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Aus den Geheimakten des Welt-Detektivs – Band 1 – 6. Kapitel

Aus den Geheimakten des Welt-Detektivs
Band 1
Das Geheimnis der jungen Witwe
6. Kapitel

In der Tigerhöhle

Ein furchtbarer Sturm durchbrauste die Straßen Londons.

Er war plötzlich vom Meer hereingekommen, dieser Sturm, und hatte die Nebel verjagt, die bis dahin volle 48 Stunden lang London in einen undurchdringlichen Schleier gehüllt hatten.

Aber hatten die Bewohner der englischen Hauptstadt vorher über den Nebel geschimpft, der sie mit einem hässlichen Ruß bedeckte, so murrten sie nun erst recht über den Sturm, bei dem man nicht einmal die Hunde auf die Straße hinausjagen mochte.

In der Tat lagen selbst diejenigen Straßen Londons, die sonst noch mitten in der Nacht ein Bild des regen Verkehres boten, ziemlich verödet da.

Nur hier und da zeigte sich ein Passant, der es aufgegeben hatte, gegen den Sturm anzukämpfen und sich von ihm treiben ließ, und der schon längst seinen Regenschirm geschlossen hatte, weil er es vorzog, sich lieber den Regen ins Gesicht schlagen zu lassen, als in Gefahr zu kommen, seinen Regenschirm sich plötzlich in einen Luftballon verwandeln zu sehen.

Die wenigen Damen«, die sich in diesem fürchterlichen Sturm noch auf der Gasse befanden, hatten genug damit zu tun, ihre flatternden Röcke zusammen zu raffen, und suchten nach Möglichkeit den Schutz der Mauern, wo sie der Wind wenigstens nur von einer Seite fassen konnte.

Ja, es war ein rechtes Hundewetter, und wohl dem, der nicht hinausmusste.

Die meisten Londoner hatten sich schon zu Bett begeben, denn es war nicht mehr weit von Mitternacht, und sogar in den Kneipen, in denen es doch sonst sehr lebendig zuging, vernahm man heute nur die Stimmen weniger Gäste.

Durch eine schmale Gasse von Whitechapel, jenem Bezirk Londons, der den Verbrechern und der Armut gehört, schritt ein hochgewachsener Mann, den der Sturm wenig zu kümmern schien.

Unter dem linken Arm hielt er einen Regenschirm, die behandschuhte Rechte bemühte sich krampfhaft, die Krempe eines Zylinders festzuhalten.

Was musste das für ein sonderbarer Mensch sein, der sich bei diesem Wetter auf die Straße gewagt hatte und noch dazu in einem Zylinder?

Allerdings war an dem Hut nicht mehr viel zu verlieren, denn wenn man sein Alter hätte schätzen sollen, wäre man im Zweifel gewesen, ob man ihm zehn oder zwanzig Jahre geben solle.

Seinen Besitzer schien dies aber durchaus nicht zu genieren. Im Gegenteil, er achtete peinlich darauf, dass sein Hut keinen Schaden nahm, dass er ihm nicht vom Kopf geweht wurde, oder dass keine der Ziegelbrocken, die von Zeit zu Zeit polternd von den Dächern herabgejagt wurden, etwa auf seine kostbare Kopfbedeckung fielen. Die übrige Kleidung des Mannes war dem Zylinder entsprechend: Ein altmodischer, eng anschließender Mantel, wie man ihn vor 25 Jahren getragen hatte, umschloss die hohe Gestalt, und wenn der einsame Spaziergänger an einer Laterne vorüber kam, so konnte mall bemerken, dass sein hageres Kinn von einem hohen Vatermörder umgeben wurde, und dass sich um diesen ebenfalls lächerlichen, altmodischen Kragen ein schwarzseidenes Halstuch wand, das so geknöpft war, wie es ungefähr Lord Byron oder der preußische Minister Stein oder der alte Kossuth getragen haben mochten. Blicken wir diesen nächtlichen, seltsamen Passanten von Whitechapel ins Gesicht, da er gerade an einer Laterne stehen bleibt, um sich über die Straßenbenennung zu orientieren, und wir werden als gute Menschenkenner sofort wissen, dass wir es sicher hier mit einem Gelehrten zu tun haben. Dass aber ein solcher Mann sich nach Whitechapel verirrte, in diesen Verbrecherstadtteil, in welchem ein einsam Gehender keine Minute seines Lebens sicher war, dass er nicht für einen Moment seine gravitätische Würde aufgab, wenn eine frech blickende Dirne ihn mit dem Ellbogen anstreifte, oder irgendeine verwahrloste Verbrechergestalt an ihm vorbei huschte – das musste die Beobachter mit Verwunderung erfüllen. Ruhig und unentwegt setzte der Mann seinen Weg fort, bog nun in die verrufene Bow Street ein und blieb vor einem Haus, das durch eine rote Laterne beleuchtet wurde, stehen.

