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Die wundersamen Märlein vom Berggeist Rübezahl – 11. Kapitel

Heinrich Döring
Die wundersamen Märlein vom Berggeist Rübezahl
Verlag C. F. Schmidt, Leipzig, ca. 1840

Elftes Kapitel

Wie der armen Bauersfrau großes Leidwesen sich wieder in Freude und Lust verwandelt

»Sollte ich den Korb zu fest gepackt haben?«, sprach die Frau verwundert zu sich, als die Last mit jedem Schritt, den sie vorwärts tat, immer schwerer wurde, dass sie fast zu Boden sank. »Sollte der Berggeist, von dessen Schelmereien man sich so mancherlei erzählt, mir etwa ein Paar Steine hineingeworfen haben?« Aber nichts als dürres Laub fand sie, als sie den Korb emsig durchsuchte. Da nahm sie ihn wieder auf den Rücken, und niedergebeugt von der noch immer fortdauernden Schwere, dankte sie Gott, als sie endlich ihr Häuslein erreichte.

Als sie nun den Säugling in die Wiege gelegt und mit ihren Kindern sich herzlich erquickt hatte an einem kargen Mittagsmahl, ging sie in den Stall, wo sie gleich bei ihrer Heimkehr einer munteren Ziege und drei Zicklein das gesammelte Laub hinschüttete. Da sah sie mit namenlosem Schrecken, wie die Ziege nebst zwei Zicklein starr und leblos dalagen, und wie das dritte Zicklein sich herumwälzte in furchtbaren Zuckungen. Ihre letzte Habe, ihr ganzer Reichtum war vernichtet und sie brach in ein Jammergeschrei aus, dass es einen Stein hätte erbarmen mögen.

»O meine guten Tierchen! O ich armes unglückliches Weib! Nun sind wir ganz zu Grunde gerichtet, ich und mein guter Mann! Was wird er sagen, wenn er heimkehrt! Wie wird er mich schlagen, denn glau­ben wird er, dass ich die Ziege und die Zicklein vernachlässigte und dass sie so ihren Tod gefunden haben. O, dass ich selbst stürbe! Was soll ich noch ferner in diesem Jammertal, da das Schicksal mir alles ge­raubt hat!« Als sie nun so trostlos jammerte, da dachte sie ihrer Kinder, die noch frisch und gesund waren, schämte sich ihres Kleinmuts und flehte herzinniglich zu Gott, dass er ihr ihre Lästerung verzeihen möchte, bei dem großen Leid, das sie betroffen habe.

Sie war zu Boden gesunken vor Schmerz, und als sie wieder aufstand, glänzte ihr etwas entgegen aus dem Laub. Kaum traute sie ihren Augen, als sie einen blanken Dukaten erblickte, und zugleich sah, dass die Krippe mit ähnlichen Goldstücken angefüllt war. »Rübezahl!«, rief sie und Freudentränen rollten über ihre bleichen Wangen. Nun erklärte sie sich ihrer lieben Ziegen unbegreiflichen Tod, und viele tausend Dukaten fand sie in dem Bauch und dem Magen der Tiere, als sie schnell ins Haus rannte, um ein Messer zu holen. In ihrem Freudentaumel hatte sie gar nicht an ihren Mann gedacht. Nun aber fiel es ihr mit Schrecken ein, wie Hans, zur Habsucht und zum Geiz geneigt, leicht Frau und Kinder darben lassen könnte, wenn er plötzlich in den Besitz so vielen Geldes käme. Da eilte sie zu dem Pfarrer des Dorfes und erzählte, ihm, wie es ihr so wundersam ergangen war. Der aber gab ihr manche gute Ratschläge, wie das Geld am besten zu verwenden zu ihrem und ihres Mannes Vorteil, und nahm die blanken Dukaten gegen einen ihr eingehändigten Schein in Empfang. Liese aber – so wurde die Frau genannt – ging fröhlich wieder heim und bereitete aus der geschlachteten Ziege ein köstliches Mahl, um ihren Hans einmal recht zu laben bei seiner Rückkehr.