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Die Gespenster – Dritter Teil – 50. Erzählung

Die Gespenster
Kurze Erzählungen aus dem Reich der Wahrheit von Samuel Christoph Wagener
Allen guten Schwärmern, welchen es mit dem Bekämpfen und Ablegen beunruhigender Vorurteile in Absicht des Geisterwesens ernst ist, liebevoll gewidmet von dem Erzähler Friedrich Maurer aus dem Jahr 1798
Dritter Teil

Fünfzigste Erzählung

Der Geist eines Verstorbenen zu Dreschowitz bei Prag verheiratet seine hinterlassene Tochter

Im Jahre 1794 machte ich in Gesellschaft einiger Freunde eine Lustreise nach Dreschowitz, zwei Meilen von Prag, um einige Tage auf dem Land zuzubringen. Bei unserer Ankunft im Gasthof erzählte uns der Wirt als eine Neuigkeit: Ein vor einigen Wochen verstorbener Bauer erscheine nun nächtlich seiner schönen Tochter. Diese habe aber bisher noch nicht den Mut gehabt, ihn um die Ursache seines Erscheinens zu fragen. Indessen habe sie sich ihrem Beichtvater, einem geisterbannenden Kapuziner, entdeckt, und dieser sich entschlossen, beim Anbruch der nächsten Nacht in ihrem Zimmer der Ankunft des Geistes zu harren, um ihn, wenn er erschiene, zu beschwören. Meine Neugier auf den Zusammenhang der Sache trieb mich an, den Kapuziner, der im nämlichen Gasthof wohnte, zu bitten, mich bei der Beschwörung gegenwärtig sein zu lassen. Dieser schlug es mir anfangs zwar rund ab; nachdem wir indessen einige Flaschen Oberungar geleert hatten, machte es ihm viel Vergnügen, dass ich als Träger des Weihwasserkessels, in Gemeinschaft mit ihm, das Abenteuer dieser Nacht bestehen wolle.

Da ich die Absicht hatte, den vermeinten Geist, wo möglich, zu entlarven, so zog ich ganz im Stillen nähere Nachrichten von der Art und Weise ein, wie der spukende Bauer erscheine, und erfuhr, dass er durch den Garten in das Haus und dann in die Stube des Mädchens einzudringen pflege.

Ein handfester Bedienter war von unserer Reisegesellschaft der Einzige, welcher sich mit mir auf die Untersuchung der Sache einlassen wollte, nachdem ich ihm vorher eine angemessene Belohnung dafür versprochen hatte. Er musste beim Anbruch der Nacht im Garten ein Plätzchen einnehmen, wo er zwar beobachten, aber selbst nicht bemerkt werden konnte. Übrigens befahl ich ihm, sich gut zu bewaffnen, und das Gespenst zwar frei einpassieren zu lassen, ihm aber bei der Rückkehr mutig in den Weg zu treten. Um seinem Widerstand Nachdruck zu verschaffen, gab ich ihm ein mit Schrot geladenes Pistol und versprach ihm, dem Gespenst nachzuschleichen und dasselbe in eben dem Augenblick von hinten anzugreifen, in welchem er sich ihm entgegenstellen würde. Schon um neun Uhr abends versammelten wir uns in der Stube, worin der Geist zu erscheinen pflegte, und wurden von Mutter und Tochter freundlich empfangen. Geweihte brennende Wachskerzen, Kruzifix, Rauchfass und Weihwasserkessel wurden auf den Tisch gesetzt, Brevier und Exorzismusbuch lagen in Bereitschaft, und Mutter und Tochter mussten sich ins Bett legen. Der Kapuziner hing allgemach das Messgewand um, setzte sich an den geweihten Tisch und betete. Ich, in einen weiten Mantel gehüllt, der einen guten ungarischen Pallasch und ein geladenes Pistol verbarg, stand am Fenster und betrachtete, ungeduldig harrend, den düsteren Himmel, der ein baldiges Ungewitter fürchten ließ.

Endlich ertönte der entscheidende Glockenschlag Zwölf. Mit dem letzten Schlag sprang die Gartentür auf. Leisen Trittes näherte sich etwas der Stubentür. Plötzlich trat in die Stube ein weißer Riese ein, auf dessen Rumpf ein feuriger Totenkopf funkelte. Er näherte sich mit abgemessenen Schritten dem Pater und blieb vor ihm stehen. Der ehrwürdige Herr, anstatt Brevier und Exorzismus zu benutzen, vergaß seine einstudierte Rolle, und begaffte mit stieren Augen und offenem Mund die fürchterliche Gestalt – denn fürchterlich war sie.

