Archive

Das Gespensterbuch – Fünfte Geschichte Teil 3

Das Gespensterbuch
Herausgegeben von Felix Schloemp
Mit einem Vorwort von Gustav Meyrink
München 1913

Wenn wir gestorben sind …
von Frédéric Boutet

Fortsetzung …

Während sie sich zurückzogen, hatten sie sich der Zudringlichkeiten einiger Hetären niedrigster Art und der beleidigenden Ansprache einiger sehr verdächtig aussehender Skelette zu erwehren. Adhémar wurde dabei unbehaglich zumute, und obwohl die würdige, feste Haltung des Barons dem zweideutigen Gesindel zu imponieren schien, atmete er erleichtert auf, als er sich wieder mit seinem Begleiter in einer ruhigen Allee befand.

»Diese Kanaille«, sagte der Baron. »Es war die höchste Zeit, dass wir uns davonmachten. So fangen die Keilereien an. Aber nun wollen wir zu der Gräfin gehen, ihr Luxus und ihre vornehme Grazie werden uns nach diesem unwürdigen Schauspiel doppelt anmutig erscheinen.«

Ohne sich weiter zu unterhalten, eilten sie an den Reihen der geschlossenen Kapellen und Erbbegräbnisse vorbei. Der Nebel, der sich stark verdichtet hatte und den Blick beengte, umgab sie mit feuchtem Dunst.

»Oh, da ist ein Mensch«, rief plötzlich Adhémar und deutete auf eine fleischliche Erscheinung, die in diesem Augenblick aus einer Kapelle trat.

»Sollte das ein Spion sein«, sagte Herr La Rose beunruhigt und trat schnell näher. »Aber nein«, fügte er dann hinzu, »den kenne ich ja! Er ist bereits einer der Unseren. Aber was macht er da?«

»Was ich hier mache«, antwortete mit zorniger Stimme der Betreffende, in dem Adhémar bei näherem Anschauen nun ganz deutlich einen Toten erkannte, der den Übergangsprozess noch nicht ganz durchgemacht und noch mit seinem Fleisch bekleidet war, das jedoch schon Spuren des Verfalles trug. »Was ich hier mache? Ich denke, dass das Sie keinesfalls etwas angeht, was?«

»Mein Herr«, sagte der Baron, sich stolz aufrichtend.

»Ach, Sie sind es, Baron, verzeihen Sie«, sagte der Tote, sofort ruhiger werdend. »Dieser verdammte Nebel! Ich habe Sie wirklich gar nicht erkannt. Außerdem bin ich in gereizter Stimmung. Seit einer Stunde schon arbeite ich daran, meine Kapelle von dem scheußlichen Gräberschmuck zu reinigen, den meine Frau alle Jahre an gewissen Erinnerungstagen hierhin schafft. Nicht genug damit, dass sie mich vergiftet hat.«

»Vergiftet«, rief Adhémar erschrocken und ohne der ihm von dem Baron applizierten warnenden Rippenstöße zu achten. »Ihre Frau hat Sie vergiftet?«

Der Tote warf ihm einen Seitenblick zu.

»Ganz gewiss«, sagte er trocken. »Sie hat mich vergiftet, um meinen besten Freund heiraten zu können. So etwas kommt öfters vor. Außerdem mache ich mir nichts daraus. Ich hätte es aber natürlich viel lieber gehabt, wenn sie nicht dieses elende Arsenik verwendet hätte, denn das hält den Zerstörungsprozess jahrelang auf und konserviert das Fleisch – ich kann mich deshalb immer noch nicht mit Anstand in der Welt sehen lassen. Indessen selbst darüber würde ich fortkommen, da ich niemals viel auf Äußerlichkeiten gegeben habe. Nein, was mich anekelt, das sind diese Kränze, die sie mir hartnäckig alle Jahre schickt, ich weiß nicht, aus welchem Grund. Wenn es noch zum wenigsten künstlerisch arrangierte Dinge wären, hübsche Gewinde aus natürlichen Blumen und mit Seidenbändern! Aber sehen Sie einmal hierher! Betrachten Sie sich diese billigen Schweinereien aus Eisendraht und Glasperlen. Und jedes Jahr ist es dasselbe! Sie beauftragt meinen früheren Kammerdiener Franz, der ein dem Trunk ergebener alter Spitzbube ist, damit meine Kapelle zu schmücken, der kauft dann dieses Schundzeug, das er nach seinem Geschmack aussucht und schluchzend bei mir aufhängt; er ist dabei regelmäßig so betrunken, dass er kaum stehen kann. Eine verfluchte Geschichte.«

