Sagen und alte Geschichten der Mark Brandenburg 29
Das Schildhorn bei den Pichelsbergen
Bei den Pichelsbergen – einem bekannten Vergnügungsort der Berliner – bildet die Havel einen großen See. Von dem jenseitigen Ufer zieht sich beim Dorf Pichelsdorf, welches dort nach Spandau zu liegt, eine Landzunge in diesen See hinein, die man den Sack nennt, der gegenüber dann auf der Seite der Pichelsberge nach dem Grunewald zu eine andere weit in das Wasser vorspringt, das Schildhorn genannt. Hier soll in alten Zeiten während eines großen Religionskrieges, wie die Leute dort sagen, ein Ritter, von seinen Verfolgern hart bedrängt, mit seinem Pferde hindurchgeschwommen sein. Als er nämlich auf seiner Flucht in die Landzunge bei Pichelsdorf geriet, riefen seine Feinde triumphierend aus: »Jetzt haben wir ihn im Sack.« Er aber fasste sich schnell, gab seinem Pferd die Sporen und setzte in die Havel hinein, und wirklich trug ihn sein treues Tier die weite Strecke hinüber bis an das jenseitige Ufer, wo er zum Andenken seiner glücklichen Rettung Schild und Horn an einem Baum aufhängte. Davon heißt die Stelle das Schildhorn, die andere jenseitige Landzunge der Sack, weil seine Verfolger ausriefen: »Jetzt haben wir ihn im Sack.« So wird die Sage gewöhnlich in Pichelsdorf erzählt.
In Charlottenburg, d. h. im alten Lietzow, sagt man, es sei der letzte Wendenkönig gewesen. Bei Caputh sei die Schlacht geschlagen worden, von der er flüchtig gekommen war. Er sei glücklich hinübergekommen, aber sein Adjutant, wie es naiv heißt, der es auch versucht hatte, sei darin umgekommen. Weiter wird dann angegeben, er sei Heide gewesen und habe, wie er in die Havel gesetzt, gelobt, da seine Götter ihn verließen, wolle er Christ werden, wenn der Christengott ihn rette, und er glücklich hinüberkäme. So sei er es denn auch nachher geworden.
Dazu stimmen ältere schriftliche Aufzeichnungen früherer Jahrhunderte, nach denen es der Wendenfürst Pribislaw von Brandenburg gewesen sei, welcher sich auf seiner Flucht so bekehrt hatte. Hiernach spielt dann die Sache zur Zeit Albrechts des Bären in den damaligen Religionskriegen, und unsere Sage führt den bisher dunklen Punkt in der Geschichte dieses Pribislaw näher aus und erklärt, wie er aus einem Heiden mit einem Mal zu einem so eifrigen Christen und Freund Albrecht des Bären wurde. Denn nicht allein, dass er plötzlich in frommem Eifer die Götzentempel in Brandenburg zerstörte, schon bei seinen Lebzeiten schenkte er wunderbarerweise einen Teil seines Landes dem Sohn Albrecht des Bären und setzte diesen dann selbst zum Erben seines gesamten Landes ein, damit es nur fortan christlich bliebe. Irgendein bedeutsames Ereignis muss da wohl diesen so entschiedenen Wechsel in seinem Verhalten veranlasst haben. Wo aber die Geschichte schweigt, hat die Sage auch ein Recht auf Berücksichtigung, zumal wenn sie sich, wie hier, so sichtlich an das Übrige anschließt. So hat denn auch König Friedrich Wilhelm IV. auf dem Schildhorn eine Denksäule errichten lassen – einen Baumstamm aus Sandstein mit Andeutung der Zweigknorren, an dem ein metallenes Schild hängt, während auf demselben ein Kreuz aufgerichtet ist, und jeder, der diese Gegend besucht, gedenkt der Zeiten, wo hier an der Havel nach hundertjährigen, blutigen Grenzkriegen einst christliches und deutsches Wesen den Sieg davontrug über die heidnische Wendenherrschaft, und unter dem Zeichen des Kreuzes der Grund gelegt wurde, auf dem dann der brandenburgisch-preußische Staat emporwuchs.