Catherine Parr Band 1 – Kapitel 6
Luise Mühlbach
Catherine Parr
Erstes Buch
Historischer Roman, M. Simion, Berlin 1851
VI.
Der König und der Vater
»Und jetzt«, Cathi, sagte der König, als alle sich entfernt hatten und er wieder allein mit ihr war, »jetzt Cathi, wollen wir alles vergessen, außer dass wir uns lieben!«
Er umfasste sie, und drückte sie innig an sein Herz. Sie neigte todesmatt ihr Haupt an seine Schulter und lag da, wie eine geknickte Rose, ganz zerbrochen, ganz willenlos.
»Du gibst mir keinen Kuss, Cathi?«, fragte Heinrich lächelnd. »Du zürnst mir also noch, dass ich deine erste Bitte nicht erfüllt habe? Aber was willst du, Kind? Wie soll ich denn den Purpur meines Königsmantels immer frisch und glänzend erhalten, wenn ich ihn nicht in dem Blut der Verbrecher immer wieder auffärbe. Nur der strafende und vernichtende König ist wirklich ein König, und die zitternde Menschheit wird ihn dafür anerkennen; den weichmütigen, Gnade spendenden König verachtet sie und hohnlacht seiner erbarmungsvollen Schwäche! Bah! Die Menschheit ist ein so jammervolles, erbärmliches Ding, dass sie nur den achtet und anerkennt, welcher sie zittern macht, und die Völker sind so verachtungswürdige, törichte Kinder, dass sie nur vor dem Respekt haben, der sie täglich die Peitsche fühlen lässt und gelegentlich einige von ihnen zu Tode peitscht! Sieh mich an, Cathi, gibt es einen König, welcher länger und mit mehr Glück regiert, hat als ich? Den sein Volk mehr liebt und dem es besser gehorcht als mir? Das kommt daher, weil ich schon mehr als zweihundert Todesurteile unterzeichnet habe, und weil jeder fühlt, dass wenn er mir nicht gehorcht, ich, ohne zu zaudern, auch seinen Kopf den anderen nachschicken werde!«
»Oh, Ihr sagt, dass Ihr mich liebt«, murmelte Catherine, »und Ihr sprecht nur von Blut und Tod, während Ihr bei mir seid!«
Der König lachte. »Du hast recht, Cathi«, sagte er, »aber glaube mir, es schlummern noch andere Gedanken auf dem Grund meines Herzens, und wenn du hineinschauen könntest, würdest du mich nicht der Kälte und Lieblosigkeit zeihen! Ich liebe dich wirklich, meine teure, jungfräuliche Braut, und zum Zeichen dessen sollst du dir jetzt eine Gnade erbitten! Ja, Cathi, richte eine Bitte an mich, und was es auch sei, ich gebe dir mein königliches Wort darauf, dass du es haben sollst! Nun, Cathi, besinne dich, was ist es, was dich erfreuen kann? Willst du Brillanten oder ein Schloss am Meer oder vielleicht eine Macht; erfreuen dich schöne Pferde oder hat dich vielleicht jemand beleidigt, und du willst seinen Kopf? Wenn es so ist, sage es mir, Cathi, und du sollst seinen Kopf haben; ein Wink von mir und er fliegt zu deinen Füßen nieder! Denn allmächtig bin ich und allvermögend, und niemand ist so unschuldig und rein, dass nicht mein Wille ein Verbrechen an ihm ausfindig machen könnte, welches ihm den Kopf kostet! Sprich also, Cathi, was möchtest du haben, womit kann ich dein Herz erfreuen? Willst du Brillanten oder einen Menschenkopf, willst du Schlösser und Pferde oder vielleicht einen stillen verschwiegenen Kerker für irgendeinen Übeltäter?«
Catherine lächelte trotz ihres innerlichen Grauens und Entsetzens.
