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Jim Buffalo – 19. Abenteuer – Kapitel 2

Jim Buffalo,
der Mann mit der Teufelsmaschine
Veröffentlichungen aus den Geheimakten des größten Abenteurers aller Zeiten
Moderner Volksbücher-Verlag, Leipzig, 1922
Ein Blick in die Zukunft
Das 19. Abenteuer Jim Buffalos
2. Kapitel

Im Haus des Schreckens

Der Alte blickte trostlos vor sich hin.

»Ich bin schon sehr lange in Diensten der Mortimers«, begann er. »Schon beim Vater meines jetzigen Herrn, eines sehr geachteten und beliebten Wissenschaftlers, war ich bedienstet. Ich habe erlebt, wie der Herr auf eine Expeditionsfahrt nach den südamerikanischen Inseln ging, um den Erreger einer schrecklichen Krankheit, die unter den Insulanern herrschte, festzustellen.

Er kam nicht wieder. Er wurde ein Opfer der Wissenschaft. Er hat den Erreger der Krankheit wohl entdeckt, aber er selbst musste daran glauben. Unterwegs wurde er vom Fieber gepackt und er starb auf dem Wasser. Seine Leiche wurde ins Meer versenkt.

Seinem Sohn, meinem jetzigen Herrn, blieb es vorbehalten, die Wissenschaft um ein Erkleckliches zu bereichern. Er schuf auf Grund der Aufzeichnungen seines Vaters ein Serum, welches die Erreger jener Krankheit tötete. Die nächste Expedition, in der sich drei Ärzte befanden, impfte die eingeborene Bevölkerung, und siehe da, die Krankheit verschwand.

Mein Herr trat vollkommen in die Fußstapfen seines leider ach so früh verstorbenen Vaters. Er wurde ein berühmter Arzt. Seine Vermögensverhältnisse gestatteten es ihm, seine Praxis so weit wie möglich einzuschränken und dem Studium der Wissenschaft zu leben.

Er beschäftigte sich hauptsächlich mit einem der furchtbarsten Probleme. Er bekämpfte in Wort und Schrift die Krankheit, die man Lepra nennt und die nicht zu heilen ist.

Er bedauerte die Unglücklichen, die von diesem schrecklichen Leiden angesteckt waren und suchte ihr Los zu erleichtern.

Dies war der Grund, weshalb er sich eines Tages einer Expedition anschloss, die sich nach Island begab, um die dort lebenden Leprakranken bei ihrem Tun und Leiden zu beobachten und die Krankheit zu studieren.

Gattin und Tochter baten ihn vergebens, sein Vorhaben aufzugeben, aber er ließ sich von dem einmal gefassten Beschluss nicht abbringen.

Er war lustig und froher Dinge. Mein Herr strotzte auch von Gesundheit und man sagt, dass notorisch gesunde Menschen eine ansteckende Krankheit nicht angreifen kann.

Er blieb zwei Jahre fort. Seine Briefe waren jedes Mal ein freudiges Ereignis in unserem ruhigen Haus. Der Herr war drüben in Island nicht zur Ruhe gekommen. Er hatte wichtige Entdeckungen gemacht und schrieb, dass er bald an die Heimkehr denke.

Und dann kam er.

Aber es war, als ob der Todesengel ins Haus komme. Er sah zwar körperlich recht gut aus, aber seine Augen verrieten Furchtbares.

Und er ließ sich nicht von Frau und Kind umarmen, sondern schloss sich sofort in sein Zimmer ein. Meine Herrin und die junge Miss waren trostlos. Sie konnten sich das rätselhafte Gebaren des Gatten und Vaters nicht erklären.

Das Zimmer, in dem der Herr schlief, hatte eine Tapetentür. Diese Tür verband sein Zimmer mit dem Wohnsalon. Hatte der Herr nun die Existenz dieser Tür vergessen?

Wahrscheinlich ist es so gewesen. Gattin und Tochter betraten durch diese Tür das Schlafgemach. Beide knieten neben dem Bett nieder und sie umarmten den Herrn.

Er erwachte und stieß einen Schrei aus.

›Unglückselige, was habt ihr getan?‹, rief er fassungslos aus. ›Wisst ihr nicht, dass ihr dem Tode verfallen seid? Ich habe euch nicht berühren wollen, ich wollte euch nicht ins Unglück stürzen, nun seid ihr es selbst, die es getan haben.‹«

Der alte Mann machte eine Pause.

»Das ist ein Teil der schrecklichen Geschichte«, erzählte er weiter. »Mein Herr hatte die Krankheit, die schrecklichste, die es wohl auf Erden gibt, von Island mitgebracht. Er war einer der Aussätzigen, wen auch im ersten Stadium.

Mutter und Tochter waren angesteckt. Mein Herr untersuchte sie und stellte es fest. Ihr Blut war ebenfalls vergiftet.