»Beruhigen Sie sich doch«, sagte der Baron. »Sie drücken sich wirklich etwas zu stark aus. Es wäre viel besser, wenn Sie sich etwas mehr zerstreuen wollten, anstatt sich so hartnäckig einzuschließen. Gehen Sie aus, besuchen Sie Gesellschaften! Das wird Sie auf andere Gedanken bringen.«

»Bah! Mit dem Aussehen, das ich habe, ausgehen! Nein, danke. Ich gleiche einer verdorbenen Mumie. Ich möchte mich so doch lieber nicht zeigen. Außerdem machen mir in meinem Alter diese Festlichkeiten kein rechtes Vergnügen mehr. Ich ziehe es vor zu schlafen oder ruhig zu liegen und zu lesen. Ich würde auch heute nicht aufgestanden sein, wenn es nicht wegen dieser geschmacklosen Dinge wäre, deren ich mich auf jeden Fall so rasch wie möglich entledigen wollte. Wie könnte ich behaglich ruhen, wenn solches Zeug an meinem Gitter hängt!«

Er schleuderte mit einem Fußtritt einen Perlenkranz zwanzig Meter weit von sich.

Die beiden Freunde verabschiedeten sich und setzten ihren Weg fort.

»Sie müssen wissen, dass seine Frau ihn überhaupt niemals vergiftet hat«, sagte der Baron, als sie außer Hörweite gelangt waren. »Einer seiner Vettern hat mir die ganze Geschichte erzählt. Seine arme Frau hat in den zehn Jahren ihrer Ehe ein wahres Martyrium erlitten, denn ihr Mann war nicht nur ein Misanthrop schlimmster Art, sondern auch dem Alkohol ergeben. Er hat ferner sehr viel Arsenik gebraucht, was ihn erhielt, aber gestorben ist er ganz einfach an irgendeiner Krankheit. Seine Frau hat sich dann später wieder verheiratet, und sie ist in ihrer zweiten Ehe glücklicher geworden, was ihr wirklich sehr zu gönnen ist.

Ich möchte der armen Dame aber nicht wünschen, jemals hierhin zu kommen, denn dann würde er gleich wieder anfangen, sie zu quälen, und er würde ihr immer diese fantastische Ermordungsgeschichte vorhalten, die er frei erfunden, aber so oft erzählt hat, dass ich wirklich glaube, er hält sie jetzt selbst für wahr. Das würde kein angenehmer Tod für die arme Dame sein. Aber da wären wir wieder in dem aristokratischen Viertel angelangt. Wie angenehm, wieder zu Hause in der gewohnten feinen Umgebung zu sein! Wollen Sie mir die Ehre erweisen, wenn wir von dem Besuch bei der Gräfin zurückkehren, unter meinem bescheidenen Dache einzukehren?«

»Nun, da sind Sie ja«, sagte plötzlich eine fröhliche Stimme.

Sie wandten sich und erkannten das große Skelett, das ihnen zu Anfang des Abends begegnet war. Ein Toter, der kaum vor wenig Tagen das Leben verlassen haben konnte und von einem schönen, ganz neuen Leichentuch umhüllt war, schritt neben ihm, machte jedoch einen sehr verstörten Eindruck.

»Mein Vetter zweiten Gliedes«, sagte das große Skelett ihn vorstellend. »Er ist erst seit ganz kurzer Zeit hier und dies ist sein erster Ausgang. Ich habe ihn gerade zu einem Spaziergang abgeholt, er ist aber noch ganz verschlafen.«

Adhémar interessierte sich sofort für diesen Vetter, der ihm ziemlich ähnlich war, abgesehen von dem kleinen Unterschied, dass jener bereits den Toten zugezählt werden musste.

»Nun, sind Sie so sehr schläfrig«, fragte er ihn, nur um etwas zu sagen.