Auf der Laterne war in Transparentschrift der Name des Gasthauses zu lesen. Es hieß die Tigerhöhle.

Aber selbst dieser entsetzliche Name, der in Whitechapel schon eine gewisse Bedeutung hätte, schien den Gelehrten nicht abzuschrecken, diesem verrufenen Lokal einen Besuch abzustatten.

Er öffnete ruhig die Tür und trat ein.

Es war ein armseliges Loch, das man mit den paar hölzernen Tischen und Bänken, einem schmutzigen Schanktisch und seinen in Lumpen gehüllten Gästen für eine Höhle halten konnte. Nicht für eine Tigerhöhle, aber jedenfalls für eine Verbrecherhöhle. Und das war dies Lokal auch.

Wenn es in Whitechapel eine Menge von Kneipen gab, in denen sich die Verworfenen der menschlichen Gesellschaft fanden und zu nächtlichen Orgien vereinigten, so war die Tigerhöhle der Versammlungsort des niedrigsten Auswurfes der Menschheit.

Es gibt Verbrecher, welche selbst von Verbrechern gemieden werden, Zuchthäusler, welche soeben aus dem Strafhaus entlassen werden, sie nicht mehr in die Reihen ihrer Kameraden zurückziehen dürfen, weil die Verbrechen, welche sie begangen haben, so ungeheuerlicher Natur oder Unnatur gewesen sind, dass sie jedermann mit Entsetzen erfüllen.

Die Elenden, die nun in der Tigerhöhle an ein paar hölzernen Tischen zusammen saßen, waren alles heruntergekommene, ausgemergelte, abgemagerte Gestalten, in von Schmutz starrende Lumpen gehüllt. Mit ihren Gesichtern, von denen die einen pockennarbig, die anderen durch Trunk verwüstet, die dritten von elenden schweren Krankheiten entstellt waren, glichen sie mehr den Nachtgespenstern des Lebens als wirklichen Menschen.

Sie alle mussten eine grauenhafte Vergangenheit hinter sich haben.

Hinter dem Schanktisch stand der Wirt der Tigerhöhle.

Ihm verdankte vielleicht sein Lokal den Namen, denn dieser lange, hagere, sehnige Mann mit dem rotgefleckten, blonden Haar, den Sommersprossen, die sein fahlgelbes Gesicht bedeckten, und dem vorgeschobenen Kinn erinnerte in der Tat an einen Tiger.

Alle Blicke richteten sich nun auf den eintretenden Gast, und die Männer an den Tischen wurden unruhig und blickten einander argwöhnisch an.

Der Mann mit dem Regenschirm und Zylinderhut aber schritt höflichst grüßend auf den Wirt zu und flüsterte mit ihm einige Minuten lang. Dann öffnete der Wirt eine hölzerne Tür und ließ den seltsamen Gast in eine kleine, spärlich beleuchtete Kammer eintreten.

»Warten Sie hier,« sagten der Wirt rau, »kann ich Ihnen sonst mit etwas dienen?«

Ohne seinen Regenschirm nur einen Moment loszulassen, zog der Gast seine Brieftasche hervor und händigte dem Wirt ein Goldstück ein.

»Bringen Sie mir für dieses Geld eine Flasche Wein, und nicht wahr – Sie schicken mir den Betreffenden?«

»In einer halben Minute wird er hier sein«, antwortete der Wirt, der mit dem Gast in die Kammer eingetreten war, mit gedämpfter Stimme. »Aber hüten Sie sich – der Bursche ist rabiat. Ich habe schon genug Scherereien mit der Polizei und möchte nicht, dass in meinem Haus ein Mord geschieht.«

»Ich bitte, ganz unbesorgt zu sein«, antwortete der Mann in dem Zylinder mit vollkommen ruhiger Stimme, »ich wüsste keinen Grund, weshalb der Herr mir ein Leid antun sollte.«

»Ein Verrückter!«, murmelte der Tigerwirt leise vor sich hin, während er wieder ins Gastzimmer zurückkehrte.

In diesem Augenblick sprangen fast alle Gäste von ihren Sesseln auf, eilten vor den Schanktisch, und wild durcheinander klangen die an den Wirt gerichteten Fragen.

