Die wundersamen Märlein vom Berggeist Rübezahl – 8. Kapitel
Heinrich Döring
Die wundersamen Märlein vom Berggeist Rübezahl
Verlag C. F. Schmidt, Leipzig, ca. 1840
Achtes Kapitel
Wie Rübezahl auf Peters Rufen nicht erschien und wie Peter sich darüber große Sorgen machte
Als Peter nun mit den seinen den Gipfel der Riesenkoppe erreicht hatte, da hielt er plötzlich an der Stelle an, wo ihm der Berggeist zuerst erschienen war, und sprach: »Es wäre wohl töricht, wenn wir nun ins Tal hinabstiegen und dort in dem Dorf die reichen Vettern begrüßten, die mich so schnöde und kalt von ihrer Tür hinweg gewiesen haben. Keinem unter ihnen habe ich etwas zu danken. Hier aber, wo wir nun stehen, fand ich meinen Retter und Wohltäter. Es ist niemand anders als der Geist dieses Gebirges.«
Da erschrak Anna heftig und die Kinder zitterten und bebten und sahen sich scheu um, befürchtend, dass Rübezahl hinter einem Baumstamm hervortreten könnte. Peter aber sprach ihnen Mut zu und hieß sie dort seiner harren, bis er wiederkäme. So machte er sich auf, alles Wehklagens und Zurückhaltens ungeachtet, und wanderte tiefer hinein in den Wald. Als er nun die schroffe Felswand erreicht hatte, über welche sich die Zweige der Riesentanne hinabsenkten, da schwenkte er den Hut und rief, den Beutel hoch emporhaltend: »He da, Herr Berggeist! Euer Schuldner ist gekommen! Der arme Peter ist da!
Aber der Berggeist kam nicht, trotz wiederholtem Rufen. Da stampfte Peter mit dem Fuß auf, wie es Rübezahl getan hatte, in der Hoffnung, der Eingang zu der Höhle, in die er mit dem Geist hinabgestiegen war, werde sich vielleicht öffnen. Aber die Felswand blieb verschlossen und Peter sah sich endlich genötigt, zu den seinen wieder zurückzukehren. Als er ihnen nun aber sein Missgeschick klagte, fand er wenig Teilnahme, und Anna meinte, es sei ebenso gut und wohl noch besser, dass der Berggeist ihm nicht erschienen war. Damit war aber Peter gar nicht zufrieden.
»Es gehe mir, wie es wolle«, sprach er entschlossen und rief, so laut er konnte: »Rübezahl! He! Rübezahl!«
»Da ist er!«, rief Peters Knabe, sich scheu an den Vater schmiegend.
»Wo?«, rief Peter hastig.
»Siehst du nicht dort hinter der Tanne den langen schwarzen Mann, der so furchtbar umherschaut mit seinen feurigen Augen.«
Aber weder hinter dem bezeichneten Baum noch sonst wo, war eine Spur des Berggeistes zu finden. Da wurde Peter traurig, dass er unverrichteter Sache wieder heimkehren musste mit Frau und Kindern.
Vielleicht, dachte er, habe ich es dadurch versehen, dass ich sie mitnahm und nicht ganz allein die Wanderung zur Riesenkoppe. angetreten habe. Aber morgen ist auch ein Tag! Ich ruhe nicht eher, bis ich das Geld zurückgezahlt und meinen Schein wiederhabe.