Sagen und alte Geschichten der Mark Brandenburg 20
Der fliegende Chorschüler
In vielen Städten der Mark und namentlich in Berlin erzählt man sich folgende Sage: Eines Tages verabredeten mehrere Chorschüler miteinander, dass sie auf den Kirchturm (in Berlin soll es der der Marienkirche gewesen sein) steigen und dort aus den Krähennestern, deren sich eine Anzahl oben befand, die Eier ausnehmen wollten. Diesen Versuch führten sie auch aus und stiegen zum Turm hinauf. Als sie dort ankamen, wurde zu einem der Schalllöcher ein Brett hinausgelegt, welches zwei Schüler hielten, der Dritte aber kroch auf diesem Brett hinaus, um in den Ritzen und Spalten des Turmes Nester zu suchen. Er fand auch bald eine große Zahl derselben, gab jedoch seinen Gefährten kein einziges der Eier, welche er dort fand. Als sie ihn nun fragten, ob sie ihren Teil nicht erhalten würden, schlug er es ihnen rund ab, weil er sagte, er habe sich allein der Gefahr unterzogen und so wolle er auch allein die Frucht derselben genießen. Da wurden die anderen böse und drohten ihm, dass sie das Brett loslassen würden, wenn er ihnen nicht augenblicklich einen Teil seiner Beute abgäbe. Er jedoch, der vor der Ausführung ihrer Drohung sicher zu sein wähnte, sagte, das sollten sie nur tun, dann würden sie gewiss nichts bekommen. Aber kaum hatte er das gesagt, so ließen jene das Brett los, und der arme Chorschüler stürzte von der höchsten Höhe des Turmes hinab. Nun hatte er aber seinen weiten Mantel um, der bis unten hinab zugeknöpft war, sodass sich sogleich der Wind darunter fing, den Fall hemmte und ihn wohlbehalten und unversehrt mitten auf den Markt hinabtrug, wo er zur größten Verwunderung der Käufer und Verkäufer ankam. Ob er nun seinen Gefährten ihren Anteil am Gewinn gegeben hatte, weiß man nicht, sie mögen aber auch wohl nicht mehr danach verlangt haben.