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Slatermans Westernkurier 07/2023

Auf ein Wort, Stranger, hast du schon einmal etwas von den blutigen Espinosas gehört?

Im Sommer 1863 fürchteten sich immer mehr Reisende davor, das Colorado Territorium zu durchqueren, und auch dessen Bewohner bekamen es langsam mit der Angst zu tun.

Ein Umstand, der allerdings nichts mit dem Bürgerkrieg zu tun hatte, der nach dem Osten inzwischen auch die westlichen Staaten erfasst hatte und dessen Auswirkungen allmählich bis in die Nachbarstaaten des Colorado Territoriums zu spüren waren.

Es waren vielmehr Berichte über das Verschwinden von Alleinreisenden und einsamen Reitern, deren entstellten Leichen später in abgelegenen Schluchten oder schwer zugänglichen Buschgebieten entdeckt wurden.

Das erste Opfer wurde im Mai 1863 gefunden. Die Leiche war grausam verstümmelt und man hatte ihr das Herz aus der Brust gehackt. Bis zum Ende des Sommers wurden 25 weitere Leichen gefunden, die allesamt auf die gleiche brutale Art und Weise ums Leben gekommen waren.

Die Morde waren ein Rätsel, niemand wusste, wer dafür verantwortlich war, weil die Täter keinerlei Hinweise hinterließen. Zwar wurden in den Mordgebieten nach und nach überall Wachposten stationiert, aber die Männer hatten keine Ahnung, nach wem sie suchen sollten – nach Indianern, einer Banditenbande oder einzelnen herumvagabundierenden Desperado.

Erst als auf einer Straße nach Fairplay, Colorado, ein Fuhrwerk angegriffen wurde und der Fahrer durch glückliche Umstände entkommen konnte, wurden die Mörder endlich erkannt.

Es handelte sich um Felipe und Jose Espinosa, die eine Bande von ihren Cousins anführten, die bald den Spitznamen »Bloody Espinosas« annahmen.

Die Espinosas, die aus Vera Cruz, Mexiko, stammten, waren alle während des Mexikanisch-Amerikanischen Krieges 1848 Zeugen der Ermordung von sechs Familienangehörigen, als die US-Armee ihre Stadt beschoss. Die Familien, die inzwischen in Colorado in der Nähe des Dorfes San Rafael lebten, waren nicht nur über die damalige Ermordung ihrer Angehörigen verbittert, sondern auch, weil sie behaupteten, ihre Landzuteilung im Conejos County sei nicht eingehalten worden und auf ihrem Grundstück hätten sich zahlreiche weiße Siedler illegal niedergelassen.

Die Espinosas-Brüder, die zuvor einmal des Pferdediebstahls verdächtigt wurden, wurden nun im ganzen Land als Mörder gesucht.

 

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Den lokalen Legenden nach hatte Felipe Espinosa behauptet, eine Vision der Jungfrau Maria gehabt zu haben, die ihm sagte, er solle für jedes Mitglied seiner Familie, das damals im Mexikanisch-Amerikanischen Krieg von US-Soldaten getötet wurde, einhundert Americanos umbringen.

Deshalb auch der Zulauf der streng katholisch erzogenen Mitglieder des Familienclans.

Doch das sind wie gesagt Legenden, denn es gibt inzwischen Berichte, die eindeutig belegen, was die Espinosas-Brüder tatsächlich dazu gebracht hatte, diese Morde zu verüben.

Martin Edward Martinez, Historiker und direkter Nachkomme der Familie Espinosas, behauptet, dass die Morde auf die Gräueltaten amerikanischer Soldaten auf seine Familie zurückzuführen sind, sowie dem »Manifest Destiny« der amerikanischen Nation, das seiner Meinung nach damals wie heute zur Rechtfertigung kontinentaler Expansion herangezogen wird, weil die Amerikaner nach wie vor glauben, es sei ihr von Gott gegebenes Recht, ein Volk und sein Land zu erobern, das nicht in der Lage ist, sich selbst zu regieren.

Martinez will herausgefunden haben, dass die Espinosas auf einer Rachemission waren, nachdem ein amerikanischer Soldat Felipes Frau und Tochter vergewaltigt hatte und seine Frau vier Tage später im Herbst 1861 an den Folgen daran verstarb. Noch schlimmer wurde es nach einem ähnlichen Vorfall im Haus seines Bruders, bei dem Jose einen Soldaten tötete, der seine Schwester vergewaltigt hatte. Laut Martinez kamen dann mehrere Soldaten zum Haus seines Bruders, töteten dort alle, deren sie habhaft wurden, und nahmen anschließend das Land und allen anderen Besitz der Familie von Jose Espinosas in Besitz. Als die Brüder nach den Soldaten suchten, die an den Gräueltaten beteiligt waren, trafen sie auf weitere Familien, denen das Gleiche widerfahren war. Sie schlossen sich zusammen, um diejenigen zu töten, die ihnen dieses Leid angetan hatten, und um sich ihre Ländereien wieder zurückzuholen.

Die Espinosas wurden inzwischen von allen Gesetzeshütern und Bürgerwehren des Conejos County verfolgt, woraufhin Felipe einen Brief an Gouverneur John Evans schickte und ihn aufforderte, ihm und den anderen Familien etwa 5000 Acres Land zu überschreiben und ihm und den anderen Bandenmitgliedern Amnestie zu gewähren. Ansonsten drohte er, 600 Gringos einschließlich des Gouverneurs selbst umzubringen.

John Evans Antwort bestand darin, die US-Kavallerie anzufordern, die nun ebenfalls Jagd auf die Espinosas machte. Die Schlinge zog sich immer enger um die Brüder und irgendwann wurde Jose Espinosa schließlich in den Bergen um Canon City gestellt und erschossen. Doch das Töten ging weiter, auch weil an Joses Stelle ein Cousin namens Julian trat, der noch brutaler auftrat.

Doch durch das Eingreifen der Armee kam ihr Ende immer näher. Nachdem sie am La Veta Pass einen Mann und eine Frau in einen Hinterhalt gelockt und ermordet hatten, damit war die Zahl der Menschen, die dem Rachefeldzug der Espinosas zum Opfer gefallen waren, auf 32 Tote angewachsen, schaltete sich der kommandierende Offizier von Fort Garland persönlich in die Auseinandersetzungen ein.

Colonel Sam Tappen machte sich seine Bekanntschaft zu dem weithin berühmten Grenzer und Scout Tom Tobin zunutze und rief ihn zu sich, um ihm den Auftrag zu erteilen, die mexikanische Mörderbande aufzuspüren und sie entweder tot oder lebendig einzufangen. Wie er nämlich erfahren hatte, war Tobin auch ein Cousin der Espinosas, wenn auch der Verwandtschaftsgrad nur weitläufig um ein paar Ecken herum zustande gekommen war. Er unterstellte ihm eine 15-köpfige Patrouille und stattete ihn mit umfassenden Befehlsgewalten aus.

Tobin willigte ein, ließ die Patrouille aber bereits nach einigen Tagen im offenen Land zurück und machte sich stattdessen in Begleitung eines mexikanischen Jungen auf die weitere Suche.

Anfang Oktober kam er dann wieder nach Fort Garland zurück. Im Gepäck einen Sack mit den Köpfen von Felipe und Julian Espinosas.

 

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Seinem Bericht nach war es ihm wenige Tage, nachdem er die Patrouille zurückgelassen hatte, gelungen, Felipe und Julian in ihrem Lager aufzuspüren. Nachdem sie sich der Verhaftung widersetzten, hätte er beide erschossen und zum Beweis ihre Köpfe mitgebracht.

Martin Edward Martinez fand aber heraus, dass Tobin sehr wohl mehr als nur ein weitläufiges Familienmitglied war. Felipe und die anderen vertrauten ihm. Er kam allein in ihr Lager, gab vor, seine Cousins wieder einmal besuchen zu wollen, um über alte Zeiten zu reden. Sie begannen das Wiedersehen so ausgiebig zu feiern, bis Felipe und Julian so betrunken waren, dass ihnen Tobin ohne Gegenwehr die Kehle durchschneiden konnte, was sich später dann als die wahrscheinlichere Version vom Tod der Espinosas herausstellte.

Quellenangabe:

  • Teile der Dissertation, die Martin Edward Martinez im Oktober 2014 Legends of America komplett zur Verfügung gestellt hat.