugleich das Verpflegungsgeschäft eines Regiments Quartiermeisters mit versah, kantonierte um diese Zeit im Dorf Kelsterbach, drei Stunden von Frankfurt. Meine Dienstverrichtungen machten es nötig, dass ich oft, zuweilen sogar wöchentlich, einige Male in Frankfurt sein musste. So unangenehm mir jedes Mal der Aufenthalt in dieser Stadt selbst war, weil ich fast nie unter Dach kommen konnte, sondern nach dem Absteigen vom Pferd stehendes Fußes meine Geschäfte besorgen und dann, nach Verlauf einiger Stunden, wieder aufsitzen und meines Weges ziehen musste. Ebenso angenehm war nur jederzeit der Ritt durch die schöne, beinahe drei Stunden lange Waldung auf einer breiten wohlgeebneten Straße. Ich fand diesen Weg ungleich angenehmer als den durch die Niederung längs des Mains über Schwanheim und Niederrad, obwohl man hier auf einige Dörfer und Landhäuser stößt und überhaupt mehr Abwechslung hat.

Es war ungefähr um die Mitte des Monats März, nicht lange vor dem Aufbruch der Armee, als ich eines Tages wieder nach Frankfurt reiten musste, um bei dem Feldkriegskommissariat einige Berechnungen abzuschließen und einen neuen Fouragetransport aus den königlichen Magazinen zu besorgen. Meinen Reitknecht ließ ich, wie denn dies nicht selten geschah, zurück und ritt bloß in Begleitung der kommandierten Mannschaft des Mor­gens früh aus Kelsterbach. Ich hatte diesmal das Glück, alle Pferde in einem Wirtshaus der Vorstadt Sachsenhausen unterzubringen. Die Verrichtungen in der Stadt verzögerten sich bis ge­gen Abend, und da ich unverhofft einen Bekannten antraf, so entschloss ich mich, ohne vieles Zureden die Kommandierten mit dem Fouragetransport abgehen zu lassen und zurückzubleiben, um mit meinen alten Freund im Weidenhof auf der Zeil ein paar Stunden während des Abendessens zu verplaudern.

Nach acht Uhr schieden wir auseinander; ich ging zu dem Wirtshaus in Sachsenhausen, wo mein Pferd stand, und begab mich ohne alle Begleitung auf den Weg. Gleich außerhalb dieser Vorstadt beginnt der Hochweg, der längs der Weingärten gerade in die hochstämmige Waldung führt. Ich hielt das Pferd in einem immerwährenden Schritt und passierte bald den schönen und äußerst angenehm gelegenen Darmstädter Jägerhof. Ungefähr einige hundert Schritt weiter­hin schlängelt sich ein kleiner Holzweg von der großen Straße abwärts in das Gebüsch und führt gerade nach Kelsterbach. Ich war diesen Weg schon einige Male geritten, und da man ihn etwas kürzer hält als die große Straße, so schlug ich ihn auch jetzt ein. Hier stieg ich vom Pferd, um, wie ich oft zu tun pflegte, eine Strecke zu Fuß zu gehen. Ich nahm den Trensenzügel ab, streifte ihn über den linken Arm, ging fort und mein Schimmel folgte mir, so, wie er gewohnt war, am schlaffen Zügel munter nach.

Es war eine kalte sternklare Nacht, der Mond stand voll am Himmel und warf sein nicht durch die noch unbelaubten, sanft wogenden Zweige der jungen Eichen, die ihren Schatten quer über den Weg streckten, den ich wandelte. Mit ineinander geschlungenen Armen, den Zügel hoch am Ellenbogen, ging ich in Gedanken fort und sah kurz vor mir nieder auf den Pfad, als das Pferd den Zügel einige Male schnell anzog und schnarchte. Ich schlug die Augen auf und erblickte gerade vor mir in einiger Entfernung eine ungeheure, baumdicke schwarze Schlange, die mit langen wellenförmigen Bewegungen und blitzenden Augen sich mir entgegenwand.

Ich entsetzte mich und blieb stehen – inzwischen suchte ich seitwärts der Erscheinung etwas näher zu kommen, allein mein Schimmel wollte durchaus nicht folgen, sondern fing an, unruhig zu werden. Mit hingewandtem Blick zu der Schlange trat ich auf einen erhöhten Rand neben dem Weg, als plötzlich das Pferd mich zurückriss, den am Arm hängenden Zügel sprengte und mit einem kühnen Bogensprung pfeilschnell in den Busch fuhr. Bei der Gewalt, womit das Pferd mich herumschleuderte, hatte ich Mühe, mich auf den Beinen zu halten.

Nun stand ich wieder mitten im Weg, aber, wie es schien, nur, um ein neues Ungeheuer zu er­blicken. Eine weiße grässliche Gestalt hatte sich ungefähr zwanzig Schritte hinter mir zwischen den Bäumen erhoben und verlängerte sich mit einem schaudererregenden Kettengeklirre sichtbar bis in die herabhängenden Äste. Ich gestehe, dass ich in dem Augenblick vor Schrecken erstarrte – ich stand wie angefesselt – die Gestalt wurde bald klein, bald groß, bald krümmte sie sich zusammen, bald rollte sie sich gleichsam wieder auf, unter beständigem Rasseln der Ketten, so, dass der Wald es widerhallte.

