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Die Gespenster – Dritter Teil – 48. Erzählung

Die Gespenster
Kurze Erzählungen aus dem Reich der Wahrheit von Samuel Christoph Wagener
Allen guten Schwärmern, welchen es mit dem Bekämpfen und Ablegen beunruhigender Vorurteile in Absicht des Geisterwesens ernst ist, liebevoll gewidmet von dem Erzähler Friedrich Maurer aus dem Jahr 1798
Dritter Teil

Achtundvierzigste Erzählung

Schneider Jonas bei Leipzig spukt vom Rad herab

Im Sommer 1791 wurde der Verbrecher Jonas, seines Handwerks ein Schneider, eines Meuchelmordes wegen bei Leipzig enthauptet und dann aufs Rad geflochten. Da in Sachsen die menschenfreundliche Milde des Landesherrn die Todesstrafen, so oft es tunlich ist, vermeidet, da man überhaupt zur Ehre der Sachsen bemerkt hat, dass hier verhältnismäßig seltener als in anderen deutschen Ländern grobe Verbrecher zu richten sind und da, wenn dies der Fall doch einmal ist, bei dergleichen Trauerszenen die Feierlichkeiten, in der Absicht, dadurch ähnliche Verbrechen zu verhindern, ungewöhnlich gehäuft werden, sodass diese Hinrichtungen Schauspiele für Jung und Alt und aus allen Ständen und Geschlechtern sind, so veranlasste diese Hinrichtung umso auffallendere Erscheinungen, je ungewöhnlichere Zierereien des Jonas in seinen letzten Lebensstunden hinzukamen. Ich übergehe indessen diese letzten, als nicht zur Sache gehörig, mit Schweigen und erwähne nur der missverstandenen Zartgefühle jener empfindenden Schönen, die dem hingerichteten Verbrecher nächtlich unter dem Rad duftende Blumen zu streuen schwärmerisch genug waren.

Einige Wochen nach Jonas Hinrichtung ging einer meiner Freunde aus Leipzig zu dem benachbarten Dorf Kohlgarten. Die dort vorgefundene gute Gesellschaft hielt ihn bis an den späten Abend dort auf. Nun durfte er den gewöhnlichen und nächsten Weg nach Leipzig zurück nicht einschlagen, weil das kleine Tor, welches nach Kohlgarten führt, schon um neun Uhr geschlossen wurde. Er musste sich daher zu der großen Dresdener Heerstraße hinwenden und zum Grimmaschen Tor eingehen. Hart an dieser Landstraße steht das Hochgericht, wo der süße Jonas – gebunden mit Rosenbanden von Eisen an seinem Rad ruht, ohne sich seinen blumenstreuenden Freundinnen noch dankbar erweisen zu können.

Die Nacht war finster, mein Freund erinnerte sich, indem er sich der Gerichtsstätte näherte, an die durch Jonas veranlasste Posse. Grausende Gefühle, von der Nacht und dem Alleinsein vergrößert, ergriffen ihn. Immer näher kam er nun der Ruhestätte des zärtlich Bemitleideten und vernahm deutlich ein Kettengeklirre. Jeder, auch der Kaltblütigste, würde hier mit meinem Freund, dem die Dunkelheit der Nacht die Untersuchung der Sache unmöglich machte, gezittert haben. Indessen eilte er, halb unwillkürlich und ohne bestimmt an die klügste Partie zu denken, rasch vorüber; aber – wer hätte das denken sollen – der Kettenschleppende folgte ihm.

Nun zerfiel mein Freund ganz mit seiner Herzhaftigkeit. Er eilte dem Tor zu, aber auch sein Verfolger verstand sich auf Schnelligkeit und blieb immer nur wenig Schritte hinter ihm. Hundertmal wünschte er dem Mann vom Rad die ewige Ruhe. Denn dass das klirrende Gespenst niemand anders als Jonas sein könne – das zu bezweifeln fiel ihm in diesen scheußlichen Augenblicken nicht einmal ein. Ganz außer Atem und mit empor gesträubten Haaren erreichte er endlich das Tor, klopfte heftig und schlüpfte schnell hinein. Nun wieder unter Lebenden, fiel es meinem Freund wie ein Stein vom Herzen und nun erst fing er an, sich wie ein Kind seiner schüchternen und unüberlegten Eile zu schämen. Zwar sagte er dem Torschreiber nichts von seinem Abenteuer, aber er verweilte noch einige Augenblicke bei ihm, teils, um dich ganz zu erholen, teils, um vielleicht noch irgendeinen Aufschluss über das sonderbare Ereignis zu erhalten. Kaum war das Tor wieder verschlossen, so kam das verfolgende Gespenst trabend angehetzt und schüttelte mit einer Kette. Der Torschreiber, vielleicht von ähnlichen Besorgnissen wie mein Freund ergriffen, öffnete nicht gleich die Pforte, sondern nur ein kleines Fenster, nur den Kommenden erst ins Auge zu fassen.

»Ei, wo kommt Er denn noch her?«, fing der Torschreiber an und öffnete die Pforte.

Und wer trat herein? Unstreitig Jonas mit dem Kopf unter dem Arm! Nein, des Mühlenmeisters Esel! Ja, ein Esel, und zwar ein vierbeiniger!

Aber was wollte der bei Jonas unter dem Rad?

Da war er auch nicht; wahrscheinlich hängt die Geschichte so zusammen.

Die Stadt Leipzig hat lauter Wassermühlen, deren Besitzer sich zum Holen des Korns und Wiederbringen des Mehls, Steinesel halten, welche das Mehl auch noch außerhalb der Stadt an die Behörden abliefern. Diesmal war der Eseltreiber erst spät am Abend von einem Dorf zurückgekehrt. Einer seiner Esel mochte sich bei einem Haferfeld zu sehr verspätet haben und zurückgeblieben sein, ohne dass der Eseltreiber ihn unter der Herde, die zuweilen zwanzig Stück stark war, vermisst hatte. Nachdem das Kornfeld und vielleicht auch die rosigen Überbleibsel des Tributs der Empfindelei unter dem Rad, den sich verspätenden Esel gesättigt haben und er selbst endlich an die Rückkehr zum Stall denken mochte, trabte er, eingedenk seiner Untertänigkeit hinter meinen Freund her, den er zur Stadt gehen sah. Auch das Kettengeklirre war sehr natürlich, da ein jeder dieser Mühlenesel eine Kette um den Hals trägt, welche sie mittels eines Knebels an die Krippe gefesselt hält.