Der Geist schien Mitleid mit dem armen Tropf zu haben und wandte sich zu dem Bett hin, in welchem die beiden Frauen vor Angst tief unter die Decke gekrochen waren. Er versuchte eben, ihnen gewaltsam die Bettdecke zu entreißen, als sich der Pater von der ersten Betäubung erholte und Weihrauch in das Rauchfass zu streuen und den Exorzismus abzulesen anfing. Sogleich hörte der Geist auf, die Frauen zu beunruhigen und horchte aufmerksam auf die lateinischen Gebete. Höchlich erfreut über den glücklichen Erfolg seiner Beschwörung, fragte der Pater: »Alle gute Geister loben Gott, den Herrn. Was ist dein Begehren?«

Der Geist schien auf diese Frage gewartet zu haben, kehrte sich sogleich gegen die Wand und schrieb schwarz, ziemlich lesbar, in böhmischer Sprache: »Meine Tochter heirate den Christoph Winzer, den Retter meines Lebens, und lasse drei Messen für meine arme Seele lesen.« Sodann begab er sich, mit dem Zeigefinger auf die Schrift zeigend, zur Tür hinaus.

Ich folgte ihm auf den Fuß. Er nahm, ohne feurigen Kopf, den Rückzug durch den Garten. Ich eilte, den bloßen Säbel in der rechten, das Pistol in der linken Hand, ihm nach. Kaum befand ich mich im Garten, als der dort angestellte Bediente mit einem fürchterlichen »Halt! Oder ich schieße dich über den Hausen!« dem Geist den Weg versperrte. Er, der keinen Angriff vermutet haben mochte, machte auf der Stelle rechts um und wollte durch die Vordertür des Gartens entschlüpfen. Ich hielt ihm hier den blitzenden Säbel entgegen, und mein »Halt, Schurke! Wer bist Du?« brachte ihn vollends außer Fassung. Indessen hieb er, so in die Enge getrieben, noch einen Augenblick verheißungsvoll mit einer Stange um sich. Aber bald packte ihn der Bediente von rückwärts beim Hals, und im Nu lag er zu Boden gestreckt.

»Um Gotteswillen, meine Herren!«, schrie er, »schenken Sie mir nur das Leben! Ich bin Christoph Winzer, der Nachbar; kommen Sie nur gütig mit mir. Kaum zwanzig Schritte von hier ist meine Wohnung; so braven Herren kann und will ich gern alles entdecken.«

Da es eben stark regnete, so ließen wir uns diesmal die naive Einladung in eine Geisterwohnung gefallen.

Der Entlarvte begann wie folgt: »Ich rettete einst dem Vater des Mädchens, welches ich nun schon etliche Nächte beunruhigt habe, das Leben mit Gefahr meines eigenen. Er versprach mir dankbar seine Tochter dafür, denn er wusste, dass ich sie liebte, und sie auch mich wohl leiden mochte. Kurze Zeit darauf trat ich als Schreinergeselle die Wanderschaft an, von der ich vor 14 Tagen zurückkehrte. Leider fand ich den redlichen Mann tot. Die reiche Mutter glaubt, an das Wort des Verstorbenen nicht gebunden zu sein, und will mir ihre Tochter nicht geben, weil ich arm bin. Ich wollte daher ihre mir bekannte Furcht vor Gespenstern benutzen und sie durch nächtliche Erscheinungen zur Einwilligung nötigen, weil ich voraussetzen konnte, dass sie mich für den Geist ihres verstorbenen Mannes halten würde. Wahrscheinlich bin ich jetzt der Erfüllung meines Wunsches nahe, da ich heute den Zweck meiner Erscheinung – um nicht an der Sprache erkannt zu werden – an die Wand geschrieben habe. Die Mutter wird nun wohl ihren Sinn ändern, wäre es auch nur, um nicht öfter vom Geist beunruhigt zu werden. Jetzt, meine Herren, ist mein Schicksal in Ihren Händen. Wollten Sie mich wohl durch Ihre Verschwiegenheit glücklich machen?«

Wie hätten wir unter solchen Umständen der Bitte eines Gauklers nicht willfahren sollen? Wir versicherten ihn, dass er von uns nichts zu fürchten habe, und untersuchten dann seinen Anzug näher.

Er hatte in die untere Öffnung eines Totenkopfs das Ende einer Stange gesteckt, an welches eine brennende Lampe befestigt war. Dicht unter dem Totenkopfe war ein weißes Betttuch an die Stange geheftet, welches ihn, der die Stange in der Hand hielt, dann bis zur Wade bedeckte. Vor dem Eingang in den Garten hatte er seine Pantoffeln zurückgelassen, um auf den bloßen weißen Strümpfen in das Haus zu wandern.

Ich ging nun mit meinem Begleiter zum Gasthof zurück, wo sich der Pater dem Ausbruch der Freude über eine vermeintlich durch ihn gerettete arme Seele überließ.

Am folgenden Tag bestürmten alle die Witwe, den Willen des seligen Mannes zu erfüllen, damit er bald aus dem Fegefeuer erlöst werden konnte. Aberglaube besiegte den Eigennutz und der Gespenstergaukler erhielt seine Geliebte zur Frau.