Sagen der mittleren Werra 63
Von der tanzenden Jungfer auf dem Hausfeld
Wenn droben im Gebirge das Heidekraut nur noch auf der Spitze blüht und die reifen Nüsse vom Haselstrauch rieseln, dann tanzt dort hinter dem Gerberstein in der Nähe des Rennsteigs, wo es das Hausfeld heißt, weil da einst ein Haus gestanden haben soll, eine weiß verschleierte Jungfer mit dem schon gefallenen Laub umher. Der darf man sich aber auf keinen Fall nähern, sie ist nicht gut.
Einem Steinbacher, der von Schmerbach oder Winterstein heraufkam und dem sie ein Stück weit voranging, soll sie, als er frech auf sie zuging, ein so schreckliches, grausiges Gesicht geschnitzt haben, dass er sein Leben lang vor Angst zitterte.
Vom Schlangenschacht hinter Altenstein
Hinter Altenstein droben im Walde, wo es im Neufang heißt, liegt dicht an einem der Wege nach Ruhla eine alte Binge, der Schlangenschacht genannt, von dem folgende Sage erzählt wird.
Bevor sich im Dreißigjährigen Kriege die Bauern um Altenstein erhoben und sich mit den in Ruhla liegenden Schweden vereinigten, um die zwischen Schweina und Waldfisch lagernden Kroaten zu überfallen und zu massakrieren, waren diese so schlecht bewirtschaftet, dass niemand mehr Herr über sein eigenes Leben und Gut war und die meisten ihre Dörfer verließen, um im Gebirge oder anderswo ein sicheres Versteck zu suchen.
Zu dieser Zeit war nun auch ein braver Bergmann aus Schweina mit seiner Familie und seiner besten fahrbaren Habe in das höhere Gebirge geflüchtet und hatte sich in einem der Schächte auf dem Neufang versteckt. Da geschah es, dass jeden Tag, und zwar immer zu einer bestimmten Stunde, eine Schlange zu den Leuten kam und sich ihnen gegenüber so zutraulich zeigte, dass sie ihr jedes Mal Brotkrumen und etwas Milch von ihrer im Wald versteckten Kuh gaben. Die Menschen hatten sich so an das Tier gewöhnt, dass sie eines Tages das Ausbleiben der Schlange bemerkten. Der Bergmann, der darin ein böses Omen für sich und seine Familie zu erkennen glaubte, verließ den Schacht und zog mit allem, was er besaß, über den Rennsteig, um sich dort ein neues Versteck zu suchen.
Und tatsächlich, nicht lange nach seiner Abreise kam eine Bande Kroaten, die von einem schlechten Gesellen aus Schweina angeführt wurden, an den Schacht, um die Bergmannsfamilie zu holen. Als sie aber das Nest leer vorfanden, glaubten sie sich von dem Schweinaer verraten und stürzten ihn zum Dank für seinen Verrat Hals über Kopf in die Grube. Nach dieser Begebenheit erhielt der Schacht den Namen Schlangenschacht.