»Wer ist es? Ein Detektiv? Ist er etwa ein Spion der Polizei? Tigerwirt, du wirst doch nicht einen von uns ans Messer liefern wollen?«

»Unsinn!«, antwortete der Wirt hastig, »setzt euch ruhig nieder, trinkt nur weiter – es ist einer, der ein Geschäft mit einem von euch machen will. Du bist es, Barneby Crane, den der Mann sucht!«

»Ich?«

Der Mann, der dieses Ich halb erschreckt, halb erfreut hervorstieß, war ungewöhnlich groß gewachsen.

Er musste einst ein Riese an Kraft gewesen sein, denn noch zeichneten sich unter seiner geflickten und beschmutzten, dunkelgrünen Jacke, respektable Muskeln ab.

Aber das Gesicht, das voll einem grauen Bart umgeben war, trug jene gespenstige, fahle Blässe, die nur die dumpfe Luft eines Zuchthauses einem menschlichen Antlitz verleiht.

Und der scheue, stechende Blick, der sich unter den schmalen, dunklen Augenbrauen hervorstahl, war in der Tat der eines Zuchthäuslers, der niemals weiß, wie er mit den Menschen, die ihm begegnen, daran ist.

»Kommt mit hinein«, sagte der Tigerwirt leise zu Crane, »ich glaube, du wirst heute Geld verdienen, aber hüte dich, Bursche, dem Mann zu nahe zu kommen. Wenn du es aber tun willst – wenigstens nicht in meinem Haus!«

Der Wirt hatte indessen eine mit Spinnweben behaftete Flasche aus seinem Regal hervorgezogen, zwei Gläser ergriffen und schritt Crane voran durch die Brettertür, in die Kammer hinein.

Er stellte die Flasche und die Gläser vor den seltsamen Gast auf den Tisch nieder, dann deutete er auf Crane, welcher ruhig an der Tür stehen geblieben war, und sagte: »Da ist der Mann!«

»Meinen ergebensten Dank«, antwortete der Gelehrte, indem er an seinen Brillengläsern rückte. »Nun aber haben Sie die Güte und lassen Sie mich mit dem Herrn allein. Setzt Euch mir gegenüber, lieber Freund«, wandte sich der Gelehrte an den unheimlichen Gast der Tigerhöhle, »nicht wahr, Ihr seid Barneby Crane?«

»Woher kennt Ihr denn meinen Ramen?«, fragte der Verbrecher leise.

»Man hat ihn mir im Zuchthaus genannt. Nicht wahr, Ihr seid erst vor vier Wochen aus Newgate entlassen?

Dort habt Ihr sechs Jahre zugebracht. Ist es nicht so, mein Freund?«

»Zum Teufel will ich fahren, wenn ich Euch nicht sämtliche Zähne in den Hals hineinschlage, sofern Ihr mich nochmals daran erinnert!«, stieß Barneby Crane hervor und stürzte auf den Gelehrten zu.

Seine Hände streckten sich krallenartig aus, als wollte er den Hals des Mannes umfassen und zusammenpressen. Aber der Mann mit dem Zylinder, den er nicht vom Kopf heruntergenommen hatte, saß ganz ruhig da, fasste mit beiden Händen nur den Schirm, den er über die Knie gelegt hatte, ein wenig fester.

Seine Blicke begegneten ruhig und fest mit durchdringender Schärfe denen des Verbrechers, und dieser blickte verlegen zur Seite.

»Ihr habt es durchaus nicht nötig, Barneby«, fuhr der Gelehrte mit sanfter Stimme fort, »Euch über diese Angelegenheit aufzuregen, umso weniger, als ich zu Euch gekommen bin, um Euch ein Geschäft vorzuschlagen, das – wie soll ich sagen – mit Eurer Anwesenheit in Newgate ein wenig zusammenhängt. Aber setzt Euch, mein Freund, setzt Euch mir gegenüber und gestattet, dass ich Euch ein Glas Wein einschenke. Hoffentlich hat mir der Wirt vom Besten gegeben!«

Das alles war in so ruhigem Ton gesprochen, dass Barneby seine Wut und seinen Argwohn nach und nach verlor.

Er ließ sich in einen Sessel dem Fremden gegenüber fallen und stürzte gierig das erste Glas Wein hinunter, das dieser ihm einschenkte.