»Ja, ja«, murmelte der Vetter. »Es tut so gut zu schlafen, wie man hier schläft, mein Gott, tut das gut.«

»Nicht wahr«, bemerkte der Baron, »und besonders nach all der Plackerei und Verdrießlichkeit, die unvermeidlich mit dem Sterben und Begraben werden verbunden und die ebenso ermüdend wie langweilig sind.«

»Haben Sie viel dabei gelitten? Ist die Sache an sich Ihnen sehr peinlich erschienen«, fragte mit brennender Neugierde Adhémar.

»Aber still doch, mein Lieber«, flüsterte der Baron ihm mit einem kleinen Rippenstoß zu, »so etwas fragt man doch nicht! Sie werden sich verraten.«

»Ja, ich erinnere mich all dessen nicht mehr so genau«, stotterte der Vetter, den diese Fragen sehr unangenehm berührt zu haben schienen. »Meine Tochter weinte so viel! Ich habe sie allein zurückgelassen, und das war es, was mich so quälte.«

»Vorwärts, vorwärts, die Gräfin wird glauben, dass wir nicht mehr kommen werden.«

Das große Skelett, das offenbar die Unterhaltung abbrechen wollte, trieb zur Eile.

»Wir haben uns sehr verspätet«, fügte er hinzu, »ich bin aufgehalten worden. Die Gräfin ist eine reizende Dame, auf Ehre, ganz reizend von unvergleichlicher Grazie und Anmut.«

Sie waren nun schnell am Ziel. Das Fest hatte seinen Höhepunkt erreicht. Das Monument der Gräfin war mit großer Eleganz und vollkommenem Geschmack hergerichtet, die darunter liegenden Gewölbe sehr geräumig und durch ein mildes phosphoreszierendes Licht erhellt.

Die Herrin des Hauses empfing die Ankommenden mit größter Liebenswürdigkeit. Ihr großes, seidenes Leichentuch, das leicht dekolletiert die Perlen einer Halskette erkennen ließ, umwallte ihre schlanke Gestalt in tiefen Falten. Sie trug weiße, bis zu den Ellenbogenknochen reichende Handschuhe, und ihr blanker Schädel war mit Chrysanthemen geschmückt. Als sie graziös einen Schritt vortrat, um ihre Gäste zu begrüßen, wurden die zarten, mit Ringen geschmückten Zehknöchel ihrer Kinderfüßchen sichtbar.

»Ich hatte die Hoffnung, Sie heute hier begrüßen zu dürfen, schon beinahe aufgegeben, Baron«, sagte sie mit reizender Freundlichkeit und mit ihrem Fächer spielend, während Herr la Rose sich tief vor ihr verneigte und ihre Hand küsste. »Sie und Herr de Saint-Firmin zählen doch zu meinen Getreuen? Aber«, fügte sie, die beiden Neuangekommenen huldvoll begrüßend, hinzu, »die Gegenwart dieser beiden Herren erklärt und entschuldigt Ihre Verspätung.«

»Gnädige Frau, ich bin tief gerührt«, stammelte Adhémar sich ehrfurchtsvoll verneigend.

Das große Skelett und sein Vetter, der immer noch ein wenig verträumt und traurig aussah, brachten der Dame des Hauses ebenfalls ihre Huldigung dar und mischten sich dann unter die anderen Gäste, deren Zahl zwar keine sehr große war, die aber alle der ersten Gesellschaft angehörten. Adhémar, der sich etwas deplatziert fühlte, isolierte sich bald und blickte, sich an eine Marmorsäule lehnend, träumerisch in das Treiben um ihn.