»Sire«, sagte sie, »Ihr habt mir so viele Brillanten gegeben, dass ich mit ihnen leuchten und flimmern kann wie die Nacht mit ihren Sternen. Wenn Ihr mir ein Schloss am Meer schenktet, so hieße das zugleich, mich aus Whitehall und aus Eurer Nähe verbannen; ich will also kein Schloss für mich selbst, ich will nur bei Euch in Euren Schlössern wohnen, und die Wohnung meines Königs allein soll meine Wohnung sein!«
»Schön und weise gesprochen, Cathi«, sagte der König. »Ich werde mich dieser Worte erinnern, wenn deine Feinde einmal versuchen möchten, dich in eine andere Wohnung und in ein anderes Schloss als das, welches dein König mit dir bewohnt, zu führen! Auch der Tower ist ein Schloss, Cathi, aber ich gebe dir hiermit mein königliches Wort, dass du dieses Schloss niemals bewohnen sollst! Du willst keine Schätze und keine Schlösser! Es ist also ein Menschenhaupt, welches du von mir fordern willst?«
»Ja, Sire, es ist ein Menschenhaupt!«
»Ah, ich habe es also erraten!«, erwiderte der König lachend. »Nun sprich, meine kleine blutgierige Königin, welches Haupt willst du haben? Wer soll es auf den Block legen?«
»Sire, ich bitte Euch allerdings um das Haupt eines Menschen«, sagte Catherine mit weichem, innigem Ton, »aber nicht, um dieses Haupt auf den Block zu legen, sondern um es an meinen Busen zu betten; ich bitte Euch um ein Menschenleben, nicht aber um es zu vernichten, sondern um es mit Glück und Freude zu schmücken! Ich will niemand in ein Gefängnis schleppen, sondern ich will eine teure geliebte Person der Freiheit, dem Glück und dem Glanz, welcher ihr gebührt, zurückgeben! Sire, Ihr habt mir erlaubt, mir eine Gnade zu erbitten! Nun wohl, ich bitte Euch: Ruft Prinzessin Elisabeth an Euren Hof! Lasst sie in Whitehall bei uns wohnen! Erlaubt, dass sie immer neben mir ist und mein Glück und meinen Glanz mit mir teile! Sire, gestern noch war Prinzessin Elisabeth mir weit überlegen an Rang und Hoheit, und wenn mich heute Eure allgewaltige Macht und Gnade über alle anderen Frauen erhöht hat, so darf ich heute Prinzessin Elisabeth als meine Schwester und meine teuerste Freundin lieben! Gestattet mir dies, mein König! Lasst Elisabeth zu uns nach Whitehall kommen und an unserem Hof der Ehre teilhaftig werden, welche ihr gebührt!«
Der König antwortete nicht sogleich. Aber man konnte in seinen stillen und lächelnden Mienen lesen, dass die Bitte seiner jungen Gemahlin ihn nicht erzürnt hatte. Es zuckte etwas, wie eine Rührung, durch sein Angesicht und einen Moment waren seine Augen von Tränen umdüstert. Ein bleiches, rührendes Schattenbild zog vielleicht eben an seiner Seele vorüber und sein rückwärtsgewandter Blick zeigte ihm die schöne und unglückliche Mutter Elisabeths, welche er zum grausamen Henkertod verurteilt hatte und deren letztes Wort dennoch ein Segen und ein Liebesgruß für ihn gewesen war.
Er fasste heftig Catharines Hand und zog sie an seine Lippen. »Ich danke dir! Du bist uneigennützig und großmütig! Das ist eine sehr seltene Eigenschaft, und ich werde dich deshalb immer hochachten! Du bist aber auch tapfer und mutig, denn du hast gewagt, was niemand vor dir gewagt hat: Du hast zwei Mal an einem Abend für eine Verurteilte und eine in Ungnade Gefallene gebeten! Die Glücklichen und von mir Begünstigten haben immer viele Freunde gehabt, aber noch niemals habe ich gesehen, dass auch die Unglücklichen und Verbannten Freunde gefunden hätten! Du bist anders wie diese elenden, erbärmlichen, kriechenden Höflinge, anders, als diese heuchelnde, wimmernde und zitternde Menge, welche zähneklappernd vor mir niederfällt und mich als ihren Gott und ihren Herrn anbetet; anders als diese nichtswürdigen, erbärmlichen Menschen, welche sich mein Volk nennen, und die sich von mir in das Joch spannen lassen, weil es ihnen wie dem Stier geht, der nur deshalb gehorsam und dienstbereit ist, weil er so dumm ist, seine Macht und seine Kraft nicht zu kennen! Ach, glaube mir, Cathi, ich würde ein milder und verzeihender König sein, wenn das Volk nicht ein so dummes und verächtliches Ding wäre; ein Hund, der umso demütiger und zärtlicher ist, je mehr wir ihn misshandeln! Du, Cathi, du bist anders, und ich freue mich dessen! Du weißt, dass ich Elisabeth von meinem Hof und aus meinem Herzen für immer verbannt habe, und doch bittest du für sie! Das ist edel von dir und ich liebe dich dafür, Cathi, und bewillige dir deine Bitte! Und damit du siehst, Cathi, wie ich dich liebe, und dir vertraue, will ich dir jetzt ein Geheimnis offenbaren. Ich habe lange schon gewünscht, Elisabeth in meiner Nähe zu haben, aber ich schämte mich dieser Schwäche vor mir selbst! Ich habe mich lange gesehnt, wieder einmal in die klugen großen Augen meiner Tochter zu sehen, ihr ein gütiger und zärtlicher Vater zu sein und an ihr ein wenig wiedergutzumachen, was ich an ihrer Mutter vielleicht verschuldet habe! Aber ich durfte es nicht, Cathi, denn wenn ich es tat, würden sie gesagt haben, ich bereue, was ich getan habe, und ein König darf niemals bereuen, niemals zugestehen, dass er einen Irrtum oder einen Fehler begangen hat! Ein König muss unfehlbar sein, wie Gott selbst, und niemals durch Bereuen oder Wiedergutmachen eingestehen, dass er nur ein schwacher, irrender Mensch ist, wie alle anderen! Siehst du, deshalb bezwang ich meine Sehnsucht und meine Vaterzärtlichkeit, welche von niemand geahnt wurde, und schien ein herzloser Vater, weil niemand mir helfen und es mir erleichtern wollte, ein zärtlicher Vater zu sein! Ach, diese Höflinge! Sie sind so dumm, dass sie immer nur verstehen können, was just in unseren Worten widerklingt; aber was unser Herz sagt und ersehnt, davon wissen sie nichts! Du aber weißt davon, Cathi, du bist ein feines Weib und ein großmütiges dazu! Komm, Cathi, diesen Kuss gibt dir der dankbare Vater, und diesen, ja diesen, gibt dir dein Gemahl, meine schöne liebreizende Königin!«