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Der Detektiv – Band 26 – Der Saal ohne Fenster – Teil 5

Walter Kabel
Der Detektiv
Band 26
Kriminalerzählungen, Verlag moderner Lektüre GmbH, Berlin, 1920
Der Saal ohne Fenster

Teil 5

Bröseke stand zur selben Zeit im Kreis der seinen im Schankraum.

Die drei Mädel und Viktor Manz machten genauso verstörte Gesichter wie der Besitzer des Grünen Sees.

Und Manz flüsterte ohne viel Hoffnung: »Wenn auch die Astzeichen verschwunden sind, so braucht doch noch immer nicht die Kiste ausgegraben worden zu sein!«

Bröseke lachte heiser auf.

»Ich sage dir: Man hat dort nachgegraben! Ich hatte vier gekreuzte Äste rund um das Reisig eingesteckt. Und das Reisig liegt anders und die Zeichen sind weg!«

Schweigen folgte … banges Schweigen.

Stille in dem großen Raum …

Nur unzählige Fliegen umsummten die große elektrische Hängelampe.

Viktor Manz, dieser hübsche flotte Bursche, gab die Hoffnung noch immer nicht auf.

»Bröseke, du malst vielleicht ganz unnötig Gespenster an die Wand«, sagte er leise. »Wir werden eben abends nachsehen, ob die Leiche noch so in der Kiste liegt, wie …«

»Ja – und uns dabei abfassen lassen!«, brauste Bröseke auf. »Wenn da etwas faul in der Schonung ist, wird man schon Wachen aufstellen! Nur der Rütter steckt dann dahinter! Dem traue ich nicht!«

Da meinte die schlanke Hanni sehr schüchtern: »Ob … ob wir nicht lieber alles im Stich lassen?«

Abermals Schweigen. Angstleere Augen schweiften von Gesicht zu Gesicht.

Viktor Manz fuhr mit der Hand über die schweißfeuchte Stirn.

Seine Gedanken eilten plötzlich – ein jäher Sprung – zu der Geliebten hin.

Helga – Helga Marling! Und er – er?

Ein Seufzer stahl sich über seine Lippen.

Mit jener Energie, die ihn den Kampf mit dem Dasein trotz seiner Entlassung aus der Bank und trotz aller Widerwärtigkeiten mit erneuter Kraft hatte aufnehmen lassen, erklärte er nun: »Bröseke, gesetzt den Fall, es hätte uns jemand beobachtet und nachher den Inhalt der Kiste sich angesehen. Dann hätte dieser jemand doch sofort Anzeige erstattet, und dann wäre Rütter längst hier bei uns gewesen.«

Wieder lachte Bröseke schrill.

»Oder Rütter wartet ab, mein lieber Manz, wartet ab und kreist uns ein!«

»Ich wage es!«, sagte Manz mit größter Bestimmtheit. »Wenn die arme Hortensia noch in der Kiste liegt, wenn die Kiste und die Tote noch vorhanden sind, können deine Zeichen auch durch Holzdiebe niedergetreten worden sein!«

»Tu, was du willst!« Bröseke zuckte die Achseln. »Jedenfalls soll eine der Mädel von Sonnenuntergang an in der Schonung sich verbergen und achtgeben, ob sich Leute dorthin schleichen.«

Die fünf trennten sich.

Bröseke suchte Trost und Mut in ein paar Gläschen Kognak.

 

*

 

Viktor Manz war in den Holzstall gegangen. Dort stand neben den Rädern der beiden Gäste sein eigenes Rad. Er führte es ins Freie, pumpte die Schläuche auf und erwiderte auf Fannis Frage, die ihm aus Langeweile zuschaute: »Bewegung will ich mir machen, Fanni, nichts weiter …«

Sie lächelte zweifelnd. »Hm – und die geheimnisvollen Abendausflüge, deretwegen wir immer erst um halb zwölf anfangen können?«

Manz schaute sie böse an.

»Das sind meine Sachen, Fanni! Das kümmert Sie gar nichts!«

»Arme Hortensia …«, meinte das Mädchen leise, wandte sich um und verschwand im Haus.

Viktor Manz sah nach der Uhr. Um halb elf hatte Helga sich mit ihm im Birkenwäldchen bei Reddin treffen wollen.

Es wurde Zeit.

