Leben, Taten und Schicksale der merkwürdigsten englischen Räuber und Piraten … Teil 5
Leben, Taten und Schicksale der merkwürdigsten englischen Räuber und Piraten der frühesten bis auf die neueste Zeit
Nach amtlichen Urkunden und anderen glaubwürdigen Quellen von C. Whitehead
Aus dem Englischen von J. Sparschil
Leipzig. 1834
Thomas Wynne
Dieser berüchtigte Verbrecher wurde zu Ipswich geboren, wo er bis in sein fünfzehntes Jahr lebte, und dann zu Schiff ging. Neun Jahre danach kam er nach London, wo er in liederliche Gesellschaft geriet, mit Weibspersonen der verworfensten Art schwelgte und keine Schurkerei unterließ, um seine und ihre Ausschweifungen bestreiten zu können. Endlich wurde er im Einbrechen in die Häuser und in Diebereien aller Art so geschickt, dass er als der gefährlichste Spitzbube seiner Zeit verrufen war.
Unser Virtuose florierte unter der Königin Elisabeth und hatte die unerhörte Frechheit, die königliche Wohnung zu Whitehall zu plündern und Effekten im Wert von 400 Pfund Sterling mit fortzunehmen. Dieses Verbrechens wegen wurde er festgenommen und nach Newgate gebracht. Zum Glück für ihn erließ die Königin einen Generalpardon für alle Verbrecher, mit Ausnahme der Mörder und Hochverräter, und er wurde freigelassen. Aber weder die Gnade der Königin noch die Gefahr, in welcher sein Hals geschwebt hatte, brachten auf sein verhärtetes Herz die geringste Wirkung hervor. Er setzte seinen Lebenswandel fort, sah sich jedoch genötigt, als Küchenknecht in die Dienste des Grafen von Salisbury zu treten, um nicht entdeckt zu werden. Hier verliebte er sich in der Gräfin Kammerfrau, welche über diese Frechheit eines Menschen von so niedrigem Stande staunte, und seine Anträge voll Verachtung abwies. Dies erbitterte Wynne so sehr, dass sich seine vorgebliche Liebe in Hass verwandelte und er auf Rache sann. Er benutzte eine Gelegenheit und behandelte sie so roh, dass sie sich genötigt sah, die Dienerschaft des Hauses zu Hilfe zu rufen. Die arme Frau musste sich zu Bett legen und trug von dem Schreck eine Krankheit davon. Als der Graf von dem Vorfall in Kenntnis gesetzt wurde, erließ er den Befehl, dass Wynne von dem Kutscher gepeitscht und dies ein Monat hindurch jede Woche einmal wiederholt werden solle. Obwohl Wynne sich freute, sich an einer Frau, die seine Liebesbewerbungen mit solcher Verachtung verworfen hatte, gerächt zu haben, gefiel ihm doch der Lohn, den ihm sein Gebieter dafür zudachte, ganz und gar nicht. Er bestahl daher den Kutscher um neun Pfund, den Mundkoch um fünfzehn, nahm einen silbernen Becher des Grafen und die besten Kleider der Kammerfrau, die er misshandelt hatte, mit und zog auf neue Abenteuer aus.
Zu jener Zeit waren die Gasthalter nicht so tätig wie jetzt. Wynne erschien daher in den Gasthöfen oft in der Tracht eines Trägers, nahm Warenballen fort und trieb diese Gaunerei unentdeckt, bis er sich dadurch zweihundert Pfund Sterling erworben hatte. Die eigentlichen Träger, welche den Schaden ersetzen mussten, nahmen nun die ihnen zugewiesenen Güter besser in Acht, sodass Wynne sich nach einer neuen Erwerbsquelle umsehen musste. Eines Tages hörte er, dass ein Mann, den seine Frau bis an die Tür des Hauses begleitete, zu ihr sagte, er würde in vier bis fünf Stunden wieder heimkommen. Er schlich dem Mann nach, bis er ihn in eine Schenke gehen sah. Nachdem er den Namen des Wirtes in Erfahrung gebracht hatte, kehrte er zurück und erfuhr auch den des Mannes. Hierauf ging er zu der Frau desselben und meldete ihr, dass ihr Mann vom Schlag gerührt worden sei, und dass er sie vor seinem Hinscheiden noch zu sprechen wünsche. Die arme Frau weinte bitterlich, befahl dem Dienstmädchen, das Haus wohl in Ordnung zu halten, und eilte mit dem vorgeblichen Boten zu dem Ort, wo ihr Gemahl sich in dem Rachen des Todes befinden sollte.