»Was für ein reizender Junge das ist«, sagte die Baronin zu dem Baron, der an ihrer Seite geblieben war. »Er ist der Ehre würdig, Ihr Verwandter zu sein, aber warum hat er die abscheuliche Tracht der Lebenden beibehalten?«

»Er dachte nicht daran, dass er das Glück haben könne, Ihnen vorgestellt zu werden, liebe, gnädige Frau«, antwortete der Baron ein wenig verlegen. »Aber«, fügte er mit leiser Stimme hinzu, »lassen Sie mich Ihnen vor allen Dingen sagen, dass ich Sie niemals so berückend schön wie heute gesehen habe.«

»Bah«, sagte die Gräfin mit feinem Lächeln, »das sagen Sie jedes Mal, wenn wir uns begegnen.«

»Zweifellos, und zwar weil es wirklich so ist und Sie immer schöner werden«, sagte der Baron verliebt und sich tief über sie neigend. »Der Kopfschmuck, den Sie heute Abend tragen, kleidet Sie zum Entzücken. Diese schweren großen Blumen über dem polierten Weiß Ihrer Schläfen. Ach Gott, wie verführerisch Sie sind!«

Die Gräfin lächelte wieder, dann sich ihm zuwendend, schob sie mit vielverheißender und zugleich keuscher Bewegung den oberen Teil ihres Leichentuches für einen Augenblick voneinander und der entzückte Baron bemerkte, dass hinter ihren feinen Rippen an der Stelle des Herzens ein Irrlicht flackerte.

»Es brennt für Sie«, sagte sie mit anbetungswürdiger Koketterie.

»Meine Heißgeliebte, meine Königin«, murmelte La Rose entzückt.

»Still, wir könnten belauscht werden. Kümmern wir uns zunächst um Ihren jungen Verwandten. Ich sehe gerade, dass dieser grässliche Stiftsamtmann Hilarion sich an ihn heranmacht, wahrscheinlich ödet er ihn mit seinen langweiligen Geschichten aus der anderen Welt an.«

»Nur noch ein Wort – werde ich das Glück haben, Sie morgen Abend bei mir begrüßen zu dürfen?«

»Vielleicht«, flüsterte die Gräfin zärtlich.

Der Baron bot ihr den Arm und alle beide gingen auf Adhémar zu, den der Stiftsamtmann Hilarion richtig mit Beschlag belegt hatte. Es war ein altes unausstehliches Skelett, das Herr de Saint-Firmin, wahrscheinlich um es loszuwerden, dem jungen Mann vorgestellt hatte.

»Ja, mein Herr«, sagte es mit scharfer Stimme und den jungen Mann am Rockaufschlage festhaltend, »ja, es ist so, ich versichere es Ihnen. Ich habe in einer Zeitung der Lebenden, die durch einen Zufall bei mir vergessen worden ist, die albernen Ansichten eines ihrer Gelehrten über unsere Neugestaltungen gelesen. Nun und sollten Sie es für möglich halten, dass dieser hirnverbrannte Esel mit schmutziger Haut einfach behauptet, dass unsere Helfer überhaupt nicht existieren? Dass dies nur eine Legende sei, dass wir einfach in Staub und Asche zerfallen! Welche Albernheit! Welche Vermessenheit und Gotteslästerung! Denkt dieser schamlose Idiot wirklich, dass wir geneigt seien, die Last des Fleisches unbegrenzt lange Zeit mit uns zu schleppen und dadurch den Larven der Lebenden nur zu ähnlich zu sehen! Es entehrt uns, länger wie durchaus nötig, Erinnerungen an die Zeit unseres Lebens zu bewahren, Erinnerungen, die Sie zu einem zurückgezogenen Dasein zwingen und uns für lange Zeit des Vergnügens berauben werden, Sie zu sehen. Sie sollen nicht existieren? Wahrhaftig, das ist empörend! Sie wissen davon zu erzählen. Sie, die sich selbst in diesem Augenblick mit Ihnen beschäftigen.«

Adhémar zuckte zusammen. Glücklicherweise trat die Gräfin am Arm des Barons in diesem Augenblicke auf die beiden zu.

»Nun, Herr Stiftsamtmann«, sagte die Gräfin de Talk mit leicht spottendem Ton, »weshalb ereifern Sie sich so, was ist denn los?«

»Ich spreche von den Lebenden, Gräfin, dieses verteufelte Gezücht, das über uns, die wir ihnen so sehr überlegen sind, die albernsten Märchen ersinnt und seine infamen Zeitungen bei uns liegen lässt, nur um uns zu beleidigen.«

»Aber so etwas ist doch ohne jede Bedeutung«, sagte gleichgültig die Gräfin. »Diese armen Lebenden! Vergessen Sie doch nicht, dass wir von ihnen abstammen.«

