Sagen der mittleren Werra 49
Von der Kirmesfahne und den Gerechtsamen zu Brotterode
In Herges wird erzählt, dass Kaiser Karl V. einmal in Brotterode – früher Brunwartesroda – schwer erkrankt sei. Da hätten ihn denn die von Herges mit köstlichem Obst und Beeren so gelabt, dass der genesene Kaiser aus Dankbarkeit ihnen das Hutrecht in einem Teil der Brotteröder Waldung verliehen habe. Denen von Brotterode aber, die kein Obst hatten, habe er gestattet, die gefallenen Früchte unter den im Hergeser Feld stehenden Obstbäumen aufzulesen.
Die von Brotterode erzählen also: Die Gemahlin Kaiser Karls V. wurde auf einer Reise in Brotterode von Wehen befallen und wartete dort ihre Niederkunft ab. Da sie von den dortigen Einwohnern sorgfältig gepflegt und besonders von ihrem guten Bier gestärkt wurde, so schenkte der dankbare Kaiser dem Ort nicht nur einen großen Wald mit dem Fischrecht in den dortigen Bergbächen, sondern verlieh ihm auch das Blutgericht, das Asylrecht während der Kirchweihe und ein Fahnenlehen, nach welchem jeder Hausbesitzer während der Kirmeszeit das Recht hat, ohne Abgaben Bier auszuschenken. Die vom Kaiser dem Ort verehrte Fahne, gemeinhin die Funn von Karles quintes ist seit jener Zeit immer wieder erneuert worden. Unter einer Krone ist mit gelbem Garn Keil und Schlageisen gekreuzt und die Inschrift C. V. in schwarzes Tuch eingenäht. Während der Kirmeszeit weht sie von dem dortigen Turm.
Die Sage wird auch auf folgende Weise erzählt: Oben in dem Kirchturmsknopf, so erzählte der alte Peter von Brotterode, da soll es klar und deutlich aufgezeichnet stehen, was es für ein Bewandtnis mit unserer Kirmesfahne und unseren Gerechtsamen und Freiheiten hat. »Mir«, sagte er, »hat es meine Großmutter so mitgeteilt: Vor uralten Zeiten ist es geschehen, dass sich einmal eine vornehme und reiche Königstochter, deren Vater hier gebot, in unserem Wald ganz und gar verirrt hatte und in große Not und Angst geraten war . Nun traf es sich, dass eine arme Bergmannsfrau grade dorthin in die schwarzen Beeren ging. Die hörte ein lautes Wimmern, ging darauf zu, fand die Prinzessin und geleitete sie in unseren Ort, allwo sie wegen der ausgestandenen großen Angst heftig erkrankte. Da die Prinzessin viel Teilnahme und die beste Pflege fand, so schenkte sie nach ihrer Genesung dem Ort die großen Freiheiten und Gerechtsamen, und der Vater der Prinzessin bestätigte alles und gab uns die Kirmesfahne1 noch obendrein.«