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Die wundersamen Märlein vom Berggeist Rübezahl – 17. Kapitel

Heinrich Döring
Die wundersamen Märlein vom Berggeist Rübezahl
Verlag C. F. Schmidt, Leipzig, ca. 1840

Siebzehntes Kapitel

Wie Rübezahl am Galgen hing, und was noch geschah

Es sei hier dem geneigten Leser kund und zu wissen gegeben, was derselbe wohl ohnehin erraten hat, dass Rübezahl, als er dem armen Bendix sein Gewand gab, an dessen Stelle und in Gestalt und Wesen ihm täuschend ähnlich, in dem Kerker zurückgeblieben war, den dieser verlassen hatte. Aber der Geistliche, der ihn bald darauf besuchte, wollte ihm mit Recht danken, als sei eine gewaltige Sinnesänderung mit dem Delinquenten vorgegangen. So verzagt er früher gewesen war, so standhaft und frei von aller Todesfurcht schien er nun. Mit solch wunderbarer Gelassenheit bestieg er den Karren, der ihn zum Richtplatz bringen sollte, und bald darauf, den Strick um den Hals, die verhängnisvolle Leiter.

Von den Hirschbergern waren wohl nur wenige zu Hause geblieben. Neugierde hatte eine unsägliche Menge auf den Markt gelockt, und Arm an Arm, Kopf an Kopf drängten sie sich dort, den Blick starr auf den Galgen gerichtet, an dem der arme Sünder schon zwischen Himmel und Erde baumelte. Aber er strampelte so heftig mit Armen und Beinen und machte so schreckliche Fratzen, dass sich mancher mit Grausen von dem grausigen Anblick abwandte. »Steinigt den Henker, der sein Amt so schlecht verwaltet und dem Unglücklichen namenlose Qualen bereitet!« So riefen viele Stimmen durcheinander.

Als aber Rübezahl sich plötzlich ausstreckte und nach einigen Zuckungen ruhig stehen blieb, als wäre er anders, da verlor sich allmählich das Volk, das ihn noch eine Weile mit aufmerksamen Blicken betrachtete. Es begab sich aber, als der Nachmittag herankam, dass sich wieder mehrere Neugierige um den Galgen versammelten, aber mit Entsetzen die Flucht ergriffen, als der Gehenkte wieder zu zappeln anfing und noch schrecklichere Gesichter machte als zuvor. Da schickte der weise Rat der Stadt Hirschberg, als er von dem Wunder erfuhr, noch am selben Abend den Henker mit dem gemessenen Befehl, den Leichnam vom Galgen herunterzunehmen und ihn auf einem scharfen Pfahl aufzuspießen, um weiteres Aufsehen zu vermeiden. Der Henkersknecht aber fand, dass an dem Holz nichts mehr hing als ein alter Strohwisch. Ob nun der Wind den Schneidergesellen Bendix davongetragen hatte, wie manche spöttisch sagten, oder auf welche andere Weise er entkommen war, blieb ein unlösbares Rätsel. Die meisten waren sich jedoch einig, dass es sich nicht um einen natürlichen Vorgang handelte, sondern dass eine übernatürliche Macht im Spiel war.