Auf seine Anordnungen, wobei ich bemerken muss, dass er dafür sorgte, dass sowohl er als auch die beiden Damen nicht mehr herabkamen, wurde das Gitter auf der Treppe angebracht. Ich und andere Leute, die ins Haus kamen, sollten nicht ins Unglück gestürzt werden. Ich musste erzählen, dass die Herrschaft verreist sei.

Mein Herr erzählte mir, alles in entsprechender Distanz, dass er bei seinem Aufbruch von Island noch nichts davon gemerkt habe, dass er infiziert worden sei. Erst als das Schiff in wenigen Tagen im Heimathafen landen sollte, habe er die untrüglichen Anzeichen wahrgenommen, dass sein Blut vergiftet, dass er der fürchterlichen Krankheit verfallen sei.

Er habe sein Geheimnis für sich behalten, dann habe er sich von den anderen Menschen ängstlich ausgeschlossen und sich mit Arbeit entschuldigt. Es sei seine Absicht gewesen, nur noch einmal Frau und Kind von der Ferne zu sehen und sodann wieder nach den Gestaden Islands zurückzukehren, um dort unter den Aussätzigen als Leprakranker sein Leben zu fristen.

Doch die beiden Damen hatten ihm einen Strich durch die Rechnung gemacht. Sie drangen bei ihm ein und die körperliche Berührung mit ihm infizierte sie.

Mein Herr wollte schon längst wieder fort, aber er hegte immer noch eine vage Hoffnung. Er wollte es nicht glauben, dass Frau und Kind von ihm angesteckt worden seien. Immer wieder machte er Blutproben und seine Tochter betete Tag und Nacht.

Miss Mortimer ist ein Engel. Sie selbst will alles Leid ertragen, wenn nur die Eltern wieder gesund werden.

Aber das ist alles vergebens, denn wen die unheimliche Krankheit einmal gepackt hat, den lässt sie nicht mehr aus den Krallen.

Er ist ihr verfallen und er muss früher oder später eines schrecklichen Todes sterben.

Es war eigentlich meine Pflicht, Anzeige zu erstatten, aber können Sie es einem Mann, der im Dienst der Familie alt geworden ist, verdenken, wenn er schweigt?

Es ist nun meine Aufgabe, der Herrschaft das Leben so angenehm wie möglich zu gestalten. Schrecklich ist es für mich, hier unten getrennt von ihnen zu leben.

Da selbst ihr Hauch ansteckend sein soll, darf ich das Essen nicht bringen, wenn sich von der Familie jemand in der Nähe befindet.

Ich stelle das Essen durch die Stäbe der Pforte auf die Treppe und ziehe mich zurück. Unsere Verständigung geschieht nur telefonisch.«

Der alte Mann nickte traurig vor sich hin.

»Jetzt wissen Sie auch, warum ich Sie nicht hereinlassen wollte ins Haus«, schloss er seine Erzählung.

Jim Buffalo hatte mit steigendem Interesse der Erzählung des alten Mannes gelauscht. Er war tief erschüttert.

Er rückte ihm die Hand und sagte: »Sie sind ein braver Diener Ihres Herrn. Solche Leute gibt es wenige.«

»Wenn ich meiner armen Herrschaft nur zu helfen vermochte«, sagte der Alte bestimmt.

Jim Buffalo hörte draußen Geräusche. Er erhob sich und betrat das Vestibül, bevor ihn der alte Diener daran zu verhindern vermochte.

Wie gebannt blieb er stehen. Auf der Treppe stand in einem langen fließenden Gewand eine himmlische schöne Jungfrau. Sie blickte trostlos hinter dem Gitter herab.

Jim Buffalo erkannte in ihr sofort dasselbe holdselige Geschöpf, welches er im Traum wahrgenommen hatte. Er wollte sie an den Ort bannen, um mit ihr zu sprechen, aber sie floh erschrocken und er hörte gleich darauf eine Tür zuklappen.

»Das war Miss Mortimer«, hörte er hinter sich die Stimme des Alten.

»Ich weiß«, sagte Jim Buffalo und nickte bekümmert vor sich hin. »Ich werde sofort wieder aufbrechen«, setzte er hinzu.

»Sie wollen in der Nacht wieder fort?«, fragte der Diener bestürzt. »Ich denke, Sie wollten den Tag erwarten?«

»Nein, ich habe mich anders besonnen.«

»Aber Ihre Zeitmaschine? Sie soll doch defekt sein?«

Jim Buffalo lächelte flüchtig. »Es war nur eine Ausrede«, sagte er. Dann begab er sich zur Tür und schob den Riegel zurück.

Der Alte stand an der Tür und wollte etwas sehen, aber er kam nicht dazu, denn plötzlich war der rätselhafte Mann mit seiner geheimnisvollen Maschine spurlos verschwunden.