»Leider, ach«, seufzte der Stiftsamtmann, »wahrhaftig, es entehrt die Toten, dass sie von den Lebenden abstammen.«

»Bah«, sagte munter die Gräfin, »ich fühle mich dadurch gar nicht entehrt. Ich verleugne meine frühere Existenz keineswegs. Aber wie geht es Ihren reizenden Töchtern, Stiftsamtmann? Ich sehe sie heute Abend nicht hier.«

»Mein Gott, Gräfin, die Älteste hat zu Hause zu bleiben, um ihrem Mann Gesellschaft zu leisten, der an einer Erkältung des Rückgrates leidet. Sie hat mich beauftragt, Ihnen viele Grüße zu überbringen und Ihnen zu sagen, wie sehr sie es bedauert, nicht hier erscheinen zu können – aber Adrienne hat mich begleitet, da kommt sie gerade.«

Der Stiftsamtmann deutete auf eine graziöse jungfräulich aussehende Erscheinung, die Adhémar, dessen ästhetische Anschauung bereits eine eigentümliche Wandlung erlitten hatte, ganz reizend fand. Als sie den jungen Mann erblickte, schien es diesem, als ob sie errötet wäre. Die Gräfin drückte ihr einen zärtlichen Kuss auf die Stirn und die beiden Damen nahmen nebeneinander Platz. Es entspann sich dann eine sehr lebhafte und interessante Unterhaltung. Der Baron war die Seele derselben und er animierte alle durch die Feinheit seiner Bemerkungen und den geistreichen Reiz seiner Entgegnungen. Adhémar hatte sich neben die junge Adrienne gesetzt und er sagte ihr ab und zu ein paar verbindliche Worte. Ohne dass er sich Rechenschaft darüber zu geben wusste, fühlte er sich von einer seltsamen Erregung ergriffen und vermochte keinen Blick von der jungen Dame zu lassen. Obwohl sein Herz die eben erst erfahrene grausame Enttäuschung noch keineswegs überwunden hatte, verfehlten die schüchtern einfachen Antworten des jungfräulichen Kindes und der Wohllaut ihrer Stimme nicht, einen gewissen Eindruck auf ihn zu machen. Adrienne wirkte in ihrer ganzen Lieblichkeit wie eine köstliche Blume, deren frischer balsamischer Duft alle Schmerzen vergessen macht.

Am Schluss des Abends wurde getanzt und als Adrienne die feinen Knöchel ihrer kleinen Hand auf Adhémars Schulter legte, als er unter seinem, sie umschlingenden Arme die zarten Wirbelknochen ihrer Wespentaille spürte, da bemächtigte sich seiner eine eigentümliche Trunkenheit – er zitterte und fühlte sich von einer leidenschaftlichen Erregung bewegt, die unter den obwaltenden Umständen gewiss sehr seltsam war.

Er vergaß die Welt und alles, was ihn bisher erfüllt und wie er sich dereinst über die schönen Augen seiner ersten Geliebten geneigt, um darin Erfüllung seines Glückstraumes zu suchen, so neigte er sich nun über das zitternde verwirrte Kind, das er mit seinem Arm umschlang, und suchte in ihren Augenhöhlen, die ganz erfüllt von jenen geheimnisvoll tiefen Schatten waren, deren Schönheit sich sonst vor den Sterblichen verschließt, Erfüllung eines neuen und schöneren Liebestraumes. Er glaubte in diesen Schatten schon die Gewährung seiner Wünsche lesen zu können und eine unendliche Freude erfüllte sein Herz. Sich ganz der Stimmung des Augenblickes hingebend, murmelte er abgerissen leidenschaftliche Worte, die vielleicht noch feuriger klangen, wie jenes Liebesgeflüster, mit dem er im Land der Lebenden vor nicht allzu langer Zeit jenes junge Mädchen mit dem langen Goldhaar und der seidenweichen Haut zu erobern gewusst, das ihn dann so schnöde verraten hatte und das zu vergessen er auf dem besten Weg war. Seine Schmeichelreden fanden offenbar ein Echo bei dem neuen Gegenstand seiner Flamme, denn Adrienne wagte es kaum, die errötende Stirn zu erheben und zitterte in seinen Armen wie Espenlaub.