Slatermans Westernkurier 09/2023
Auf ein Wort, Stranger, wenn wir heute über den Genozid der Ureinwohner Kaliforniens berichten.
Die kalifornischen Indianer waren so sanftmütig wie das Klima, in dem sie lebten. Sie ernährten sich vom Fischfang, von der Jagd und von dem, was auf dem fruchtbaren Boden des Landes wuchs und gedieh. Sie kannten keine Stammesverbände, jedes Dorf hatte seinen eigenen Häuptling, große Krieger oder Anführer gab es unter den friedlichen Menschen nicht.
Ein Umstand, der es den Spaniern im 18. Jahrhundert leicht machte, dieses unkriegerische Volk weitgehend zu unterwerfen, auszubeuten und gewaltsam zu missionieren.
Im Laufe der Jahrzehnte fügten sich die Indianer in ihr Schicksal, nicht ahnend, dass ihr Leben bald zur Hölle werden sollte.
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Es begann im Jahr 1848, als in Kalifornien Gold gefunden wurde. Tausende von Weißen strömten aus aller Welt herbei und durchwühlten den Boden auf der Suche nach dem gelben Metall. Die Land- und Jagdrechte der Indianer wurden ignoriert und wer sich widersetzte, wurde erschossen, erschlagen oder aufgehängt.
Die Gesetze, die die kalifornische Regierung erließ, machten es den Weißen allerdings auch leicht. Nach den erlassenen Verordnungen hatten die Indianer keinerlei Rechte mehr und waren Tieren gleichgestellt.
1850 wurde in der ersten Sitzung der Legislative des Staates Kalifornien ein Gesetz verabschiedet, das die zukünftigen Richtlinien für die Beziehungen zwischen Indianern und Weißen festlegte.
So durfte in keinem Fall ein Weißer aufgrund der Aussage eines oder mehrerer Indianer wegen eines Verbrechens verurteilt werden. Um die Sklaverei der Indianer zu rechtfertigen, wurde jedem Weißen erlaubt, die Kontrolle über indianische Kinder zu erlangen. Wenn ein Indianer wegen eines Vergehens verurteilt wurde, hatte ein Weißer das Recht, diesen Indianer nach Bezahlung der Strafe mindestens vier Monate lang unentgeltlich als Sklaven auf seinem Besitz arbeiten zu lassen. Solche Vergehen konnten so unvorstellbare Dinge sein wie das Herumlaufen in der Stadt, das Vorbeigehen oder der Aufenthalt an Orten, an denen Alkohol ausgeschenkt wurde, was unvermeidlich war, wenn die Indianer im Laden Kaffee, Petroleum für die Lampen, Zucker und andere Dinge kaufen wollten, die sie nicht selbst anbauen oder herstellen konnten, oder einfach ein verschwenderischer Lebensstil, wie ihn die Weißen sahen.
Zwischen 1851 und 1852 bewilligte der kalifornische Gesetzgeber 1,1 Millionen Dollar zur Unterdrückung indianischer Feindseligkeiten, was die weiße Bevölkerung zu dem Versuch ermutigte, alle Indianer zu töten oder sie für immer aus Kalifornien zu vertreiben.
1860 wurden diese Gesetze dahingehend geändert, dass von nun an alle indianischen Kinder und nicht sesshaften Erwachsenen, da die meisten Stämme Nomaden waren, also praktisch alle, in die Obhut eines Weißen gegeben werden konnten, um für ihn für längere Zeit ohne Lohn zu arbeiten, was letztlich nichts anderes bedeutete, als dass alle Indianer Kaliforniens legal getötet oder zu Sklaven gemacht werden konnten.
Das Ergebnis war, dass die Indianer Kaliforniens fast vollständig ausgerottet wurden und sich bis heute, also seit fast 150 Jahren, niemand mehr an die Chilula, Urebure, Nipewai, Alona oder Hunderte anderer Gruppen erinnert, die einst das Land durchstreiften und deren Gebeine noch vor wenigen Jahren unter Autobahnen, Wohnhäusern oder Parkplätzen begraben lagen.
Aber es gab auch Ausnahmen. Nicht alle Indianer ließen sich die Schikanen der Weißen gefallen, und der Blutzoll, den sie dafür zahlen mussten, war enorm und führte nicht selten zur völligen Ausrottung ihres Volkes. Eines der gravierendsten Beispiele ist das Clear Lake Massaker, heute besser bekannt als Bloody Island Massaker, das fast zur vollständigen Ausrottung der Pomo führte.
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Clear Lake ist ein 177 Quadratkilometer großer See in Lake County, Kalifornien. Mit einer Länge von 30,6 km und einer Breite von fast 13 km gilt er als der größte natürliche See Kaliforniens. Um 1848 bewirtschafteten die beiden Amerikaner Andrew Kelsey und Charles Stone in dieser Gegend mehrere Farmen und Ranches – und das mit einigem Erfolg.