Endlich fasste ich mich wieder – aber mein Pferd ging fort – und ließ mich zurück in der bedenklichen Lage zwischen den beiden Unholden. Ich war für den Notfall zwar bewaffnet, allein ich gestand die Überlegenheit nun meinen Feinden willig zu und fühlte nicht den geringsten Beruf, gleichsam blindlings ein Abenteuer zu bestehen, dessen glücklicher Ausgang für mich höchst zweifelhaft zu sein schien, und wobei ich auf jeden Fall nicht den geringsten Nutzen erwarten konnte. Meine vornehmste Sorge musste allerdings sein, ohne den geringsten Verzug mich zuerst meines Pferdes wieder zu bemächtigen. Alle weitere Aufmerksamkeit für die Erscheinungen war Torheit.

Ich sprang also in den Busch und eilte meinem Schimmel nach. Dieser war im stärksten Zug und drang mit weiten Sprüngen immer tiefer in die Waldung. Ich verdoppelte meine Schritte, eilte ihm nach durch das Gebüsch – alles vergebens – bald kam er mir aus dem Blickfeld; ich stand mitten im Dickicht – musste alles weitere Nachsetzen aufgeben und wusste nicht wohin.

Die Schreckgestalten waren mir nun gleichgültig geworden, denn der Verlust meines Pferdes ging nur zu Herzen. Dass es nun unnütz war, in dem Gebüsch weiter herumzuirren, sah ich ein. Nach Kelsterbach zu gehen und von dorther Hilfe zu suchen, war zu weitläufig, weil ich bis dahin noch anderthalb Stunden Weges zurückzulegen hatte. Ich entschloss mich also, zu dem ungleich näher liegenden Jägerhof zurückzukehren, um von dort aus Leute nach meinem Pferd auszuschicken. Am Ende musste ich meinen dahinführenden Holzweg wieder aufsuchen. Es war wohl natürlich, dass ich doch Bedenken trug, gerade zu der spukreichen Gegend zurückzukehren, wo ich hergekommen war. Um jenen Unholden nicht wieder in den Wurf zu kommen, vermied ich sie vielmehr wohlbedächtig und arbeitete mich lieber seitwärts noch eine Zeitlang durch den Busch hindurch.

Endlich kam ich wieder auf den Weg, den ich nun zurückeilte, um, so bald als möglich, den Jägerhof zu erreichen. Ich mochte wohl eine Viertelstunde gegangen sein, als die Aussicht offener wurde, und ich den vom Mondlicht ganz erhellten freien Platz vor dem Jägerhof wieder erblickte. So wie ich die Pforte erreichte – was erblickte ich? Die weiße Schreckgestalt stand wieder vor mir.

Ist es doch, dachte ich, als ob alles mögliche Unglück und Satansspiel wider dich in Bewegung wäre. Und blieb, äußerst verlegen, einige Augenblicke stehen, ohne zu wissen, was nun zu tun sei. Die Gestalt schien zwar nicht so lang zu sein, auch trieb sie nicht die Verwandlungen wie zuvor, aber sie hatte dagegen an Umfang zugenommen. Übrigens stand sie ohne Bewegung. Ich horchte nach dem Rasseln ihrer Ketten – allein alles war still.

Durch die Pforte, vor welcher der Geist stand, musste ich einfach entgehen, um in den Hof zu kommen, und da ich ihn diesmal ohne seinen schwarzen Kameraden und ohne weiteres Gefolge sah, folglich unsere Kräfte ziemlich gleich sein durften, so blieb mir nichts übrig, als ihm auf den Hals zu gehen. Ich schob mit der linken Hand das Degengefäß etwas vor, um es nötigenfalls sogleich zur Hand zu haben, und ging darauf zu. Nun schüttelte sich die Gestalt mit lautem Gepolter, und in dem Augenblick erkannte ich – meinen Schimmel, der bei hochgespitzten Ohren mich erwartete und mir zutraulich entgegenknurrte. Er hatte seinen Streifzug durch das Dickicht zwar mit heiler Haut vollführt, allein Sattelzeug und Zäumung waren in größter Unordnung und zum Teil sehr beschädigt. Unter anderen war einer von den Steigbügeln, die ich diesmal aufzuziehen unterlassen hatte, verbogen und völlig unbrauchbar.

Die Ursache, warum das Pferd hierher seine Zuflucht genommen hatte, mochte vielleicht in der Erinnerung liegen, vor einiger Zeit in diese Pforte eingegangen und im Hof mit etwas Heu bewirtet worden zu sein.

Nachdem ich, so viel es sich tun ließ, alles in Ordnung hergestellt hatte, saß ich wieder auf, nur froh, wenigstens der Hauptsorge überhoben zu sein.