»Gestattet, dass ich Euch ebenfalls meinen Namen nenne«, fuhr der Fremde fort. »Dr. Guliver Perkins. Das ist mein Name, ich bin Arzt und habe mich stark in medizinische Forschungen versenkt. Mein Hauptgebiet ist die Chirurgie und ganz besonders die Kenntnis des Herzens. Ihr werdet vielleicht wissen, mein Freund, obwohl Ihr natürlich nicht auf medizinischem Gebiet bewandert seid, dass eigentlich eine Herzoperation noch nicht vorgenommen wird. Man darf dieser Zentralkraft unseres Körpers, die ganz aus Muskeln besteht, mit dem Messer nicht zu nahekommen; ich aber habe einen Weg gefunden, die Operation auch an dem Herzen zu vollziehen.«

Das alles brachte der Gelehrte mit großer Geläufigkeit und Ruhe hervor, während Barneby Crane ihn anstarrte, als höre er von böhmischen Dörfern.

»Was soll mir denn das alles?«, stieß er endlich ungeduldig hervor.

»Das werdet Ihr sogleich hören, mein Freund«, entgegnete Dr. Guliver, »Ihr begreift wohl, dass ich für meine Studien menschliche Körper brauche, mit einem Wort – Ihr sollt mir eine Leiche beschaffen.«

Barneby sprang auf, streckte abwehrend die Hand aus und rief mit heiserem Lachen: »Ha, bildet Ihr Euch denn ein, dass ich Lust habe, ins Zuchthaus zu wandern? Wenn es noch ein halbes Jahr länger in Newgate gedauert hätte, wäre ich ein toter Mann gewesen! Nein, Sir, und wenn Ihr mir hundert Pfund auf den Tisch legt – ich lasse mich nicht auf den Handel ein.«

»Das habe ich erwartet«, sagte Dr. Perkins ruhig, »doch wollt Ihr nicht wieder Platz nehmen? Noch ein Gläschen gefällig? Der Wein könnte besser sein; findet Ihr nicht auch? Nun, was ich noch sagen wollte: Ich habe gehört, dass es hier in London einen Mann gibt, der mit Leichen handelt. Nein, fahrt nicht auf, bleibt sitzen! Ihr könnt Euch zehn Pfund verdienen, ohne dafür, wie man zu sagen pflegt, die Hand in kaltes Wasser zu tauchen, wenn Ihr mir Auskunft gebt. Sagt: Gibt es nicht einen solchen Mann, der sich mit dem Leichenhandel befasst?«

»Zehn Pfund, sagt er«, presste Barneby schwer atmend hervor, »und ohne dass ich ein Grab öffne. Nun ja – es gibt einen solchen Mann.«

»Was für Leichen führt er?«

»Aller Art«, gab Barneby zur Antwort, »aber Ihr müsst nicht denken, dass alle aus Gräbern herstammen, das sind nur die wenigsten.«

»Aber Ihr habt selbst mit dem Mann in Verbindung gestanden? Braucht es nicht zu leugnen. Die Strafe dafür habt Ihr schon abgebüßt, und dann – sehe ich denn aus wie ein Detektiv? Ich bin ein stiller Gelehrter und zufrieden, wenn ich meinen Zweck erreiche und mir für meine wissenschaftlichen Forschungen eine Leiche gesichert habe.«

»Habe in Verbindung gestanden«, brummte der Einbrecher in seinen Stoppelbart hinein, »aber der Mann kauft am liebsten Leichen, die frisch aus der Themse gezogen wurden.«

»Dann werden sie wohl mitunter zu dem Zweck erst hineingeworfen? Die Lebenden nämlich …«

»Es gibt auch Leichenmacher«, versetzte Barneby, »das sagt Euch jedes Kind in Whitechapel. Das ist kein Geheimnis, das ich Euch anvertraue, die Sandsackmänner beschäftigen sich damit, Leichen zu machen. Sie schlagen mit ihren Sandsäcken den Passanten den Schädel ein, aber nur sanft, damit keine Wunde entsteht, sondern nur so, dass ihr Opfer bewusstlos wird.

Dann halten sie es so lange unter Wasser, bis es ertrinkt, und dann verkaufen sie die Leiche, nachdem sie vorher die Taschen revidiert haben! Aber Herr, ich schwöre Ihnen: Niemals war ich unter den Sandsackmännern, niemals habe ich mich mit so einem Geschäft befasst!«

»Ich weiß es«, sagte Dr. Perkins, »Ihr habt die Gräber geöffnet und die Särge aufgebrochen. Das ist jedenfalls nicht halb so schlimm.«

»Nicht wahr, Sir? Nicht wahr, Ihr gebt mir noch ein Glas Wein?«

»Mit dem größten Vergnügen«, antwortete der Gelehrte, der selbst keinen Tropfen getrunken hatte.

»Lasst es Euch nur schmecken – auf Euer Wohl, mein Freund.«

»Danke – Ihr scheint ein sehr liebenswürdiger Herr zu sein.«

»Sehr verbunden für das Kompliment, aber kehren wir zu unserem Thema zurück.«

»Also eine Wasserleiche kauft der Händler am liebsten?«

»Es braucht nicht gerade eine Wasserleiche zu sein«, versetzte Barneby, »aber frisch muss sie noch sein. Sie kann auch erfroren sein im Winter, oder verunglückt, oder – es gibt arme Leute genug, welche ihre verstorbenen Angehörigen zu dem Händler bringen.«

»Teufel, das habe ich noch nicht gewusst! Ihr glaubt, es gibt arme Familien, welche ihre Toten, anstatt zu begraben, verkaufen?«

»Je nun, was wollen sie denn tun?«, versetzte Barneby, »ein Begräbnis ist zu teuer, und wenn man den Toten verscharrt, hat kein Mensch etwas davon. Der Händler aber zahlt für so eine Leiche fünf Pfund, für den Erwachsenen nämlich, Kinder sind billiger, und dann hat die ganze Familie für eine Woche zu fressen und zu saufen. Es ist ganz recht kalkuliert, ich sage – ganz recht!«

Dr. Guliver Perkins äußerte sich nicht über die Gerechtigkeit dieser Sache. Er schwieg einen Moment, dann sagte er: »Nun, Freund, seid Ihr gewillt, mich heute Nacht zu dem Händler zu führen? Zehn Pfund dafür, wenn Ihr mich zu seiner Wohnung bringt.«

Ein kurzer Kampf vollzog sich in der Brust Barnebys, aber die zehn Pfund waren zu verlockend. Sie waren es umso mehr, als der Fremde sogleich eine Zwei-Pfund-Note auf den Tisch legte und, auf dieselbe deutend, sagte: »Da habt Ihr Angeld – wenn Ihr wollt, natürlich.«

»Ich glaube nicht, dass ich dafür ins Zuchthaus wandern kann«, murmelte Barneby mit zuckenden Lippen vor sich hin, während seine glühenden Augen die Zwei-Pfund-Note betrachteten. »Es ist kein Verbrechen!«

»Gewiss nicht, und deshalb sollt Ihr nicht zögern, meinen Wunsch zu erfüllen, denn, mein Freund, wenn Ihr es nicht tut, wird es ein anderer für Euch tut, darauf verlasst Euch.«

»Ich tue es!«, rief Barneby und stürzte sich wie ein wildes Tier auf die Banknote.

»Ich tue es, Sir, gleich auf der Stelle können wir gehen!«

»Abgemacht«, sagte Dr. Guliver Perkins, indem er sich erhob, »und nun, mein Freund, wie heißt denn der Mann, der mit den Leichen handelt?«

Barneby warf einen Blick zur Tür und überzeugte sich, dass dieselbe geschlossen sei, dann flüsterte er dem gelehrten Doktor vertraulich zu:

»Er heißt – Simon Rudge!«

»In welcher Straße wohnt er?«

»In keiner Straße.«

»Unmöglich, der Mann muss doch eine Wohnung haben!«

»Hat er, aber – Ihr werdet schon sehen. Kommt nur, jetzt ist es die beste Zeit, Simon Rudge zu sprechen. Lasst Euch nicht von ihm prellen – das sage ich Euch, er hat stets frische Ware auf dem Lager, das Beste, was man in diesem Artikel bekommen kann, und Ihr seid nicht der einzige Arzt, der sein Kunde ist. Simon Rudge bedient sie alle in London, alle, die an den Leichen etwas lernen wollen, und dann auch noch andere Leute, aber auf solche Leichen reflektiert Ihr nicht?«

»Von was für Leichen sprecht Ihr denn?«, fragte Guliver in gedämpftem Ton.

»Von – Jungfrauenleichen«, antwortete Barneby flüsternd dem Doktor ins Ohr.

»Gehen wir«, stieß nun Dr. Perkins hastig hervor, ,,wir haben keine Zeit zu verlieren. Führt mich zu Simon Rudge!«

»Geht voraus auf die Straße«, erwiderte Barneby, »die anderen brauchen nicht zu wissen, dass wir uns zusammen entfernen. Ich werde Euch nicht zu lange warten lassen, ich bin schnell wieder bei Euch.«

»Ihr kommt bestimmt?«

»Bestimmt!«

Der Gelehrte knöpfte seinen Mantel zu, stülpte seinen Zylinder auf und nahm sorgsam seinen Regenschirm unter den Arm.

Dann schritt er langsam durch das Gastzimmer und kümmerte sich wenig um die neugierigen Blicke der Verbrecher, welche die Köpfe zusammensteckten und offenbar von ihm flüsterten.