Deutsche Märchen und Sagen 173
Johannes Wilhelm Wolf
Deutsche Märchen und Sagen
Leipzig, F. A. Brockhaus, 1845
228. Geist verfolgt
In Konstanz wohnte ein Buchdrucker und in dessen Haus war es nicht geheuer. Zu einer Zeit hörte man in einer Ecke der Druckerei wie schwere Seufzer. Die Druckergesellen lachten darüber, aber nicht für lange, denn es blieb bald nicht mehr bei dem Seufzen. Sie hörten wiederholt starke Schläge an die Mauer jener Ecke. Gesellen und Lehrburschen erhielten Ohrfeigen von unsichtbarer Hand und ihre Mützen und Hüte wurden zur Erde geworfen. Der Herr des Hauses ging endlich zu den Kapuzinern und die kamen und beschworen den Geist, der auch drei Tage lang sich ruhig verhielt. Am vierten begann er aber sein Treiben noch ärger denn früher, er warf selbst die Lettern aus den Setzkästen und wider die Fenster. Da ließ der Hausherr von fern her einen berühmten Geisterbanner kommen und der setzte seine Beschwörungen während acht Tagen fort. Der Geist kehrte sich aber wenig daran, sondern gab in der Zeit selbst einem Lehrjungen einen Schlag ans Ohr und schmiss die Lettern umher. Der Banner sah ein, dass all seine Bemühungen vergeblich waren, und ging weg. Nun ließ der Geist es nicht mehr bei den Ohrfeigen, er warf mit Steinen und anderem Unrat und machte es so arg, dass die Arbeiter die Ecke der Werkstube ganz verließen und all ihr Gerät in die Mitte des Zimmers brachten; doch hatten sie da nicht viel mehr Ruhe. Man ließ noch viel andere Beschwörer kommen, deren einer selbst ein Partikel vom heiligen Kreuz mitbrachte und auf den Tisch legte, aber trotzdem ging der Geist in seinem Unwesen fort und schlug einen Bruder Kapuziner, der den Banner begleitete, so an die Ohren, dass beide flüchten mussten.
Endlich aber kam einer, der seine Sache besser verstand. Der ließ sich nämlich einen Eimer mit Wasser füllen, segnete das und sprengte es durch die Kammer, mengte darauf eine Menge Asche und Sand und streute dies überall auf den Boden, nachdem es ebenfalls vorher gesegnet war. Dann musste jeder der Anwesenden einen Degen nehmen und damit in der Luft umherfahren, rechts und links, durch das ganze Zimmer. Bald bemerkte man, dass der Geist oben auf den Ofen geklettert war, denn man sah auf den Ecken des Ofens Spuren seiner Hände und Füße im Sand. Man vertrieb ihn von da und er kroch unter den Tisch. Doch während dieser Verfolgung hatte sich ein so großer Staub erhoben, dass man kaum Atem schöpfen konnte; darum ließ man für den Augenblick davon ab. Der Hauptbanner hatte zufällig in der verdächtigen Ecke eine Diele weggerissen und fand in einem Mauerloch hinter derselben ein altes, schmutziges Läppchen mit mehreren Federn, drei Knöchlein mit einer Nadel, auch einige Stücklein Glas. Er ließ ein Feuer anzünden, segnete dasselbe und befahl all das hineinzuwerfen. Kaum war er aber in sein Kloster zurückgekehrt, als einer von den Druckerjungen gelaufen kam und ihm berichtete, die Nadel sei dreimal aus dem Feuer gesprungen, ein Geselle habe sie mit einer Zange jedes Mal wieder hineingeworfen, darüber aber harte Schläge auf die Backen bekommen. Man brachte dieselbe nebst den Knöchlein, welche auch nicht verbrannt waren, zum Kloster der Kapuziner. Der Junge, welcher sie trug, sah auf dem großen Markt eine nackte Frau und man hörte denselben Tag und die folgenden ein großes Jammern und Stöhnen auf dem Markt. Die Kapuziner hatten aber alles wohl verbrannt.
Mehrere Tage lang war es ruhig in der Druckerei, dann aber wurde es ärger denn je. Der Geist ohrfeigte, warf mit Steinen und gar nach dem Hausherrn, der eine gefährliche Kopfwunde davontrug. Zwei Lehrlinge, die zusammen schliefen, wurden aus dem Bett geworfen, zwei andere von einer Leiter gestürzt. Es kam so weit, dass bei Nacht kein Mensch in dem Haus bleiben wollte.