Ich hätte nun, um der abermaligen Schreckensszene auszuweichen, nur die große Straße halten dürfen; allein eine unwiderstehliche Neubegierde, den natürlichen Grund der Sache zu erforschen, zwang mich, den kleinen Holzweg. abermals einzu­schlagen. Denn dass den Unholden an mir nichts gelegen sein musste und sie es nicht eigentlich auf mich angelegt haben konnten, ging deutlich daraus hervor, dass sie mich aus ihrer Mitte entschlüpfen ließen, ohne die geringste Miene zu machen, mich einzuholen, welches doch Ungeheuern dieser Art ein Leichtes hätte sein müssen. Auch hatte ich nun vieles gewonnen, da ich mich nun gegen alles Unerwar­tete in gehörige Verfassung setzen konnte. Ich bog also getrost wieder in den Holzweg.

Die Gipfel der Bäume waren nun etwas mehr in Bewegung, der Wind blies mir gerade entgegen, mein Pferd trat rasch auf, dass der feste Boden tönte, und ich balancierte ohne Steigbügel, denn der eine ohne den anderen war mir unnütz, mit möglichster Entschlossenheit dem Abenteuer entgegen. So oft nach jeder erreichten Krümmung des Weges sich wieder eine Strecke lang übersehen ließ, durchspähte ich mit geschärftem Blick die unsichere Gegend. Ich entdeckte noch immer nichts, konnte aber nun von den Unholden nicht mehr entfernt sein. Meine Erwartung war auf das Höchste gespannt, und es schien mir, als ob der Wind mir einen Laut entgegenführe. Ich hielt an und horchte – es war wirklich ein seltsames Stöhnen und Gekrächze. Aber ich sah nichts und ritt weiter. Es war mir nach einer kleinen Weile, als ob ich dem vorigen Schreckensort nun ganz nahe sein müsste Es ertönte immer vernehmlicher ein abgebrochenes Brüllen. Mein Pferd hatte schon längst die Ohren gespitzt – indessen bemerkte ich im Weg nichts, obwohl ich wohl einige und dreißig Schritte der Länge nach übersehen konnte. Die verschiedenen Töne schienen mir seitwärts aus dem Busch zu kommen. Ich ritt weiter. Plötzlich erblickte ich hinter dem Gesträuch eine weiße Gestalt der Länge lang am Boden in konvulsivischen Bewegungen. Das Pferd blieb ruhig, weil es vor dem Gesträuch nichts sehen konnte. Ich trieb es daher so nahe wie möglich heran und glaubte endlich eine Menschengestalt zu erblicken. Auch irrte ich nicht; ein Husar in seinem weißen Mantel lag dahingestreckt und krächzte. Ich fürchtete, dass ihm ein Unglück begegnet sei, bog also eine Strecke zurück, sprang ab, band das Pferd an einen Baum und näherte mich ihm – allein der Bursche hatte sich mit berauschenden Getränken so überladen, dass er nun dalag und die Fülle seines Magens laut wieder von sich gab. Er versuchte oft, sich aufzurichten und auf die Beine zu kommen. Als dies endlich gelang und es mir glückte, seinen hohen ungarischen Hut mit der dicken weißen Feder ihm auf den Kopf zu bringen, so sah ich meine weiße Gestalt, die mit der Spitze bis beinahe in die Äste reichte, leibhaftig vor mir.

Das Kettengeklirre verursachten seine Waffen, denn er war in völliger Rüstung mit Karabiner und Säbel, woraus ich mit Sicherheit schloss, dass er zu Pferde gewesen sein musste. Indem ich ihm einige Hilfe zu leisten suchte, tat ich Fragen an ihn, allein er war so übernommen und hinfällig, dass er weder die Zunge gebrauchen noch seine Sinne zusammennehmen konnte. Ich gab daher die Hoffnung auf, nähere Aufschlüsse von ihm selbst zu bekommen, und musste mich damit begnügen, ihn für einen reichsfürstlichen Husaren erkannt zu haben.

Sein Pferd konnte ich nirgends erblicken, obwohl ich nun den Schauplatz des Schreckens etwas näher rekognoszierte, um vielleicht der dicken Schlange ebenfalls auf die Spur zu kommen. Nur wenig Schritte vorwärts, und ich fand sie auf dem alten Fleck und in der nämlichen Bewegung. Es war das ganze Sattelzeug mit Mantelsack, Schabracke und Unterdecke, welches der Länge lang mitten im Weg lag; am Sattel waren der Gurt und die Riemen gesprengt, woraus ich mir nun das Übrige erklären konnte.

Dass dieses ganze abgestreifte Reitgeschirr als eine Schlange in voller Bewegung sich darstellte, wurde durch den mit Lichtstreifen vermischten, hin und her wogenden Schatten der Äste wirklich sehr täuschend verursacht. Den blanken Pistolenbeschlag aber, der mir im Mondlicht entgegenstrahlte, hatte ich für des Ungeheuers blitzende Augen genommen, die mich bei der ersten Ansicht so grimmig anstarrten.