Man muss dazu sagen, dass es dort neben einem idealen Klima fruchtbaren Boden und Wasser in solchen Mengen gab, dass selbst ein Fabrikarbeiter aus dem Osten, der von Landwirtschaft so viel Ahnung hatte wie eine Kuh vom Sonntag, unter diesen Bedingungen ein erfolgreicher Farmer geworden wäre.
Vor allem aber verdankten Kelsey und Stone, die eigentlich nichts anderes als Sklavenhalter, Mörder und Frauenschänder waren, ihren Erfolg den kalifornischen Gesetzen. Diese erlaubten ihnen, einen Augustine mit seinem ganzen Pomo-Stamm gefangen zu nehmen und als unbezahlte Arbeitssklaven zu halten, was natürlich den Gewinn aus dem Verkauf ihrer landwirtschaftlichen Produkte ins Unermessliche steigen ließ.
Sie ließen den Pomo-Indianern ein Dorf bauen, um das sie einen hohen Palisadenzaun zogen, nahmen ihnen Waffen und Fischereigerät ab und sperrten sie dort wie Tiere ein. Als Nahrung erhielten sie pro Familie vier Tassen Weizen am Tag, so dass viele Pomo verhungerten. Die Familien mussten ihnen ihre Töchter überlassen, die sie auf schwerste Weise sexuell missbrauchten, was zum Tod einiger Mädchen führte. Weigerten sich die Familien, wurden sie ausgepeitscht und die Mütter geschändet. Als ein junger Pomo Stone verzweifelt um mehr Weizen für seine schwerkranke Mutter bat, lachte Stone ihn aus und erschoss ihn kaltblütig.
Im Herbst 1849 zwang Kelsey 50 Pomo-Männer zur Arbeit auf den Placer-Goldfeldern. Als er kurz darauf an Malaria erkrankte, kehrte er nach Hause zurück, um sich behandeln zu lassen, und verkaufte die Proviantrationen der Pomo-Arbeiter mit großem Gewinn an die weißen Bergleute auf den Goldfeldern. Als der Winter kam, waren bis auf zwei junge Männer alle Pomo verhungert. Aber auch im Dorf am Clear Lake spitzte sich die Lage zu, auch dort verhungerten immer mehr Indianer.
Die Lage wurde schließlich so prekär, dass Suk und Xasis, zwei junge Pomo, beschlossen, Stones Pferd zu stehlen, auf die Weide zu reiten und dort eine Kuh zu schlachten, um wenigstens den größten Hunger im Dorf zu stillen. Aber das Wetter war schlecht, das Pferd lief ihnen weg, und sie kehrten heimlich ins Dorf zurück. Der Rat der Pomo wusste, dass sie dafür alle bestraft werden würden, und so wies Augustine seine Frau, die bei Stone und Kelsey als Haushälterin arbeitete, an, das Schießpulver der beiden mit Wasser zu übergießen, um es unbrauchbar zu machen.
Im Morgengrauen des nächsten Tages griffen die Pomo-Krieger das Haus der beiden an und töteten Kelsey mit einem Pfeil. Stone sprang aus einem Fenster und versteckte sich in einer Weide am Seeufer, aber Augustine entdeckte ihn und erschlug ihn mit einem Stein.
Die Krieger brachen die prall gefüllten Vorratslager der beiden Weißen auf und versorgten zunächst ihre Familien, bevor sie Augustine zu anderen verwandten Pomo-Clans brachten, von wo aus die Mehrheit nach Badon-napo-ti (Inseldorf) aufbrach, einer Insel am nördlichen Ende des Clear Lake, wo sich die Pomo traditionell jedes Frühjahr zum Laichen versammelten.
Die Reaktion der kalifornischen Behörden ließ nicht lange auf sich warten.
Am 15. Mai 1850 versuchte das 1. Dragonerregiment unter Leutnant Nathaniel Lyon und Leutnant J. W. Davidson Augustine und seine Krieger aufzuspüren, um sie für den Mord an Kelsey und Stone zu bestrafen. Als sie stattdessen auf Badon-napo-ti nur alte Männer, Frauen und Kinder vorfanden – die Krieger waren alle entweder beim Fischfang auf dem Meer oder bei der Jagd in den Bergen -, massakrierten sie diese in ihrer Wut.
Die Behörden sprachen lange Zeit von 60 toten Indianern, während Zeitzeugen von 200 bis 300 toten Indianern berichteten. Entlang des Russian Rivers, der am See entlangfloss, ermordeten die Soldaten weitere 75 Pomo, die anderen Familienverbänden angehörten. Eine der wenigen Überlebenden war Ni’ka, ein sechsjähriges Mädchen, das später den Namen Lucy Moore annahm. Sie entkam dem Massaker nur, weil sie sich unter Wasser versteckte und durch ein Schilfrohr atmete. Bis heute wird das Massaker, das inzwischen Bloody Island Massacre genannt wird, im Geschichtsunterricht an kalifornischen Schulen nicht erwähnt und auch die Bevölkerung leugnet die Tat größtenteils.