Sie waren aber nicht weit gekommen, so ließ Wynne sie unter dem Vorgeben, dass er in einem anderen Teil der Stadt ein dringendes Geschäft abzumachen habe, ihren Weg allein fortsetzen; er aber kehrte in das Haus zurück und sagte dem Dienstmädchen, ihre Gebieterin habe ihn hierher gesendet, um sie in Kenntnis zu setzen, dass sie, wenn sie in so und so viel Stunden nicht zu Hause wäre, die Nacht über gar nicht heimkommen würde, dass sie daher in diesem Fall zu Bett gehen möge. Da Wynne außer Atem zu sein schien, so bat das Mädchen ihn einzutreten und etwas auszuruhen. Das tat er denn auch. Während das Mädchen ihm einige Erfrischungen holte, schlug er sie nieder, knebelte sie und beraubte das Haus bis zum Wert von 200 Pfund.
Acht Jahre lang hatte Wynne sich durch ähnliche Freveltaten erhalten, da fasste er den Entschluss, einen Leinwandhändler, der sich von den Geschäften zurückgezogen hatte und mit seiner Frau von den Früchten seines Fleißes lebte, zu berauben. Er brach daher eines Abends in ihr Haus, schnitt, um jeder Entdeckung vorzubeugen, beiden während sie schliefen, die Kehle durch, stahl Bargeld und Kostbarkeiten bis zum Wert von 2500 Pfund Sterling und schiffte sich, um ganz sicher zu sein, mit Frau und Kind nach Virginia ein.
Da die alten Leute am Tag darauf sich nicht wie gewöhnlich zeigten, auch die Tür verschlossen blieb, gerieten sie in Besorgnis, holten einen Constable, schlugen die Tür ein, fanden die Ermordeten in ihrem Blut schwimmen und das Haus beraubt. Es wurden die eifrigsten Nachforschungen angestellt, und ein armer Mann, der sich sein Brot erbettelte, verhaftet, weil man ihn den Tag vorher auf der Bank vor dem Haus hatte sitzen sehen. Obwohl kein anderer Umstand gegen ihn zeugte, wurde er doch schuldig erklärt und vor dem Haus hingerichtet.
Inzwischen befand sich Wynne, der eigentliche Mörder, in einem fremden Land in Sicherheit. Zufällig fügte es sich, dass der Preis unschuldig vergossenen Blutes gedieh und seine Reichtümer sich bedeutend vermehrten. Nachdem er zwanzig Jahre in Virginia gelebt, eine zahlreiche Familie bekommen und ein großes Vermögen gesammelt hatte, beschloss er England vor seinem Tod noch einmal zu besuchen und dann zurückzukehren, um seine Gebeine in einem fremden Land zur ewigen Ruhe zu legen. Während seines Aufenthaltes zu London ging er eines Tages in die Bude eines Goldschmieds, um einige Gefäße, die er mitzunehmen gedachte, zu kaufen. Während der Goldschmied diese wog, fügte es sich, dass in der Straße ein Tumult entstand, weil ein Mann, der verhaftet worden war, den Häschern zu entfliehen versuchte. Wynne ging auch hinaus, um zu sehen, was es gäbe.
Da schrie dicht neben ihm jemand: »Ergreift ihn!«
Mit einem Mal erwachte sein Gewissen, und er rief: »Ich bin der Mann!«
»Ihr der Mann!«, wiederholte das Volk, »welcher Mann?«
»Der Mann«, versetzte Wynne, »welcher vor zwanzig Jahren in Honneylane den Mord beging, weswegen ein armer Mann unschuldig gehängt wurde!«
Infolge dieses Geständnisses wurde er vor die Obrigkeit gebracht, wiederholte seine Aussage, worauf man ihn nach Newgate schaffte, vor Gericht stellte, zum Tode verdammte und vor dem Haus, wo er die schreckliche Tat begangen hatte, hinrichtete. So erreichte die strafende Gerechtigkeit des Himmels den Schuldigen, nachdem er sich seit langer Zeit schon für ganz sicher gehalten hatte. Auch seine Familie, welche um seine Schuld wusste, fand den verdienten Lohn. Seine Gattin wurde auf die Kunde von seinem schmählichen Ende wahnsinnig und blieb es bis zu ihrem Tod. Zwei seiner Söhne wurden in Virginia als Räuber gehenkt und die ganze Familie kam an den Bettelstab.