Als er den Landweg entlangradelte, schauten ihm von einem der Fenster der Mansarde des Wirtshauses sechs Mädchenaugen nach.

»Er ist so verschlossen«, meinte Hanni.

»Er ist hochnäsig«, sagte Anni.

Und die schwarze Fanni als Ehrlichste erklärte: »Ach, wir sind ja alle drei in ihn so ein wenig verliebt.«

Was von den beiden anderen nicht weiter bestritten wurde.

Viktor Manz hielt Helgas blonde Lieblichkeit in den Armen.

Das zarte Grün der tief herabhängenden Birkenzweige umhüllte das junge Paar wie ein Schleier.

»Nachmittags fahre ich mit der Tante Pastor nach Magdeburg«, sagte Helga traurig und machte sich aus des Geliebten Armen frei. »Wir bleiben dort längere Zeit, Viktor. Wie lange, weiß ich nicht.«

Er erschrak etwas. Er war heute misstrauisch … gegen alle … gegenüber allem.

»So plötzlich diese Reise?« meinte er zaudernd. »Ob … ob etwa Pastors etwas gemerkt haben, mein Einziges?«

Sie lächelte selbstsicher.

»Bewahre – bewahre!« Das Lächeln erstarb. Ein versonnener, ernster Zug erschien um den jungfrischen Mund.

Und sich an Viktor Manz schmiegend, bat sie scheu: »Viktor, bevor wir uns nun trennen, erfülle mir doch …«

Er unterbrach sie. Mit erzwungener Lustigkeit deklamierte er:

Nie sollst du mich befragen,
noch Wissens Sorge tragen,
wie ich der Zukunft schönes Haus
hier für uns beide baue aus …

Dann küsste er sie.

Doch Helga drängte ihn von sich. Eine rührende hilflose Angst lag auf dem frischen lieben Gesicht.

»Viktor, du musst es mir sagen – du musst! Ich … ich habe in dieser Nacht so schlecht geträumt … Ich … ich …«

Ein paar Tränen perlten ihr aus den weichen Augen.

Sie hielt seine Hände, presste sie.

»Ich darf nicht, Helga«, erklärte er beklommen. »Ich darf nicht! Ich habe mein Wort gegeben! Ich kann dir nur immer wiederholen: Habe doch Vertrauen zu mir! In zwei Jahren hoffe ich ein wohlhabender Mann zu sein, kann mir dann meine beiden Herzenswünsche erfüllen: dich und ein kleines Landgut, meine Helga! Und dann haben alle Heimlichkeiten ein Ende! Dann sollen auch deine Eltern mich kennen lernen, …dann …«

Sie hatte seine Hände freigegeben, war plötzlich zurückgetreten, lehnte sich wie in einem Anfall von Schwäche an eine der hellen starken Birken.

Er schwieg jäh.

Unter ihrem prüfenden Blick schoss ihm das Blut zu Kopf.

Leise – ganz leise und schwer kam es über ihre Lippen: »In … zwei Jahren ein wohlhabender Mann, Viktor …? Heute – heute, wo das Geldverdienen so schwer ist! Viktor, wie viele Gedanken habe ich mir dieserhalb schon gemacht! Und die Gedanken haben mich reifer, ernster werden lassen. Viktor, schwöre mir, dass …«

Blässe breitete sich über des Mannes Gesicht.

Und Helga stockte … Beendete den Satz nicht, starrte zur Seite, wo in der Baumlücke die hohe, massige Gestalt des Onkel Pastors stand.

Pfarrer Herms kam langsam näher.

»Geh heim, Kind«, sagte er zu Helga. »Geh …«

Sie duckte sich zusammen, hob gleich wieder das brennend rote Antlitz.

»Jetzt ist mein Platz hier an Viktors Seite. Onkel Pastor …«, erwiderte sie festen Tones.

Viktor Manz war noch bleicher geworden.

Herms wandte sich ihm zu. Die unter buschigen Brauen liegenden kühlen, klugen Augen des Pfarrers suchten in den Zügen des jungen Mannes zu lesen.

»Wer sind Sie, Herr …?«, fragte er scharf, eingedenk der Warnung des Detektivs.

Manz verbeugte sich. »Viktor Manz, bis zum ersten April Beamter der Germania-Bank, Berlin.«

»Und jetzt?«

»Angestellter in einem Gasthof in Dalchow.«

»Wo haben Sie Fräulein Marling kennen gelernt?«

»Im März dieses Jahres bei einem Konzert. Wir saßen nebeneinander …«

Pastor Herms geriet nun etwas in Verlegenheit. Er wusste nicht recht, wie er die unerquickliche Szene beenden sollte. Außerdem gefiel ihm dieser junge Mann. Tatsächlich – er gefiel ihm, trotz all der Zweideutigkeiten, die mit diesem Hausknecht zusammenhingen.

Er überlegte kurz.

»Ich vertrete hier Vaterstelle an Helga«, sagte er nun weniger unfreundlich. »Ich verbiete Ihnen daher weitere Zusammenkünfte mit Helga, und ich werde auch dafür sorgen, dass Helga fortan keine Gelegenheit mehr haben wird, von Ihnen irgendwie Nachricht zu erhalten.«

Er nahm Helga bei der Hand. »Komm, Kind!«

Und die blonde Lieblichkeit nickte Viktor mit tränenverschleierten Augen zu.

Folgte dem Onkel Pastor, schluchzte still in sich hinein.

Herms zog ihren Arm in den seinen. »Helgachen, nun sei einmal ganz, ganz verständig.« Er glaubte sehr klug zu handeln, wenn er durch einen Gewaltstreich hier das zarte Pflänzchen Liebe zu zerstören suchte. »Höre mal zu, Helgachen. Dieser Bursche da, der dich umgarnt hat, ist trotz seines nicht unüblen Gesichtes ein Taugenichts, ein … ein … Verbrecher …«

Stille …

Dann klar und laut aus dem Mädchenmund: »Ein Verbrecher ist Viktor niemals, Onkel. Da täuschst du dich!«

»So? Nun, darüber sprechen wir ein andermal, Kind.«

Ihm erging es nun so wie vorhin, als er nicht wusste, wie er diese Aussprache mit Manz beenden sollte: Er war verlegen, er, der alte Pastor Herms! Verlegen, weil in den abwehrenden Worten Helgas so viel unerschütterliches Vertrauen gelegen hatte, dass ihm dies wie eine neue Offenbarung erschien.

Und das blonde Mädel an seiner Seite sagte da schon: »Weshalb ein andermal, Onkel? Ich kenne Dich doch. Du wirst mich den Eltern nicht verraten. Nur mit dir und der guten Tante will ich diesen Kampf um meine Liebe ausfechten. Viktor ist ein Ehrenmann. Nur eins fürchte ich, dass er, um zu Geld zu kommen, etwas Gefährliches unternimmt!«

Pastor Herms dachte an des berühmten Detektivs eindringliche Mahnung, ja nichts zu verraten.

Es wurde ihm so bitter schwer zu schweigen. Und doch hielt er sich an sein Versprechen. Erwiderte nur: »Kind, Kind, wie stellst du dir denn so eine gefährliche Art des Geldverdienens vor, du kleines Dummchen?«

»Das kann ich mir eben nicht vorstellen, und deshalb bin ich auch so … so in Angst.«

Herms bleibt stumm. Sie näherten sich dem Pfarrhaus von den Feldern aus, betraten den Gemüsegarten durch die Hinterpforte.

Da flüsterte Helga etwas scheu: »Weiß die Tante, Onkel Pastor …?« Kindlich-unbeholfen klang die Frage. Und Herms stieg es heiß in die Augen. Er blieb stehen, hielt Helgas Hände.

»Mein Kind, schlage dir doch den Menschen aus dem Sinn!«

Fast bittend waren die schlichten Worte.

»Niemals!« Und Helga schaute den Pfarrer ohne Scheu an. »Niemals – und wenn Ihr alle gegen ihn seid …!«

Herms schüttelte den grauen Kopf.

»Wir werden sehen … wir werden sehen …«, murmelt er.

Und die Tante Pastor erfuhr noch immer nicht, weshalb sie nach Magdeburg reisen musste.

 

*

 

Harald Harst lag im Garten des Grünen Sees nachmittags in einer nicht mehr taktfesten Hängematte. Immerhin, es war eine Hängematte, und wenn man drei junge Damen zur Gesellschaft hat, ließ es sich schon leben so als halber Kranker.

Der Herr Lehrer Hartwich machte denn auch ein recht zufriedenes Gesicht, plauderte mit den angeblichen Bröseke-Mädel (Gott weiß, wie sie in Wahrheit heißen mögen!) und rauchte Zigaretten.

Freund Schreiber, der seines Bäuchleins wegen Bewegung brauchte, war vor einer halben Stunde spazieren geradelt.

Während Harst-Hartwich die nicht so recht munteren jungen Damen durch die Vielseitigkeit seiner Unterhaltungsgabe verblüffte und in Atem hielt, schweiften seine Gedanken trotzdem hierhin und dorthin. Er besaß wie selten einer die Fähigkeit, gleichsam doppelt sein Hirn zu beschäftigen.

Er wusste, dass Freund Schraut nun mit dem von Kommissar Bechert entsandten Beamten zusammentraf, dass diese beiden dann mit Rütter zur Schonung schleichen würden, dass einer der drei Wache halten und die beiden anderen die Sargkiste ausgraben, füllen und wieder säuberlich einbuddeln würden.

Er lächelte im Stillen, wenn er an seinen schlichten Trick dachte, den fragwürdigen Bröseke in Sicherheit zu wiegen.

Und gleichzeitig erzählte er Fanni, Anni, Hanni Scherze aus dem Schulleben.

Oh – er versteht es, der Harst! Er kann alles …

Und was er alles kann, bewies er nun, als Hanni plötzlich erklärte, sie wolle noch ein wenig in die Felder wandern – bis zur Schonung. Von dort könne man den Sonnenuntergang am besten genießen.

Harst wusste, dass Hanni dort in der Schonung sehr ungelegen käme, dass ihr Erscheinen vielleicht alles verraten könnte.

Und so sagte er denn bittend: »Nehmen Sie mich mit, Fräulein Hanni. Ich bin zwar ein Krüppel und kann nur humpeln, aber dafür will ich Ihnen auch eine nette rührende Novelle erzählen.«

Hanni wurde verlegen. Sie sollte bis zum Dunkelwerden in der Schonung bleiben – als Aufpasserin! Sie merkte, dass sie soeben einen Fehler gemacht hatte, derart vor Hartwich zu verraten, was sie vorhabe.

Sie zögerte mit der Antwort. Hartwich war jedoch schon aufgestanden, reckte sich und meint schmunzelnd: »Oho – ich fühle mich beinahe schon wieder als Riese! Bitte – Ihren Arm, Fräulein Hanni.«

Sie gingen langsam den Gartenweg hinab zur Pforte der hohen Mauerhecke, vorbei an dem Saalanbau mit den drei vermauerten Fenstern.

Und Harst-Hartwich blieb mit einem Mal stehen, fragte und schaute zum Saal ohne Fenster hinüber.

»Weshalb hat der Anbau eigentlich vermauerte Fenster, Fräulein Hanni?«

Die blonde Hanni, groß und schlank, üppig und von tadelloser Figur, erwiderte ohne Zögern: »Der Vater züchtet dort im Dunkeln Champignons.«

»Oh – das möchte ich mir mal ansehen«, meinte Hartwich begeistert. »In meinem Schulhaus habe ich sehr weitläufige Keller, die sich vielleicht auch zur Champignonzucht eignen.«

Hanni lachte gezwungen. »Der Vater wird Ihnen die Bitte abschlagen. Er hat da eine besondere Art von Beeten angelegt, die er niemandem zeigt. Nur der Landjäger Rütter war einmal mit im Saal, aber ganz zu Anfang.«

»Na – dann nicht!«, meinte Harst darauf.

Sie gingen weiter. An der Pforte wieder ein Aufenthalt.

Hartwich sah eine Blindschleiche über den Weg huschen und behauptete, es sei eine Kreuzotter gewesen.

Er brach einen dicken Ast aus den Haselbüschen und dehnte die Schlangenjagd mindestens fünf Minuten aus, während Hanni ängstlich weiter hinten stand und zusah.

Und weiter ging es.

Kornblumen blühten im Roggenfeld am schmalen Steig.

»Ach, pflücken Sie mir doch ein paar«, bat Hartwich. »Treten Sie aber keine Halme nieder, Fräulein Hanni … Sie wissen doch, dass aus einer Roggenähre in vier Jahren ein Sack Getreide wird.«

Hanni suchte blaue Kornblumen.

Harst spähte zu der Schonung hinüber.

Seine vortrefflichen Augen entdeckten den Kollegen Schreiber, der ihm zuwinkte, zu verschwinden.

Und dieser besondere Wink besagte: »Alles erledigt!«

Hanni überreichte das Sträußchen dem Herrn Lehrer Hartwich, der sich vielmals bedankte und dann seufzend erklärte: »Ach, ich werde doch besser umkehren … Mein Bein schmerzt mit einem Mal infam …«

Wer war froher als Hanni!

Harst humpelte in den Garten zurück, und das blonde Mädel eilte weiter in die Schonung hinein, verlangsamte ihre Schritte, als sie sich der Stelle näherte, wo der Reisigberg lag.

Scheu blickte sie sich um.

Unter den Kiefern flimmerte es rot vom feurigen Sonnenuntergang.

Still war es hier … so unheimlich still.

Hanni schritt vorwärts, stand nun vor dem Reisighaufen, vor dem Grab Hortensias.

Und als sie sah, dass nichts Verdächtiges, nichts Argwohn Erweckendes sie schreckte, falteten sich ihre Hände unwillkürlich.

Andacht am Grab … Und ernste – so ernste Gedanken für eine Hanni.

Gedanken, dass sie selbst jede Nacht von einem ähnlichen Schicksal ereilt werden könnte. August Bröseke kennt ja keine Nachsicht … Nein, der erzwingt, was er will. Der ist hart wie Granit – unbarmherzig.

Hanni überlief es kalt.

Die Kiefern säuselten, feierlich war es hier, wie auf einem richtigen Kirchhof.

Noch einen Blick auf das traurige Grab, und sie ging weiter zum Nordrand der Schonung, zu dem Hügel, von dessen Kuppe sie die Felder weithin überschauen konnte.

Hier setzte sie sich nieder …

Das Sonnengold im Westen verblasste. Dämmerung kroch über das Land, Nebel stiegen aus den Torfmooren drüben auf.

Der Abend kam.

Bauern zogen von den Feldern heim, die Kartoffelhacke über der Schulter oder einen Karren vor sich herschiebend, der mit Grünfutter beladen war und auf dem ein Kind saß.

Friedliche Bilder schaute das einsame junge Mädchen.

Und ließ die Gedanken wandern – hierhin – dorthin … Zu Viktor Manz, zu dem Junggesellen Hermann Hartwich, der ihr fast noch besser gefiel als Manz.

Frau … Lehrer Hartwich …!

Da lächelte sie etwas geringschätzig.

Ach nein – eine Hanni Bröseke ist für anderes geboren, nicht für die Enge eines spießbürgerlichen Haushalts.

Dunkler wurde es – immer dunkler.

Drüben ging der Förster Riemer mit seinem Sultan auf den Anstand.

Arme Rehböcke!

Dann fuhr das Mädchen leicht zusammen.

Hinter ihr im Baumschatten stand Viktor Manz.

»Nun?«, fragte er kurz. Seit dem Vormittag war er so übler Laune – noch wortkarger als sonst.

»Alles sicher.«

»Gut, dann fange ich an.«

Und er verschwand wieder.

Hannis Gedanken begleiteten ihn. Sie sah, wie er den lockeren Sandboden mit dem Spaten zur Seite warf, wie das Loch tiefer und breiter wurde, wie der Kistendeckel erschien, wie er ihn öffnete.

Was … was wird er finden? Wird die Tote noch dort ruhen, wo sie in der verflossenen Nacht bestattet wurde?

Und Hanni ah in Gedanken, dass Manz das Loch wieder zuwarf, den Sand festtrat, ebnete und Kiefernadeln darüberstreute, dann das Strauchwerk wieder aufhäufte.

Und fuhr abermals zusammen.

»Kommen Sie, Hanni«, sagte Viktor Manz gepresst.

Sie stand auf.

Sie gingen um die Schonung herum.

»Ihr Vater hat sich überflüssigerweise gesorgt«, erklärt Manz. »Die arme Hortensia liegt mit ihrem blutigen Kopf still und friedlich in dem armseligen Sarg.«

Hanni atmet erleichtert auf.

Fragt dann: »Haben Sie sich denn so gar nicht gefürchtet, Viktor?«

Er zauderte, erwiderte ehrlich: »Schwer ist es mir geworden. Gerade weil es Hortensia ist. Arme, arme Frau.«

Als sie das Wirtshaus betraten, kam ihnen Bröseke schon entgegen. Auch er atmete auf … Und begoss die Geschichte mit Kognak …