Erst die Nachfahren von Lucy Moore sorgten dafür, dass am 15. Mai 2005 vom State Department of Parks and Recreation eine Gedenktafel am Highway 20 aufgestellt wurde, die an das Massaker erinnert.
Das ist alles. Eine Steintafel für hunderte zu Tode geprügelte, misshandelte und erschossene Pomo.
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Etwa zur gleichen Zeit, zwischen 1850 und 1851, kam es im damaligen El Dorado County in Kalifornien zu einem Konflikt zwischen den Miwok, den dort ansässigen Minenarbeitern und der staatlichen Miliz. Auslöser waren wiederum die Gesetze des ersten Gouverneurs Kaliforniens, Peter Burnett, die die Ausrottung der Indianerstämme für rechtens erklärten. Unter dem Schutz dieser Gesetze begannen die Weißen, in diesem Fall vor allem die Minenarbeiter, die Indianer systematisch auszuplündern, ihre Vorräte zu rauben, die Frauen zu vergewaltigen und die Männer als Arbeitssklaven zu missbrauchen. Wer sich dagegen auflehnte, wurde kurzerhand erschossen, erschlagen oder gehängt.
So wurde um 1850 eine Gruppe von Miwok, genauer eine Stammesgruppe der Ahwahnechee, von den Bergleuten getötet, einfach so, das war erlaubt.
Doch diesmal hatten sich die Weißen die Falschen ausgesucht. Die Miwok waren nicht nur der zahlenmäßig größte Indianerstamm Kaliforniens, sondern auch einer der kriegerischsten.
Bis Januar 1851 antworteten sie mit der Ermordung mehrerer Minenarbeiter, und schließlich eskalierte die Situation derart, dass die Miwok beschuldigt wurden, mehrere staatliche Kohleminen überfallen und geplündert zu haben, was die Behörden des County dazu veranlasste, den Notstand auszurufen und staatliche Milizsoldaten anzufordern.
Im März 1851 entsandte Kalifornien unter dem Oberbefehl von Bürgermeister James Savage drei Milizkompanien in das El Dorado County, um die Miwok unter der Führung von Häuptling Tenaya anzugreifen und für ihre Verbrechen zu bestrafen. Die Kompanie A unter Captain John Kuykendall bestand aus 70 Mann, die Kompanie B unter Captain John Boling aus 72 Milizsoldaten und die Kompanie C unter Captain William Dill schließlich aus 56 Mann. Doch nicht nur unter den Milizkommandeuren galt die erste Schlacht als Misserfolg. Auch die Bevölkerung bezeichnete sie als Debakel, im Gegensatz zu verschiedenen Regierungsstellen, die die Schlacht als vollen Erfolg feierten.
Ob Sieg oder Niederlage, die nackten Zahlen zeigen, dass die fast 200 Milizionäre unzählige Verwundete zu beklagen hatten und nur drei Miwok-Späher töteten, während der Rest der Kriegerhorde unbehelligt entkommen konnte.
Im zweiten Gefecht wurden 15 Miwok und zwei Milizsoldaten getötet und mehrere Männer auf beiden Seiten verwundet. Nach diesen beiden Gefechten nahmen die Milizkommandanten Friedensverhandlungen mit den Indianern auf, nach denen der Krieg am 1. Juli 1852 offiziell als beendet galt und die Miwok ungestraft in ihr Gebiet zurückkehren konnten. Die Verhandlungen waren von der County-Regierung initiiert worden, da der einmonatige Feldzug der Miliz einschließlich der Kriegsschäden das County über 100.000 Dollar gekostet und es damit praktisch ruiniert hatte.
Dennoch konnten sich die Miwok nicht lange über ihre Erfolge in dem kurzen Krieg freuen. Hatten sie 1850 noch 92.000 Einwohner, so lebten 1860 bereits knapp 380.000 und 1890 1,3 Millionen Menschen in Kalifornien. Die Miwok mussten sich der weißen Übermacht beugen, wurden in Reservate gesteckt und systematisch ausgehungert und verarmt. Krankheiten und die Flucht in den Alkohol machten dem einst so stolzen Volk den Garaus.
1770 wurden noch über 11.000 Miwok gezählt, 1910 nur noch 671.
Ob Morehead-Krieg, Yuma-Krieg, Modoc-Feldzug oder die Ausrottung der Alona und Chimariko, das Ergebnis war immer das gleiche. Der Sunshine State Kalifornien darf sich auf die Fahne schreiben, die rücksichtsloseste Indianerpolitik aller Bundesstaaten betrieben zu haben, und noch heute wird in weiten Teilen der Bevölkerung, ja sogar in Schulen und Behörden über den Genozid an den Ureinwohnern einfach geschwiegen.
Ich weiß nicht, ich glaube nicht, gelogen.
Worte, die sprachlos machen.
Quellenangabe: