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Nick Carter – Band 12- Eine gestörte Hochzeit – Kapitel 7

Nick Carter
Amerikas größter Detektiv
Eine gestörte Hochzeit
Ein Detektivroman

Der weibliche Boxer

Nachdem das Gefährt, in dem die Dame saß, die 42nd Street hinauf zur 5th Avenue gerollt war, hielt es plötzlich an.

Ein junger Mann trat aus dem Schatten eines Torweges und stieg ein.

Patsys Wagen hielt sich in diskreter Entfernung hinter dem ersten, und der Detektiv glaubte zu bemerken, dass der Mann derselbe war, den er vorher mit der Dame gesehen hatte, als sie den Perückenwechsel vornahm.

Der Cab nahm nun ein langsameres Tempo an, die 5th Avenue hinauffahrend. Endlich hielt er, die beiden stiegen aus und setzten ihren Weg zu Fuß fort.

Auch Patsy stieg aus. Als die zwei um die Ecke verschwanden, beschleunigte er seine Schritte, und Chick folgte in kurzer Entfernung ebenso schnell.

Als Patsy die Ecke erreichte, was das Paar nirgends zu sehen. Er dachte, wären sie in ein Haus eingetreten, müsste es dicht an der Straße liegen. Wenn sie das getan hatten, konnten sie nicht die Zeit gehabt haben, die Tür zu passieren und mussten noch im Vestibül sein.

Er stürmte hastig die Straße hinunter in der Hoffnung, die Verfolgten zu entdecken.

Gerade als Chick die Ecke erreichte, bemerkte Patsy zwei Personen, welche er als die Gesuchten erkannte.

Der junge Gentleman drehte sich scharf um und schrie wütend: »Warum verfolgen Sie uns?«

Obwohl dieser Ausfall etwas unerwartet kam, war Patsy nicht unvorbereitet. Er setzte sich in Bereitschaft, den Schlag zu parieren, zu welchem sein Gegner ausholte.

Inzwischen war die junge Dame ein stiller, untätiger Zeuge. Nachdem die ersten Augenblicke der Überraschung für Patsy vorüber waren, änderte er seine Taktik und ging zum Angriff über.

Er hatte den jungen Mann beinahe überwältigt, als die Dame auf ihn zukam und ihm einen schmerzhaften Schlag ins Gesicht versetzte.

»Hallo«, meinte Patsy ganz erstaunt. »Ich habe schon immer von den weiblichen Athleten in den besseren Gesellschaftskreisen gehört, aber das ist die Erste, der ich begegnete.«

Patsy wusste kaum, wie er sich ihrer erwehren sollte. Während er sich mit dem jungen Mann herumschlug, hatte er eine ganze Anzahl Schläge der jungen Dame abzuwehren, und obwohl ihm Gelegenheit gegeben war, ihr Gesicht empfindlich zu treffen, versuchte er es nicht einmal. Er konnte es nicht fertigbringen, eine Frau zu schlagen, wie sehr sie ihm auch zusetzte.

Inzwischen war Chick die andere Seite der Straße heraufgekommen, und als er den eigentümlichen Kampf sah, musste er unwillkürlich lachen. Sein scharfes Auge hatte sofort bemerkt, dass Patsy sich in einer wenig beneidenswerten Situation befand. Dieser versetzte nun dem jungen Mann, um den Kampf zu Ende zu bringen, einen heftigen Schlag, dass jener zu Boden stürzte, ging dann auf die Dame zu, hielt ihr beide Hände fest und sagte trocken: »Es ist nun bald Zeit, dass Sie aufhören.«

Seine Gegnerin versuchte, sich zu befreien, merkte aber, dass sie wie ein schwaches Kind war gegenüber dem kräftigen und geübten jungen Detektiv. Es schien, als ob sie sich noch mehr über ihre Hilflosigkeit ärgerte als vorher über Patsy selbst.

»Lassen Sie mich los«, rief sie heftig. »Ich befehle es Ihnen.«

Patsy lachte ihr lustig ins Gesicht, und da er ihr gezeigt hatte, wie hilflos sie ihm gegenüber war, ließ er ihre Hände los und sagte ironisch: »Sie können gut zuschlagen, meine Dame, solange niemand Ihre Streiche erwidert. Nun versuchen Sie es bitte nicht noch einmal.«

Sie konnte vor Ärger nicht sprechen.

Plötzlich ging sie zu dem jungen Mann, welcher noch dalag, wie er gefallen war, und stieß hervor: »Steh auf, du Feigling. Wie kannst du mich hier so beleidigen lassen?«

Der junge Mann gab aber keine Antwort.

»Ich werde ihm doch ein wenig zu sehr zugesetzt haben«, meinte Patsy gutmütig.

Mit diesen Worten beugte er sich über seinen Gegner, welcher bewusstlos dalag. Nachdem er vergebens versucht hatte, ihn aufzurichten, sagte er zu der Dame: »Ich habe ihn stärker geschlagen, als ich beabsichtigte, oder ist er beim Fallen mit dem Kopf aufgeschlagen? Ich denke, wir schaffen ihn zur Apotheke, welche sich in der Nähe befindet.«

Die junge Dame vergaß ihren Zorn und beugte sich über den Niedergeschlagenen. Nachdem sie seinen Puls gefühlt hatte, rief sie erschreckt aus: »Sie haben ihn getötet!« Aber im nächsten Augenblick beugte sie sich von Neuem über ihn und sagte erfreut: »Nein, er kommt wieder zu sich.«

Sie rieb ihm Stirn und Hände.

»Wer ist es?«, fragte Patsy.

»Mein Bruder«, war die heftige Antwort.

Nach einiger Zeit war der junge Mann imstande aufzustehen.

»Sie haben uns genug belästigt, machen Sie, dass Sie fortkommen«, sagte die Dame erregt.

Patsy wollte ihr ritterlich helfen, den jungen Mann nach Hause zu bringen, sie aber sah Patsy zornig an und äußerte: »Sie werden mich nicht nach Hause gehen sehen heute Nacht, und wenn Sie nicht gehen, so bleibe ich hier. Ich weiß, Sie sind einer von Carters Leuten, gehen Sie. Heute Nacht erfahren Sie nichts mehr über mich.«

Sich umblickend, gewahrte Patsy zu seiner Befriedigung Chick auf der anderen Seite der Straße. Da er wusste, dass Chick den beiden folgen würde, hielt er es für das Beste, zu gehen.

»Wenn Sie es so wollen, dann gehe ich«, sagte er.

Als der junge Detektiv die Ecke erreichte, drehte er sich noch einmal um und sah, dass die beiden warteten.

Nachdem Patsy außer Sicht war, stürmten sie beide die Straße hinunter, ungefähr bis in die Mitte einer Häusergruppe, wo sie die Stufen zu einem vornehmen, großen Hause emporstiegen und hinter der Tür verschwanden.

Wenn sie dachten, dass sie unentdeckt geblieben wären, so irrten sie sich jedoch gewaltig, denn Chick hatte alles von seinem Platz aus gesehen und sich sorgfältig das Haus gemerkt, in das die beiden eingetreten waren.

Er ging nun vollends die Straße herauf und erstieg die Treppen, um nach der Hausnummer zu sehen. Dann bemerkte er noch ein Türschild und las beim Licht eines Zündholzes den Namen Rainforth.

Er wusste nun genug und ging wieder zurück, um mit Patsy zusammenzutreffen.

Als er den jungen Detektiv sah, fing er an zu lachen: »Du hast heute eine neue Art von Boxen kennen gelernt, Patsy!«

»Das stimmt«, antwortete dieser, ebenfalls lachend. »Und zuschlagen konnte sie, beinahe noch besser als dieser Bursche, den sie ihren Bruder nannte.«

»Ihren Bruder?«, fragte Chick erstaunt.

»Sie sagte es wenigstens.«

»Vielleicht ist es so«, gab Chick zu. »Aber eigentlich fahren Bruder und Schwester um diese Zeit nicht zusammen spazieren.«

»Das weiß ich ja nicht. Jedenfalls sind sie das merkwürdigste Geschwisterpaar, welches ich jemals angetroffen habe. Sage mir, Chick, ist es jetzt Mode, dass die Damen boxen?«

»Das habe ich allerdings gehört«, sagte sein Kollege.

»Ich glaube es auch, denn die Kleine scheint mir darin nicht unerfahren zu sein«, gab Patsy zurück.

»Ich habe den Namen auf dem Türschild gelesen, er lautete Rainforth

»Dann weißt du also das Haus, in welches sie gingen?«, fragte Patsy begierig.

»Ja, und auch die Nummer«, antwortete Chick. »Wir müssen zu erfahren versuchen, was für Leute in dem Haus wohnen.«

»Dazu ist wenig Aussicht vorhanden heute Nacht, oder vielmehr heute früh«, meinte Patsy. »Das ist eine Arbeit für morgen.«

Patsy hatte das kaum ausgesprochen, als ein Schutzmann auf sie zukam und misstrauisch fragte: »Was haben Sie hier zu suchen?«

Anstatt darauf zu antworten, sagte Chick trocken: »Gehört die 68th Street zu Ihrem Bezirk? Kennen Sie alle Familien, welche dort wohnen?«

»Die meisten von ihnen.«

»Ist Ihnen eine Familie mit Namen Rainforth bekannt?«

»Gewiss. Aber was wollen Sie mit Ihren Fragen bezwecken?«

»Wir sind zwei von Nick Carters Beamten«, sagte Chick.

Hierauf wechselte der Schutzmann mit erstaunlicher Schnelligkeit sein Benehmen, indem er statt des misstrauischen einen vertraulichen Ton anschlug.

»Freilich kenne ich die Familie Rainforth. Colonel Rainforth lebt von seinem Geld und ist ein ziemlich alter Herr.«

»Wer wohnt noch mit ihm im Hause?«

»Ein Sohn und eine Tochter.« Der Beamte begann zu lachen und sagte schließlich: »Ein komisches Paar, diese beiden. Bis spät in die Nacht treiben sie sich draußen herum. Ich weiß nicht, wie viele Male ich sie erst in der zweiten oder dritten Morgenstunde in das Haus habe gehen sehen.«

»Jedenfalls von Bällen und Gesellschaften heimkehrend«, fiel Chick ein.

»Ach, das glaube ich nicht. Die werden bloß draußen herumstreichen. Die Schwester scheint ein richtiges Mannweib zu sein, eine von der modernen Sorte. Sie rudert, sie besucht ein Ertüchtigungszentrum, und ich weiß es sicher, dass sie auch Unterricht im Boxen nimmt. Die Leute sagen, dass sie ihre Fäuste zu gebrauchen weiß.«

»Wie steht es mit ihrem Ruf?«, meinte Chick.

»Well, Nachteiliges habe ich gerade nicht über sie vernommen«, erwiderte der Policeman. »Sie ist eben ein wenig emanzipiert, das ist alles!«

Die zwei Detektive standen noch dort, als der junge Herr Sanborn plötzlich die Straße heraufkam.

Chick rief ihn an: »Herr Sanborn, wollen Sie nicht einen Augenblick warten?«

Der junge Mann hielt inne, und als er bemerkte, wer ihn anrief, sagte er lachend: »Ist es nicht ein bisschen spät für eine Unterhaltung?«

»Vielleicht«, entgegnete Chick, »aber wir möchten von Ihnen eine kleine Auskunft haben.«

»So«, sagte Sanborn, »wenn es eine Sache von Wichtigkeit betrifft, werde ich sie Ihnen geben, ohne erst zu fragen warum.«

»Wollen Sie uns bitte sagen, ob sie eine Familie Rainforth kennen?«, fragte Chick.

»Jawohl«, lautete die Antwort. »Sie wohnen hier in der Nähe, in der 68th Street.«

»Oberst Rainforth, ein reicher Witwer, mit einem Sohn und einer Tochter?«

»Das stimmt alles!«

»Können Sie uns vielleicht etwas über die Tochter sagen?«

»Ich kenne sie sehr gut und seit vielen Jahren«, erwiderte der junge Sanborn lebhaft.

»Ist sie nicht ein wenig wunderlich?«

»Nicht, dass ich wüsste. Aber das, was sie tut, trägt den Stempel des Seltsamen. Sie treibt Sachen, an die sich mancher junge Mann nicht wagt. Sie reitet, hat Fechten gelernt, fährt Rad, schießt, studiert und boxt. Kurz, sie betreibt jeden Sport.« Plötzlich wandte er sich zu Chick und sagte hastig: »Ich wollte Ihnen überhaupt noch etwas mitteilen, worauf ich mich, als Sie mich fragten, nicht besinnen konnte. Vor einem Jahr oder länger stand Julia Rainforth in sehr enger Verbindung mit Ellison. Sie liebte ihn so, dass sie ihm überall nachlief und sich ihm buchstäblich in den Weg stellte, sodass die Leute schon darüber sprachen. Aber nun ist es ja vorbei, seit Ellison sich mit meiner Cousine verlobte.«

»Sind Sie dessen ganz sicher?«, fragte Chick interessiert.

»Es ist kein Zweifel«, sagte der junge Mann bestimmt.

Chick hatte weiter nichts zu fragen, und bald ging Sanborn seines Weges.

Sich zu Patsy wendend, meinte nun Chick: »Heute haben wir unserem Meister viel zu berichten.«

Dann gingen die beiden in der Richtung zu ihrer Wohnung von dannen.